Protocol of the Session on March 8, 2012

Die Berliner CDU macht sowieso alles mit. Sie opfert momentan fast alle ihre Positionen nur fürs Dabeisein. Mir soll es recht sein, wenn die Berliner CDU jetzt für Deeskalation ist, für interkulturelle Öffnung der Polizei, wenn sie für Mindestlohn ist, wenn sie die rot-rote Schulreform und den Ethikunterricht nicht rückabwickeln will.

[Torsten Schneider (SPD): Dann brauche wir Sie ja nicht mehr!]

Ich beschwere mich sicher nicht, Herr Schneider, wenn die SPD hilft, das gesamte Berliner Parteienspektrum nach links zu verschieben.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Ich muss aber zugeben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich traue der Sache noch nicht so ganz, und das hat Gründe, Herr Saleh. Zum Beispiel gibt es bis heute keine Reaktion von Ihnen auf unseren Brief zum Wahlalter 16. Grüne, Piraten und wir haben ihn schon im Januar geschrieben. Wir hätten zusammen das Wahlalter 16 beschließen können so wie die Brandenburger. Und so wie die Brandenburger können wir zusammen einen Antrag gegen den Flughafenknast in Schönefeld verabschieden. Die SPD spielt nicht mit. Stattdessen erleben wir immer öfter, wie flegelhaft großkoalitionär sich SPD und CDU zum Teil in Ausschüssen verhalten.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ob es um die Sitzordnung im Hauptausschuss geht, um kritische Fragen auf der Tagesordnung oder darum, den Sonderausschuss „Wasserverträge“ ordentlich auszustatten, jedes noch so kleine Anliegen der Opposition wird einfach von Ihnen weggestimmt.

[Torsten Schneider (SPD): Das ist Demokratie!]

Dass Sie im Parlament eine satte Mehrheit haben, ist uns allen bekannt. Dass Sie diese Mehrheit in den parlamentarischen Abläufen so kleinlich einsetzen, um der Opposition die Arbeit zu erschweren, ist kein Ausdruck von großer Souveränität.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Und wenn dann auch noch die inhaltliche Substanz fehlt, ist von so einer Regierungsmehrheit wirklich nicht viel zu erwarten.

[Zurufe von Torsten Schneider (SPD) und Dr. Manuel Heide (CDU)]

Vor ein paar Tagen fand hier im Haus eine große Mietenveranstaltung statt, und ja, Herr Graf, wir lassen uns auch immer wieder in Haftung nehmen für das, was wir in der Regierungszeit nicht umsetzen konnten. Aber wir haben spätestens seit 2008 erkannt, dass sich der Wohnungsmarkt in der Stadt gravierend verändert, dass die Mieten explodieren und die Verdrängung zunimmt. Ingeborg Junge-Reyer und Klaus Wowereit wollten das nicht wahrhaben bzw. fanden das nicht so schlimm.

[Zuruf von Ramona Pop (GRÜNE)]

Von Senator Müller – viel Spaß in Cannes! – weiß ich, dass er das schon etwas länger etwas anders als seine Vorgängerin sieht und er gerne was ändern möchte. Aber was sind seine Ankündigungen wert? – Bis heute gibt es keinen Plan, wie die städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Größenordnungen neu bauen können und wie sie die Wohnungen zu bezahlbaren Mieten anbieten können. Das kostet Geld. Was macht Herr Nußbaum? Und wo sollen kostengünstige Grundstücke herkommen, wenn der Liegenschaftsfonds den bestmöglichen Preis erzielen muss?

[Zuruf von Dr. Manuel Heide (CDU)]

Frau Pop hat es schon angesprochen: Wo ist der Gesetzentwurf, der die Änderung der Liegenschaftspolitik möglich macht? Was macht Nußbaum? Und, liebe SPDKolleginnen und -Kollegen, was sollen wir davon halten, dass der Regierende Bürgermeister weiterhin verkündet, es werde sich nicht verhindern lassen, dass die Mieten steigen, Zwangsumzüge seien auch nicht zu verhindern, es sei ja auch nicht so schlimm, und man möge nicht so tun, als ob es sich bei den Randgebieten um Sibirien handele. Hallo? – Lieber Klaus Wowereit! Es geht nicht darum, ob es gut oder schlecht ist, in einem Bezirk am Stadtrand zu wohnen. Es geht darum, dass jemand von seinem gewohnten Wohnumfeld vertrieben werden soll, weil man die Miete nicht mehr zahlen kann oder man Hartz IV oder Grundsicherung im Alter bekommt und von Zwangsumzug bedroht ist und keine andere Wohnung findet, weil es die in Berlin nicht mehr gibt. Es geht darum, dass 30 000 Wohnungen, von denen noch niemand weiß, wer sie bauen soll, wie teuer sie werden und was die Mieten kosten sollen, noch kein wohnungspolitisches Konzept darstellen.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Und, Herr Wowereit, es wäre wohnungs- und sozialpolitisch das Mindeste gewesen, wenigstens endlich das von Carola Bluhm noch erarbeitete Modell zur Anpassung der Kosten der Unterkunft endlich umzusetzen. Das bietet die reale Chance, wenigstens Zwangsumzüge zu verhindern.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Das Nichtstun oder dem Vorschlag von Herrn Nußbaum von damals zu folgen, kostet Berlin letztendlich mehr. Keine angemessene Anhebung der Richtwerte für die Kosten der Unterkunft führt zu mehr Zwangsumzügen, treibt den Mietspiegel und die Mietpreise nach oben – aber entschieden haben Sie nichts.

Ebenso wird nichts entschieden, was die S-Bahn betrifft. Man lässt entscheiden. Da werden bei der SPD – zum wievielten Mal eigentlich, Herr Saleh? – die Varianten zur S-Bahn geprüft. Ja, wie lange denn noch?

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Warum setzen Sie sich nicht durch? Wenn Sie – anders als der Senat – keine Teilprivatisierung der S-Bahn wollen, bestehen Sie darauf, dass umgehend neue Waggons bestellt werden, dass ein kommunales Unternehmen gegründet wird und die Leistungen direkt vergeben werden. Aber Klaus Wowereit und Frank Henkel haben sich schon längst entschieden, und Ihre Arbeitskreise sind nichts als Folklore!

[Beifall bei der LINKEN]

Anders lässt sich diese Scherznummer nicht interpretieren: Der Regierende trifft sich ein oder zwei Tage vor der Regierungserklärung mit Herrn Grube, der sagt, dass er die S-Bahn nicht hergeben möchte, Klaus Wowereit tut, als hätte er vorher nichts davon gewusst, und sagt in seiner Regierungserklärung: Jetzt ist die Teilausschreibung alternativlos. Nein, Herr Saleh, die Teilausschreibung ist nicht alternativlos! Die Inhousevergabe an ein kommunales Unternehmen ist möglich, und dafür werden wir auch weiter kämpfen!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Das Thema Rekommunalisierung hat in der neuen Regierung offensichtlich keine große Lobby mehr. Dann müssen halt wieder die Bürgerinnen und Bürger ran. Seit Dienstag läuft das Volksbegehren für ein kommunales Stadtwerk und die Übernahme der Energienetze von der öffentlichen Hand. Da wird ein Weg aufgezeigt, wie Berlin die Energiewende schaffen kann, wie wir zu einer ökologischen und dezentralen Energiepolitik kommen. Alle in der Stadt wissen, dass die Konzessionsverträge für Strom, Gas und Fernwärme 2013 bzw. 2014 auslaufen. Alle wissen, dass schon im April erste Weichenstellungen nötig sind – Sie prüfen, prüfen, prüfen, und Sie entscheiden nichts! Wir sagen Ihnen: Wenn Sie selbst nichts zustande bringen, übernehmen Sie einfach die Gesetzesinitiative des Energietischs!

[Beifall bei der LINKEN]

Meine Damen und Herren! Lieber Raed Saleh! Hier ist der nächste Versuch, Ihren Vorschlag aufzugreifen, gemeinsame Initiativen aus der Mitte des Parlaments zu starten. Sie haben – richtigerweise, wie wir finden – den Mindestlohn auch für öffentlich geförderte Beschäftigung

gefordert. Wenn ich die Piraten im Wahlkampf richtig verstanden haben, sehen sie den Mindestlohn zwar nur als Brückentechnologie, aber als solche auch für eine unterstützenswerte Sache an. Lassen Sie uns an einem gemeinsamen Antrag arbeiten, wenn Frau Kolat und der Senat nicht von alleine bereit sind, den Mindestlohn auch für öffentlich geförderte Beschäftigung durchzusetzen – wir helfen gerne!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Aber, lieber Kollege Saleh, bitte geben Sie uns bald Antwort; nicht wie bei dem Wahlalter 16 einfach abtauchen!

Von dem Regierenden Bürgermeister war seit der Berlinale-Eröffnung kaum etwas zu sehen oder zu hören. Kann es sein, lieber Klaus Wowereit, dass Sie seit Ihrer Reise in den Vatikan und Ihren Gesprächen mit Kardinal Woelki ein bisschen so drauf sind: Der liebe Gott wird es schon richten. –?

[Heiterkeit – Benedikt Lux (GRÜNE): Zu viel Weihrauch!]

Wie es aussieht, ist der Kollege Henkel der Einzige im Senat, der noch überraschen kann. Die außerparlamentarische Opposition von der FDP sieht Sie ja schon fast zum Sozialismus überlaufen. Sie freuen sich über 50 zusätzliche Polizisten, und jetzt setzen Sie sogar die Kennzeichnungspflicht um, die Sie vorher so lautstark bekämpft haben. Schön! Dass Sie daraus allerdings ein bürokratisches Monster machen mussten, mit dreifach rotierenden Namen oder Nummern, das ist wohl dem Umstand geschuldet, dass Sie endlich mal etwas Eigenes haben wollten.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Es hilft zwar in der Sache nichts, aber ein bisschen rührend ist es schon.

Berlin braucht eine Regierung, die entscheidet und die Weichen für die Zukunft stellt, die dem sozialen Zusammenhalt verpflichtet ist. Da haben schon Koalitionsvertrag und Regierungserklärung nichts Gutes ahnen lassen.

[Zuruf von Torsten Schneider (SPD)]

Nach 100 Tagen kann man feststellen: Rot-Schwarz verspricht wenig, prüft viel und handelt überhaupt nicht. Diese neue Regierung hat als gemeinsames strategisches Projekt nur ein kleines Stück teure und sinnlose Autobahn, von dem immer noch unklar ist, ob es überhaupt gebaut wird. Sie haben weder eine Idee noch einen Plan. Sie machen Regieren um des Regierens willen. Das ist zu wenig, das hat die Stadt nicht verdient!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der Piraten hat zunächst der Abgeordnete Reinhardt das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen uns schon noch ein bisschen wundern in diesem Haus. Eigentlich sollte das Thema der Aktuellen Stunde doch ein aktuelles Thema sein. Stattdessen gibt es Rundumschläge und maritime Metaphern. Davon haben wir Piraten sowieso schon genug, das muss jetzt nicht auch noch sein!

[Beifall bei den PIRATEN]

Was ist aktuell? – Aktuell ist der Bereich der Integrationspolitik aufgrund des Rücktritts des Integrationsbeauftragten Günter Piening. Das ist etwas, was man wirklich zum Thema machen sollte, und darum soll es nun auch erst einmal gehen.

[Torsten Schneider (SPD): Sie haben das Thema selbst beantragt, das wissen Sie noch, ja?]

100 Tage rot-schwarze Integrationspolitik – manchmal macht es auch den Eindruck, als sei es eine schwarz-rote Integrationspolitik. Durch den schwammigen Koalitionsvertrag gibt es verschiedene Interpretationen, in welche Richtung die Integrationspolitik gehen sollte. Von dem Kollegen Dregger von der CDU hört man z. B., die Integrationspolitik Pienings mache den Menschen Angst. Diese Integrationspolitik, diese Angst ist eine Angst vor Veränderung, Herr Dregger. Das ist eine Sicht auf die Gesellschaft, die die Gesellschaft als starr und konstant ansieht. So ist die Gesellschaft aber nicht. Sie befindet sich in einem stetigen Fluss und muss sich selbst stets verändern und stets selbst hinterfragen.

Besser finde ich da schon, was Herr Wowereit in seinem Buch über die Integrationspolitik – gerade aktuell erschienen! – schreibt. Integration wird dort als Querschnittsaufgabe definiert – bis zu diesem Punkt ein Konsens mit unserer Partei. Wir sehen Integrationspolitik als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das schließt einen Abbau von Diskriminierungen ein, das schließt ein Mehr an Teilhabe für alle Gruppen ein, vor allem die, die von Teilhabe bislang zu sehr ausgeschlossen waren, z. B. Gruppen wie unter 18-Jährige oder in Berlin lebende Nicht-EU-Ausländer. Aber wie soll man das umsetzen? Wie soll die Umsetzungsfähigkeit von Integrationspolitik geschaffen werden? – Dafür brauchen wir eine Stelle, die das auch schafft, eine Stelle, die das konkret umsetzen kann, die kritisch hinterfragt und auch mal den Finger in die Wunde legen kann. Dafür brauchen wir einen starken Integrationsbeauftragten mit ausreichenden Ressourcen und ausreichender Unabhängigkeit.

Daraus kann nun nicht folgen, wie z. B. Kollegin Ülker Radziwill von der SPD es gefordert hat, den Integrati

onsbeauftragten gleich ganz abzuschaffen. Konsequent wäre es fast, denn Frau Kolat hat es ja schon geschafft, den Integrationsbeauftragten auf eine Stelle eines Abteilungsleiters zu degradieren, der einem Staatssekretär zu berichten hat. Das ist nun wirklich eine Position, aus der heraus er, eng in das Korsett des Senats eingebunden, diesen überhaupt nicht mehr kritisch hinterfragen kann. Das ist eine aktuelle Frage, die wir uns stellen müssen. Dafür brauchen wir jetzt einen Integrationsbeauftragten, der eine umfassende Stellung bekommt, der es schafft, auf alle Senate einzuwirken. In diesem Fall gibt es dazu noch ein aktuelles Beispiel: Letzte Woche wurde darüber berichtet, dass das Integrationsbüro der Polizei umgegliedert, abgeschafft und beim LKA angesiedelt wird. Das kann man richtig oder falsch finden, aber auch in diesem Fall wäre es sinnvoll, wenn ein Integrationsbeauftragter konsultiert würde, Erfahrungen aus anderen Senatsverwaltungen einbringen, beratend zur Seite stehen und dort dieser Querschnittsaufgabe nachkommen könnte.