Protocol of the Session on October 24, 2013

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Kittler! Ich habe eigentlich nur eine Frage an Sie: Wenn das mit der Beschulung behinderter Kinder an allgemeinen Schulen alles so einfach wäre, weshalb haben Sie es denn in den zehn Jahren, in denen Sie an der Regierung beteiligt waren, nicht durchgesetzt?

Frau Kittler! Wir teilen Ihr Ziel. Auch wir wollen es allen behinderten Schülern, die nicht auf eine Förderschule gehen wollen, ermöglichen, eine allgemeine Schule zu besuchen. Aber, Frau Kittler, das ist doch nicht wie beim Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, wo sich alle einig sind und es um eher technische Fragen geht, wie schnell Gebäude zugekauft werden und Erzieherinnen ausgebildet werden können.

Inklusive Schule braucht zuallererst ein Umdenken, eine Bereitschaft, sich auf die neuen Schüler einzulassen. Es

(Özcan Mutlu)

braucht sehr viel Toleranz, Aufklärung und Information. Inklusion braucht eine schrittweise Herangehensweise, und sie braucht Freiwilligkeit. Da hilft es nicht bzw. ist es vielmehr kontraproduktiv, die Gesetzeskeule zu schwingen. Und, Frau Kittler, um noch mehr behinderten Schülern die Möglichkeit zu geben, allgemeine Schulen zu besuchen, braucht es Geld.

Kollegin Bentele! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kittler?

Nein, ich mache weiter!

Okay!

Berlin steckt tief in den Schulden, und im Bildungsbereich gibt es leider sehr viele große und auch dringende Baustellen. Ich denke dabei beispielsweise an das Gesetz zur Lehrerbildung, das wir später in der ersten Lesung lesen werden.

Wir haben ebenso wie Sie zur Kenntnis genommen, dass es beim Koalitionspartner im Laufe des ersten Halbjahres zu einer Prioritätenverschiebung gekommen ist. Das wird aber nicht das Ende des Wegs der inklusiven Schule sein, sondern es wird die Fortsetzung der schrittweisen, auf Freiwilligkeit basierenden Herangehensweise sein.

Frau Kittler! Ich komme zu meiner Eingangsfrage zurück: Wenn Sie es anders und schneller hätten haben wollen, wenn alles so einfach ist und wenn es Ihnen wirklich wichtig ist, so wie Sie es jetzt darstellen, dann hätten Sie es in den zehn Jahren, in denen Ihre Partei Bildungspolitik in dieser Stadt mitgestaltet hat, umsetzen können und müssen.

Die CDU setzt anders als die Linkspartei nicht auf Zwang, sondern auf Überzeugung. Wir stehen vor allen Dingen auch dafür, die Wirtschaftskraft und das Steueraufkommen in dieser Stadt zu steigern, damit wir in der Zukunft die weitere Umsetzung der Inklusion als eine der vielen wichtigen Baustellen in der Berliner Bildungspolitik noch intensiver angehen können. – Danke!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank! – Frau Kollegin Kittler! Auch wenn Ihre Leute jetzt nicht da sind – selbstverständlich lasse ich es

zu, dass Sie eine Kurzintervention machen können. – Bitte schön!

Ich bedanke mich sehr, Herr Präsident! – Frau Bentele! Ich hätte es schön gefunden, wenn Sie vorhin einfach eine Zwischenfrage gestellt hätten, dann hätte ich auch gleich auf Ihre Fragen antworten können.

Warum wir das nicht gemacht haben? – 2009 ist die UNBehindertenrechtskonvention beschlossen worden, falls Sie das nicht wissen.

[Hildegard Bentele (CDU): 2007!]

Und 2011 lag ein Konzept vor. Dieses Konzept wurde hier vom Senat erarbeitet, noch vom rot-roten Senat. Falls Ihnen das nicht bekannt ist, können Sie das gerne nachlesen. Daraufhin haben wir das diskutiert, und viele haben festgestellt: Hier muss noch was verändert werden. Dann ist die Volkholz-Kommission einberufen worden.

Und was passiert jetzt? – Da wird uns vorhin erklärt: Eigentlich wollen wir das alles umsetzen. – Wir haben keine Mittel dafür im Haushalt eingestellt, die eigentlich Pi mal Daumen eingeforderten 30 Millionen Euro sind weg. Und dann greifen Sie noch während der Haushaltsberatungen immerzu in diese Kasse. Und ein Umdenken? – Sicher brauchen wir das. Deshalb müssen wir jetzt endlich auch mal eine Änderung in der Gesetzlichkeit herstellen. Nur so wird es auch zu einer inklusiven Schule kommen, dass nämlich Eltern sagen: Ja, ich möchte mein Kind an der Regelschule beschulen. – Warum wollen Sie denn das verhindern? Warum wollen Sie den Kindern, die eine Behinderung haben, diesen gemeinsamen Weg verwehren? Und wie lange wollen Sie um Himmels willen noch warten? Das sind doch hier nur allgemeine Aussagen, die Sie hier treffen! Damit ist nichts konkret verbunden. Dann sagen Sie doch endlich mal, welchen Zeitplan Sie verfolgen. An dem Haushaltsplan kann ich überhaupt nichts erkennen. Da kann ich nur erkennen, dass Sie sich von der Inklusion zumindest in dieser Wahlperiode verabschieden.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank! – Die Kollegin Bentele möchte replizieren. – Bitte schön!

Frau Kittler! Sie haben auch meine Frage nicht beantwortet. Sie brauchen doch nicht auf eine UN-Konvention zu warten, um Inklusion umzusetzen! Außerdem war die UN-Konvention 2007, und die roten Senatoren haben

doch auch mitgestimmt, als es um das letzte Inklusionskonzept ging.

[Zurufe von den GRÜNEN]

Es gab genug Zeit. Ich habe es auch deutlich dargelegt, weshalb es nicht sinnvoll ist, mit dem Rechtsanspruch zu beginnen, sondern damit, die Realitäten vor Ort zu schaffen – schrittweise und auf Freiwilligkeit basierend. Sie haben Ihre Chance in zehn Jahren verpasst. Dabei bleibt es.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der LINKEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin Bentele! – Für die Piratenfraktion hat der Kollege Delius das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen endlich einen Rechtsanspruch auf gemeinsamen Unterricht an allgemeinbildenden Schulen für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Sie sind sich in der Koalition ja auch in Ihren Redebeiträgen überhaupt nicht einig. Die einen sagen: Wir haben schon total viel gemacht. 52 Prozent Förderquote, wir sind ja schon wer. – Und Frau Bentele sagt: Wir müssen aber erst mal was machen, bevor wir zu dem Rechtsanspruch kommen. – Was stimmt denn jetzt? Das, was Sie sagen, Frau Bentele, oder das, was Ihr Kollege von der SPD gesagt hat? Beides passt nicht zusammen. Das haben Sie auch gerade gemerkt.

Der Antrag der Linken ist über eineinhalb Jahre im Plenum und im Abgeordnetenhaus herumgegeistert. Hätten ihn die Linken nicht zum Haushalt aufgerufen, wäre er immer noch nicht zur zweiten Lesung gekommen. So geht die Koalition mit der Umsetzung der UNKonvention für Menschen mit Behinderung um! So geht die Koalition mit Inklusion um!

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN – Elke Breitenbach (LINKE): Und zwar in allen Bereichen!]

Wie auch im Ausschuss wird die Koalition hier wahrscheinlich den Rechtsanspruch auf inklusiven Unterricht ablehnen. So geht die Koalition mit der Inklusion an Schulen in Berlin um.

Damit noch nicht genug. Die Haushaltsberatungen haben es gezeigt: Die bescheidenen Mittel, die die Senatorin beim Finanzsenator erkämpfen konnte – die Maßnahmen wurden hier schon genannt, sind natürlich nicht ausrei

chend –, sollten gestrichen werden. Da gab es dann ein Zurückrudern, und es wurde nur ein Teil gestrichen. Auch die Weiterbildung, die hier schon als so wichtig bezeichnet wurde, wurde auch zum Teil gekürzt. Das kann nur eines heißen – was ich auch schon im Ausschuss gesagt habe: Mit dieser Koalition – Frau Kittler hat es eben auch schon mal gesagt –, in dieser Legislaturperiode ist mit der Unterstützung eines inklusiven Unterrichts, der ja in Berlin schon stattfindet – da sind wir uns einig –, nicht mehr zu rechnen.

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN und den GRÜNEN]

Ich mache das Spiel mit der Koalition und der Opposition jetzt auch mal von der anderen Seite, Herr Buchner: Unabhängig davon, dass die finanziellen Mittel für den Bereich Inklusion an der Schule nicht ausreichen, unabhängig davon, dass das Antrags- und Bewilligungsverfahren meist viel zu lange dauert, und unabhängig davon – und ja, es ist auch richtig –, dass ein Rechtsanspruch allein auch nicht ausreicht, um inklusiven Unterricht überall in Berlin zu ermöglichen, ist dieser Antrag der erste richtige und wichtige Schritt zu diesem Zeitpunkt, um die Konvention, die vor vier Jahren vom Deutschen Bundestag und der Bundesregierung ratifiziert worden ist, umzusetzen. Das bleibt festzuhalten.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Herr Buchner! Jetzt komme ich noch einmal auf Sie zurück. 52 Prozent haben wir schon. Das ist super. Das bestätigt das, was Frau Kittler eingangs sagte, dass es nicht ausreicht. Es sind nämlich die 100 Prozent. Sie müssen auch nicht mit Wahlfreiheit kommen. Ich habe vor ungefähr eineinhalb Jahren von der erblindeten Abiturientin in Steglitz-Zehlendorf erzählt, die sich an mich gewandt hat. Sie hat inzwischen ihr Abitur und mit „sehr gut“ bestanden. Es war aber keine Förderstunde dabei, weil es nicht genehmigt wurde und sie es nicht einklagen konnte. Das ist es, worum es hier im Antrag geht. Ich finde, es ist eine Frechheit, dass Sie hier bei solchen Fällen in Berlin mit Wahlfreiheit kommen.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Frau Bentele! Wir sind wieder bei der Freiwilligkeit. Ich habe es schon einmal gesagt: Lehrerinnen und Schülerinnen sowie Eltern in Berlin haben mitunter nicht die Möglichkeit, frei zu wählen. Da gibt es – ein Beispiel habe ich gerade genannt – noch ganz andere Beispiele, auch weniger schlimme Beispiele als dieses Schicksal. Da geht es nicht um Freiwilligkeit. Es geht darum, dass sie ihr Recht bekommen. Sie verhindern das, indem Sie diesen Antrag ablehnen. Das finde ich nicht in Ordnung. Es geht nicht um Verbotsrhetorik oder Verbotspolitik oder Zwangspolitik, sondern um Ermächtigung. Ermächtigen Sie die Kinder und die Eltern und die Lehrerinnen! – Danke!

(Hildegard Bentele)

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielen Dank! – Das Wort zur Kurzintervention hat der Kollege Buchner.

Schönen Dank, Herr Präsident! – Herr Kollege Delius! Na ja, irgendwie muss es ja geklappt haben, die 52 Prozent in den letzten Jahren haben Sie jetzt alle erwähnt, die Quote der an allgemeinen Schulen beschulten Kinder so hoch zu bringen. Das ist offenbar komplett ohne Geld gelungen. Das genau ist die Unterstellung. Möglicherweise könnte es daran liegen, dass Inklusion nicht nur eine Geldfrage ist, sondern eine Frage von Haltung.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Regina Kittler (LINKE): Was für ein Blödsinn, den Sie hier erzählen! – Thomas Birk (GRÜNE): Zynisch!]

Haltung ist auch etwas, das man nicht mit einem umzulegenden Schalter verordnen kann, sondern in einem durchzuführenden Prozess in die Gesellschaft insgesamt, aber auch in die Bildungsträger implementiert.

[Zuruf von Regina Kittler (LINKE)]

Gemeldet habe ich mich aber eigentlich mit der Kurzintervention auf den Hinweis der Wahlfreiheit und auf die Bemerkung mit dem Ziel der 100 Prozent. Ich habe in meinem Wahlkreis im Förderzentrum geistige Entwicklung – ein Förderzentrum, in dem Familien ihre Kinder mit schwersten körperlichen Mehrfachbehinderungen, geistige Behinderungen zur Beschulung und Betreuung untergebracht haben. Für diese Eltern sind die Förderzentren ausgesprochen wichtig.

[Zuruf]