Protocol of the Session on September 27, 2012

Herr Weiß! Darf ich Sie ganz kurz unterbrechen! – Würden die übrigen Kollegen bitte leiser sein!

[Oh! von der CDU]

Herr Dr. Weiß, Sie haben das Wort!

Vielmehr geht es uns dabei um die Korrektur eines rechtspolitischen Missstandes, den ich im Folgenden kurz erklären möchte. Es ist so: Wenn man, sagen wir mal, in Berlin in der U-Bahn schwarz fährt und dabei erwischt wird – was aufgrund einer hohen Kontrolldichte nicht unwahrscheinlich ist –, zahlt man im Regelfall erst ein

mal ein erhöhtes Beförderungsentgelt von 40 Euro. Das ist so weit auch völlig in Ordnung. Damit endet die Geschichte meistens.

Wenn man das nicht tut und auch die höheren Forderungen nicht bezahlt, wenn man dann mehrmals beim Schwarzfahren erwischt wird – in der Praxis ist das dann ungefähr beim dritten Mal –, dann gibt es eine Strafanzeige durch die Verkehrsbetriebe. Dann landet das ganze vor Gericht, und dort wird man wiederum zu einer Strafe verurteilt, im Regelfall zu einer Geldstrafe – auch das ist nicht das Problem. Das Problem tritt dann auf, wenn Sie diese Geldstrafe nicht bezahlen können. Dann kann es zu einer Ersatzfreiheitsstrafe kommen. Das ist kein seltener Fall, das passiert relativ oft: Von 4 085 Strafgefangenen, die im Jahr 2011 Ersatzfreiheitsstrafen verbüßt haben, waren 1 269 wegen genau dieses Paragrafen im Gefängnis. 2010 war laut Zeitungsberichten ein Drittel der Inhaftierten in der JVA Plötzensee wegen des Schwarzfahrens inhaftiert. Wir reden also von einer durchaus beachtlichen Belastung unseres Justizsystems und von Ausgaben in Millionenhöhe.

Der zweite Punkt ist das, was es für die Betroffenen bedeutet. Man kann sich natürlich vorstellen, dass die Menschen, die von so etwas direkt betroffen sind, meist relativ sozial Schwache sind, denn die meisten können die Strafe einfach zahlen. Die wenigsten werden freiwillig eine Ersatzfreiheitsstrafe auf sich nehmen, wenn sie die Strafe zahlen können. Gerade für sozial Schwache ist so eine Freiheitsstrafe – insbesondere eine kurze Freiheitsstrafe, die unter dem Aspekt der Resozialisierung kaum wirksam ist –, eher ein starker Eingriff, der eine zukünftige Prognose eher noch verschlechtert.

An der Stelle bleibt eigentlich nur noch ein Argument, und damit rechne ich eigentlich auch schon – die Abschreckung. Wir können ja nicht einfach Sachen straffrei stellen. Wenn man Dinge sanktionieren will, was beim Schwarzfahren auch völlig richtig ist, dann braucht man eine Abschreckung. Aber die Abschreckung hängt hier nicht an der Ersatzfreiheitsstrafe. Die Abschreckung funktioniert. Sie funktioniert durch die 40 Euro. Die meisten Schwarzfahrer zahlen diese 40 Euro, und die meisten potenziellen Schwarzfahrer sind durch diese 40 Euro auch abgeschreckt. Wenn Sie hinausgehen und anfangen, für ein paar Tage mit der U-Bahn zu fahren, ohne ein Ticket zu haben, werden Sie schon schnell genug erwischt. Wir haben eine relativ hohe Kontrolldichte in Berlin. Im öffentlichen Personennahverkehr sind wir hinsichtlich der Kostendeckung der Betriebe im europäischen Spitzenfeld. Die Abschreckung funktioniert so gut, dass in Berlin die Zahlen der Schwarzfahrer sogar zurückgehen. Trotzdem geben wir Millionen aus, um eine sozial eher schädliche Abschreckungsstrategie zu fahren, deren Wirkung völlig zweifelhaft ist. Man könnte sich vielmehr fragen, ob man diese Millionen nicht direkt in

die Verkehrsbetriebe stecken könnte, wenn man sie an der Stelle einspart.

[Beifall bei den PIRATEN]

Gegen einige Missstände wäre das sicherlich eine bessere Hilfe.

Wie gesagt: Die Betroffenen, von denen wir hier zum größten Teil reden – sozial schwache Menschen, die die erste Strafe nicht zahlen können und auch eine weitere Strafe nicht zahlen können – –

[Dr. Turgut Altug (GRÜNE): Einkommensschwache!]

Wie bitte? – Einkommensschwache – ja!

[Heiko Herberg (PIRATEN): Einkommensschwache, nicht sozial Schwache! – Weitere Zurufe – Unruhe – Martina Michels (LINKE): Machen Sie doch einfach weiter!]

Entschuldigung! Ich lese nachher im Protokoll nach, was los war. – Der Punkt an der Stelle ist einfach: In Anbetracht der Situation, in der sich die Menschen befinden: Man kann niemanden in den Wohlstand abschrecken. Das funktioniert nicht. Niemand wird sich nach einer Gefängnisstrafe denken: Na jetzt, wo ich mal zwei Wochen im Gefängnis war, werde ich in Zukunft natürlich immer das Geld haben, um einen Fahrschein zu kaufen, beziehungsweise ich werde in Zukunft einfach nicht mehr durch die Stadt fahren – muss ich ja auch nicht.

[Dennis Buchner (SPD) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Buchner?

Ja, klar!

Bitte sehr!

Herr Kollege! Ich möchte gern wissen, mit welcher Begründung Sie die Geldstrafe nach dem Erschleichen von Leistungen im öffentlichen Nahverkehr anders gewichten als Geldstrafen, zu denen man bei Ladendiebstahl oder anderen Taten verurteilt wird.

Wenn man es mit dem Ladendiebstahl vergleicht, der auch im Strafgesetzbuch geregelt ist und auch der gleichen Regelung unterliegt, dass er bei Geringfügigkeit nicht strafrechtlich verfolgt wird, gibt es vor allem zwei entscheidende Unterschiede: Der erste ist einfach der Punkt der kriminellen Energie.

[Torsten Schneider (SPD): Aha!]

Entschuldigung! Das ist ein Unterschied, und der spielt strafrechtlich auch eine Rolle. – Der zweite ist die Wirkung der Abschreckung.

[Torsten Schneider (SPD): Bei dem einen hat man Hunger!]

Entschuldigung! Aber wenn ich einen Ladendiebstahl begehe, weil ich Hunger habe, so wissen Sie doch auch, wie das rechtlich zu bewerten ist.

[Beifall bei den PIRATEN]

Darüber müssen wir hoffentlich nicht reden.

[Torsten Schneider (SPD): Das finden Sie weniger schlimm, wenn man Hunger hat?]

Ja, ich finde Diebstahl von Lebensmitteln, wenn man Hunger hat und den Hunger nicht anders stillen kann, weniger schlimm als Ladendiebstahl von etwas anderem – wenn Sie mich das so fragen.

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Stefan Gelbhaar (GRÜNE) – Torsten Schneider (SPD): Wo ist denn Ihr Antrag dazu?]

Aber darüber reden wir auch nicht, und wir reden ja auch nicht davon, dass es erlaubt sein soll, sondern wir reden darüber, ob wir die richtige Sanktion haben. Wir reden vom Strafrecht, und das ist ein Mittel der letzten Wahl, um gesellschaftlich etwas zu sanktionieren. Wir haben Möglichkeiten des Zivilrechts, und wir haben die Möglichkeit, solche Dinge als Ordnungswidrigkeit zu behandeln. – Ich bin am Ende meines Beitrags.

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Stefan Gelbhaar (GRÜNE) und Katrin Möller (LINKE)]

Für die SPD-Fraktion hat nun Herr Kohlmeier das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Diese SPD-CDU-Koalition hat einen Herbst der Entscheidungen angekündigt. Dem fühle ich mich auch bei diesem Antrag verpflichtet. Wir werden entscheiden, und dieser Antrag wird abgelehnt werden.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Lieber Kollege Weiß! Dies möchte ich Ihnen gern begründen. Erstens folge ich nicht der Auffassung, dass die Ehrlichen die Dummen sind. Was will ich damit sagen? – 2 Millionen Beförderungen erbringen BVG und S-Bahn jeden Tag. Viele Millionen Kunden der BVG und der S-Bahn zahlen für ihr Ticket, und diejenigen, die nicht dafür zahlen, haben zukünftig nichts zu befürchten? – Das leuchtet mir nicht ein.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU]

Zweitens: Ich verstehe auch Ihre Begründung wegen der Bagatellgrenze von 2 bis 4 Euro Schaden nicht. Das ist ja eben dazwischengerufen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Verlaub: Wenn ich zu Rossmann gehe und mir Zahnpasta, Seife oder Putzmittel klaue, was auch nur 2 Euro kostet, ist das dann zukünftig auch straffrei? Schaffen wir den Straftatbestand des Diebstahls geringwertiger Güter ab? – Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Torsten Schneider (SPD): Was kommt als Nächstes?]

Aufgabe des Strafrechts ist es, die Interessen der Gemeinschaft an der Erhaltung ihrer Grundwerte sicherzustellen. Die Vorschrift der Strafbarkeit des Schwarzfahrens ist in den 30er-Jahren zur Schließung von Strafbarkeitslücken in das Strafgesetzbuch aufgenommen worden.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Das ist so schwach! – Weitere Zurufe von den PIRATEN]

Im Jahr 2005 – – Wollen Sie zuhören, Kollegen von den Piraten, oder wollen Sie hinausgehen?

[Heiko Herberg (PIRATEN): Nein! Es ist echt schwach! – Christopher Lauer (PIRATEN): Aber wir bleiben trotzdem! – Weitere Zurufe von den PIRATEN]

Okay! Dann zuhören! Man kann bei einer solchen Rede auch etwas lernen.

[Martina Michels (LINKE): Schauen Sie mal in Ihre eigenen Reihen! Die sind nur halbgefüllt, und die Piraten sind vollständig vertreten! – Unruhe]

Kollege Kohlmeier hat das Wort und sonst niemand – bitte!

Worüber reden wir denn jetzt? Was machen Sie mich denn jetzt an, ob jemand vollständig ist oder nicht?

[Zuruf von Martina Michels (LINKE)]

Darf ich hier vorn meine Rede zu Ende führen oder nicht?