Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 19. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.
Gestatten Sie mir einen technischen Hinweis. Wir hatten heute Vormittag ein Problem mit dem Steuerungscomputer unserer Tonanlage. Das System läuft im Moment wieder. Für den Fall eines erneuten Ausfalls ist eine zusätzliche Anlage im Saal aufgebaut. Wir würden rechtzeitig Bescheid sagen, wenn wir umräumen müssten.
Ich habe noch Geschäftliches mitzuteilen. Am Montag sind folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:
1. Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „A 100 wird gebaut – Planungssicherheit für Berliner Infrastrukturmaßnahmen“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „A 100 wird gebaut – Planungssicherheit für Berliner Infrastrukturmaßnahmen“,
4. Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Flüchtlingen überall in der Stadt menschenwürdiges Leben garantieren“,
5. Antrag der Piratenfraktion zum Thema: „Wo bleiben eigentlich die von SPD und CDU versprochenen 250 neuen Polizisten?“.
Zur Begründung der Aktualität erteile ich zunächst einem Mitglied der Fraktion der CDU das Wort. – Herr Friederici, bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Koalition ist in der Berliner Stadtpolitik die Verkehrspolitik und die Planung eines Verkehrsgesamtkonzeptes von herausragender Bedeutung.
Neben vielen Einzelmaßnahmen des öffentlichen Straßenbaus und der Neuanpassungen von Straßen an den tatsächlichen Bedarf ist der Weiterbau der A 100, der Bauabschnitt 16, der gemäß dem Bundesverwaltungsgericht nun auch rechtssicher ist, und der damit verbundene Erfolg für die Berlinerinnen und Berliner, da der Bund das Projekt ausfinanzieren wird, ein herausragender Anlass, heute in der Aktuellen Stunde die A 100 thematisieren zu wollen.
Der neue, 16. Bauabschnitt der A 100 wird abgehend von der Britzer Grenzallee den Berliner Stadtring erweitern. Dieser Abschnitt soll Berlins Innenstadt entlasten und ebenso den Verkehr in den Wohngebieten Neuköllns und in Treptow reduzieren. Für die Koalition ist neben der Wirtschaftsförderung vor allem der verkehrsentlastende Aspekt dieses integrierten Straßenbauprojektes sehr wichtig.
In wirtschaftspolitischer Hinsicht werden der Innovations-, Forschungs- und Produktionsstandort Adlershof sowie der neue Flughafen BER neben einer leistungsfähigen ÖPNV-Anbindung damit einen leistungsfähigen Anschluss über die Straße erhalten. Diese verkehrspolitischen Grundsätze gelten international in allen Metropolen, und das gilt auch in der Bundeshauptstadt Berlin. Es gibt nicht nur ein Projekt, ob Schiene oder Straße; die Koalition hat ein integriertes Gesamtkonzept vereinbart. Dieses unter dem Aspekt des Baus der A 100 zu beleuchten, gehört hier und heute in die Aktuelle Stunde des Berliner Parlaments.
Für die CDU-Fraktion gilt, dass dieser verantwortungsbewusste Ansatz der Verkehrs- und Stadtpolitik, dass man Straßen nun mal bauen muss, wenn die Fakten eindeutig sind, hier und heute in die Aktuelle Stunde des Parlaments gehört. Dass Teile der Opposition die Notwendigkeit der A 100 und des integrierten Verkehrskonzeptes nicht verstehen wollen oder können, obwohl sie selbst gern innerstädtisch Auto fahren, macht deutlich, dass die Koalition Ihnen das heute erklären sollte.
Warum Teile der Opposition rund 450 Millionen Euro des Bundes ablehnen, gegen die Zukunft Berlins, gegen die Verkehrsentlastung von Wohngebieten und der Berliner Innenstadt, das gehört ebenso hier in die parlamentarische Beratung.
Berlin hat erfreulicherweise wieder mehr als 3,5 Millionen Einwohner. Touristen und Unternehmen kommen nach Berlin. Wir haben mehr Beschäftigung. Wir haben unter der Koalition von SPD und CDU inzwischen das höchste Wirtschaftswachstum aller deutschen Bundesländer und fast den höchsten Rückgang der Arbeitslosigkeit.
Die Koalition aus SPD und CDU hat sich in der Koalitionsvereinbarung, so wie eben gesagt, zum Weiterbau der A 100 mit dem Bauabschnitt 16 verständigt, allerdings auch über viele Verkehrseinzelmaßnahmen. Das Bun
desverkehrsministerium und Minister Peter Ramsauer planen entsprechende Baumittel für die Förderung Berlins ein.
Dieses Bekenntnis der Koalition zur Entlastung von Wohngebieten, für Wachstum, Beschäftigung, für einen leistungsfähigen Verkehr zur Straße und zur Schiene in einer Vielzahl von Projekten, so auch bei der A 100, ist für uns wahrer Aktivposten einer integrierten Stadtpolitik. Das findet die Koalition durchaus in der heutigen Aktuellen Stunde des Berliner Abgeordnetenhauses beredenswert.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Tod von Jonny K. vor zehn Tagen hat uns alle schwer erschüttert. Nachdem er einem Freund zu Hilfe kam, wurde er am Alexanderplatz vor den Rathauspassagen ins Koma geprügelt, und er erlag einen Tag später seinen Verletzungen. Er wurde seiner Familie, seinen Freunden und Angehörigen durch eine grauenhafte Tat entrissen. Er hat sein Leben an einem der prominentesten Berliner Plätze verloren. Wir sprechen den Angehörigen unser tiefstes Mitgefühl aus, genauso wie viele Berlinerinnen und Berliner Anteilnahme gezeigt haben und Jonny K. nicht vergessen werden.
Eine Serie von Gewalt hat das Bild unserer lebendigen, weltoffenen und bunten Stadt erschüttert. Wir als Grüne wollen deshalb hier im Parlament über das Thema „Berlin gemeinsam gegen Gewalt – für eine friedliche Stadt“ reden. Die ganz aktuellen Festnahmen der Tatverdächtigen zeigen ja, dass die Verfolgung schwerster Straftaten mit Priorität erfolgen muss und wie wichtig es ist, dass Ermittlungen in diesem Fall erfolgreich verlaufen. Ich bin erleichtert, dass sich die Tatverdächtigen nun vor der Justiz in einem fairen Verfahren verantworten müssen. Die Aufklärungsrate bei Mord und Totschlag ist hoch, aber leider ist es nicht selbstverständlich, dass Mörder und Totschläger in dieser Stadt gefunden werden. Ein weiteres Beispiel ist Burak B., der Anfang April dieses Jahres in Neukölln auf offener Straße erschossen wurde. Auch diese Tat hat uns betroffen gemacht. Er und andere Beispiele aus Berlin verdeutlichen, wie wichtig es ist, die Ermittlungsbehörden zu stärken, damit diese Straftaten aufgeklärt werden. Das Vertrauen ins staatliche Gewaltmonopol darf nicht gefährdet werden.
Bundespräsident Joachim Gauck hat zu Recht gemahnt, genau hinzuschauen, eine gesellschaftliche Debatte zu führen, wie wir als Politik, aber jeder von uns als Bürgerin oder Bürger dieser Stadt es in unserem täglichen Leben schaffen, es vorzuleben, Rücksicht zu nehmen, Respekt vor anderen zu haben und schon gar nicht die körperliche Unversehrtheit zu verletzen. Deswegen wenden wir uns entschieden gegen jede Form von Gewalt, illegitimen Zwang, in welcher Form und vor allen Dingen von wem auch immer.
Ich will es noch einmal deutlich sagen: Jedes Menschenleben ist uns gleich viel wert. Wir stehen hier als Gesellschaft, als Staat vor einer der schwierigsten und zugleich wichtigsten Aufgaben. Wir können keine absolute Sicherheit gewährleisten. Ähnliche Fälle werden wieder passieren. Wir können absolute Sicherheit nicht versprechen. Wir müssen es trotzdem mit vielen Einzelmaßnahmen versuchen, bei denen man nicht weiß: Sind sie in fünf, zehn, zwanzig Jahren wirksam? – Wir müssen es trotzdem versuchen, mit politischen Mitteln in vielen unterschiedlichen Politikbereichen nach den Ursachen von Gewalt zu schauen und Perspektivlosigkeit und Frustration entgegenzutreten. Das ist keine Kuschelpädagogik, wie das in den letzten Jahren noch diffamiert worden ist, sondern das ist eine nachhaltige Sicherheitspolitik für diese Stadt.
Es geht sogar noch weiter – und auch das will ich hier ansprechen dürfen –: Wir selbst als Staat üben in fast allen Fällen legitime, aber wir üben Gewalt aus. Es gibt das staatliche Gewaltverhältnis gegenüber Leuten, die in unseren Gefängnissen sitzen oder die auch Adressat polizeilicher Maßnahmen sein können. Man wünscht es keinem Bediensteten in dieser Stadt, aber es kommt auch vor, dass Schusswaffengebrauch oder dass Pflichten verletzt werden, möglicherweise Bedienstete überfordert sind. Aber auch hier muss die Politik besonnen reagieren und aufklären. Ich spreche den jüngsten Fall des in Wedding erschossenen Gefährders, Straftäters an, der mit Messer und Beil rumgelaufen ist und natürlich gefährlich war, aber die Frage stellt sich doch: War sein Tod nötig? Das gilt auch bei zwei anderen Fällen in Berlin aus jüngster Zeit. Auch denen müssen wir uns verantwortungsbewusst stellen, um das Vertrauen in das staatliche Gewaltmonopol nicht zu gefährden. Ich zitiere den ehemaligen Polizeipräsidenten Dieter Glietsch:
Wir müssen die Würde bei denjenigen achten, die sie längst schon bei anderen mit den Füßen getreten haben.
Das ist Rechtsstaat, und auch für den streiten wir hier, gegen jegliche Form von Gewalt und Perspektivlosigkeit in dieser Stadt.
Wir werden also konkret darüber reden müssen, wie wir das Vermitteln von Regeln und Grenzen für jeden Menschen, das meistens in der frühen Kindheit beginnt, vermitteln können, wie wir Eltern Respekt vermitteln können und müssen, am besten ein Leben lang. Egal welche Frustrationsmomente ein Leben lang so mit sich kommen, Gewalt darf niemals eine Lösung sein. Wir werden auch schauen, welche Unterstützung die Berliner Polizei ganz konkret hat, gerade in den öffentlichen Räumen, in denen sich die Berlinerinnen und Berliner mit Sicherheit bewegen dürfen. Wir werden schauen, wie es in den Bildungseinrichtungen, in den frühkindlichen Jugendeinrichtungen steht, wie wir es mit Integration und sozialen Perspektiven schaffen können, dass Gewalt in dieser Stadt keinen Platz hat. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Linksfraktion hält es für dringend notwendig, die Situation von Flüchtlingen und Asylsuchenden in unserer Stadt zu thematisieren. Nicht zuletzt der lange Marsch von Asylsuchenden und Flüchtlingen quer durch die Republik hat denen, die sehen wollen, die leidvolle und zum Teil menschenunwürdige Lage dieser Menschen vor Augen geführt. Auf ihrem Weg nach Berlin sind diese Menschen, die Schutz in der Bundesrepublik suchen, in bedrohliche Situationen geraten, wurden von Neonazis und anderen bedroht. Sie haben aber auch viel Verständnis und Unterstützung erhalten, auch hier in Berlin, aber nicht durch den Senat, falls ich es nicht übersehen habe.
Dieser Umstand, dass nämlich mehr Verständnis für die Lage von Flüchtlingen und Asylsuchenden aufkommt, war offensichtlich dem Bundesinnenminister und auch manch anderem ein Dorn im Auge. Deshalb wohl hat Herr Friedrich umgehend eine sogenannte Gefahr von Masseneinwanderung von Flüchtlingen aus dem Balkan diagnostiziert. Heute war zu hören, Friedrich will Asylbewerbern aus Ländern wie Serbien und Mazedonien die Barleistungen kürzen. Sein möglicher künftiger Koalitionspartner ist ihm übrigens gleich zu Hilfe geeilt. Michael Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, forderte am 12. Oktober im SWR ein hartes Durchgreifen gegenüber Asylbewerbern aus Serbien und Mazedonien. Sie kämen nach Deutschland, um „eine gewisse Zeit in diesem System zu sein“. SPD-Mitglieder im Bundestagsinnenausschuss mahnten wörtlich am 24. Oktober, genau auf den Ton zu achten. Das kann ja
nur noch als Zynismus bewertet werden. Also wieder macht das Unwort „Asylmissbrauch“ die Runde. Wir sollten uns daran erinnern, was eine so geführte Debatte in den Neunzigerjahren angerichtet hat,
Wir verkennen nicht die gestiegenen Asylbewerberzahlen, jedoch geht es hier nicht um Missbrauch. Diese Menschen, insbesondere die Sinti und Roma, werden von Diskriminierung und Armut getrieben. Sie suchen Schutz, nicht Sozialleistungen.
Die Wiedereinführung der Visapflicht wäre auch keine Lösung, denn Menschen, die aus Angst und Verzweiflung gezwungen sind, ihre Heimat verlassen zu müssen, werden trotz Visumzwang Schutz in anderen Ländern suchen. Sie dadurch abschrecken zu wollen, dass man sie hier in der Bundesrepublik in zum Teil unwürdigen Verhältnissen leben lässt, entspricht nicht dem Geist des Grundgesetzes.