Protocol of the Session on April 18, 2013

Vielen Dank, Kollege Taş! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt das Wort der Kollege Zimmermann.

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Die interessierte Öffentlichkeit hat, glaube ich, am meisten davon, wenn wir hier sachlich informieren und sachlich debattieren. Herr Taş, Sie haben das weitgehend getan, aber an einem Punkt muss ich Sie wirklich in der Begriffswahl ein Stück weit korrigieren. Dies ist kein schwerwiegender Eingriff in das Demonstrationsrecht. Es ist eine Regelung, über die man diskutieren kann, und wir tun es, aber ein schwerwiegender Eingriff liegt in dem, was wir hier heute vorhaben, nicht.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zuruf von Canan Bayram (GRÜNE)]

Ich werde Ihnen das erläutern. Jahrzehntelang hat es in Berlin bei Demonstrationen drei Arten von Videoaufnahmen gegeben: die Übersichtsaufnahmen, die Aufnahmen zur Gefahrenabwehr – d. h., wenn eine Gruppe mit Dachlatten in die Demonstration hineinkommt – und die Aufnahmen zur Beweissicherung bei der Strafverfolgung, wenn schon etwas passiert ist – also die Dachlatte schon in der Windschutzscheibe gelandet ist.

Kategorie 3 und Kategorie 2 sind völlig unstreitig. Die sind geregelt. Daran ändern wir nichts. Das darf die Polizei. Daran will hier im Haus, glaube ich, auch keiner etwas ändern. Kategorie 1 – die Übersichtsaufnahmen –: Die sind völlig ungeregelt. Sie waren ungeregelt und sind ungeregelt. In der Vergangenheit bis zum Jahr 2010 hat die Polizei ganz sicher bei diesen Übersichtsaufnahmen auch aufgezeichnet. Sie hat auch mal Portraitfotos gemacht, und sie hat was weiß ich damit gemacht. Ich möchte gar nicht genau wissen, was die Polizei in diesem Zusammenhang in diesen Jahren bis 2010 gemacht hat.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Vertrauen Sie der etwa nicht? – Christopher Lauer (PIRATEN): Sie sind Parlamentarier!]

Seit dem Juli 2010 ist es damit vorbei. Denn im Jahr 2010 hat das Verwaltungsgericht Berlin gesagt: Dieses Kamera-Monitor-Verfahren ist ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit, auch wenn nicht aufgezeichnet wird. Deshalb kann das nur auf Grundlage eines Gesetzes geschehen, und da ihr das Gesetz nicht habt, müsst ihr sofort damit aufhören. – Das war 2010, und seitdem wird es auch nicht mehr gemacht.

Kollege Taş! Das Gericht hat nicht gesagt: Das dürft ihr niemals tun! – Es hat nicht gesagt: Das Grundrecht verbietet es, so etwas überhaupt jemals zu tun.

[Canan Bayram (GRÜNE): Aber die Sachverständigen haben es gesagt!]

Eine Aufzeichnung oder eine Betrachtung der Demonstration durch Video ist nicht per se grundrechtswidrig, sondern nur dann, wenn keine vernünftige, verhältnismäßige Rechtsgrundlage dafür da ist.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Höfinghoff?

Wenn ich hinterher noch ein bisschen Zeit habe, gerne.

Die Zwischenfrage wird eh nicht angerechnet. – Bitte schön!

Kollege Zimmermann! Wir hatten dieses Urteil, und es hat diese unrechtmäßigen Übersichtsaufnahmen verboten. Warum ist der Druck offensichtlich so groß gewesen, dass man – anstatt zu sagen: Okay, dann verzichten wir auf diese Übersichtsaufnahmen! – unbedingt eine neue gesetzliche Regelung dafür schaffen will?

Herr Höfinghoff! Das Gericht hat nicht gesagt, dass Übersichtsaufnahmen verboten seien, sondern es hat nur gesagt: Wenn ihr keine Rechtsgrundlage dafür habt, dürft ihr das nicht machen. – Deswegen geht es darum, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, die den Anforderungen des Verfassungsgerichts und des Verwaltungsgerichts Berlin entspricht. Deswegen will ich als Zwischenfazit festhalten: Es ist zulässig, Übersichtsaufnahmen zu regeln, wenn man eine eigene Rechtsgrundlage hat, aus der nachvollziehbar und klar der Umfang und der Inhalt der Beschränkungen erkennbar sind. So das Verwaltungsgericht, so das Bundesverfassungsgericht! Und genau das haben wir mit dieser Vorlage getan.

[Canan Bayram (GRÜNE): Genau das haben Sie nicht geschafft!]

Ich sage Ihnen das jetzt, was wir da gemacht haben. –Es wird nämlich behauptet – und das ist ein bisschen eine Legende, Herr Taş –, dass die Experten den Entwurf in der Luft zerrissen und wir uns gar nicht darum gekümmert hätten. Wir haben die Bedenken der Sachverständigen aufgegriffen und haben die nötigen, engen Grenzen in den Entwurf eingezogen. Es wird keine Aufzeichnung der Bilder geben – nur eine Übertragung in die Zentrale, aber keine Aufzeichnung; das ist verboten. Es wird keine Individualisierung geben. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dürfen durch die Kamera nicht erfasst werden. Keine Portraitfotos! Die sind verboten. Keine Identifizierbarkeit! Die ist verboten. Es wird eine Beschränkung auf unübersichtliche Großdemonstrationen geben – Bun

desverfassungsgericht –, darüber hinaus keine Anwendbarkeit!

Es wird eine Information an den Veranstaltungsteilnehmer geben, dass eine solche Übersichtsaufnahme gemacht wird. Es wird also eine scharfe Trennung zwischen Übersichtsaufnahmen und allen anderen Aufnahmen zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung geben, und deswegen ist aus meiner und unserer Sicht eine Trennung auch der Technik unbedingt erforderlich. Es wird Kameras für die Übersicht geben müssen, und es wird andere Kameras für die Gefahrenabwehr und für die Strafverfolgung geben müssen, damit diese Trennung eindeutig ist.

Damit sind die Voraussetzungen für die polizeilichen Videoaufnahmen äußerst eng gefasst. Es ist kein schwerwiegender Eingriff, sondern ein verhältnismäßiger, sehr maßvoller Eingriff. Im Ergebnis wird der Schutz des Demonstrationsrechts und der Teilnehmer jetzt eher noch besser als in der Zeit vor 2010, weil es damals völlig ungeregelt war. Da konnte wirklich alles gemacht werden, und jetzt kann es nur unter diesen engsten Voraussetzungen geschehen. Das ist das Ziel, das wir mit diesem Gesetzentwurf verfolgen.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Udo Wolf (LINKE): Das steht gar nicht drin im Gesetz!]

So steht es drin. Guck rein, Udo!

Es wird leider auch behauptet – auch von demselben Kommentator, den Sie genannt haben, Herr Taş –, dass wir hier geradewegs in den Obrigkeitsstaat marschierten.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Oh ja, geradewegs!]

Das ist, glaube ich, eine sehr gewagte These.

Sie müssen zum Ende kommen, Kollege!

Ich komme zum Schluss. – In diesem Staat, in dem die Polizei demokratisch kontrolliert ist, in dem die Polizei die Grundrechte auch und vor allem zu schützen hat und in dem die Grundrechte unmittelbar auch und gerade für die Polizei gelten, hierbei von Obrigkeitsstaat zu sprechen, ist ein bisschen abenteuerlich.

[Canan Bayram (GRÜNE): Die Videoüberwachung schreckt ab!]

Wir werden dieses Gesetz machen, weil es die demokratischen Rechte sichert –

Ende heißt Ende, Kollege! – Das sind vier Buchstaben, nicht so schwer zu verstehen!

und weil die Polizei dazu aufgerufen ist, das Demonstrationsgrundrecht zu schützen. – Danke schön!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Danke auch! – Kollege Lux! Sie haben das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Zimmermann von der SPD! Sie haben recht. Es geht hier nicht um rechte oder linke Politik, sondern es geht um die Frage: Welchen modernen Rechtsstaat wollen wir? Wie sehr schützen wir die Grundrechte unsere Bürgerinnen und Bürger?

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

An Demonstrationen teilzunehmen und von der Versammlungsfreiheit Gebrauch zu machen, dabei aktiv um politische Positionen zu streiten, gehört laut Bundesverfassungsgericht zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens. In Berlin finden pro Jahr ca. 4 000 Demonstrationen statt, nicht nur von Leuten, die einem irgendwie gefallen. Es gibt große Anti-Atomkraft-Demonstrationen, es gibt Demonstrationen von Gewerkschaften, aber auch Burschenschaften dürfen demonstrieren. Auch die genießen dieses Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ohne jede Frage, und der bisherige Stand war, die Polizei darf dort nur filmen, wenn es Anhaltspunkte für Gefahren gibt oder wenn dort Straftaten verübt werden, und das muss auch in Zukunft weiter ausreichen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

SPD und CDU wollen, dass Demonstrationen nun auch gefilmt werden können, wenn sie entweder groß oder unübersichtlich sind. Damit kann jede Demonstration in Berlin gemeint sein. Sie weichen ab von dem Gefahrenbegriff, und Sie legen damit auch Axt an Rechtssicherheit, Bürgerrechtsfreundlichkeit und Versammlungsfreundlichkeit.

Es kommt bei der Wahrnehmung von Grundrechten nicht darauf an, wie wir die Lage beurteilen, wie aus Sicht des Staates die Kameraübertragungen, die Übersichtsaufnahmen zu werten sind. Es kommt nicht darauf an, wie Sie das sehen, Herr Zimmermann, wie ich das sehe oder das Parlament das sieht, auch nicht, wie die Polizei das sieht. Es kommt darauf an, wie die Bürgerin und der Bürger, der dort demonstriert und von seinem Versammlungsrecht Gebrauch machen will, die Lage beurteilt. Es kommt nur auf die Perspektive an.

Hier haben die Gerichte bereits ausgeführt, der Bürger, die Bürgerin weiß nicht: Wird da gerade eine Übersichtsaufnahme gemacht? Wird nicht doch herangezoomt? Wann wird aufgezeichnet? Und das haben wir zu berücksichtigen. Es ist Gesetz ist dazu geeignet, Bürgerinnen und Bürger davon abzuhalten, von ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch zu machen. Es ist dazu geeignet, dass Personen nicht mehr auf Demonstrationen gehen wollen, weil sie nicht genau wissen: Was registriert der Staat hier? Die Polizei filmt auf jeden Fall, und das will ich nicht. Deswegen fühlen sich die Personen davon abgehalten, in Zukunft auf Demonstrationen zu gehen, und das nehmen Sie billigend in Kauf.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Da sagt die „Berliner Zeitung“ völlig zu Recht, dass das ein Schritt zurück in den Obrigkeitsstaat ist. Aber klar ist es das. Und sie sagt auch noch viel mehr: Sie machen aus freien Bürgern überwachte Objekte. Das ist gleich der Satz dahinter. Dem haben Sie hier nicht widersprochen, Herr Zimmermann. Ich glaube, Sie wissen auch, dass der Kommentator der „Berliner Zeitung“ recht hat, dass das ein Schritt zurück in den Obrigkeitsstaat ist, und Sie haben dem Satz nicht widersprochen, dass Sie aus freien Bürgern überwachte Objekte machen. Das wollen wir verhindern, und dafür haben Sie bitte Verständnis.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Es ist auch schon fast zynisch, jedenfalls bedauerlich, wie hektisch Sie vor dem 1. Mai dieses Gesetz hier durchpeitschen. Sie wollten es nicht noch mal ordentlich beraten im Rechtsausschuss, obwohl wir viele Veränderungen hatten – darüber haben Sie auch gesprochen –, die man eigentlich neu diskutieren müsste, die Sie im Hauruckverfahren durchgebracht haben. Sie machen damit etwas wirklich Perfides: Sie nehmen die Angst mancher Bürgerinnen und Bürger, die am 1. Mai nicht demonstrieren gehen, zum Anlass, um die Aushöhlung des Versammlungsrechts schneller durchzupeitschen. Das ist und bleibt vor dem 1. Mai perfide.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Das ist nicht im Interesse des Parlaments, hier so schlecht zu beraten. Es kann auch nicht im Interesse der Bevölkerung liegen, das Versammlungsrecht so weitgehend einzuschränken. Es liegt übrigens auch nicht im Interesse der eingesetzten Polizistinnen und Polizisten. Auch diese wollen, dass wir rechtsstaatlich, verhältnismäßig in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen, und das verunmöglichen Sie hier, und damit leisten Sie der Berliner Polizei einen Bärendienst.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Sie tragen es der Leitung hinterher, Sie tragen es dem Polizeipräsidenten und dem Einsatzleiter hinterher: Bitte, bitte, guckt euch das an in eurem Einsatzleitzentrum. – Da können sie dann Bilder übertragen, und da wird dann Einsatzleiterfernsehen gemacht, aber für die Polizistin und den Polizisten, der auf der Straße vor Ort eingesetzt wird, wird es gar nichts bringen.

Das Bundesverfassungsgericht sagt übrigens weitergehend: Das schränkt nicht nur das individuelle Grundrecht ein, sondern es schränkt auch die Gestaltung des demokratischen Gemeinwesens ein. Hier möchte ich Sie bitten, noch einmal darüber nachzudenken. Das hat die Sozialdemokratie tatsächlich in ihrer Historie immer besser verstanden. Das Brokdorf-Urteil – ich glaube, da war ich noch nicht einmal geboren – ist natürlich von Menschen erkämpft worden, die Probleme mit dem Staat haben und deswegen ihre Meinung austragen, die für soziale Bewegung, für ein sozialeres Land kämpfen. Diesen Leuten ist viel zu verdanken. Das Bundesverfassungsgericht bringt es auf die Formel – –

Herr Kollege! Sie kommen zum Ende!