Protocol of the Session on March 22, 2007

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Die Antwort des Senats auf die Große Anfrage hat aber erneut deutlich gemacht: 80, 90 % der politischen Kontakte und Aktivitäten beziehen sich nach wie vor auf wirtschaftspolitische Themen. Das spiegelt auch das Interesse der Bevölkerung sowohl auf polnischer als auch auf deut

scher Seite wider. Es sind immer noch vor allem wirtschaftliche Interessen, die dazu führen, tatsächlich miteinander in Kontakt zu treten.

Es hat in den letzten drei Jahren auch den einen oder anderen Schritt des Senats nach vorne gegeben. Ich sage das ausdrücklich, gerade weil ich an der Sache interessiert bin. Ich begrüße es, dass Rot-Rot de facto unsere Forderungen wie die Entwicklung einer Oderregion zu ihrem Anliegen gemacht haben, auch wenn Sie seinerzeit alle unsere Anträge abgelehnt haben.

[Beifall von Stefan Zackenfels (SPD)]

Ich begrüße es, dass Sie nicht nur die Oder-Konferenz ausgerichtet haben, sondern den Prozess hin zu einer Oderregion trotz aller Widrigkeiten zäh vorantreiben mit konkreten Projekten – Herr Wolf hat sie genannt – im Bereich Verkehr, Tourismus und Innovation. Ich begrüße es auch, dass es inzwischen eine Datenbank und ein Internetportal speziell zu allen berlin- und MOE-relevanten Fragen gibt. Ich weiß, dass die nach wie vor schlechten Verkehrsanbindungen, insbesondere im schienengebundenen Verkehr – der Straßenverkehr beginnt ja bereits zu kollabieren –, auch der Koalition schwer im Magen liegen und sie deswegen immer wieder versucht, auf der Verwaltungsebene etwas zu machen. Die Bremser sitzen da woanders. – So weit, so anerkennenswert.

Aber dennoch: Angesichts der Herausforderungen und Chancen, die gerade für die Stadt Berlin in der Osterweiterung lagen und liegen, reicht das, was uns heute präsentiert worden ist, nicht aus. Berlin ist einmal angetreten, die Ost-West-Drehscheibe in Europa zu werden. Heute ist davon leider keine Spur.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Die Voraussetzungen in Berlin sind und waren nicht einfach. Umfragen bei Berliner Unternehmen haben ergeben: Es herrscht breites Desinteresse, obwohl inzwischen die Exportquote gestiegen ist. Der Berliner Exportanteil ist gestiegen, der Import aus Polen ist zurückgegangen. Nun kann man natürlich sagen: Unser Importdefizit ist deswegen niedriger, das ist eine gute Sache. – Aber ich finde das nicht, sondern der Austausch von beiden Seiten ist das, was uns befruchtet. Deswegen können uns alle nach wie vor die Handelsbeziehungen und die Zahlen, die uns vorliegen, nicht befriedigen. Deswegen kann die Antwort des Senats auf das teilweise mangelnde Interesse, das immer noch in der Berliner Wirtschaft herrscht, nicht Resignation sein.

Die Arbeitsgruppe der Wachstumsinitiative hat gearbeitet, aber leider ohne sichtbares Ergebnis. Es gibt inzwischen Infrastrukturvorhaben, annonciert in Polen und anderen Ländern Osteuropas. In Milliardenhöhe sind sie geplant und ausgeschrieben. Berlin und die Berliner Unternehmen sind nicht darauf vorbereitet. Die Investitionsbank wollte entsprechende finanzielle Hilfeleistungen liefern. Bisher ist davon keine Spur.

Schauen Sie sich einmal den Ticker der Bundesagentur für Außenwirtschaft an! Da wimmelt es nur so von Projekten, die auch bei Berliner Unternehmen fast die Dollarzeichen in den Augen blinken lassen müssten. Energieeffizienz hält zunehmend Einzug in der polnischen Industrie. Es gibt Nachholbedarf im Infrastrukturausbau. Polen führt Zertifikate für energiesparende Gebäude ein usw. Was hören wir vom Senat? – Der Senat hat sich von Boston Consulting attestieren lassen: Umwelt- und Energietechnik ist kein Wachstumsmarkt, das ist kein Zukunftssektor. Berlin macht keine Förderung in diesen Bereichen. – So kann man mit Polen und mit der Zukunft unserer Stadt nicht umgehen.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Berlin Partner hat jetzt eine Neuaufstellung gemacht – und siehe da: Nach der Neuaufstellung gibt es bei Berlin Partner keine speziellen Ansprechpartner für mittel- und osteuropäische Länder mehr. Die IBB hat uns eingeladen und uns nicht ein Wort zum Thema Aktionsfeld Mittel- und Osteuropa gesagt. Es gibt ein Kompetenzzentrum Wasser, das die Vernetzung zwischen den Berliner Wasserbetrieben und kleinen und mittleren Unternehmen für Infrastrukturprojekte über Berlin hinaus unterstützen sollte. Inzwischen haben sich zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen bereits von dem Kompetenzzentrum Wasser abgewendet, weil für sie kein Projekt erkennbar war.

Ich hätte mir gewünscht, dass nicht nur ich, sondern auch der Wirtschaftssenator – und das nicht erst heute – frühzeitig darauf aufmerksam macht, dass das gängige Vorurteil, die Handwerksnovelle habe nur polnische scheinselbstständige Fliesenleger produziert, falsch ist. Heute haben Sie die richtigen Zahlen genannt. Ich hätte da früher ein öffentliches Wort angebracht gefunden.

Zum Schluss komme ich doch noch einmal zu meinem Lieblingsthema, nämlich der Doppelbödigkeit der PDS und damit auch des Senats. – Herr Wolf! Sie haben heute noch einmal gesagt, Berlin hätte eindeutige Signale an den Bund in Sachen Arbeitsnehmerfreizügigkeit gegeben. Sie wissen genauso gut wie ich, dass das nicht stimmt. Es hat keine Bundesratsinitiative des Landes Berlin in Sachen Verkürzung der Übergangszeiten gegeben. Es gibt dazu auch einen „taz“-Artikel vom 7. März 2006:

Der Forderung nach einer Bundesratsinitiative wird der Senat dennoch nicht nachkommen.

Sie haben öffentlich gesagt, das habe keinen Zweck. Aber die Wahrheit ist: Sie konnten sich in der Koalition nicht darauf einigen. Insofern war das eine einzige One-ManShow von Harald Wolf.

[Zuruf von Uwe Doering (Linksfraktion)]

Weder die PDS hat das jemals in irgendeinem Parteiprogramm beschlossen noch der Senat. Insofern ist das für mich die typische Doppelbödigkeit. Lassen Sie uns endlich zu einem vernünftigen Miteinander kommen! Dann bekommen wir vielleicht auch endlich Mindestlöhne und Arbeitnehmerfreizügigkeit für unsere Region. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Frau Kollegin! – Dann hat der Kollege Dragowski von der FDP-Fraktion das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Sehr geehrte polnische Gäste! Meine Damen und Herren! In Anbetracht des in Kürze anstehenden 50-jährigen Jubiläums der Römischen Verträge und damit des Geburtstags der Europäischen Union geben sich Berlin, Brandenburg, Deutschland und die gesamte Europäische Union optimistisch bezüglich der Gegenwart und Zukunft dieses einzigartigen Konstrukts Europa.

Es scheint fast so, als ob alle Staaten ihre Lehre aus der Vergangenheit gezogen haben und nunmehr optimistisch und gemeinsam in eine blau-gelbe Zukunft blicken.

Folgt man allerdings den in den Medien wiedergegebenen Bild der deutsch-polnischen Beziehungen, kommen schnell Zweifel auf. Selten – so scheint es zumindest – war es um die deutsch-polnische Zusammenarbeit so schlecht bestellt wie zum jetzigen Zeitpunkt. Sei es Polens Beteiligung am amerikanischen Raketenabwehrsystem ohne vorherige EU-Konsultation, Frau Steinbachs Vergleiche der polnischen Politik mit rechtsradikalen Parteien, Rückgabeforderungen der Preußischen Treuhand, Vertriebenenausstellungen oder Zeitungsartikel, in denen Menschen mit Kartoffeln verglichen werden. Ein Manifest europäischer Versöhnung und guter Nachbarschaft war kaum einer Zeile zu entnehmen.

Dass aber in Wahrheit das deutsch-polnische Verhältnis auf grundsoliden Säulen steht und sich diese gewachsenen Verbindungen und Verflechtungen von solch negativer Tagespolitik kaum beeinflussen lassen, wird hingegen äußerst selten thematisiert.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Dr. Friedbert Pflüger (CDU)]

Die historische Bedeutung der Aussöhnung zwischen Deutschland und Polen kann im Zusammenhang mit der Entwicklung der Europäischen Union nicht hoch genug bewertet werden und ist für die deutsche und europäische Geschichte mindestens genauso wichtig wie die genau vor 50 Jahren beginnende Aussöhnung Deutschlands mit Frankreich. Auch hier wurden über Jahre bestehende Feindbilder abgebaut und in einen funktionierenden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Austausch umgewandelt. Auch hier kann sich das deutsch-polnische Verhältnis trotz aller schlechten Presse rühmen, in einem Drittel der Zeit annähernd ähnliche Institutionen und Beziehungen aufgebaut zu haben – Tendenz steigend.

Gerade für die Metropolenregion Berlin-Brandenburg sind gute Beziehungen zu dem nächsten Nachbarn ungemein wichtig und auch ausbaufähig. Zwar existieren noch

unterschiedliche Ebenen und vor allem in der Wirtschaft bereits gute Kooperationen – wie wir gehört haben –, doch es gibt aus Sicht der FDP in machen Bereichen klaren Verbesserungsbedarf.

Nach wie vor scheint eines der größten Hemmnisse bei der Zusammenarbeit die Sprachbarriere zu sein. Gerade in der Schule sollte Berlin die Bemühungen verstärken, polnische Kultur und polnische Sprache als Bestandteil des Lehrplans aufzunehmen. Indem noch mehr als die bisher elf Berliner Schulen Polnisch als Fremdsprache anbieten und gleichzeitig die deutsch-polnischen Austausche intensiviert werden, lernen Schüler Polen als lebendigen Nachbarn jenseits der medialen Zerrbilder kennen und schätzen.

Hier ist auch der Lehreraustausch wichtig. Die Lehrer tragen ihre Erfahrungen im jeweils anderen Land als Multiplikatoren zurück in den Unterricht und können die geknüpften Kontakte für zukünftige Austauschbeziehungen nutzen. Was wäre schließlich die deutsch-französische Freundschaft ohne die Generation von Schüleraustauschen und Au-pair-Aufenthalten.

In gleicher Weise muss der aktive Austausch im Hochschulbereich sowohl in der Forschung als auch in der Lehre intensiviert und gefördert werden. Mit der EuropaUniversität Viadrina besteht bereits eine exzellente Hochschule mit deutsch-polnischem Hintergrund – ein exzellente Beispiel für deutsch-polnische Zusammenarbeit im Hochschulbereich.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Für das deutsch-polnische Verhältnis ist auch die kulturelle Zusammenarbeit wichtig. Bestehende Initiativen wie das deutsch-polnische Jahr 2005/2006 gilt es fortzusetzen, und es lohnt ein erneuter Vergleich mit dem deutschfranzösischen Verhältnis. Warum gibt es bis dato noch keinen deutsch-polnischen Tag, an dem des besonderen Verhältnisses der Nachbarstaaten in Form eines bilateralen Kulturprogramms gedacht wird? Gerade Berlin als Tor zu Mittel- und Osteuropa sollte sich gemeinsam mit allen Bezirken gezielt für das deutsch-polnische Verhältnis engagieren und entsprechende Partnerschaften, die von kultureller Kooperation bis zu gezielter wirtschaftlicher Zusammenarbeit reichen können, schaffen und pflegen.

Auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder funktioniert zwar, kann aber im Jahre drei des polnischen EU-Beitritts in manchen Bereichen noch deutlich verbessert werden. Auch in Anbetracht des wirtschaftlichen Einflusses Polens muss sich Berlin um gute Beziehungen und innovative Kooperationsmöglichkeiten kümmern. Berlin darf diesen geografischen Standortvorteil nicht verspielen.

Berlin und Brandenburg sollten sich mit einer Vertretung in Warschau präsentieren, vergleichbar mit der EURepräsentanz in Brüssel.

[Beifall bei der FDP]

Da die polnische Zentralregierung oftmals zurückhaltend gegenüber regionalen und grenzübergreifenden Kooperationen mit den Woiwodschaften ist, muss es oberste Priorität sein, Berliner Unternehmen, Verbänden und Forschungseinrichtungen den direkten Kontakt zur polnischen Regierung zu ermöglichen.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Uwe Goetze (CDU)]

Durch eine solche gemeinsame Repräsentanz hätten Berlin und Brandenburg einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ländern und Staaten.

Zweitens sollte auch bei den Unternehmen die sprachliche Barriere abgebaut werden und bei Unternehmerinnen und Unternehmern für die Sprachkompetenz Polnisch geworben werden. Einige Unternehmen haben bereits reagiert und bieten ihren Lehrlingen Polnisch-Kurse an. Dies sollte auf breiter Basis intensiviert werden, um den Unternehmen die Möglichkeit zu bieten, das Augenmerk verstärkt nach Polen, dem größten Absatzmarkt der neuen EU-Länder, zu richten.

Im Bereich der betrieblichen Ausbildung müssen auch Kooperationen mit Polen geschaffen und ausgebaut werden. Zu denken ist auch an einen gemeinsamen Ausbildungsverbund von Unternehmen in Polen und Deutschland. Was für den Schüler- und Studentenaustausch gilt, gilt auch für den Austausch von Ausbildern und Auszubildenden. Mehr Auslandsaufenthalte von Berliner Azubis in Polen und polnischen Azubis in Berlin während der betrieblichen Ausbildung sind sowohl Vorteil für den Azubi als auch für den Ausbildungsbetrieb.

Auch sollten die Beschränkungen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit für polnische Arbeitskräfte bereits 2009 aufgehoben werden.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Uwe Doering (Linksfraktion)]

Die drei Länder, in denen bereits der Zugang zu den Arbeitsmärkten besteht, weisen zwar allesamt einen erhöhten Anteil an Arbeitnehmern aus diesen Ländern auf, doch wird der Arbeitsmarkt insgesamt davon nicht negativ beeinflusst. Im Gegenteil: Stellen konnten durch diese Mobilität erstmals wieder besetzt werden. Gerade als unmittelbarer Nachbar setzen wir Berliner uns gegenüber der Bundesregierung klar für eine rasche Aufhebung der Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ein und setzen so ein klares Zeichen für gleichen Zugang und Wettbewerb.

Gerade Berlin muss sich für eine stärkere Anbindung Polens einsetzen. Da liegt es nahe, dass unser Regierender Bürgermeister als Repräsentant der Stadt ein klares Bekenntnis zu Polen abgibt. Er soll nicht nur die Warschauer Bürgermeisterin in Berlin empfangen, Klaus Wowereit soll sich Frau Merkel zum Vorbild nehmen und selbst

nach Polen reisen, um vor Ort für den Ausbau der Beziehungen zu wirken.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Die Presse wird diese Dienstreise sicher wohlwollender kommentieren als die letzte.

Lassen Sie mich abschließend noch einmal festhalten: Um den wirtschaftlichen Erfolg der deutsch-polnischen Zusammenarbeit nachhaltig zu sichern und auszubauen, ist eine Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Polen in allen Bereichen notwendig. Daher sollten gerade wir Berliner dafür sorgen, dass die deutsch-polnischen Beziehungen weiterhin erfolgreich gepflegt und ausgebaut werden. – Dziękuję bardzo – vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]