Wenn wir dann ferner sehen und die Realität begreifen und nicht die Vogel-Strauß-Politik betreiben, die hier möglicherweise auf einigen Sitzen eine Rolle spielt, dass der Solidarpakt mit 1,245 Milliarden Euro wegbricht – das ist Gesetzeslage –, dann reden wir schon von über 3 Milliarden Euro Risiko, jedenfalls haushälterisch. Nun kann man auch noch kühn sein und darauf wetten, dass sich der Länderfinanzausgleich nach oben entwickelt. Ich nehme Wetten an, mein Einsatz ist immer eine Tasse Earl Grey. Aber niemand hat bisher zu mir gesagt, er wette darauf, dass das für Berlin unentschieden ausgehe. Wenn Sie Glück haben und ein Drittel nachlassen müssen, haben Sie noch 1 Milliarde Euro verloren. Da braucht man überhaupt kein Voodoo, da muss man nur Menschenverstand besitzen, Herr Kollege Wolf, und dann ist das so offenkundig, dass ich Ihre diesbezüglichen Einlassungen gar nicht nachvollziehen kann.
Wenn man jetzt die Steuereinnahmen mit 2,3 Prozent linear extrapoliert, dann nehmen Sie 2 Milliarden Euro mehr ein und haben trotzdem ein Milliardenloch. Das ist die Realität in Berlin, vor der wir nicht die Augen verschließen dürfen, werte Frauen und Herren Kollegen!
Wir können gern die Schattenhaushalte dazu betrachten. Es war die Idee der SPD und CDU, den Wohnungsbaugesellschaften kreditfinanzierten Wohnungsbau zu ermöglichen. Wenn Sie das hätten im Haushalt abbilden wollen, wird es doch nicht besser. Ihre Visionen sind Ausgabevisionen, jedenfalls keine, die die Einnahmeseite stärken.
Ich will jetzt etwas dazu sagen, wie wir mit diesem Befund umgehen, denn wir müssen uns der Verantwortung stellen. Wir glauben nicht nur an Berlin, sondern wir wollen Berlin gestalten, ich sagte es bereits. Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Im Rahmen des Kreditverbotes können Sie Ausgaben senken, das wäre eine harte Kürzung. Ich bin für jeden Vorschlag offen. Ich habe schon zwei gehört. Vorschlag 1: Die Landeszentralbibliothek soll nicht gebaut werden. Das ist besonders innovativ. Einsparung 2013 2 Millionen Euro, Einsparung 2014 3 Millionen Euro, Einsparung 2015 3,5 Millionen Euro.
[Joachim Esser (GRÜNE): Ja, aber insgesamt 270 Millionen Euro, mein Lieber! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN und der LINKEN]
In Ansehung einer Lücke von strukturell 1 Milliarde Euro ist das nicht nur niedlich, Herr Kollege Esser, das ist politisch irrelevant, was Sie da von sich geben.
Ich kann für die SPD-Fraktion sagen: Wir haben keinerlei Kürzungsfantasien. Was Sie uns da zu unterstellen versuchen, das beten Sie herbei. Das ist ein untauglicher Versuch. Wir haben eine klare Vision. Wir sagen: Wir wollen die Einnahmen der Stadt erhöhen.
Ich kann Ihnen auch ganz offen sagen, die CDU weiß das: Das größte Haushaltsrisiko für die Stadt Berlin ist die Klientelpolitik der Bundesregierung. Das ist völlig klar. Jedes Jahr verlieren wir ungefähr 1 Milliarde Euro, und selbst wenn Sie Wirtschaftswachstum da hineinprognostizieren, bleiben davon 750 Millionen Euro übrig, die auf Ihre Kappe in der Bundesregierung gehen. Ich kann es Ihnen auch genau sagen: Es sind 960 Millionen Euro und dann 840 Millionen Euro, 830 Millionen Euro. Wir hatten vorher über 1 Milliarde Euro im Jahr 2010. Wir sagen: Wir wollen unsere Einnahmen stärken. Das betrifft ausdrücklich auch unsere Landesbeteiligungen. Investitionen, kluge Investitionen, rentable Investitionen sind für uns die richtige Einnahmepolitik.
Es ist doch überhaupt kein Wunder, dass sich die halbe Welt um unsere Stromnetze bewirbt. Das machen die doch nicht aus Altruismus. Das machen die Gesellschaften, weil es da etwas zu holen gibt. Warum sollten wir uns da nicht selbst befassen? – Der Fahrplan der Regierungskoalitionen ist da ja klar.
Auch die Wasserbetriebe – Sie haben doch das Erklärungsdefizit, warum Sie die nicht zurückkaufen wollten –: Amortisierung nach vier bis fünf Jahren. Die schreiben 400 Millionen Euro Betriebsergebnis. Warum sollte es nicht lohnend sein, da zu investieren? Aber es ist Ihr Problem, wie Sie das plausibilisieren wollen.
Wir sagen auch ausdrücklich: Wir haben gar kein Problem mit der Grunderwerbsteuer, und zwar aus verschiedenen Gründen. Das Steueraufkommen von schätzungsweise 800 Millionen Euro geht steil nach oben. Der Untergang des Abendlandes wurde prognostiziert, als wir das Thema das letzte Mal angefasst haben. Nichts ist untergegangen, die Einnahmen sind sowohl quantitativ, also die Grundstücksgeschäfte, als auch die Preise so nach oben gegangen, dass wir gar nicht mehr wissen, wohin mit der „Knete“. 1 Prozentpunkt entspricht zwischen 80 und 100 Millionen Euro Mehreinnahmen strukturell. – Demgegenüber Ihre Vorschläge: 2 Millionen Euro Einsparung bei der Bibliothek. – Und sie ist auch aus anderen Gründen eine interessante Alternative für uns. Sie ist eine einmalige und nicht zyklisch wirkende Steuer, sie schlägt nicht auf die Mieten durch, weil sie nicht umlagefähig ist, anders als die Grundsteuer, und sie ist auch nicht wirtschaftsgeneigt im engeren Sinn, wie beispielsweise die Gewerbesteuer, weil sie eben auf so einen schmalen Fokus adressiert. Eine klare Frage von strukturellen Einnahmeverbesserungen.
Alles in allem: Haushaltsdisziplin, keine Kürzungen – ausdrücklich keine Kürzungen! –, moderate Anpassungen bei den Beamtengehältern und in anderen Bereichen – übrigens ist es nicht gottgegeben, dass wir schon 2015 einen ausgeglichenen Haushalt haben. Wir streben das an, aber die Welt geht nicht unter, wenn das nicht passiert,
und die Einnahmeseite zu fokussieren, das ist unser strategischer Fahrplan. Das ist ein geschlossenes Konzept. Von der Opposition habe ich das gehört, was in allen Zeitungen stand: betretenes Schweigen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werter Kollege Schneider! Da können wir uns jetzt ja über ein paar Dinge miteinander versöhnen. Das ist doch schön! Das war gestern Abend alles noch ganz anders. Sie reden davon – dann sind wir uns jetzt ja einig, was hier stattgefunden hat im Raum –, das ist die Offenlegung einer strategischen Reserve. Ich habe das nur Wegzehrung genannt auf dem langen Weg, den ich genauso sehe wie Sie, in das Jahr 2020. Was mich freut, ist, dass man diese von Ihnen so genannte stille Reserve jetzt endlich mal heraushebt aus den Hinterzimmern der SPD in die Öffentlichkeit der parlamentarischen Beratung, wo sie hingehört.
Und dass wir Ihnen auch diese Sorte von Auseinandersetzung, die Sie hier mit Ihrem Koalitionspartner führen, vielleicht ein bisschen schwerer machen, denn bis zur heutigen Sitzung und auch gestern Abend haben Sie mit denen ja genau das Gleiche versucht wie mit uns. Zu jedem Anliegen, das die CDU bisher in der Zeitung vorgetragen hat, hat die SPD geantwortet: Wir haben kein Geld, es ist Haushaltsnotlage, es ist Zensus, dafür ist nichts da, derweil Sie selber natürlich mit milliardenschwerer Verschuldung auf Politiktour sind – wo ich z. B. im Wohnungsbau gar nicht dagegen bin – und auf Einkaufstour – wo ich z. B. in der Frage Rekommunalisierung Wasser gar nicht dagegen bin –. Aber die Hinterhältigkeit, die darin besteht zu sagen, die politische Gestaltung der SPD, die mache ich außerhalb des Haushalts, auch über Schattenverschuldung, ist ja nicht schulden
bremsenrelevant; und alle anderen, CDU-Koalitionspartner inklusive, können aber, falls sie mal einen Vorschlag haben, der den Haushalt betrifft, in die Röhre gucken – diese Hinterhältigkeit hat mir gar nicht gefallen. Und diesen kleinen Schritt, zu sagen, darüber diskutieren wir dann auch noch mal, wie wir mit verfügbaren Haushaltsmitteln umgehen und nicht nur mit einer Politik außerhalb des Haushalts, das, würde ich sagen, machen wir dann nach der Sommerpause in der Haushaltsberatung. Und da, habe ich nach der heutigen Debatte das Gefühl, ist auch offensichtlich das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Danke schön! – Herr Kollege Schneider, Sie wünschen das Wort zur Erwiderung. Ich erteile es Ihnen – bitte sehr!
Herr Präsident! Mein lieber Herr Kollege Esser! Liebe Damen und Herren! Ich hatte erwartet, dass Sie vielleicht nun mal Ihre Vision entwickeln, wie Sie mit den Risiken im Haushalt umgehen wollen. Aber stattdessen haben Sie versucht, die Attacke nach hinten noch mal zu verstärken. Aber eine Sorge kann ich Ihnen nehmen. Hinterzimmer SPD, sonst was: Ich hatte ja bereits gesagt, wie transparent diese 206 Millionen adressiert waren, wie offen das in Dokumenten nachlesbar ist. Sie wussten das ja auch, da waren wir uns zumindest gestern im Hauptausschuss einig, dass Sie und ich, wir beide, privat sozusagen über diese Reserven immer in Kenntnis waren. Deswegen gibt es eben Ahnungslose und Wissende. Aber jedenfalls eine Sorge möchte ich Ihnen nehmen:
Nein, mit Herrn Esser habe ich kein Hinterzimmer, keine Sorge! – Dass der Koalitionspartner zu kurz kommt, das kann ich ausschließen. Der Koalitionspartner ist ein harter Verhandlungspartner. Ich würde mir da eher Ahnungslose wünschen, also das kann ich ausschließen.
Zweiter Punkt: Ihre Versuche jetzt, von der Sachdebatte dadurch abzulenken, dass Sie irgendeine Differenz zwischen uns, die wir hier funktionieren seit anderthalb Jahren, herbeireden,
das ist doch Theater, das nimmt Ihnen in dieser Stadt niemand ab, Herr Kollege Esser. Es bleibt dabei, wir haben richtig entschieden, denn wir haben den Nothaushalt vermieden, den wir mit Ihren Visionen gehabt hätten. Ausgaben sind keine Antworten auf die Probleme. Und Sie entwickeln nur Ausgabefantasien oder Sie schweigen betreten. Zwischen Rot und Schwarz gibt es Reibereien
wie in jeder gut funktionierenden Partnerschaft. Aber es ist eine Partnerschaft und nicht das, was Sie herbeizetern wollen.
Danke schön! – In der Redereihenfolge hat jetzt das Wort die Kollegin Frau Dr. Schmidt für die Fraktion Die Linke.
[Joachim Esser (GRÜNE): Jetzt kommt eine Fraktion, die hat mit Ihnen Erfahrung! – Zuruf von den PIRATEN: Welche denn? – Zuruf von der SPD: Gute!]
Vielen Dank! – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Herr Schneider! Ich freue mich, dass wir wenigstens heute ein bisschen in die Nähe dessen kommen, was heißt, wir reden mal über den Haushalt. Ich hatte schon die Sorge, wir reden heute über Aschenputtel und Erbsenzählen, die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Aber Aschenputtel hatte die Tauben zum Erbsenzählen und hat am Ende dann doch ihren Prinzen gekriegt. Sie sollten lieber die Probleme der Stadt klären!
Seit gestern Nachmittag hat man sich ja schon vorstellen können, was heute hier passiert. Im Hauptausschuss gab es eine Besprechung zu den Ergebnissen und Auswirkungen des Zensus. Und wir hatten erwartet, dass der Finanzsenator, der uns für zwei Stunden persönlich die Ehre gab, nicht nur mit bedeutungsschwangerem Gestus vom schwarzen Freitag spricht, sondern einen Ausblick auf das Jahr 2013 und die vor uns liegenden Haushaltsberatungen gibt.
Der Auftritt des Senators war zunächst ein Spiegelbild der Vorlage, die uns 24 Stunden vorher erreicht hatte. Dürftig, dürftig! Was uns der Zensus kostet, könne man noch gar nicht sagen. Die 470 Millionen pro Jahr sind eine Schätzung. 10 oder 20 Millionen nach oben oder unten sind schon noch drin. Die Prognosen für 2013 dürfen wir dem Statusbericht per 30. Juni entnehmen, der uns im August erreichen soll. Man muss sich um die Einnahmen kümmern, denn der Zensus wirkt einnahmeseitig, das war dann mehr so an den Koalitionspartner CDU gemünzt, aber gesteuert wird der Haushalt über die Ausgabeseite, sagt der Senator.
Wie dünnhäutig Dr. Nußbaum geworden ist, zeigte sich, als das Stichwort von den Voodoo-Zahlen fiel. Da fühlte sich der Senator auch, als müsse er eine Verleumdungsklage zurückweisen. Dabei war es doch gerade der Statusbericht vom vergangenen Jahr, der schon so vielfach
erwähnt wurde, der den Ruf des Finanzsenators als Meister der unverbindlichen Fehleinschätzung begründet hatte. Die Zahlen – das haben Frau Pop, Herr Esser und Herr Wolf schon gesagt –: Zwischen Juli und Januar, zwischen Prognose und Ist lagen sage und schreibe knapp 1,5 Milliarden Euro. Das kann man ruhig noch ein paar Mal wiederholen; es ist eine unglaubliche Zahl. Wenn das nicht schwarze Magie ist, dann weiß ich auch nicht.
Eine Differenz von einer Million in diesen pseudogenauen Prognosen ist eine Rundungsdifferenz, steht dort geschrieben. Und was bitte ist dann eine Differenz von 1,5 Milliarden Euro? – Dass es so kommen würde, hatten wir schon in den Haushaltsberatungen vor einem Jahr vorausgesagt. Unterveranschlagte Einnahmen bei den Kosten der Unterkunft, versuchter Betrug bei der Veranschlagung der Erstattung des Bundes für Grundsicherung, Stichwort pauschale Minderausgaben, Sie erinnern sich; und das alles nur, um eine sagenumwobene Ausgabelinie zu halten. Früher hätte ich mal gesagt, dass wir die Halbjahresprognose des Finanzsenators mit Spannung erwarten. Das wäre jetzt deutlich übertrieben. Denn das Spiel wird sich 2013 wiederholen.
Aber ich will hier nicht nur mit vagen Prognosen hantieren, ich will meine gestern gestellten Fragen beantworten. Gestern blieb ja die Antwort leider aus. Steuermehreinnahmen von 490 Millionen Euro hatte der Finanzsenator ja schon im Mai gefunden, auch wenn er das im Juni kurzzeitig vergessen hatte. Und man darf sich sicher sein, dass das noch nicht das Ende ist. Bei der Rückzahlung von Wohnungsbaudarlehen war bis Ende Mai der Jahresansatz um 55 Millionen Euro überschritten. Wenn man den Verlauf in 2012 berücksichtigt, dann ist es wohl auch angesichts nicht veränderter Rahmenbedingungen kaum vermessen anzunehmen, dass der Ansatz dieses Jahres um weit mehr als 100 Millionen Euro überschritten werden wird.
Der nächste Bereich: Vom Finanzsenator selbst stammt die Einschätzung, dass die geplanten Zinszahlungen nicht in voller Höhe erforderlich werden. Auf der Senatspressekonferenz hat er diesbezügliche Minderausgaben von rund 100 Millionen in Aussicht gestellt. Tatsächlich liegen die Zinsausgaben per Mai um rund 130 Millionen unter dem Vorjahresstand. Hier war die Rede von 100 Millionen, 300 Millionen – bleiben wir mal in der Mitte. Ich denke, angesichts des Jahresverlaufs und der höheren Ansätze dieses Jahres darf man davon ausgehen, dass mindestens 200 Millionen Euro Minderausgaben verbleiben werden.
Ebenfalls in das Ressort von Dr. Nußbaum fallen die Zuweisungen an die Bezirke. Da in beiden Haushaltsjahren, 2012 und 2013, die Erstattungen des Bundes für die Kosten der Unterkunft, die bei den Bezirken vereinnahmt werden, nicht korrekt geplant wurden, kann sicher angenommen werden, dass hier deutliche Mehreinnahmen auf