Protocol of the Session on September 1, 2011

Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Henkel, der Fraktionsvorsitzende, das Wort – bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Müller! Die Wertschätzung, die Sie mir haben zuteilwerden lassen, gebe ich gerne zurück. Mir wird aber in der Tat angst und bange, wenn Sie das, was Sie gerade gesagt haben, auch glauben.

[Beifall bei der CDU]

Es ist heute das letzte Mal, dass wir in dieser Konstellation zusammenkommen. Wir haben uns in den vergangenen fünf Jahren gegenseitig wahrlich nichts geschenkt, doch wir haben in unzähligen Debatten Demokratie gelebt, mit allen Reibungen und Widersprüchen. Das möchte ich an dieser Stelle würdigen, und ich hoffe, dass wir auch in der kommenden Legislaturperiode genauso für das parlamentarische Ringen um Lösungen einstehen, wie wir das in der Vergangenheit getan haben.

Herr Regierender Bürgermeister! Wenn wir heute über die Regierungsbilanz der vergangenen fünf Jahre diskutieren, dann diskutieren wir über Ihre Bilanz, dann urteilen wir über die Art, wie Sie Berlin regiert haben. Sie, Herr Wowereit, haben sich stets versteckt und Ihre Senatoren und Senatorinnen vorgeschickt, wenn die Stadt nach einem Verantwortlichen rief. Deshalb muss an dieser Stelle noch einmal daran erinnert werden: Sie haben als erster Regierender Bürgermeister eine Richtlinienkompetenz und damit mehr Gestaltungsmöglichkeiten als all Ihre Vorgänger. Das heißt im Umkehrschluss, dass Sie die Resultate nicht auf andere abwälzen können, wie Sie das in der Vergangenheit stets so gerne getan haben.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Sie werden wissen, warum Sie Ihre Bilanz auf Ihren Wahlplakaten verschwiegen haben. Die Ergebnisse sprechen für sich: Berlin hat die rote Laterne bei der Arbeitslosigkeit, bei der Bildungspolitik, bei der Kinderarmut und bei der Quote der Transferleistungsempfänger – schlicht, in fast allen wichtigen Bereichen. Dafür tragen Sie die Verantwortung, aber nicht, weil Sie alle Probleme alleine verursacht haben, sondern weil Sie nichts unternommen haben, um diese Probleme zu lösen.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf von Udo Wolf (Linksfraktion)]

Sie haben sich von Ihrer Werbeagentur überzeugen lassen, dass Sie Berlin verstehen. Wir haben aber offenbar sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was dieses Verständnis betrifft. Berlin ist keine Hülle, Berlin verstehen, das heißt für mich auch, die Berlinerinnen und Berliner zu verstehen, ihre Probleme und Sorgen. Das kann ich bei Ihrer Politik beileibe nicht erkennen!

[Beifall bei der CDU]

Ich verstehe Berlin jedenfalls nicht als Stadt, die sich daran gewöhnen muss, dass jede Nacht Autos brennen und Menschen auf U-Bahnhöfen brutal zusammengeschlagen werden. Ich verstehe Berlin nicht als Stadt, die sich daran gewöhnt, dass jährlich in sechsstelliger Stundenhöhe Unterricht ausfällt, dass Lehrer fehlen, dass Schulen erst Brandbriefe schreiben müssen, bevor sie bei Ihnen überhaupt Gehör finden.

[Beifall bei der CDU]

Ich verstehe Berlin nicht als Stadt, die es hinnimmt, dass 230 000 Menschen ohne Beschäftigung sind, dass sich soziale Spaltung vertieft und Armut um sich greift, Ar

mut, Herr Regierender Bürgermeister, die die Betroffenen sicher bei Weitem nicht so sexy finden wie Sie!

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Dr. Andreas Köhler (SPD)]

Aber natürlich gibt es auch Gewinner, und da war ein SPD-Parteibuch hier und dort offenbar immer mal ganz hilfreich. Ich denke da an die Treberhilfe, ich denke an die HOWOGE, ich denke an einen Hauptakteur, der die Möglichkeiten zur Selbstbedienung in einem Interview mit dem Satz „Man kennt sich eben!“ auf den Punkt gebracht hat. Das ist der alte Filz, den Ihre Partei immer noch nicht abgelegt hat, vom Mentalitätswechsel, den Sie vor 10 Jahren angekündigt haben, ist nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Gewonnen haben auch die Banken, die prächtig an Berlins ausufernden Schulden verdienen, Schulden, die sich in Ihrer Amtszeit um 50 Prozent erhöht haben.

[Zuruf von Lars Oberg (SPD)]

Niemals zuvor in der Geschichte Berlins hat eine Regierung so schwere Lasten für die kommenden Generationen angehäuft wie Sie, und auch das ist eine Versündigung an unserer Stadt, für die Sie sich verantworten müssen!

[Beifall bei der CDU – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Schon wieder alles vergessen?]

Eins ist sicher: Berlin hat sich weiterentwickelt, hat sich verändert und ist doch attraktiv geblieben. Tourismus und Kreativwirtschaft haben sich prächtig entwickelt, darüber freuen auch wir uns. Sie aber, Herr Wowereit, haben mit Ihrer Politik vor allem eines geschaffen: Verlierer. Verlierer Ihrer Politik sind all die Menschen, die sich für etwas stark gemacht, die sich für ihr Umfeld eingesetzt haben, Menschen, die sich in Bürgerinitiativen zusammengeschlossen oder Volksbegehren angestrebt haben. Das war bei Tempelhof so, das war bei Pro-Reli so, das war bei den Flugrouten so, egal ob am Wannsee oder am Müggelsee.

[Beifall bei der CDU]

Viele dieser Menschen haben Sie herablassend behandelt, Sie haben ihnen Steine in den Weg gelegt oder ihre Anliegen schlicht ignoriert. Doch ich bin mir sicher: Die Menschen werden sich davon nicht entmutigen lassen, sie werden auch in Zukunft für ihre Interessen eintreten, ob Ihnen das passt oder nicht!

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Frank Zimmermann (SPD)]

Verlierer sind all die Menschen, die auf Mobilität angewiesen sind. Die Berlinerinnen und Berliner haben viel zu lange darauf warten müssen, dass sich jemand um ihre Probleme kümmert, wenn sie im Winter auf den Bahnsteigen frieren. Sie, Herr Wowereit, haben den Niedergang der S-Bahn nicht verhindert, und Sie haben bis heute dafür keine Lösung, obwohl wir Ihnen konkrete Vorschläge unterbreitet haben.

[Beifall bei der CDU – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Zum Beispiel?]

Es hat Sie vor zwei Jahren auch nicht sonderlich interessiert, dass sich alte Menschen bei Glatteis nicht mehr auf die Straße getraut haben, nein, die Betroffenen mussten sich von Ihnen auch noch süffisante Sprüche anhören. Auch das ist bezeichnend dafür, wie Sie Berlin in den letzten fünf Jahren regiert haben.

[Beifall bei der CDU]

Verlierer sind all diejenigen, die sich heute nicht mehr sicher fühlen können. Sie, Herr Regierender Bürgermeister, haben Sicherheit abgebaut. Sie haben die Doppelstreifen mit der BVG abgebaut mit dem Ergebnis, dass sich die Zahl brutaler Übergriffe auf U-Bahnhöfen anhäuft. Sie haben tatenlos zugesehen, wie Bürger ihr Eigentum durch Brandanschläge verlieren oder darum fürchten. Es ist ja nicht so, als seien Sie von dieser Eskalation überrascht worden, denn dieses Phänomen begleitet uns seit Jahren. Sie haben sich nicht dafür interessiert, als die ersten Autos brannten, Sie haben sich nicht dafür interessiert, als 300 Autos brannten. Stattdessen gab es Hohn und Spott für die Opfer, namentlich durch Ihren Innensenator, der den Menschen den wertvollen Hinweis gegeben hat, nicht provozierend zu parken. Eine derart zynische Behandlung haben die Betroffenen mit Sicherheit nicht verdient!

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Es mussten erst über 500 Fahrzeuge allein seit Anfang dieses Jahres zerstört werden, bis Sie angefangen haben, sich für das Problem zu interessieren. Dabei haben wir seit Jahren gefordert, den Fahndungsdruck durch massive Polizeipräsenz und die Einrichtung einer Sonderkommission zu erhöhen. Brauchen wir nicht, haben Sie gesagt. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, die Bundespolizei um Hilfe zu ersuchen – brauchen wir nicht, haben Sie gesagt. Nun geht es plötzlich, und auch das ist ein Wesenszug Ihrer Politik: Sie handeln immer erst dann, wenn es fünf Minuten vor zwölf ist, wenn die Lage für die Menschen unerträglich wird. Auch das muss sich endlich ändern!

[Beifall bei der CDU]

Gleichzeitig stellen Sie sich gegen diejenigen, die sich täglich für unsere Sicherheit einsetzen, ob bei der Polizei oder bei der Feuerwehr. Sie haben in zehn Jahren über 4 000 Stellen bei der Polizei gestrichen. Ihr Innensenator hat zugelassen, dass die Polizei kopflos bleibt in einer Zeit, in der sie Führung braucht.

[Zuruf von Gernot Klemm (Linksfraktion)]

Herr Körting hat das Amt des Polizeipräsidenten so schwer beschädigt wie keiner seiner Amtsvorgänger.

[Beifall bei der CDU]

Sie, Herr Wowereit, begegnen den Polizisten mit Misstrauen, indem Sie sie zur Kennzeichnung zwingen.

[Oh! von der SPD und der Linksfraktion]

Sie haben unseren Polizisten 2009 frech ins Gesicht gesagt, dass sich beim Thema Besoldung vielleicht in den

nächsten 200 Jahren etwas tun werde. So etwas vergessen unsere Sicherheitskräfte nicht, und so geht man mit ihnen auch nicht um. Sie verdienen unser Vertrauen, Vertrauen, das Sie offenbar nicht übrig haben, Herr Regierender Bürgermeister!

[Beifall bei der CDU]

Verlierer Ihrer Politik sind diejenigen, die an den Rand gedrängt wurden, etwa Menschen, die keine Arbeit finden, weil Sie, Herr Wowereit, sich viel zu lange mit mangelnder Wirtschaftskraft abgefunden haben, auch mit einer Arbeitslosenquote, die doppelt so hoch ist wie der Bundesdurchschnitt, weil Sie viel zu spät erkannt haben, dass auch eine Stadt wie Berlin ohne eine industrielle Basis nicht auskommen kann.

Ich meine damit auch Menschen, die sich ein Leben in der Innenstadt immer weniger leisten können. Es ist wunderbar, wenn viele nach Berlin ziehen, wenn sich Familien für Kinder entscheiden. Aber das erhöht natürlich auch den Druck auf den Wohnungsmarkt, und darauf haben Sie keine Antwort. Ich freue mich über jede Investition. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass Berlin eine Stadt für die ganze Bevölkerung bleibt. Ich will nicht nur Townhouses, Quartiers oder Lofts – ich will auch die bezahlbare Mietwohnung für die Berlinerinnen und Berliner.

[Beifall bei der CDU]

Aber die Mieten sind unter Ihrer Regierungsverantwortung um 27 Prozent gestiegen. Was sagen Sie denn den Mietern der GSW, der DEGEWO, der GESOBAU, die jetzt die Mieten erhöhen wollen? Was sagen Sie den Menschen im Fanny-Hensel-Kiez, die soziale Härten erfahren, was den vielen Betroffenen, die darunter leiden, dass auch die zweite Miete dank Ihrer Politik gestiegen ist – dank höherer Wasserpreise, höherer Grundsteuern –, und was sagen Sie den Menschen, die Sie nach wie vor mit diesem unerträglichen Straßenausbaubeitragsgesetz abzocken?

[Beifall bei der CDU – Uwe Doering (Linksfraktion): Was sagen Sie denn?]

Letztlich sind all diejenigen Verlierer, die unter dem Chaos an Berlins Schulen leiden müssen.

[Zuruf: Welches Chaos?]

Sie haben mit Ihren über 20 Reformen viel kaputtgemacht, vor allem eines: das Vertrauen von Schülern, Lehrern und Eltern.

[Martina Michels (Linksfraktion): Wollen Sie die Hauptschule wieder?]