Protocol of the Session on October 25, 2012

Ich eröffne die erste Lesung. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Es wird die Überweisung der Gesetzesvorlage an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Geschäftsordnung empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann machen wir das so.

Ich komme zu

(Präsident Ralf Wieland)

lfd. Nr. 8:

Achtes Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 17/0564

Erste Lesung

Ich eröffne die erste Lesung. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Es wird die Überweisung der Gesetzesvorlage an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich komme zu

lfd. Nr. 9:

Obligatorische Volksabstimmungen bei Verfassungsänderungen (Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin)

Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/0569

Erste Lesung

Ich eröffne die erste Lesung. Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Piratenfraktion. – Herr Dr. Weiß, Sie haben das Wort! Bevor Sie anfangen, noch eine Bitte: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist jetzt wirklich das letzte Mal: Wenn Sie Gespräche führen wollen, dann bitte draußen! Vielen Dank! – Herr Dr. Weiß, Sie haben das Wort!

Danke! – Mit dem Antrag, den wir heute vorlegen, wollen wir einen Schritt zu mehr Mitbestimmung gehen. Die Mitbestimmung in der Politik durch die Berlinerinnen und Berliner ist eine wichtige Forderung auf allen Ebenen der Politik. Das fängt auf der untersten Ebene an – beim Straßenverkehrszeichen um die Ecke –, und das geht hoch bis zu den größten und grundsätzlichen Fragen der Politik. Um Letzteres geht es uns hier, nämlich um Änderungen der Berliner Verfassung.

Wir wollen eine Regel in der Berliner Verfassung festschreiben, die eine obligatorische Volksabstimmung bei Verfassungsänderungen vorsieht. Das heißt: Zusätzlich zu der jetzt schon feststehenden Zweidrittelmehrheit, die eine solche Änderung benötigt, soll auch eine obligatorische Volksabstimmung festgeschrieben werden. Jetzt schon ist durch diese Zweidrittelmehrheit dem Umstand Rechnung getragen, dass die Änderung der Verfassung, die ja die Grundlagen für unsere gesetzliche und politische Ordnung schafft, eben eines besonderen Schutzes und einer besonderen demokratischen Legitimation bedarf, also einer umfassenden Zustimmung und einer umfassenden Legitimation.

An dieser Stelle kann man gleich die Frage stellen: Worin besteht eigentlich diese Legitimation für die jetzige Berliner Verfassung? – Wahrscheinlich wissen Sie es: 1995 wurde die Berliner Verfassung in ihrer derzeitigen Form mit einer großen Änderung gegenüber der alten Verfassung beschlossen, auch mit einer Volksabstimmung. Das heißt: Wir haben eine durchaus gut legitimierte Landesverfassung, und wir haben auch – wenn ich das so sagen darf – eine durchaus gute Landesverfassung.

Es stellt sich aber die Frage, warum eigentlich die Einführung dieser Verfassung in dieser Form sinnvollerweise durch eine Volksabstimmung zu legitimieren war, aber eine Änderung der Verfassung danach nicht mehr. Für uns gibt es dafür eigentlich keinen guten Grund.

Die Idee ist auch nicht neu. Es gibt jetzt schon in zwei Bundesländern – das sind Hessen und Bayern – genau solche Regelungen. Das funktioniert dort hervorragend. Auch in der derzeitigen Berliner Verfassung – in Artikel 100 – ist eine obligatorische Volksabstimmung festgeschrieben, allerdings nicht für jede Verfassungsänderung, sondern nur für bestimmte Verfassungsänderungen, und zwar für diejenigen Verfassungsänderungen, die die Regelungen zur Volksgesetzgebung – das sind die Artikel 62 und 63 – betreffen. Auch das ist eine richtige und vernünftige Regelung, denn damit wird sichergestellt, dass es nicht möglich ist, diese wichtigen demokratischen Rechte in ihrer Ausgestaltung zu ändern, ohne dass dabei gewissermaßen auch die Inhaber dieser Rechte befragt werden.

Auch hier stellt sich die Frage: Warum eigentlich nur diese demokratischen Rechte? – Für uns ist nicht zu sehen, warum das nicht auch für die Ausgestaltung anderer Rechte und anderer Dinge, die in der Verfassung festgeschrieben sind, gelten soll. Wenn man sich die Geschichte der Verfassungsänderungen seit 1995 anguckt, stellt man fest, dass immer wieder die Ausgestaltung solcher Rechte und die Frage, wie dies genau sein soll, Thema ist.

Unser Plädoyer an dieser Stelle: Unterstützen Sie uns hierbei! Schaffen Sie mehr Mitbestimmung, gerade bei ganz grundsätzlichen politischen Fragen, und bringen Sie die Berlinerinnen und Berliner und ihre Verfassung ein Stück näher zusammen! – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN]

Für die Fraktion der SPD hat nun Herr Kollege Kohlmeier das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Weiß! Die Linkspartei hat in der letzten Plenarsitzung einen zumindest in der Überschrift

ähnlich lautenden Antrag eingebracht – unter dem einschlägigen Titel: Obligatorischer Volksentscheid bei Privatisierungen. – Die letzte Plenarsitzung war insofern vielleicht ein Ansatzpunkt, dass Sie gesagt haben: Das machen wir auch. Obligatorische Volksentscheide sind toll. Wir wollen bei der Debatte mit dabei sein. – Aber mitgemacht ist noch nicht gut gemacht.

Sie schreiben in der Begründung zu dem Antrag: Die Bürgerinnen und Bürger von Berlin wollen mehr Demokratie. – Liebe Kollegen der Piratenfraktion! Sie haben es vielleicht nicht mitbekommen. Die Berlinerinnen und Berliner haben bereits mehr Demokratie, und das nicht, weil Sie hier im Hause sind, sondern weil es SPD, CDU und Linkspartei in der letzten Legislaturperiode beschlossen haben. Auch der Verein „Mehr Demokratie“ bescheinigt uns ganz klar: Federführend bei der direkten Demokratie in Deutschland ist das Land Berlin. – Ich freue mich, dass die Berlinerinnen und Berliner die Volksentscheide und Volksbegehren ebenso nutzen wie die Bürgerfragestunden in den Bezirksverordnetenversammlungen.

Weil Sie ja wissen, was Berlinerinnen und Berliner alles so wollen: Berlinerinnen und Berliner wollen auch, dass Mieten bezahlbar sind, dass die S-Bahn pünktlich fährt und dass Berlin Arbeitsplätze bietet. Liebe Kollegen von der Piratenfraktion! Vielleicht geben Sie einmal darauf Antworten. Aber wahrscheinlich sind Sie da immer noch in der Findungsphase.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Fabio Reinhardt (PIRATEN): Ist ja schön, wenn Sie die Antworten haben!]

Die Antworten geben wir, liebe Kollegen! Aber vielleicht waren Sie draußen und haben gerade wieder ein Bier getrunken – oder so – und haben es deshalb nicht mitbekommen.

Zum Abschluss begründen Sie Ihren Antrag auch noch mit bayerischen Regeln. Liebe Kollegen der Piraten! Bayern ist nicht Berlin, und das ist auch gut so. Wenn man in diesen Tagen nach Bayern schaut und sieht, wer da wen anruft, muss ich sagen: Man muss nicht alles Schlechte aus Bayern übernehmen – nur deshalb, weil man das in Bayern so macht.

Liebe Kollegen der Piratenfraktion! Mit dem Antrag bleiben Sie hinter ihren Möglichkeiten zurück. Meine Fraktion können Sie mit dem Antrag nicht überzeugen, aber vielleicht können Sie ja die von mir hoch geschätzte Kollegin Seibeld von der CDU überzeugen. Nach meiner Auffassung ist der Antrag in dieser Form abzulehnen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Dr. Weiß hat das Wort zu einer Kurzintervention. Sie müssen sich auf den Vorredner beziehen, und ich ahne auch schon, worum es geht. – Bitte schön!

Der Präsident ahnt schon, worum es geht, aber mal schaun! Ich wollte jetzt jedenfalls nicht über das Bier reden. Sie haben gesagt: Die Berliner haben schon mehr Demokratie. – Die Berliner haben vielleicht mehr Demokratie, als sie vor zehn oder 20 Jahren an einigen Stellen hatten. Aber „mehr“ heißt hier: Mehr, als man jetzt hat! – Es ist nicht ganz klar geworden, was Sie eigentlich meinten.

Sie haben gesagt, dass der Verein „Mehr Demokratie“ dem Land Berlin bescheinige, hinsichtlich der direkten Demokratie Spitzenreiter zu sein. Ich kann Ihnen aber aus dem Kopf sagen, dass das so nicht stimmt. Jedenfalls hat das nicht der Landesverband Berlin-Brandenburg des Vereins „Mehr Demokratie“ gesagt, denn der sieht uns, wie ich heute Morgen in einer Pressemitteilung gelesen habe, auf dem dritten Platz im bundesweiten Vergleich.

[Zuruf von Sven Kohlmeier (SPD)]

Ja, genau! – Das entnehme ich übrigens einer Pressemitteilung, in der „Mehr Demokratie“ unseren Antrag ausdrücklich unterstützt.

[Beifall bei den PIRATEN]

Was Bayern angeht: Nein, wir müssen nicht alles aus Bayern übernehmen, und zwar ganz sicher nicht den Umgang mit der Presse an manchen Stellen. Auch da bin ich eigentlich ganz zufrieden – im Vergleich. Aber wenn es dort sinnvolle Regelungen gibt, kann man sie sich ja anschauen und überlegen, ob sie hier auch sinnvoll wären. Ich glaube nicht, dass man das von vornherein ablehnen sollte. Auch die bayerische Verfassung ist gar nicht so schlecht wie die Politik dort.

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Thomas Birk (GRÜNE)]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Kollege Dr. Behrendt das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bündnis 90/Die Grünen setzen sich seit 30 Jahren für die Ausweitung direkter Demokratie in der Bundesrepublik ein.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Und haben es nicht geschafft!]

Dabei haben wir in den Ländern – Kollege Kohlmeier hat für das Land Berlin bereits darauf hingewiesen – große Erfolge erzielt. Seit 2006 sind wir zumindest in das Mittelfeld im Ländervergleich aufgerückt. Die größten Defizite in diesem Bereich gibt es immer noch auf Bundesebene, und dort ist es insbesondere die CDU, die leider hinhaltenden Widerstand gegen jegliche Form direkter Demokratie auf Bundesebene leistet. Wir hoffen, dass es auch dort gelingt, irgendwann Referenden und Volksbegehren auf Bundesebene einführen zu können.

[Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Der Antrag, den die Piraten hier vorlegen, zukünftig über alle Verfassungsänderungen in Berlin Volksabstimmungen durchzuführen, ist sicherlich diskussionswürdig.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Ach, danke!]

Für die Diskussion möchte ich auf folgende Gesichtspunkte hinweisen: Zunächst einmal erschließt sich nicht, welche Mehrheiten bei den von Ihnen erstrebten Volksabstimmungen eigentlich gelten sollen. Ich möchte darauf hinweisen, dass unsere Verfassung gegenwärtig in Artikel 63 Abs. 2 für Verfassungsänderungen durch Volksgesetzgebung ein doppeltes Quorum vorsieht, nämlich zum einen zwei Drittel der Abstimmenden und dazu auch noch die Hälfte der Abstimmungsberechtigten. Das ist eine sehr hohe Hürde, die kaum je erreichbar an. Wir bieten auf jeden Fall an dieser Stelle Gespräche an – für die Absenkung dieser absurd hohen Quoren.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Was wäre unter demokratischen Gesichtspunkten gewonnen, wenn man obligatorische Referenden einführt? – Die hessische Erfahrungen zeigt – die Hessen haben das neben den Bayern auch in ihrer Verfassung –, dass es da nur sehr selten zu Verfassungsänderungen kommt. So erfolgten in Hessen seit 1946 nur zehn Verfassungsänderungen, wobei es zu sechs Abstimmungen kam. Im Vergleich dazu wurde die Berliner Verfassung bis zur großen Verfassungsreform 1995 28 mal geändert und seitdem auch schon wieder elf mal. Obligatorische Referenden führen also eher zu beständigen Verfassungen als zu einem wirklichen Mehr an Mitbestimmung.

Ist eine Volksabstimmung bei jeder Verfassungsänderung sinnvoll? – Lassen Sie uns einen Blick auf die elf Änderungen werfen, die wir in diesem Haus seit 1995 durchgeführt haben, und stellen wir die Frage, ob das jeweils sinnvoll ist, dafür eine Volksabstimmung durchzuführen! Zunächst ging es los mit der Abschaffung der Freifahrten der Abgeordneten bei der BVG. Kaum ein volksabstimmungsgeeignetes Thema! 1998 folgte die Verkleinerung des Abgeordnetenhauses und die Bezirkszusammenlegung. Durchaus volksabstimmungstauglich! Weiter ging es mit der Schaffung der Abwahlmöglichkeit des Parlamentspräsidenten. Kaum volksabstimmungsgeeignet! Die 2004 aufgenommenen richterrechtlichen Regelungen zur