Protocol of the Session on March 8, 2012

Priorität der Piratenfraktion

Tagesordnungspunkt 20

Kein verfassungswidriger Staatstrojaner in Berlin

Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/0197

Auch hier steht den Fraktionen eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Die Piratenfraktion beginnt, und dort ist mir der Kollege Lauer als Redner benannt worden. – Bitte schön, Herr Kollege Lauer!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Stadt Berlin kauft bei der Firma Syborg einen sogenannten Staatstrojaner. Das hat Herr Henkel

[Zuruf]

Herr Krömer ist da, das lassen wir mal gelten – hier im Rahmen einer Großen Anfrage so beantwortet. Diese Software kostet die Stadt Berlin 280 000 Euro, und da sagen wir von der Piratenfraktion: Diese Software darf in Berlin niemals zum Einsatz kommen. Das hat einen ganz einfachen Grund. Herr Morlang hat das auch im Rahmen unserer Großen Anfrage noch mal erläutert. Sie kriegen es nicht hin, mit dieser Software das zu machen, was Sie machen möchten, zum einen technisch und dann aber auch in Vereinbarung mit dem Bundesverfassungsgericht.

Technisch ist es vollkommener Quatsch, eine solche Software einzusetzen, weil sie naturgemäß nur die Systeme überwachen kann, die standardmäßig unterwegs sind, und Sie nicht kalkulieren können, was die Kriminellen, die Sie mit einem solchen Staatstrojaner überwachen wollen, da möglicherweise alles einsetzen. Sie kriegen die Software so auch nicht programmiert.

Dann kam noch das Argument, man müsse Skype abhören, dann könnte man es so machen wie alle anderen Länder dieser Erde auch: Man schickt der Firma einen Brief und bekommt seine Abhörschnittstelle eingerichtet. Aber, und das darf man nicht vergessen, wir sind hier nicht in China oder sonst wo, sondern in Deutschland, wir leben in einem Rechtsstaat und einer Demokratie, und das Bundesverfassungsgericht hat sehr enge Grenzen gesetzt, nach denen man eine solche Software einsetzen darf. Wir haben bereits mehrfach versucht, Ihnen das zu erklären: Wir sind fest davon überzeugt, dass eine solche Software niemals in den Maßgaben, die das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat, einsetzbar wird. Heute und auch in Zukunft nicht, auch, wenn es möglicherweise Firmen gibt, die Sie von etwas anderem überzeugen wollen.

Wir können noch einmal in den Haushalt schauen, was für die TKÜ grundsätzlich ausgegeben wird. Nach den 280 000 Euro, die anscheinend schon bezahlt worden sind, kostet uns das im Jahr 550 000 Euro. Darin sind die normalen TKÜ-Geschichten auch enthalten, da fragen wir momentan ja noch nach, was uns der Staatstrojaner kosten wird. Die CDU wird wahrscheinlich sagen: Sicherheit ist nie umsonst, und wenn nur einer gerettet wird – wir kennen das. Herr Henkel! Sie haben genau zwei Möglichkeiten: Entweder überlegen Sie sich, wie man in Zukunft bei den Berliner Ermittlungsbehörden so vorgeht, dass man im Rahmen der Ermittlungen nicht darauf angewiesen ist, einen solchen Trojaner einzusetzen, oder Sie hören nicht auf die Warnungen, die von uns mehrfach ausgesprochen wurden, und setzen es ein. Dann ist unserer Meinung nach der Skandal vorprogrammiert. Sie setzen diese Software ein, die Software wird entdeckt, es wird dagegen geklagt, und dann haben wir eine Beschädigung der Polizei, die darunter ja immer leidet, weil es heißt: Die Polizei oder die Ermittlungsbehörde hat das gemacht! Wir haben auch eine Beschädigung der Justiz und nicht zuletzt der Politik, die sich hier darüber unterhalten hat und die es an verantwortlicher Stelle anscheinend nicht interessiert, wenn ich mir anschaue, wie die Reihen hier im Moment gefüllt sind. Das ist aber nicht so schlimm.

Der Antrag ist relativ klar: Der Staatstrojaner, der bereits gekauft wurde, wird nicht eingesetzt, und auch in Zukunft werden vom Land Berlin keine Staatstrojaner gekauft. Sie müssen sich an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts halten – viel Spaß dabei, das ist technisch nicht möglich!

Ich bin sehr gespannt, was jetzt passieren wird. Jetzt haben wir die Möglichkeit, etwas daran zu ändern. Wir haben die Möglichkeit, es nicht zu tun. Vielleicht stehen wir in ein paar Jahren hier, und dann kann ich sagen: Wir haben es Ihnen doch gesagt! Oder wir lassen dann einfach das Video noch einmal laufen. – Vielen lieben Dank!

[Beifall bei den PIRATEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank, Herr Kollege Lauer! – Für die SPDFraktion hat nun der Kollege Kohlmeier das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Video hätten wir zumindest schon mal laufen lassen können – das aus der Plenarsitzung im Januar. Wir haben uns inhaltlich mit dem Thema schon einmal befasst, und die wesentlichen Dinge sind damals bereits mitgeteilt worden. Nun liegt ein entsprechender Antrag der Piratenfraktion zu diesem Thema vor, und ich möchte mich gar nicht grundsätzlich dazu einlassen, sondern

lediglich wiederholen, was ich im Januar an gleicher Stelle gesagt und für die Koalition und für die SPD positioniert habe.

Ich habe damals gesagt, ich halte eine Quellen-TKÜ für bedenklich, habe aber Verständnis für die Sicherheitsbehörden, dass diese dieses Instrument nutzen wollen. Weiter habe ich deutlich gemacht, dass ich der Auffassung bin, dass es derzeit keine klare Rechtsgrundlage gibt und die Justiz sich ihre Rechtsgrundlage nicht selbst zurechtbasteln darf. Ich darf noch einmal auf die Koalitionsvereinbarung, dort auf Seite 68, verweisen:

Berlin wird keine landesgesetzliche Befugnis für Onlinedurchsuchungen schaffen.

Warum sage ich Ihnen das? – Weil ich es grundsätzlich nicht noch einmal wiederholen möchte, was wir damals bereits besprochen haben.

Im ersten Teil Ihres Antrags – und darauf möchte ich näher eingehen – fordern Sie, dass die Software der Firma Syborg nicht zum Einsatz kommen soll. Das ist eine einfache und populäre Forderung, die Sie aufstellen – in Ihren Breitengraden höchstwahrscheinlich total umjubelt. Es gab dazu ein Ausschreibungs- und Vergabeverfahren, an dem am Ende eine Vergabeentscheidung stand. Diese wurde bei dem damaligen Innensenator getroffen. Im Vergaberecht gibt es die eindeutige Regelung, dass sich das Land Berlin, wenn wir von der Vergabe abgesehen hätten, schadenersatzpflichtig machen würde. Warum sage ich Ihnen das? – Auch wenn es so nicht im Antrag steht, ist es nicht mehr möglich, die Entscheidung aufzuheben. Sie wollen, dass die Software nicht zum Einsatz kommt. Was soll denn dann passieren? Soll Steuergeld für eine Software verwendet werden, die nicht zum Einsatz kommt und die Herr Henkel sich möglicherweise auf CD-ROM gepresst in sein Büro legt und jeden Tag angucken kann? – Nein, das Steuergeld kann nicht in den Sand gesetzt werden. Ich möchte vielmehr den Blick auf die Anforderungen lenken.

Die Anschaffung der Erweiterung der TKÜ-Anlage der Firma Syborg befindet sich derzeit im Beschaffungsvorgang. Dazu gab es im Jahr 2006 eine europaweite Ausschreibung, in der festgehalten wurde, dass aktuelle technische und gesetzliche Anforderungen berücksichtigt werden müssen. Ich will das noch einmal wiederholen: Aktuelle technische und gesetzliche Anforderungen müssen berücksichtigt werden. Herr Senator Henkel hat es in der Beantwortung der Großen Anfrage im Januar ebenfalls sehr gut ausgeführt. Ich leite daraus ab, dass die von der Firma Syborg zur Verfügung gestellte Software nur zum Einsatz kommt, wenn die technischen und gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden. Der verfassungsrechtlich-gesetzeskonforme Einsatz wird sichergestellt werden, und darunter fasse ich auch die engen Grenzen des Bundesverfassungsgerichts. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass die gesetzlichen Regelungen per se richtig sind. Ich will das hier noch einmal unterstreichen: Die

gesetzlichen Regelungen auf Bundesebene müssen meines Erachtens durchaus angepasst werden, und die Einsatzgrundlage darf nicht auf antiquierte Rechtsgrundlagen gestützt werden. Für den Einsatz einer QuellenTKÜ brauchen wir eine rechtliche Konkretisierung und eine stärkere Kontrolle durch das Parlament.

Wir dürfen uns hier nicht in einer Diskussion verlieren, zu welchem Ergebnis die Anwendung des Gesetzes führt, sondern wir müssen an die gesetzlichen Grundlagen ran. Das Gesetz ändert sich nicht, wenn die Software der Firma Syborg nicht eingesetzt wird. Im Zweifel kommt dann die nächste Firma, und solange das gesetzlich möglich ist, wird man das nicht verhindern können. Wie bereits gesagt: Solange es gesetzlich möglich ist, werden die Sicherheitsbehörden auch darauf drängen, so eine Software anzuwenden.

[Simon Weiß (PIRATEN): Das ist Punkt 2 des Antrags!]

Weiterhin fordern Sie, dass das Land Berlin auf die weitere Anschaffung von Software, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht entspricht, verzichten soll. Das halte ich für eine Selbstverständlichkeit, liebe Kollegin, liebe Kollegen! Der Einsatz oder die Beschaffung von nicht zulässiger Software wäre rechtswidrig. Unterschwellig zu unterstellen, dass es solche Planungen gebe, halte ich für nicht hinnehmbar und für einen Ausdruck großen Misstrauens gegenüber unserem Rechtsstaat.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Die Exekutive muss sich an die gesetzlichen Vorgaben halten, und ich habe keinen Zweifel, dass auch Herr Henkel sich daran hält.

Es wird auch immer über die Möglichkeit des Nachladens sogenannter Module diskutiert, dass die Software nicht nur für die Quellen-TKÜ, sondern zusätzlich auch als späterer Onlinetrojaner verwendet wird. Ich habe mich bei der Innenverwaltung noch einmal erkundigt: Das Nachladen von Programmteilen zur Erweiterung der Funktionalität über eine Quellen-TKÜ hinaus ist mit der Quellen-TKÜ-Software der Berliner Polizei nicht möglich. Ich habe daher grundsätzliches Vertrauen in unsere Innenverwaltung, in die Berliner Polizei und in unseren Rechtsstaat. Ich stelle das auch nicht grundsätzlich in Frage, auch wenn es unglücklicherweise in der Vergangenheit zu Fehlgriffen gekommen ist.

In der vorliegenden Form will ich die Ablehnung des Antrages empfehlen; wir werden ihn in den Ausschüssen weiter beraten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Herzlichen Dank, Herr Kollege Kohlmeier! – Es folgt eine Kurzintervention des Kollegen Lauer. – Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Kollege! Sie haben es vollkommen richtig erfasst, die Software soll gekauft werden, da haben Sie vollkommen recht, aus dem Vertrag kommen wir nicht mehr heraus. Dann soll sie tatsächlich nicht eingesetzt werden – ob Herr Henkel sie sich ins Büro hängt, das stelle ich ihm frei, ich kenne seinen Kunstgeschmack nicht. Man kann auch einfach den Quellcode veröffentlichen, aber vielleicht werden Sie dann von der Firma Syborg verklagt, weil Sie damit Geschäftsgeheimnisse verletzten.

Ansonsten finde ich die Argumentation sehr interessant. Sie sagen, mit unserem Antrag drücke sich ein Misstrauen gegenüber dem Rechtsstaat aus. Ja, natürlich müssen wir als Demokraten auch gegenüber dem Rechtsstaat misstrauisch sein, auch gegenüber der Justiz und den Verfolgungsbehörden, das ist unser gutes Recht, und diesem Recht sollten wir als Parlament nachkommen!

[Beifall bei den PIRATEN]

Sie haben noch etwas gesagt, was ich leider vergessen habe. Im Kern war Ihre Aussage richtig. Diese Software soll nicht zum Einsatz kommen, andere Software dieser Art auch nicht. Aber in ein paar Jahren werden wir darüber diskutieren. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN]

Danke schön! – Herr Kollege Kohlmeier, wollen Sie erwidern? – Nein, dann hat jetzt die Kollegin Schillhaneck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. – Frau Kollegin, bitte sehr!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Vor uns liegt ein Antrag, der zweierlei zugleich ist, er ist einerseits nahezu amüsant, weil er eine Selbstverständlichkeit aufgreift, zum anderen ist er, ehrlich gesagt, ziemlich traurig, weil er offensichtlich notwendig ist, wenn ich mir die Beantwortung der Großen Anfrage und die Einlassungen des Kollegen Kohlmeier so anhöre.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Herr Kohlmeier! Ich habe jetzt verstanden, Sie wollen sich abermals nicht grundsätzlich einlassen, haben ein Problem damit, dass Ihrer Meinung nach, wegen Ihres – ich hatte den Eindruck – diffusen Gefühls und möglicherweise aus einer gewissen, vielleicht technischen Unkenntnis heraus – –

[Sven Kohlmeier (SPD): Sachunkundigkeit?]

Lieber Herr Kohlmeier! Wenn Sie das in Frage stellen wollen, dass ich eine Vorstellung davon habe,

[Sven Kohlmeier (SPD): Von meiner Unkenntnis?]

wie das funktioniert, dann geben Sie sich Mühe, versuchen Sie es: Viel Spaß!

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Zuruf von Sven Kohlmeier (SPD)]

Und das am Internationalen Frauentag, Sie sind echt süß!

[Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN – Johlen bei den PIRATEN]

Meine Damen und Herren! Ich bitte dieses Johlen zu unterlassen. Das ist hier nicht wie im Karneval!

[Sven Kohlmeier (SPD): Ich kann Sie auch umarmen, wenn Ihnen das lieber ist!]

Solche Annäherungen verbitte ich mir, Herr Kohlmeier! Ganz eindeutig! – Sie äußern Verständnis dafür, dass aber wohl die Ermittlungsbehörden ein gewisses Bedürfnis haben, möglicherweise technische Hilfsmittel einzusetzen, die Sie selber als fragwürdig und gegebenenfalls nicht der Rechtslage entsprechend einstufen. Ja, wollen Sie jetzt, dass das eingesetzt wird oder nicht? Das ist mir jetzt noch nicht ganz klar geworden.