Protocol of the Session on May 8, 2014

Auch heute zeigt sich an vielen Stellen ein großes Bedürfnis nach mehr direkten Mitentscheidungsmöglichkeiten, nach mehr Basisdemokratie, auch aus der Unzufriedenheit an einer Politik, die oft als lebensfremd und als von oben empfunden wird. Gerade hier können wir sehr viel stärker von den damaligen Erfahrungen lernen und profitieren von einer Bewegung, die sich von unten organisiert und unglaublich viel erreicht hat, aber auch an ihre Grenzen gestoßen ist. Wie groß der Mut damals war, zeigt auch die Erinnerung an die letzten Kommunalwahlen, die genau gestern vor 25 Jahren stattgefunden haben. Damals konnte den Machthabern ihre dreiste Wahlfälschung zum ersten Mal öffentlich nachgewiesen werden.

Wenn man sich angesichts dessen heutzutage die Wahlbeteiligung anschaut, muss man sich schon fragen, ob wir wirklich etwas aus unserer Geschichte gelernt haben. Wie verwöhnt wir bisweilen das Nichtwählen als wahre Tugend anpreisen, das macht mich betroffen und auch zornig, auch weil es respektlos gegenüber allen ist, die damals um ihre Bürgerrechte gekämpft haben, und gegenüber allen, die heute noch um ihre Bürgerrechte kämpfen müssen.

[Allgemeiner Beifall]

Kürzlich wurde sinngemäß gesagt, dass die Unterstützung der Betroffenen nie obsolet werden wird. Viele Schicksale sind nach wie vor nicht geklärt oder werden mindestens so lange zu klären sein, solange die Betroffenen noch leben. Die zukünftige Arbeit des Landesbeauftragten muss daher nach meiner festen Überzeugung in der Unterstützung der Betroffenen und der Weitergabe der Erfahrung von damals an neue Generationen bestehen. Ich möchte deshalb auch dafür werben, mit denen, die die DDR nicht mehr miterlebt haben, über den reinen Geschichtsunterricht hinaus neue Ideen und Projekte zu entwickeln, um die Geschehnisse von damals erlebbar und erfahrbar zu machen.

Das ist für mich vielleicht die wichtigste Botschaft des 7. Mai 1989 an meine Generation, dass man Unrecht, Dummheit und Feigheit nicht einfach hinnehmen muss, sondern selbst etwas verändern kann. Dazu gehört einmal mehr Zivilcourage, die man nicht einfach für sich reklamieren kann, weil sie sich nämlich erst in der konkreten Situation erweist. Umso größer ist mein Respekt vor denen, die diesen Mut damals aufgebracht haben. – Danke!

[Allgemeiner Beifall]

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. West! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich nun dem Kollegen Otto das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte zu Anfang dem Landesbeauftragten Herrn Gutzeit für seine Arbeit danken – es ist schon der 20. Bericht; man staunt immer wieder –, die er langjährig für diese Stadt und nicht zuletzt im Auftrag dieses Parlaments geleistet hat. Herzlichen Dank!

[Allgemeiner Beifall]

25 Jahre ist die friedliche Revolution her. Gestern – die Kollegin West erwähnte es – war der 25. Jahrestag der Aufdeckung der Wahlfälschung der SED. Wer sich daran erinnert, wird wissen, dass es ein Meilenstein auf dem Weg in den Herbst ‘89 war. Wer hätte geahnt, dass ein halbes Jahr später Erich Honecker nicht mehr da ist. Wer hätte geahnt, dass Zehntausende in Berlin und in Leipzig auf der Straße gegen die Obrigkeit demonstrieren? Das war neu und seit dem Juni 1953 nicht mehr geschehen. Die Leute wurden mutiger. Das Ende kam dann, zumindest aus meiner Sicht, umso überraschender.

Daran erinnern wir dieses Jahr. Es ist das 25-jährige Jubiläum des Herbstes ‘89. Es ist für viele Geschichte. Frau West hat es in ihrer Jugendlichkeit gesagt. Sie kann sich an viele Dinge nicht erinnern, weil sie sie nicht selbst

(Dr. Clara West)

erlebt hat. Der Präsident hat heute daran erinnert, wie das Kriegsende war, die Befreiung Berlins, der 8. Mai 1945. Er hat an den parlamentarischen Rat 1949 erinnert. An das alles können sich die wenigsten hier persönlich noch erinnern. So ähnlich wird es auch mit der friedlichen Revolution sein. Für viele, die später geboren sind und es nicht selbst erlebt haben, ist es Geschichte, eine Überlieferung.

Herr Gutzeit! In Ihrem Bericht steckt viel Geschichte drin. Es steckt drin, dass Sie dafür werben, sich darüber zu unterhalten, dass Sie politische Bildungsarbeit machen, damit weitergegeben wird, was diese Gesellschaft bewegt und verändert hat und was einzelne dazu beigetragen haben. Das ist ganz wichtig. Eine Gesellschaft, die keine Geschichte hat oder nicht daran denkt, macht alle Fehler selbst und noch einmal. Das kann sich niemand wünschen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Fabio Reinhardt (PIRATEN)]

Sie haben in Ihrem Bericht vieles über einzelne Schicksale geschrieben. Daran wird deutlich, wie wichtig diese Beratung ist, wie wichtig Unterstützung gegenüber Behörden ist, wenn Leute einen Antrag beim Sozialamt stellen, eine Rehabilitierungsleistung in Geld haben wollen und die Leute auf dem Amt keine Ahnung davon haben oder die Bestimmungen falsch auslegen, oder wenn es nicht einmal Formulare für bestimmte Hilfen gibt – so haben Sie es aufgeschrieben, was mich wunderte, weil es heutzutage für alles Formulare gibt –. Da ist Ihre Beratungsarbeit enorm wichtig. Ich glaube, dass das hier auch anerkannt wird.

Wenn man einmal ein wenig zurückdenkt, wurde immer mal diskutiert, wie lange eine Behörde tatsächlich benötigt wird und ob diese Fälle nicht wirklich irgendwann einmal abgearbeitet sind. Ich hätte auch gedacht, dass es irgendwann weniger wird oder beendet ist. Es ist aber nicht so. Es ist so – Sie weisen darauf hin, dass Leute eine andere Lebenssituation erreichen, beispielsweise eine Rente beantragen wollen –, dass die Menschen feststellen, dass etwas, vielleicht ein paar Jahre, für die Rente fehlt. Das macht sich monetär bemerkbar. Dann wird darüber nachgedacht, wie das möglich ist. Sie waren vielleicht in Haft oder hatten eine sehr schlecht bezahlte Arbeit, weil sie beruflich benachteiligt wurden. All das ist immer noch aktuell und ist eine wichtige Arbeit, die Sie dort leisten. Dafür sage ich herzlichen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Sie machen politische Bildungsarbeit. Ich habe mich besonders gefreut herauszulesen, dass die Arbeit mit Lehrerinnen und Lehrern Fortschritte macht und viel mehr nachgefragt ist. Ich kann mich an die Diskussion in den Neunzigerjahren erinnern. Viele Lehrer und Lehrerinnen im Ostteil der Stadt hatten Furcht, sich mit der eigenen Biografie im Kontext der gesellschaftlichen

Umwälzungen überhaupt zu beschäftigen. Im Westteil Berlins war es so, dass viele zu wenig Ahnung vom DDR-System hatten oder sich aus anderen Gründen auch nicht damit im Unterricht beschäftigen wollten. DDRGeschichte fiel aus. Man kann sich mit so vielem anderen, von der Antike bis 1918 oder 1945, beschäftigen. Dann war immer keine Zeit mehr für das, was DDRGeschichte ist.

Ich habe das Gefühl, dass es besser wird. Es mag mit der Zeitdauer zu tun haben, aber vielleicht auch mit Ihrer Arbeit, dass Sie es erreicht haben, dass das Interesse einfach größer wird. Das ist eine sehr gute Botschaft.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Neben der eigenen Bildungsarbeit unterstützen Sie viele Institutionen, Träger der Aufarbeitung in dieser Stadt, unter anderem die ASTAK in Haus 1. Wir waren neulich mit der Fraktion dort und haben eine Besichtigung in der Ruschestraße gemacht und uns das ganze Karree dort noch einmal angeschaut und mit Roland Jahn über seine Idee des Campus der Demokratie diskutiert.

Ich kann Ihnen sagen, dass uns die Idee begeistert. Wir wollen, dass sich Berlin gemeinsam mit dem Bund engagiert. Wir haben dazu einen Antrag inzwischen hier im Haus im Geschäftsgang. Sie werden das registriert haben. Wir wollen ihn in den Ausschüssen beraten. Ich glaube, dass das ein Ort wäre, wo wir über Geschichte diskutieren und Geschichte anschaulich machen könnten und wo wir nicht zuletzt auch eine weitere touristische Attraktion für Berlin schaffen können. Da würden wir uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg eine gemeinsame Initiative erhoffen und erwarten. Darüber wollen wir mit Ihnen in der Zukunft diskutieren. Ich glaube auch, dass an diesem Ort Sie, Herr Gutzeit, mit Ihrer Erfahrung und mit Ihren Kenntnissen helfen können, damit Berlin insgesamt in der Aufarbeitung weiter vorn dranbleibt. – Herzlichen Dank!

[Allgemeiner Beifall]

Danke schön, Herr Kollege Otto! – Für die Fraktion der CDU erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Lehmann-Brauns. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Jahre wieder kommt dieser Bericht. An wen richten sich diese 33 langen Seiten eigentlich? Gibt es noch Adressaten, oder liegt eine Selbstbespiegelung vor? Gibt es 25 Jahre nach dem Verschwinden der DDR noch einen Bedarf und/oder ein öffentliches Interesse? – Es gibt in der Tat Adressaten, mehr als eine Handvoll. Der Bericht führt sie auf, beispielsweise die Menschen, die in der DDR unter

(Andreas Otto)

politischer Verfolgung gelitten haben, beispielsweise die Menschen, die in die Psychiatrie gezwungen wurden, beispielsweise ehemalige Heimkinder, die nach Diktaturmaßstäben asozial waren und dafür trockenes Brot essen mussten und die Peitsche zu spüren bekamen, beispielsweise die Menschen, die ihres Widerstandes halber oder wegen ihrer Herkunft berufliche Nachteile erlitten, beispielsweise die Vielen, die den Zersetzungsmaßnahmen des MfS ausgesetzt waren, beispielsweise Menschen, die noch heute – wie der Bericht sagt – in ihrem persönlichen oder beruflichen Umfeld von früheren SEDFunktionären, NVA-Angehörigen oder MfS-Mitarbeitern schikaniert werden, zum Beispiel die politischen Gefangenen.

Sie alle leben noch, leben mit ihren Erfahrungen, leben mit ihren Wunden. Es sind eine ganze Menge, für die die Existenz der Behörde, die ihre Rechte vertritt, die sie berät, ggf. schützt, wichtig bleibt. Auch Wissenschaftler, Studierende, Schülerinnen und Schüler, Pädagogen besitzen dieses Aufklärungsinteresse an einer Diktatur, die sich einmauerte, um sich schoss, polizeistaatlich agierte. Wie war das möglich? Warum haben die Leute das mit sich machen lassen? Wie konnten sie das aushalten? Eine freie Gesellschaft, wie die unsere, leistet sich aus guten Gründen die Institution des Landesbeauftragten.

Es gibt andere Institutionen, nur zwei will ich erwähnen – Kollege Otto hat schon von der einen gesprochen. Auch ich begrüße die Gründung des Campus der Demokratie, initiiert von Roland Jahn und auch unserem Kollegen Freymark, mit dem Ziel, einen weiteren Lernort für Demokratie basierend auf DDR-Erfahrungen zu schaffen. Meine Fraktion hat immer mit Interesse und Zustimmung die Aktivitäten der Havemann-Gesellschaft beobachtet und verfolgt. Sie freut sich und begrüßt es, dass nunmehr die Ausstellung auch 2015 finanziell gesichert ist.

Die Tätigkeit Martin Gutzeits insgesamt zu würdigen, lässt der Zeitrahmen nicht zu. Andere Kollegen – der Kollege Otto, die Kollegin Dr. West, denen ich Satz für Satz zustimme – haben das bisher schon getan. In Berlin, so könnte man glauben, wird an 365 Tagen im Jahr aufgeklärt, geholfen, ermittelt, erinnert, projektiert und veranstaltet zugunsten von Aufarbeitung, Aufklärung und Bewältigung. Hieraus ergibt sich zumindest, dass – ungeachtet weiterer Themen und offener Probleme – in Berlin vergleichsweise Vorbildliches geleistet wird, und die Liebhaber der DDR wissen müssen, dass die Diktaturfolgen nicht vergessen sind.

Ich hätte mir übrigens gewünscht, Herr Gutzeit, dass Sie etwas zum Stand der Opferentschädigungen durch westdeutsche Unternehmen gesagt hätten, die mittels der DDR-Organe politische Gefangene für Hungerlöhne arbeiten ließen.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU und den PIRATEN]

Beim Lesen des Berichts werde ich daran erinnert, dass Diktaturen nicht nur Menschen zerstören, sondern auch die Umwelt und Städte. Natürlich denke ich an den Abriss des Berliner und des Potsdamer Schlosses, den Abriss der Universitätskirche in Leipzig, den Abriss der Garnisonkirche in Potsdam. Ich hätte mir gewünscht, dass die Partei, die dafür Verantwortung trägt – unabhängig davon, wie sie heute heißt –, über ihren Schatten springt und die Heilung solcher Wunden befördert, anstatt wie jetzt in Potsdam im Fall der Garnisonkirche die rote Karte zu ziehen.

Wir werden noch jahrzehntelang über die Diktatur und ihre Folgen reden, auch in dem Wissen, dass man Geschichte nicht festhalten kann. Was wir allerdings mit Sicherheit wissen, ist, dass die Aufklärungsarbeit von Herrn Gutzeit hervorragend ist. Dafür dankt ihm meine Fraktion!

[Beifall bei der CDU – Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lehmann-Brauns! – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege Dr. Lederer das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Gutzeit! Wir beraten heute den nunmehr 20. Jahresbericht des Berliner Landesbeauftragten. Die Notwendigkeit der Diskussion und der Aufklärung über das Wirken des MfS und über die bis heute bleibenden und fortwirkenden Folgen ist ungebrochen aktuell. Das zeigt sich an dem im Bericht geschilderten Beispiel der Bürgerberatung für Menschen, die nach wie vor um strafrechtliche Rehabilitierung, um Kapitalentschädigungen, um berufliche oder verwaltungsrechtliche Rehabilitierung oder um die Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden nachsuchen. Auch die Geschichten derjenigen, die das Schicksal von Vorfahren oder Verwandten recherchieren, um zu erfahren, was damals geschah, berühren mich sehr. Lesen wir dann, auf welche Hindernisse diese Menschen stoßen, die Rehabilitierungsansprüche etwa auf DDR-Heimkinder-Entschädigung geltend machen, so zeigt sich, wie wichtig es nach wie vor ist, dass sich Ihre Behörde, Herr Gutzeit, sei es als Unterstützungseinrichtung engagiert oder den Betroffenen bei Gericht oder den Versorgungsämtern zur Seite steht. Ja, wir würden es auch begrüßen, Herr Gutzeit, wenn in Form eines Leitfadens oder in Fortbildungsangeboten für die Sachbearbeitung in den Behörden Unterstützung geleistet werden würde, wenn die Anhörung von Betroffenen in gerichtlichen Verfahren verstärkt werden könnte, um die Durchsetzung schwierig zu belegenden Ansprüche zu erleichtern. Auch künftig wird es sicherlich nötig sein, Defizite und praktische Schwierigkeiten bei

(Dr. Uwe Lehmann-Brauns)

der Gesetzgebung, bei den gesetzlichen Grundlagen für solche Ansprüche zu analysieren und diese ggf. auch zu verändern.

Nicht zuletzt zeigt aber auch die Förderung von Beratungs- und Selbsthilfeprojekten, dass es tatsächlich so ist, dass Menschen Hilfe und Unterstützung brauchen, um mit den späten Folgen von Traumatisierung und Verfolgung umgehen zu können. Es wäre zutiefst oberflächlich und würde der Tätigkeit der Berliner Unterlagenbehörde nicht gerecht, sie – wie in der medialen Debatte oft zu erleben – auf Stasiunterlagen, auf die Einsicht in und den Umgang mit Stasiunterlagen zu reduzieren. Das gehört sicherlich dazu. Es ist wirklich notwendig dafür zu sorgen, dass die Bearbeitungszeiten bei den Akteneinsichtsgesuchen verkürzt werden, anstatt sie immer weiter zu verlängern, denn sie sind oft die entscheidende Grundlage für Rehabilitierungs- und Anerkennungsansprüche. Aber es geht eben um viel mehr: Es geht um Aufklärung, Information, Hilfe und Unterstützung. All das leisten Sie und Ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter, und dafür, lieber Herr Gutzeit, möchten die Partei Die Linke und die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus Ihnen auch anlässlich der Diskussion über diesen Bericht erneut ihren herzlichen Dank aussprechen!

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Fabio Reinhardt (PIRATEN)]

Meine Damen und Herren! Für uns als Linke ist es eine besondere Verpflichtung, aufgrund unserer geschichtlichen Hypothek alles für die Aufarbeitung des gescheiterten parteibürokratischen Systems der DDR zu tun. Dazu gehört zum einen, klar zu sagen, was war. Die Ignoranz freiheitlicher und demokratischer Ansprüche, die Monopolisierung der Wahrheit auf eine Führungskaste von Bürokraten, die Deformierung jeglicher politischer Kultur und die Negierung einer Idee von Emanzipation haben in den gut 70 Jahren des realsozialistischen Weltsystems zu unvorstellbaren Verbrechen geführt. Der lange Schatten des Stalinismus reicht bis in die Gegenwart. Versuche der Reform, die es überall immer wieder gab, die ihre symbolische Zuspitzung sicherlich im Prager Frühling gefunden haben, wurden brutal unterdrückt, und sind letztlich allesamt gescheitert, bis das System aufgrund seiner eigenen Widersprüche zusammenbrach, glücklicherweise friedlich, ohne Blutvergießen.

Wir sehen uns als Sozialistinnen und Sozialisten in der permanenten Pflicht zur herrschaftskritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte. Jede sozialistische Veränderung von Gesellschaft muss eine freiheitliche, muss eine demokratische sein, sonst ist sie keine.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Und jede Kritik an den Zuständen aus sozialistischer Perspektive ist nur glaubwürdig, wenn sie die eigene historische Last nicht ignoriert und unter den Teppich kehrt.

Es laufen jetzt die Debatten, wie es bald ein Vierteljahrhundert nach dem Zusammenbruch der parteibürokratischen Diktatur weitergehen soll mit den Akten, mit Hilfe und Unterstützung für die Betroffenen, mit der Aufarbeitung überhaupt. Wir sollten diese Debatte führen. Uns als Linksfraktion ist vor allem wichtig, dass die demokratische Dimension der Veränderungen bis 1989/90, das Wirken der herrschaftskritischen DDR-Opposition und die Darstellung des Lebens in der DDR zwischen Aufbegehren und Anpassung ihren Raum findet und institutionell abgesichert wird. Dazu gibt es eine Reihe von Bekenntnissen im Bund und auch in Berlin, denen jetzt aber auch Taten folgen müssen. So könnte die Förderung der Havemann-Gesellschaft, des Archivs der DDR-Opposition, auch als Anteil einer gemeinsam zu tragenden Absicherung in die Verhandlungen mit dem Bund einfließen, damit sich endlich etwas bewegt. Diese 200 000 Euro sollte man nehmen, dem Bund anbieten und sagen: Jetzt liefert euren Anteil, damit wir das Archiv der DDROpposition meinethalben auch in einem Campus der Demokratie dauerhaft untergebracht bekommen.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Natürlich ist schlussendlich die Frage zu diskutieren, wie die Stasi-Unterlagenbehörde des Bundes und die Landesbehörden künftig ihre Arbeit organisieren. Das wird sicher nicht allein in Berlin entschieden, aber wir sollten uns an dieser Debatte konstruktiv beteiligen, sollten uns die Zeit lassen, vor Veränderungen die praktischen Aspekte zu diskutieren. Wir stehen Ihnen, Herr Gutzeit, für eine solche Diskussion gern zur Verfügung, auch als Ansprechpartnerin mit offenem Ohr für den Fall, dass wir Ihnen Hilfe leisten können. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]