Protocol of the Session on February 20, 2014

Wahl Drucksache 17/0182

Mit Schreiben vom 1. Oktober 2013 hat Herr Fabio Reinhardt gegenüber der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz erklärt, sein Amt als ordentliches Mitglied des Gnadenausschusses niederzulegen. Mit Schreiben vom gestrigen Tag hat die Piratenfraktion Frau Ute Laack zur Nachwahl benannt. Die rechtlichen Voraussetzungen zur Wählbarkeit von Frau Laack wurden geprüft.

(Hakan Taş)

Wir kommen zur einfachen Wahl durch Handaufhebung. Wer Frau Laack zum ordentlichen Mitglied des Gnadenausschusses wählen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Mitglieder der SPDFraktion, der CDU-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Linksfraktion und der Piratenfraktion. Gegenstimmen? – Ich sehe keine Gegenstimmen. Enthaltungen? – Ich sehe auch keine Enthaltungen. Damit ist Frau Ute Laack gewählt. – Herzlichen Glückwunsch!

[Beifall]

Ich komme zur

lfd. Nr. 8:

Wie lange bleibt Berlin noch Asbesthauptstadt?

Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/1370

Im Rahmen der Übergangsregelung behandeln wir heute noch eine Große Anfrage nach den Vorschriften der bisherigen Geschäftsordnung.

Zur Begründung der Großen Anfrage rufe ich ein Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf mit einer Redezeit von bis zu fünf Minuten. Das Wort hat Herr Otto. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Berlin ist nach wie vor Asbesthauptstadt Deutschlands. Wir hätten uns gewünscht, dass dieser Senat – oder schon der davor – dieses Thema abräumt, dass nicht mehr Zehntausende von Wohnungen im Innenraum – etwa durch Fußbodenplatten – asbestbelastet sind. Wir hätten uns gewünscht, dass der Senat einen Fahrplan hat, wie man das beseitigt, dass der Senat sich über die Gesundheit der Mieterinnen und Mieter Gedanken macht, dass er sich über die Kosten Gedanken macht und dass er sich ganz klar zu einem Zeitplan bekennt. All das ist nicht passiert, und deswegen müssen wir heute diese Große Anfrage stellen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Im Jahr 2000 gab es bei den auch heute noch landeseigenen Gesellschaften noch ca. 53 000 Wohnungen mit asbesthaltigen Fußbodenplatten. Da denkt man, die liegen da auf dem Fußboden, und es ist alles in Ordnung. Aber die liegen da viele Jahre, und sie gehen kaputt. Und vor allen Dingen ist in vielen Fällen in Vergessenheit geraten, dass das gefährlich ist. Und das ist, glaube ich, das Schlimmste an dieser ganzen Geschichte: dass die Leute, die da wohnen, vielfach nicht informiert sind, dass sie sich über die Gefahren nicht im Klaren sein können, weil sie sich von den Gesellschaften, ob landeseigene oder private, nicht informiert fühlen, weil sie nicht informiert worden sind.

Das ist ein Thema, wo wir endlich hier in Berlin zeigen müssen, dass der Senat, dass wir als Parlament bereit und in der Lage sind, ein großes Thema anzupacken und zu bewältigen. Das ist die Frage, über die wir heute streiten müssen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Der Senat hat sich in den Debatten, die wir in den letzten zwei Jahren hier geführt haben, immer nur für landeseigene Gesellschaften zuständig gefühlt, für die DEGEWO, für die GESOBAU und andere. Er hat es regelmäßig abgelehnt, sich darüber zu unterhalten, was eigentlich in den privaten Wohnungsbeständen ist, was mit den Wohnungen der GAGFAH, der Deutsche Wohnen AG, der GSW, der Deutsche Annington Immobilien Gruppe ist. Was ist mit den Wohnungen von diversen Genossenschaften oder Einzeleigentümern? Was ist bei denen? Ist da irgendjemand zuständig: der Herr Müller als oberste Bauaufsicht oder Frau Kolat als oberste Arbeitsschützerin dieses Landes oder Herr Czaja, unser Gesundheitssenator, oder möglicherweise Herr Nußbaum als oberster Finanzer, der sich über die Kosten sehr wohl Gedanken machen sollte? Diese Große Anfrage richtet sich an viele Mitglieder im Senat. Und ich glaube, es ist auch ein Thema, das ein einzelner Senator gar nicht bewältigen kann, sondern da ist Zusammenarbeit gefragt. Bisher ist mein Eindruck, dass diese Zusammenarbeit im Senat nicht stattfindet, sondern sich die Senatorinnen und Senatoren gegenseitig dieses unangenehme Thema zuschieben. Das ist überhaupt nicht in Ordnung.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Sie sind in der Verantwortung für die Gesundheit Zehntausender Mieterinnen und Mieter. Wenn Sie nichts tun, wenn Sie weiter verharmlosen, wenn Sie weiter vertuschen, dann müssen die Gerichte dafür sorgen, dass diese Menschen zu ihrem Recht kommen. Allein gegen die landeseigene GEWOBAG gibt es geschätzt mindestens 400 Klagen. Das sind also keine Einzelfälle, das sind nicht drei oder fünf, sondern über 400 Klagen gegen eine einzelne landeseigene Gesellschaft. Und der Senat tut so, als ob das alles nichts sei, als ob das Panikmache wäre, und bittet uns, Ruhe zu bewahren. Das ist nicht in Ordnung. So etwas kann man nicht vertuschen, denn es ist ein ganz ernstes Thema.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Es gibt bereits Urteile, es geht um Schadenersatzansprüche, sachgerechte Beseitigung von Asbestbauteilen, um Mietminderung – all das haben die Gerichte entschieden. Der Senat hat dazu nichts beigetragen.

Wir wollen heute Antworten haben, und die wollen nicht nur wir als Parlament, sondern die wollen viele Menschen haben, die sich in Selbsthilfegruppen zusammengetan, die letztendlich in den vergangenen zwei Jahren dafür gesorgt haben, dass wir überhaupt ein Mindestmaß an

(Vizepräsidentin Anja Schillhaneck)

Transparenz erreichen konnten, dass wir überhaupt wissen, wie viele Wohnungen es mit Asbestbelastung es gibt, wie gerichtlich dagegen vorzugehen ist. Dafür haben wir diesen Menschen zu danken, das ist, glaube ich, auch einen kleinen Applaus wert.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Wir wollen heute vom Senat Antworten bekommen: zu einem Zeitplan, zu einem Register der belasteten Wohnungen und Häuser. Wir wollen wissen, an wen sich Bürgerinnen und Bürger wenden können. Gibt es ein Bürgertelefon bei Frau Kolat, bei Herrn Müller? An wen können sich Menschen wenden, die ein Asbestproblem haben oder in ihrer Wohnung vermuten? Ich bitte darum, dass Sie nicht zuletzt heute hier einmal diese Telefonnummer bekanntgeben, die nämlich bisher geheim ist.

[Beifall bei den GRÜNEN]

All das wollen wir wissen, deswegen sind wir sehr neugierig auf die Beantwortung dieser Großen Anfrage. Und lassen Sie mich abschließend sagen: –

Sie müssen bitte zum Schluss kommen!

Ich glaube, an diesem Thema wird besonders deutlich, wie wichtig es war, dass wir dieses Instrument hatten, und dass es sehr schade ist, dass die Große Anfrage hier von einer Mehrheit beerdigt wurde. – Danke schön!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Herr Otto! – Zur Beantwortung der Großen Anfrage hat nunmehr Herr Senator Müller das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Otto! Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hat sich immer wieder und besonders im letzten Jahr intensiv mit verschiedenen Fragestellungen zum Umgang mit Asbest in Gebäuden, und das nicht nur in Wohngebäuden, beschäftigt. Unter der Leitung von Staatssekretär Gothe wurden Expertengespräche durchgeführt, die sich mit der Frage der Sanierung von Vinylasbestplatten in Wohnungen beschäftigten. Dabei waren Vertreterinnen und Vertreter der beteiligten Senatsverwaltungen, des Landesamts für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit, der städtischen Wohnungsbaugesellschaften, von Wohnungsbaugenossenschaften, des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, des Umweltbundesamts und Rechts- bzw. Fach

experten von einschlägigen Unternehmen beteiligt, um die weitere Vorgehensweise zu erörtern und möglichst eine Berliner Linie in die bundesweite Diskussion einzubringen.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Berliner Linie – damit haben wir aber schlechte Erfahrungen!]

Den städtischen Wohnungsbaugesellschaften wurden ausgehend von dem Informationsschreiben des LAGetSi vom Juli 2012 Leitlinien vorgegeben, wie mit der Asbestproblematik in den Wohnungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften umzugehen ist. Diese Leitlinien, die in einem Schreiben an die Vorstände und Aufsichtsratsvorsitzenden formuliert wurden, beziehen sich unter anderem auf die zum einen Identifizierung und Registrierung asbesthaltiger Bauteile, aber auch auf umfassende Information der betroffenen Mieterinnen und Mieter, auch in den gängigen Fremdsprachen, und konkrete Vorgaben zur gesundheitlich unbedenklichen Beseitigung des Gefahrstoffes und Einbeziehung in die mittelfristigen Bau- und Modernisierungsprogramme der Gesellschaften.

Ich selbst habe gemeinsam mit dem Finanzsenator in sechs Gesellschaftergesprächen 2013 mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften die Asbestthematik erörtert. Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften haben begonnen, in ihren mittelfristigen Bauprogrammen die Asbestsanierung bei anstehenden Sanierungen aufzunehmen, und sie entfernen bei bereits umfassenden Sanierungen auch unbeschädigte asbesthaltige Platten und ersetzen sie durch andere Materialien. Ein Beispiel ist die GESOBAU, die im Märkischen Viertel bei der umfassenden Sanierung die Sanierungsplanung verändert hat und dort nunmehr, allerdings auch mit Mehrkosten von rund 55 Millionen Euro, für die Asbestsanierung plant.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt erarbeitet derzeit unter Einbindung der zuständigen Fachbehörden ein Informationsblatt für Asbest in Gebäuden mit Hinweisen und Zuständigkeiten zum Thema. Selbstverständlich werden, was Sie zum Schluss angesprochen haben, entsprechende Kontaktmöglichkeiten angegeben. Die umfangreichen Abstimmungen sind noch nicht abgeschlossen.

[Thomas Birk (GRÜNE): Wann denn?]

Die technischen und rechtlichen Fragen werden auch in den Baufachgremien der Bauministerkonferenz beraten.

Aus den vielfältigen Aktivitäten haben sich vorläufig folgende Sachverhalte ergeben: Die Handlungsbereiche beim Umgang mit Asbest erstrecken sich auf unterschiedliche Handlungsfelder und Rechtsbereiche. Sie stehen gleichwertig und eigenständig nebeneinander. Daher gibt es keine alleinige oder übergeordnete Zuständigkeit für Vollzugsfragen zu Asbest. Und es gibt kein Ausbaugebot für Asbest. Eine ordnungsrechtlich verankerte Ausbaupflicht wird aus verschiedenen Gründen als bedenklich bewertet.

(Andreas Otto)

Nun zu Ihren einzelnen Fragen: Weshalb hat der Senat keinen Sanierungsfahrplan, Asbestbauteile in einem definierten Zeitraum aus allen Wohngebäuden in Berlin zu entfernen? Wann wird der Sanierungsfahrplan erstellt? – Und ich möchte dies erste mit Ihrer sechsten Frage zusammen beantworten: Wieso hat der Senat keine Strategie zur Asbestbeseitigung im Berliner Wohnungsbestand? Wann wird eine Strategie vorgelegt und welche Senatsverwaltungen arbeiten daran? – Von fest gebundenen Asbestprodukten z. B. Bodenbeläge, die intakt sind und nicht mechanisch bearbeitet werden, gehen keine konkreten Gesundheitsgefahren aus.

[Zuruf von Andreas Otto (GRÜNE)]

Für schwach gebundene Asbestmaterialien greifen die bauordnungsrechtlich verankerten Bewertungs- und Sanierungsvorschriften. Die Fachressorts sind sich darin einig, dass ein pauschales Ausbaugebot aus Sicherheitsgründen nicht erforderlich und auch aus Vorsorgeaspekten pauschal nicht begründet ist. Gegen die Einführung eines Ausbauzwangs bestehen aus Fachsicht zudem Bedenken, weil damit Eingriffe in Eigentums- und Nutzungsrechte verbunden und erhebliche finanzielle und eventuell organisatorische Belastungen für Eigentümer und Mieter zu erwarten sind wie z. B. Kostenumlagen auf Mietpreise, Umsetzung von Mieterinnen und Mietern. Die Aufstellung eines Sanierungsfahrplans über den Ausbau von Asbest kann daher nur auf Freiwilligkeit beruhen. Bei freiwilligen Ausbaumaßnahmen sollten dem Eigentümer die auskömmliche Finanzierbarkeit zugestanden werden. Grundsatz bei der Planung von Asbestbaumaßnahmen sollte einen Abwägung der Schutzziele im Einzelfall sein. Dem Senat sind keine Informationen zu Sanierungsfahrplänen der vielen privaten verantwortlichen Liegenschaftsbetreuer bekannt.

Zu Ihrer zweiten Frage: Weshalb hat der Senat bisher keine Bestandsaufnahme aller Wohngebäude in Berlin erstellt, die Asbestbauteile aufweisen? Wann wird diese Bestandsaufnahme vorgelegt? – Eine flächendeckende Erfassung von Wohngebäuden, in denen noch Asbest vorhanden ist, ist wegen fehlender Datenzugriffe nicht machbar. Sie setzt außerdem eine allgemeine Bewertungspflicht voraus. Dafür gibt es aus den aus der Antwort zu Frage 1 aufgeführten Gründen keine rechtlich begründbare Veranlassung.

Ihre dritte Frage: Weshalb hat der Senat die 10 000 asbestbelasteten Wohnungen im Bestand der GSW – Stand 2000 – weder gekennzeichnet noch die Bewohnerschaft über die Gefahren informiert noch mit der GSW oder den neuen Eigentümern im Zuge des Verkaufes im Jahre 2004 eine Asbestsanierung vereinbart? Wann werden die GSW-Wohnungen saniert und von Asbestbauteilen befreit? – Nach Auskunft der GSW gab und gibt es keine Ermittlung der möglichen Anzahl gegebenenfalls asbestbelasteter Wohnungen. Gleichwohl informierte die GSW alle Mieterinnen und Mieter über das Thema Asbest. Dazu wurde im März 2013 eine Information an alle Mie

terinnen und Mieter verteilt. Die GSW hält sich nach ihrer Auskunft in Bezug auf Asbest an die gesetzlichen Vorgaben.

[Thomas Birk (GRÜNE): Nachdem die Kabel verlegt wurden?]

Weder zum Zeitpunkt der Veräußerung der GSW noch unter heutigen Bedingungen stellt der sachgemäße Verbrauch der verwendeten Baustoffe einen Baumangel oder Schaden dar. Dementsprechend bestand keine Pflicht, darauf besonders einzugehen.