Protocol of the Session on June 14, 2012

Aber unabhängig von der inneren Verfasstheit der SPD: Es ist einfach nicht akzeptabel, dass der Senat bei wichtigen Themen wie der Zukunft der S-Bahn nichts an Konzeption vorlegen kann oder will und sich stattdessen um völlig überflüssige Dinge kümmert wie z. B. das Herabsetzen der Eigenbedarfsgrenze für Cannabis. Warum eigentlich, Herr Graf? Wird im Senat neuerdings zuviel gekifft?

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN – Heiterkeit bei der LINKEN und den PIRATEN]

Sie machen nur noch reine Symbolpolitik, und das zeigt, dass die rot-schwarze Koalition die Zukunftsaufgaben der Stadt schon völlig aus den Augen verliert. Da regieren Sie ein Dreivierteljahr, eine Panne folgt der nächsten, und Sie können sich auf nichts Wichtiges einigen. Wäre die

rot-rote Regierung jemals in einem so erbarmungswürdigen Zustand gewesen, wäre ihr zu Recht Regierungsunfähigkeit vorgehalten worden. Weder die Versprechen aus dem Koalitionsvertrag werden bei Ihnen unterfüttert noch werden die SPD-Parteitagsbeschlüsse umgesetzt.

Herr Buchholz – er ist leider auch gerade draußen und prüft wahrscheinlich gerade als Chefprüfer des Öffentlichen in der SPD-Fraktion: Wahrscheinlich denken Ihre Senatoren bei AG Davos nicht an die Stadtwerke oder Konzepte zur Rekommunalisierung der Netze, sondern nur ans Schlittenfahren mit ihrer Fraktion. Jetzt wissen wir zwar seit einigen Wochen, dass der Senat eine eigene Netzgesellschaft um die Strom- und Gasnetzkonzession ins Rennen geschickt hat, aber wenn man nichts über diese Gesellschaft erfährt, wenn man auch im Haushalt keinen Posten zu dieser Gesellschaft entdecken kann, dann muss man an der Ernsthaftigkeit der Ankündigung von Herrn Senator Nußbaum ernsthaft zweifeln.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Wenn hier nicht bald substanzielle Aussagen und Taten folgen, dann ist die landeseigene Netzgesellschaft nicht mehr als ein landeseigener Papiertiger. Das ist alles nicht links, liebe SPD und vor allem ist es nicht sozial, es ist bestenfalls noch Dilettantismus!

Ich sage es noch einmal: 8,50 Euro – Rot-Schwarz hat die Berliner Mindestlohnbedingungen bei öffentlich geförderter Beschäftigung abgeschafft, weil das angeblich zu teuer ist. Sie leisten damit einen Beitrag zur Ausweitung des Niedriglohnsektors.

[Beifall bei der LINKEN]

Und dann wollen Sie, Herr Saleh, allen Ernstes, dass wir heute über Gelder beschließen, von denen der Senat nicht einmal sagen kann, was er damit will! Das Eckpunktepapier zur sogenannten Berlin-Arbeit ist noch immer in Arbeit und noch nicht einmal beschlossen.

Woran dürfen sich die Betroffenen künftig halten, Herr Regierender Bürgermeister? Sie haben angekündigt, Sie seien flexibel.

[Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit: Ja!]

Müssen Sie nicht noch einmal in Koalitionsverhandlungen wenigstens mit der eigenen Partei eintreten, damit der Senat endlich arbeitsfähig wird?

[Heiterkeit von Andreas Otto (GRÜNE)]

Von unseren fast hundert Vorschlägen – einige gemeinsam mit den Grünen – wurden in den Haushaltsberatungen gerade mal anderthalb angenommen.

[Zuruf von der CDU Das spricht nicht für die Vorschläge!]

SPD und CDU haben Debatten weggestimmt und Entscheidungen durchgezockt. Und der Herr Schneider hat

Spaß gehabt. Während Sie, Herr Saleh, Wohltaten versprechen, hat der Kollege Schneider völlig schmerzfrei – und oft auch sinnfrei – entgegen der Positionierung wahlweise seines Fraktionsvorsitzenden oder seines Senats – das Gegenteil gemacht – mit zwei Konstanten: die Anträge der Opposition ablehnen und auf mittelenglische Umgangsformen verzichten.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Ihre Umgangsformen lassen nicht nur bei Haushaltsberatungen zu wünschen übrig, Sie demonstrieren auch sonst, dass Sie an einer Debatte und an einem Austausch mit der Opposition in diesem Haus nicht interessiert sind. Ausschussarbeit wird behindert, verschleppt, und was nicht passt, wird ohne ein einziges Argument weggestimmt. So war es übrigens auch im Innenausschuss; der Senat hätte sich äußern können, stattdessen haben wir einen langen Vortrag, aber nichts zur Sache gehört, Herr Graf!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Beim traurigsten Kapitel dieser Haushaltsberatung haben Sie, Herr Schneider, der interessierten Öffentlichkeit gezeigt, wie Sie so gestrickt sind. Wie Sie versucht haben, die nach vielen Jahren getroffene Entscheidung für den Zentralstandort der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ zu torpedieren, was Sie sich da geleistet haben – was für ein unwürdiges, entpolitisiertes und egomanisches Schauspiel!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN – Oliver Friederici (CDU): Na, na, na!]

Wenn Sie sich nur selbst zum Klops machen, soll uns das ja recht sein, aber dass Sie eine der international renommiertesten Kultureinrichtungen der Stadt aus gekränkter Eitelkeit sabotieren, das ist einfach bodenlos!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Das hat völlig zu Recht Wut und Widerstand nicht nur bei den Studenten und prominenten Schauspielern, sondern in der ganzen Stadt ausgelöst. Aber selbst nachdem Ihr Fraktionsvorsitzender schon zurückgerudert ist und öffentlich verkündet hat, dass die Mittel für den Standort Chausseestraße doch zur Verfügung gestellt werden, versuchte Herr Schneider in der Summe noch die Sanierung des BAT unterzujubeln. Das haben wir Ihnen nicht durchgehen lassen, und ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Kolleginnen und Kollegen hier im Hause, die sich in der Sache engagiert haben, aber vor allem bei den Studentinnen und Studenten, bei den Dozentinnen und Dozenten, bei den vielen Unterstützerinnen und Unterstützern für ihren Protest und Widerstand gegen diesen Akt der Kulturlosigkeit und des Wortbruchs bedanken!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Was aber bleibt, ist der Eindruck, dass es bei wichtigen Investitionen in der Koalition zugeht wie auf dem Pfer

demarkt – vielleicht nicht ganz so seriös. Jetzt ist der Kollege Nußbaum nicht so grobschlächtig und verfügt über gänzlich andere Umgangsformen als der Kollege Schneider. Aber auch wenn man geschickter und feinsinniger trickst, bleibt der Fakt: getrickst ist getrickst.

Und, Herr Kollege Nußbaum! Unsere haushaltspolitische Sprecherin Manuela Schmidt und der Kollege Jochen Esser von den Grünen haben Sie dabei erwischt. Sie haben Mehreinnahmen vom Bund so verbucht, dass es aussah, als würde Berlin weniger ausgeben. Millionenbeträge sollten so vor dem Haushaltsgesetzgeber versteckt werden. Das haben wir aufgedeckt, die Koalition musste sich korrigieren – sie hat es ja nicht freiwillig gemacht, Herr Graf. SPD und CDU mussten einen Haushalt aufstellen, der wenigstens den Anspruch erhebt, verfassungsgemäß zu sein.

Aber es ist ja auch geradezu befreiend für die seriöse haushaltspolitische Diskussion, dass sich damit auch das Märchen von der 0,3 Prozent Ausgabenlinie des Finanzsenators erledigt hat. Die haben Sie ja vor sich hergetragen wie eine Monstranz. Noch im Januar bei seiner Regierungserklärung hatte Klaus Wowereit damit angegeben, ich zitiere:

Unser Ziel ist ein Haushalt ohne Neuverschuldung spätestens im Jahr 2016.

[Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit: Ja, und?]

Deshalb bleibt es dabei, dass der Landeshaushalt pro Jahr maximal um 0,3 Prozent wachsen wird.

[Senator Dr. Ulrich Nußbaum: Tut er ja auch!]

Wir sind damit in punkto finanzieller Solidität weiter Vorbild unter den Bundesländern.

Da wurde eine mittelfristige Finanzplanung, die die volkswirtschaftlich und politisch unsinnige Schuldenbremse als einfaches Rechenmodell für Berlin abbildet, zum haushaltspolitischen Dogma erhoben. Für uns macht es keinen Sinn, eine Prozentzahl in die Welt zu posaunen und dann mit allen möglichen Tricks und Kniffen zu versuchen, diese Zahl einzuhalten. Aber Ihnen waren immer noch ehrgeizigere Konsolidierungsziele wichtiger. Das ist nicht mehr als schöngerechneter Symbolismus!

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Uns geht es darum, die Mittel zur Verfügung zu stellen, die für die Stadt wichtig sind und die Entwicklung Berlins voranbringen. Es geht darum, was sich die Stadt leisten muss, um auch in Zukunft eine soziale Metropole für alle Berlinerinnen und Berliner sein zu können. Das heißt eben nicht, dass wir das Geld mit vollen Händen rausschmeißen, sondern das heißt, dass wir weiter ganz genau schauen, wo wir Geld ausgeben müssen und wo wir Geld ausgeben wollen – es geht um vernünftige Schwerpunktsetzung.

Genau aus diesem Grund haben wir uns zu keiner Zeit einfach hingestellt und unbezahlbare Wünsche geäußert. Wir setzen auf verantwortungsvolle Haushaltspolitik, das haben wir in den vergangenen Jahren unter Beweis gestellt, und die macht auch unsere Forderungen in der Opposition aus. Mit uns gibt es einen Haushalt ohne Neuverschuldung nicht so früh wie möglich, wenn der Preis dafür der Verfall der sozialen Infrastruktur, die soziale Verdrängung ist, sondern dann, wenn die Bedingungen in der Stadt dafür stimmen. Bei SPD und CDU stimmen die Bedingungen nicht, von Weitblick ist bei Ihren Haushaltsentscheidungen nichts zu sehen.

Selbst der verkündete Erfolg der Senkung der Nettoneuverschuldung ist einfach nur der Steuerschätzung geschuldet – also auch kein Ergebnis Ihrer Politik.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Beifall von Stefanie Remlinger (GRÜNE)]

Na gut, das nehmen wir trotzdem auch gerne mit, aber was tun Sie selbst? – Sie haben die Grunderwerbsteuer erhöht – die Gelegenheit, jene in die Pflicht zu nehmen, die bei großen Immobiliendeals diese Steuer umgehen, haben Sie nicht genutzt.

[Beifall bei der LINKEN]

Unser Vorschlag, die sogenannten Share-Deals künftig nicht von der Grunderwerbsteuer auszunehmen, haben SPD und CDU abgelehnt. Ein klares Bekenntnis zur Vermögenssteuer im Bundesrat – von Rot-Schwarz abgelehnt.

Womit wir bei dem wären, was Sie auf dem bundespolitischen Parkett versäumen. Wann, meine Damen und Herren von SPD und CDU, wollen Sie endlich zum geplanten Fiskalpakt Stellung beziehen wenn nicht während der Haushaltsberatungen hier im Land? Sie tun so, als ginge Sie und uns alle der Fiskalpakt nichts an. Vielleicht wissen Sie es ja nicht besser, vielleicht ist Ihnen das Thema auch zu schwierig, aber ich sage Ihnen, so geht das nicht! Der Fiskalpakt ist nicht nur das Disziplinierungsinstrument gegenüber anderen europäischen – besonders südeuropäischen – Staaten, nein, der Fiskalpakt ist die um mindestens sechs Jahre vorgezogene und wesentlich verschärfte Schuldenbremse. Wenn der Bund seine Verschuldungsquote von 0,35 Prozent in Anspruch nimmt – und das tut er ja –, dann bleiben für Länder und Kommunen zusammen noch 0,15 Prozent Verschuldungsquote. Dabei geht es vermutlich nicht nur um den direkten Haushalt, es ist durchaus möglich, dass Schulden der landeseigenen Gesellschaften wie BVG, Wohnungsbaugesellschaften oder Flughafengesellschaften auf die Landequote angerechnet werden. Das ist vollkommen absurd! Sie werden mir da vielleicht sogar zustimmen, denn diesen Schulden stehen ja auch Werte wie Wohnungen oder ein Flughafen, wenn er denn mal fertig ist, gegenüber. Das ist vollkommen absurd, und u. a. deshalb ist auch der Fiskalpakt vollkommen absurd.

Günstigerweise bin ich in einer Partei, die den Fiskalpakt umfassend ablehnt. Die, die sich hier im Saal bei Ihrer Partei noch nicht ganz sicher sind, fordere ich auf: Setzen Sie sich dafür ein, dass dieser Fiskalpakt zu Fall kommt! Der Kuhhandel mit der Finanztransaktionssteuer hilft da nicht weiter. Die muss ohnehin kommen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Noch mal: Die Schuldenbremse, die nationale wie die europäische, wirkt prozyklisch, nicht antizyklisch. Das heißt, sie wirkt in Krisenzeiten krisenverschärfend. Es ist zum Verzweifeln. Warum müssen wir Sozialisten die Sozialdemokraten immer wieder an Keynes erinnern? Tun Sie sich selbst einen Gefallen, setzen Sie sich für eine Linie ein, die den Ländern und Kommunen und den Staaten in Europa auch künftig wenigstens noch die Luft für antizyklische Konjunkturpolitik, die Luft zum Atmen lässt!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]