Protocol of the Session on April 10, 2014

Welche Initiative hat denn der Senat auf Bundesebene zur Verbesserung der Flüchtlingsrechte ergriffen? Wie hat Klaus Wowereit seine guten Kontakte zur Bundesebene genutzt? Was hat Herr Henkel unternommen, der an den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene beteiligt war und deswegen so selten an den Innenausschusssitzungen teilnehmen konnte? – Selbst die ersten Verhandlungen mit den Flüchtlingen hat nicht der Senat angestoßen,

nicht Herr Wowereit, sondern die Kirchen, Diakonie und Caritas, waren die ersten, die das Gespräch gesucht haben. Es gibt keinen Grund für Sie, zufrieden zu sein, Herr Wowereit! Wer in der Flüchtlingspolitik etwas ändern will, muss als Senatschef deutlich mehr leisten!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Frau Kolat! Ich habe durchaus Respekt vor Ihrer Verhandlungsleistung,

[Beifall von Björn Eggert (SPD)]

nicht so sehr wegen des Ergebnisses, sondern wegen der Probleme, vor die Sie durch den Senat und den eigenen Chef gestellt wurden. Wir erinnern uns: Chefverhandlerin wurden Sie, nachdem der Innensenator – wie ich vermute, nach Absprache mit dem Regierenden Bürgermeister – ein Räumungsultimatum für den Oranienplatz gestellt hat. Der Innensenator wollte Härte zeigen – nachdem er sonst nichts auf die Reihe kriegt und bei CDU-Rechten schon als Weichei gilt, erklärlich.

[Beifall bei der LINKEN – Benedikt Lux (GRÜNE): Nicht nur bei denen!]

Aber als er die Sache dann wirklich an sich ziehen wollte, hat der Regierende Bürgermeister ihm gezeigt, wie Gruppenhydraulik à la Wowereit im Senat funktioniert. Wenn der kleine König schwer angeschlagen ist, hetzt er die Fürsten aufeinander, die um seine Nachfolge buhlen – Machiavelli für Arme!

Die Versuchsanordnung war klar: Entweder erzielt Frau Kolat ein Ergebnis, bei dem die Flüchtlinge den Oranienplatz verlassen, oder es wird geräumt. Die Flüchtlinge hatten kaum eine Wahl. Dass Herr Henkel, nachdem er so ausgebremst wurde, keine aufenthaltsrechtlichen Zugeständnisse angeboten hat, war klar. Frau Kolat musste also durchgängig nach zwei Seiten verhandeln, was ihr der Regierende Bürgermeister hätte ersparen können, wenn er frühzeitig seine Richtlinienkompetenz genutzt hätte. Hat er aber nicht!

Das Hickhack im Senat geht weiter. Während der Regierende Bürgermeister Frau Kolat für ihr Verhandlungsgeschickt lobt, war in der gleichen Radiomeldung zu hören, dass Senator Czaja Frau Kolat kritisiert, weil sie ihm zu viele Flüchtlinge zur Unterbringung aufbürdet. Das ist doch grotesk!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ausgerechnet der Sozialsenator, der die Entwicklung verpennt hat und es nicht schafft, ausreichend menschenwürdige Unterbringungsplätze zu besorgen!

[Beifall von Fabio Reinhardt (PIRATEN) – Torsten Schneider (SPD): Aber klein-klein!]

Wir haben am Oranienplatz nicht das Ende von heiklen Missionen erlebt, denn das eigentliche Problem bleibt. Auch wenn die Flüchtlinge jetzt nicht mehr zu sehen sind, ist für die meisten von ihnen dennoch keineswegs klar, wie es weitergeht. Sie bleiben verzweifelte Menschen, die in Berlin gelandet sind und Schutz suchen. Es sind Menschen, die alles zurücklassen mussten, was sie in ihrer Heimat hatten. Sie haben nichts zu verlieren, und es ist verständlich, dass sie auch radikalere Protestformen nutzen, um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. Sie haben ihr Zuhause verlassen, weil sie und ihre Angehörigen sonst verhungert wären. Es sind Flüchtlinge in Berlin, die Krieg oder Folter erlebt haben, die gerade einmal ihr nacktes Leben retten konnten. Es sind Menschen hier, die sich entscheiden mussten: Sterbe ich in der Heimat, oder mache ich mich auf eine lebensgefährliche Reise, bei der ich genauso sterben kann? Es sind Menschen hier, die mit ansehen mussten, wie ihre Kinder im Mittelmeer ertrunken sind.

Wegen des Kriegs in Syrien sind zurzeit mehr als 8 Millionen Menschen auf der Flucht. Allein der Libanon hat 1 Million Flüchtlinge aufgenommen. Der Libanon hat viereinhalb Millionen Einwohner. Das ist, als würde Berlin mehr als 800 000 Flüchtlinge aufnehmen. Aber Deutschland sieht seine Belastungsgrenze mit wenigen tausend Syrerinnen und Syrern erreicht. Zwölf Syrer sitzen derzeit im Abschiebegewahrsam in Grünau. Und dann, Herr Wowereit, reden die Vertreter Ihres Koalitionspartners davon, dass man keine Einwanderung in unsere Sozialsysteme wolle. Es sind übrigens nicht die Berlinerinnen und Berliner, die so etwas sagen, die übergroße Mehrheit in der Stadt hat nämlich kein Problem mit Flüchtlingen in ihrer Nachbarschaft. Die Ablehnung kommt aus der Politik selbst. Und wenn Sie sich jetzt für ihre humanitäre Flüchtlingspolitik feiern lassen wollen,

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Anmaßend!]

dann bleibt heute nur eins – Ihnen zu sagen: Denken Sie einen Moment darüber nach, ob Sie jemals so behandelt werden wollen wie die Flüchtlinge in Berlin!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion jetzt Herr Kollege Graf – bitte schön, Herr Graf!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Besetzung des Oranienplatzes ist beendet. Das wurde auch Zeit.

[Beifall bei der CDU]

Es ist ein gutes und wichtiges Signal für die Berlinerinnen und Berliner, dass die Flüchtlinge vor zwei Tagen freiwillig ihr Camp abgebaut haben. Sie haben das Angebot des Senats angenommen, in Unterkünfte zu ziehen,

denn es waren menschenunwürdige Umstände für die Flüchtlinge, es waren unhaltbare Zustände für die Anwohner vor Ort, und es war dringend notwendig, dass dieser rechtsfreie Raum, der nun seit 2012 bestand, aufgelöst ist. Es war an der Zeit, dass dort wieder Recht und Ordnung einziehen.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Elke Breitenbach (LINKE)]

Berlin leistet viel im Bereich der humanitären Hilfe. Berlin hat sich immer solidarisch mit den Menschen erklärt, die aus Kriegs- und Krisengebieten Zuflucht bei uns suchten. Und ja, Berlin nimmt auch bei wachsenden Flüchtlingsströmen seine Verantwortung sehr ernst. Ich möchte vor allem dem für Flüchtlingspolitik im Senat zuständigen Mitglied Mario Czaja dafür danken, dass er nicht nur in dieser konkreten Situation am Oranienplatz, sondern in den ganzen letzten anderthalb Jahren mit Augenmaß und Fingerspitzengefühl dafür gesorgt hat, dass mit dem LAGeSo Unterkünfte bereitgestellt wurden und vielen Menschen aus ihrer Not geholfen wurde.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

So konnten am Dienstag auch die Flüchtlinge vom Oranienplatz in extra organisierte Unterkünfte ziehen.

[Alexander Spies (PIRATEN): Oh!]

Und mit ihrem freiwilligen Abbau haben sie genau die richtigen Konsequenzen gezogen, und zwar ohne dass ihnen der Senat falsche Versprechungen gemacht hat. Und da unterscheiden wir uns von Ihnen aus der Opposition:

[Beifall bei der CDU]

Sie legen Schaufensteranträge vor, und wir handeln.

[Beifall bei der CDU und der SPD – Zuruf von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Denn, Herr Höfinghoff, die Flüchtlinge sind weiter als Sie. Sie haben erkannt, dass sich ein Bleiberecht nicht erzwingen lässt.

[Beifall von Kurt Wansner (CDU), Alexander J. Herrmann (CDU) und Hildegard Bentele (CDU)]

Sie haben erkannt, dass sich der Staat nicht erpressen lässt.

[Beifall bei der CDU]

Sie haben erkannt, dass dieses keine Option sein kann und darf. Denn nur weil man sich gegen das Gesetz stellt, wird man nicht besser behandelt als diejenigen, die sich daran halten.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Fabio Reinhardt (PIRATEN)]

Und die Regeln des Rechtsstaats gelten für alle.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD – (Udo Wolf) Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Für manche ein bisschen mehr, für manche ein bisschen weniger! – Zurufe von Anja Kofbinger (GRÜNE), Stefan Gelbhaar (GRÜNE) und Antje Kapek (GRÜNE)]

Die Regeln des Rechtsstaats gelten für alle, das hat der Regierende Bürgermeister gesagt,

[Zuruf von Uwe Doering (LINKE) und Udo Wolf (LINKE)]

das hat der Innensenator gesagt, und das sagt diese Koalition insgesamt.

[Zuruf von Elke Breitenbach (LINKE)]

Und bei aller Zufriedenheit über die positive Entwicklung in den letzten Tagen können wir bei einer solch grundsätzlichen Debatte nicht darüber hinwegsehen, dass diese Situation überhaupt erst eskalieren konnte, weil es ein dramatisches Versagen, eine dramatische Verantwortungslosigkeit der Akteure im Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain gab.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Das gilt natürlich für den ehemaligen Bürgermeister Schulz ganz besonders, auch für seine Nachfolgerin. Herr Wowereit! Sie attestierten Frau Herrmann einen Lernerfolg. Ich dachte das auch, bis ich heute in der Zeitung „BZ“ gesehen habe, dass sie nun Bezirksbroschüren auflegt, in denen sie sogar Parteien dieses Hauses vorwirft, Stimmungsmache zu betreiben.

[Beifall von Andreas Gram (CDU) – Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Wie abwegig, wie furchtbar abwegig!]

Ich hoffe, das war dann vor dem „Lernerfolg“, denn dieses Interview ist nicht Ausdruck eines Lernerfolgs, sondern zeigt ihr Handeln in den vorherigen Monaten, das ja auch ursächlich für die Entwicklung war und das Problem war.

[Zurufe von Anja Kofbinger (GRÜNE) und Stefan Gelbhaar (GRÜNE)]