Protocol of the Session on June 14, 2012

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Zuruf von der SPD: Sie gefährden den Termin!]

Jede Verzögerung kostet Geld. Jetzt schon schießen die Kosten in die Höhe, und auch hier ist der Regierende Bürgermeister bislang nicht willens oder nicht in der Lage, konkrete Zahlen zur finanziellen Schieflage der Flughafengesellschaft zu liefern. Im Hauptausschuss hieß es, man sei an der Kante. Laut der „Süddeutschen Zeitung“ heißt das nichts anderes als kurz vor der Pleite. Trifft es zu, dass aufgrund der ständigen Umplanungen und Umbauten am Flughafen der Finanzierungsrahmen mehr als überdehnt wurde, dass sich nahezu jede Vergabesumme mehr als verdoppelt hat, wie es das „Handelsblatt“ kürzlich schrieb? Wann war Ihnen, Herr Wowereit, eigentlich klar, dass Sie nicht im gleichen Kosten- und Zeitplan, wie ursprünglich geplant, einen fast doppelt so großen Flughafen bauen können? Nächste Woche tagt der Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft. Wir erwarten, dass spätestens dort konkrete Zahlen auf dem Tisch liegen. Wie weit ist der Kreditrahmen ausgeschöpft und das Eigenkapital aufgezehrt? Die zentrale Frage lautet inzwischen: Wie viel Geld wird noch für die Fertigstellung des Flughafens benötigt, und kann die Flughafengesellschaft

das noch aufbringen? Wenn nein, in welcher Höhe wird frisches Geld gebraucht? Wie kommt das zum Flughafen? – Wohl über einen Nachtragshaushalt, nehme ich an. Jenseits aller anderen Kostenfragen, wie Schadenersatzforderungen – da kann ich verstehen, dass Sie die noch nicht beziffern können –, muss diese zentrale Frage allerdings spätestens nächste Woche nach der Aufsichtsratssitzung geklärt sein.

Nichtsdestotrotz, meine Damen und Herren von der Koalition, werden Sie heute hier einen Haushalt beschließen, der bereits Makulatur ist, denn er bildet das größte Risiko, nämlich die finanzielle Schieflage des Flughafens und die daraus entstehenden Folgekosten, nicht ab.

[Beifall bei den GRÜNEN – Torsten Schneider (SPD): Wo ist denn Ihr Änderungsantrag?]

Herr Schneider! Bin ich Aufsichtsratsmitglied und kenne die Zahlen?

[Torsten Schneider (SPD): Sie wissen doch alles besser!]

Kaum eines Ihrer Wahlversprechen hat den Wahltag überlebt. Nirgends ist das so sichtbar wie in der Infrastruktur. Was bringt die selbsternannte Koalition der Infrastruktur eigentlich zuwege? Wenn man in den Haushalt schaut, sieht man, dass Sie eine historisch niedrige Investitionssumme bereitstellen. So wenig Geld für Infrastruktur war noch nie!

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Das ist eigentlich nichts zum Klatschen, sondern eher zum Heulen. – Dazu stellen Sie noch eine pauschale Minderausgabe von 60 Millionen Euro auf diese Mittel ein – mit der Begründung, Investitionsmittel würden zum Jahresende regelmäßig liegen bleiben. Das stimmt tatsächlich, aber man könnte sich überlegen, was man mit dem Geld anfangen könnte. Wir schlagen seit Jahren vor, damit das Klimastadtwerk aufzubauen und mit diesen Mitteln die energetische Sanierung voranzutreiben. Die ganze Republik diskutiert über die Energiewende; nur die Berliner Koalition schläft den Schlaf der Untätigen. Das ist wahrlich nichts, worauf man stolz sein kann.

[Beifall bei den GRÜNEN – Torsten Schneider (SPD): Wir sanieren die Schulen!]

Zu dieser sensationell geringen Investitionssumme kommt, dass Sie alle Entscheidungen im Infrastrukturbereich vertagt haben, wie die „Berliner Zeitung“ schon vor einigen Wochen titelte: „Planen Sie jetzt, zahlen Sie später!“ – Sie haben viel versprochen und dafür kein Geld eingeplant.

Fangen wir mit dem Lieblingsprojekt des Regierenden Bürgermeisters an, mit der Wowereit-Gedenkbibliothek in Tempelhof. Es wurden niemals andere Standorte geprüft, wie zum Beispiel der Ausbau der Amerika

Gedenkbibliothek, sondern gleich die Gesamtkosten des Neubaus der ZLB auf 270 Millionen Euro festgelegt. Davon sind jedoch über 240 Millionen Euro erst ab 2016 eingeplant. Angeschoben ist nicht aufgehoben, mag sich der Regierende denken. Vielleicht ist die Koalition gar der Ansicht, dass er in den kommenden Jahren schon genug mit dem Flughafen zu tun hat und ihn ein weiteres Chefprojekt überfordern würde.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Ebenfalls täglich bzw. bei jeder Haushaltsberatung grüßt das Murmeltier namens ICC. Auch dort wurden im Lauf der Jahre etliche Millionen für immer neue Gutachten ausgegeben, mit der Folge, dass bis heute nichts passiert ist. Wie sollen allein diese beiden Riesenvorhaben zusätzlich zum Mehrbedarf für den Flughafen finanziert werden? – Fehlanzeige, Herr Saleh!

Hinzu kommen die explodierenden Kosten bei der Staatsoper, die bange Frage, ob der Bau der U-Bahnlinie 5 im Kostenrahmen bleibt, die geplante Sanierung der Komischen Oper und des Olympiaparks und der im Koalitionsvertrag angekündigte Bau der Tangentialverbindung Ost. Das ist alles geplant, und für alles ist kein Geld im Haushalt. Das ist Ihre Wahrheit.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Udo Wolf (LINKE)]

Da mutet der Streit um die 2 Millionen Euro für die Ernst-Busch-Schule nahezu schon grotesk an. Zu Recht fragen sich die Studenten, ob man den Worten des SPDFraktionsvorsitzenden trauen kann oder die ganze Debatte wieder von vorn losgeht mit Standortsuchen und Standortprüfungen. Letzteres scheint mit Blick auf den Haushalt der Fall zu sein. Dieses Versprechen ist wohl genauso eine Mogelpackung wie die Ausgabelinie des Finanzsenators und wird genauso auffliegen.

Einige Klassiker wie der Steglitzer Kreisel oder das Klinikum Benjamin-Franklin tauchen gar nicht mehr auf. Aber sie sind da. Sie verschwinden nicht, nur weil Sie die Augen vor den Problemen verschließen.

Die meisten Probleme finden sich im Ressort, nicht nur in der Partei von Herrn Müller. Ich fange mit der S-Bahn an, wo wie seit Jahren eine Lösung anmahnen. Hier ist der Senat durch die eigene Fraktion bzw. Partei blockiert. „Niemals eine Teilausschreibung! Das Land Berlin muss die S-Bahn selber machen!“ lautet die Parole des neuen SPD-Landesvorsitzenden, und das fordert die Fraktion schon lange. Dass die SPD ihre Machtkämpfe nun auf dem Rücken der S-Bahnfahrgäste austrägt, finde ich unerträglich.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Udo Wolf (LINKE) und Andreas Baum (PIRATEN)]

Wenn Herr Müller schon nicht mehr in der Lage ist, die S-Bahnfrage zu entscheiden, fragt man sich, wo der Re

gierende mit der Richtlinienkompetenz bleibt. Oder wollen Sie sich daran auch nicht mehr die Finger verbrennen, Herr Wowereit? Haben Sie Sorge, dass Ihnen die eigenen Leute in den Rücken fallen, und lassen es lieber Herrn Müller machen? Das kennen wir von Ihnen. Sie können doch nicht die ganze Stadt zu Geiseln Ihrer innerparteilichen Querelen machen. Ab 2017 wird man sehen, was Sie heute zustande bringen. Die Sorge ist, dass ab 2017 nichts mehr fährt. Das mag Sie dann aus bekannten Gründen nicht mehr sorgen, Herr Wowereit, aber die Stadt wird die Folgen Ihrer Politik erleiden müssen.

Auch in der Wohnungspolitik steht sich der Senat selbst im Weg. Zwar wird das Problem der steigenden Mieten von Herrn Müller wahrgenommen, aber keineswegs angepackt. Herr Saleh hat sich schon gar nicht mehr getraut, von den 14 Grundstücken für die Wohnungsbaugesellschaften etwas zu sagen. Man fragt sich, warum es nicht 8, 35 oder 37,5 waren. Das war reine Symbolpolitik und nichts anderes. Sonst haben Sie für die Mieter und Mieterinnen nichts zu bieten.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Wo sind Sie bezüglich der GSW-Mieter? Wo bleibt Ihr Vertragsverletzungsverfahren? Wo ist die Zweckentfremdungsverbotsverordnung? Was tun die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, außer in einzelnen Härtefällen Rücksicht zu nehmen? Wieso lehnen Sie unser Sondervermögen Wohnungspolitik ab? Was haben Sie dafür als Ersatz in petto? – Gar nichts! 100 Millionen Euro sind gar nicht viel, wenn man sich andere deutsche Großstädte anschaut. Normal sind Ausgaben für Wohnungspolitik in Höhe von 80 bis 100 Euro pro Einwohner von Hamburg über Frankfurt bis München. Das ergäbe für Berlin rund 300 Millionen Euro. Das Geld haben wir nicht. Aber lassen Sie uns mit 100 Millionen Euro anfangen! Wenn dann die alte Wohnungsbauförderung ausläuft, können wir das umschichten. Aber auch dazu haben Sie kein Angebot und lehnen unsere Vorschläge einfach nur ab. – Unglaublich, die Senatoren lachen sich scheckig.

[Martin Delius (PIRATEN): Über die Wunder der Technik!]

Es freut mich für Sie, wenn Sie etwas zu lachen haben: Wie schön, ein I-Pad!

[Senator Dr. Ulrich Nußbaum: Wir suchen den Fischmarkt!]

Es ist schön, wenn man sich an technischen Neuerungen so freuen kann.

Sie von der Koalition lassen auch das Personal des Landes Berlin im Stich. Während Sie im Wahlkampf noch vollmundig eine Annäherung an den Bundesdurchschnitt bei der Besoldung der Beamten bis 2017 in Aussicht gestellt haben, ist davon in Ihrer Finanzplanung nichts mehr zu finden. Hier ist Gleichbehandlung mit den Tarifbeschäftigten offensichtlich nur negativ zu verstehen,

weil Sie das Positive nicht mitnehmen. Sie gerieren sich mit den zusätzlichen 50 Millionen Euro, die Sie heute einbringen, als Retter der Bezirke. Was sind Sie aber für ein Retter, wenn Sie gleichzeitig den Bezirken einen brutalen Personalabbau auferlegen? Wir fordern Sie dringend auf, wenigstens Ihrem eigenen Koalitionsvertrag an dieser Stelle zu folgen,

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

denn der rot-rote Haushaltsentwurf sah nämlich eine zweiprozentige Personalkürzung in den Hauptverwaltungen und den Bezirken vor. Das haben Sie, meine Damen und Herren von SPD und CDU, tatsächlich korrigiert. Diesen heftigen Hieb haben Sie auf 1,3 Prozent abgesenkt – für Haupt- und Bezirksverwaltungen gleichermaßen. Doch jetzt kommen Sie und lassen diese Verbesserung allein für die Hauptverwaltung gelten, den Bezirken laden Sie die vollen 2 Prozent mit dem massiven Personalabbau auf. Das ist eine echte Ungleichbehandlung, und damit müssen Sie aufhören.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Es kann nicht sein – und wir können es heute wieder in der Zeitung lesen –, dass in den Bezirken, wo die Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger erbracht werden, die Schlangen immer länger werden und die Öffnungszeiten immer kürzer, weil inzwischen dramatischer Personalmangel herrscht. Zudem wird durch die demografische Entwicklung die Personalsituation dort auch nicht besser. Wir wenden uns als Fraktion strikt dagegen, dass die Bezirke wieder einmal die Hauptlast des Personalabbaus treffen soll. Überdenken Sie Ihre Haltung, denken Sie an den eigenen Koalitionsvertrag, und folgen Sie unserem Antrag, in den nächsten beiden Jahren 70 Millionen Euro mehr für die Bezirke bereitzustellen!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Auch das Versprechen auf niedrigere Wasserpreise sehen wir noch nicht eingelöst – dabei haben über 600 000 Berlinerinnen und Berliner dafür gestimmt. Wird der Rückkauf der Anteile an den Wasserbetrieben dauerhaft die Wasserpreise senken? Werden Sie als alleiniger Eigentümer der Wasserbetriebe den Rechtsstreit mit dem Bundeskartellamt beenden und die Preissenkung akzeptieren, Herr Nußbaum? Es kann ja nicht sein, dass die Berlinerinnen und Berliner die Teilprivatisierung teuer bezahlt haben und nun den Rückkauf über die Wasserpreise wieder teuer bezahlen werden. So wird es nicht gehen!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Es erstaunt mich schon, dass die CDU jetzt offensichtlich doch eingeknickt ist, wenn ich den Antrag, der gerade auf den Tisch geflattert ist, richtig lese, dass Sie jetzt, auf

dem letzten Drücker, das Haushaltsgesetz ändern wollen, die 700 Millionen Euro Bürgschaft in das Haushaltsgesetz hineinschreiben.

[Torsten Schneider (SPD): Schon mal Ihre Anträge gelesen?]

Und da ist ja keine Sperre drauf, weil man Bürgschaften gar nicht sperren kann. Herr Saleh! Sie haben einfach das Geld bewilligt, ohne zu wissen, was dahinter steckt. Das ist nicht der richtige Weg an dieser Stelle. Mit Vorlage des Kaufvertrags hätte man das alles machen können, mit dem Nachtragshaushalt, den Sie ohnehin für den Flughafen machen müssen. Vor allem geht es offensichtlich um beide Anteile – von RWE und von Veolia. Sie decken aber heute hier mit dem Antrag nur einen Teil ab. Das ist tatsächlich stümperhaft. Lassen Sie uns das doch alles nach der Sommerpause zusammen diskutieren: mit dem Kaufvertrag, mit den Bürgschaften für beide Anteile, die notwendig sind, mit der Frage, was mit den Wasserpreisen passiert. Versuchen Sie nicht, es heute unauffällig irgendwie durchgehen zu lassen!

[Torsten Schneider (SPD): Das ist Ihr Part!]

Sie verabschieden heute einen Haushalt, der ein Verschiebebahnhof ungelöster Probleme ist: die Flughafenkosten, die noch ungeklärt sind, die Investitionsschwerpunkte, die Sie nicht setzen, die Finanzierung des Rückkaufs der Wasserbetriebe – heute nur in Teilen auf den Tisch gekommen –, die ungelöste S-Bahnfrage, in der Mietenpolitik alles aufgeschoben, Gas- und Energienetze und und und. Das alles kommt irgendwann. Man fragt sich, wozu Sie überhaupt heute einen Haushalt aufstellen, wenn all die zentralen Fragen nicht vorkommen.

Man fragt sich, wie diese Regierung all diese Probleme anpacken will, wenn schon am Anfang der Legislaturperiode der Schwung und der Wille fehlen, mit einer von Machtkämpfen zerfressenen Regierungspartei und einem Regierenden Bürgermeister, der von seinen eigenen Leute am letzten Wochenende zu einer „lame duck“ gemacht worden ist.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Diese Stadt hat mehr verdient als das letzte Gefecht. Machen Sie sich an die Arbeit!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]