Protocol of the Session on March 31, 2011

Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Dr. Hiller das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde es gut, dass die CDU dieses Thema heute aktuell aufgerufen hat. Groß sind die Emotionen, die durch das Mobbingportal und die Folgen seines Wirkens hervorgerufen werden. Groß sind die Bestürzung, die Unsicherheiten und Ängste bei Schülern, Eltern und Lehrern. Damit muss sich die Politik auseinandersetzen. Die heutige Aktuelle Stunde bietet dazu eine Gelegenheit.

Ich erinnere daran, dass wir vor Kurzem im Zusammenhang mit dem 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrag über ein ähnliches Themenfeld gesprochen haben. Für mich ist das heute eine Fortsetzung dieses Themas. Es geht um die Frage, inwiefern wir als Gesellschaft den veränderten, höheren Anforderungen, die sich aus der Nutzung des modernen Mediums Internet ergeben, gewachsen sind. Es sollte – und da will ich meinem CDU-Kollegen Steuer widersprechen – nicht um Schuldzuweisung gehen, nicht darum, wer wann etwas unterlassen hat, und nicht darum, Schulen für Fehlentwicklungen beim Umgang mit dem Internet verantwortlich zu machen, sondern es muss darum gehen, Wege zu finden, wie wir die heranwachsende Generation auf das Leben mit sozialen Netzwerken vorbereiten, wie wir sie schützen und stark machen können.

Frau Herrmann! Ich habe mit Freude gehört, dass Sie Vorschläge gemacht haben. Leider sind sie mir konkret entgangen. Erinnern kann ich mich, dass wir eine Diskussion – –

[Özcan Mutlu (Grüne): Dann haben Sie wohl geschlafen! – Mieke Senftleben (FDP): Ein Antrag im Medienausschuss! – Özcan Mutlu (Grüne): Zwei Anträge, die Sie abgelehnt haben!]

Mag sein! Ich weiß, dass die FDP einen Antrag gemacht hat, der uns allerdings etwas unkonkret schien. Aber tut mir leid! Von den Grünen habe ich da nichts gehört.

Herr Steuer! Cybermobbing ist übrigens kein Thema, das allein Berlin betrifft, sondern es tritt in allen Bundesländern auf, unabhängig von Organisationsstrukturen, die es dort gibt. Wir müssen uns also diesen Fragen auch sehr sachlich stellen.

Um es deutlich zu sagen: Wir als Linke finden es gut und richtig, dass die Seite „Isharegossip“ auf den Index gesetzt wurde. Es ist eine üble Plattform für anonyme Hetze und Beschimpfungen mit der ganzen Bandbreite von Fäkaliensprache, sexuellen Anzüglichkeiten und rassistischer Hetze. Ausnahmsweise schnell reagierte das Räderwerk der Bürokratie auf die Folgen, als sich ein 17Jähriger gegen das Mobbing seiner Freundin einsetzte und dabei krankenhausreif geschlagen wurde.

[Zuruf von Özcan Mutlu (Grüne)]

Aber es ist nicht beruhigend und keine Lösung für das Problem, dass die Seite nunmehr schwieriger zu finden sein wird und die Barrieren zum Zugriff für Nutzer höhergelegt wurden. „Isharegossip“ ist nicht dir Ursache des Übels, sondern Ausdruck dessen.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Gemobbt wird überall. Das haben hier alle Redner und Rednerinnen gesagt. Neu sind Qualität und Quantität, Menschenverachtung und Aggressivität, mit denen gemobbt wird – auch weil es anonym passieren kann. Und gemobbt wird nicht nur an den sogenannten Problemschulen in den sozialen Brennpunkten, die gemeinhin als Hort der sozialen Verwahrlosung identifiziert werden. Mit Erschrecken stellt man fest, dass sich auch die Gymnasiasten in den vornehmeren Teilen Berlins beschimpfen und sich gegenseitig Gewalt androhen. Überraschend für mich war dabei, dass Mädchen wohl häufiger an Cybermobbing beteiligt sind als Jungen: Vom Poesiealbum zum Internetdschungelcamp? – so frage ich mich.

Der „Tagesspiegel“ teilte mit, dass das Mobbing ausgerechnet am katholischen Canisiuskolleg und an der John F. Kennedy-Schule ungewöhnlich rege sei. Ungewöhnlich ist dabei nicht das Mobbing, sondern das Erschrecken über die Erkenntnis, dass das Gymnasium, jene Festung des Bildungsbürgertums, vor der Brachialgewalt des sozialen Verfalls längst geschleift ist. Es gibt keinen Schutzraum Gymnasium. Im Gegenteil: Das Gymnasium

ist selbst Ort der Gewalt. An dieser Stelle, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, sei darauf hingewiesen, Ihr Ansatz, Lehrer könnten eine zu geringe Medienkompetenz haben und die Computer an den Schulen würden zu wenig genutzt, zeigt gerade am Beispiel dieser Schulen, dass Ihre Antworten zu einfach und zu schnell gegeben werden.

Wir müssen uns doch gemeinsam die Frage stellen, warum Jugendliche so agieren, warum sie aggressiv sind und das Internet als Ventil nutzen, ihre Aggressionen loszuwerden.

[Özcan Mutlu (Grüne): Wann wollen Sie damit anfangen?]

Sie sind doch jetzt gar nicht an der Reihe! – Sind es Überforderungen im Schulalltag? Gerade an Gymnasien herrscht ein übergroßer Leistungsdruck, werden ständig Höchstleistungen abgefordert. Überzogene Erwartungen der Eltern, die Notwendigkeit eines sehr guten Abiturs, um den Studienplatz der Wahl zu erhalten, Stress im Alltag, das alles führt zu Überreaktionen, die sich auch im Internet entladen können. Heranwachsende vor diesen Ausbrüchen zu schützen, sie zu befähigen, damit umzugehen, über solchen Anwürfen zu stehen, das sollte eine wichtige Aufgabe für alle sein, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Mit den jungen Leuten sprechen, ihre Meinungen erfragen, ihnen zuhören sind Schritte, um eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema des Mobbens zu erreichen.

Dazu wird an einigen Berliner Schulen sehr vieles und sehr eigenverantwortlich und beispielhaft getan. Wir haben es alle gelesen, dass sich Schulen verpflichtet haben, insgesamt nicht am Cybermobbing zu beteiligen, oder dass eben die Internetseiten der Schulen voll Text gedröhnt werden und damit nicht mehr nutzbar sind. Das sind für mich Leistungen von Zivilcourage, die Schule machen müssen, die verbreitet werden müssen und wo man junge Leute bestärken muss, dort weiter aktiv zu sein.

[Beifall von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

Ich bin sehr froh, dass Senator Zöllner das Thema zur Chefsache erklärt und gestern dazu einen Runden Tisch initiiert hat. Das, was dabei herausgekommen ist, kann sich sehen lassen. Es ist der Aufruf, sich am Programm mobbingfreie Schule zu beteiligen, dazu Lehrer als Multiplikatoren auszubilden, die in einem Anti-MobbingProgramm zusammenarbeiten. Das sind wichtige Schritte zur Mobilisierung der Gegner des Internetmobbings.

Der Mobbingkoffer, der mit Hilfe privater Unterstützer in die Schule kommt, bietet Anreize, sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Auch die Verstärkung des Medienunterrichts, die Entwicklung der Medienkompetenz an den Schulen mit all den Maßnahmen, die hier schon genannt wurden, sind wichtige Dinge, die wir leisten müssen. Herr Lux! Was denken Sie denn, wie ein Lehrplan erstellt wird? Meinen Sie, das geschieht durch Anweisungen aus der Politik? Mehr als ein Jahr sollte

möglich sein, um bestimmte Formulierungen in Lehrpläne aufzunehmen, damit sie so zielgenau wie nur möglich sind. Aus der Sicht, Herr Dix – er hatte uns allen den Brief geschrieben –, bin ich froh, dass Sie das noch einmal angemahnt haben. Wir werden das zur gegebenen Zeit auch noch abfordern, was sich an den konkreten Stellen geändert hat.

Es ist aber nicht die technische Kompetenz, die gefragt ist. Viel wichtiger sind meines Erachtens psychische Stärken und Vertrauen in die eigene Persönlichkeit, die entwickelt werden müssen. Dazu habe ich schon einiges gesagt. Die Entwicklung sozialer Kompetenz – darauf hatte ich schon hingewiesen – ist ein wichtiger Punkt, der Teil der Medienkompetenz sein muss. Es gehört sich eben nicht, am Bahnsteig auf den Boden zu spucken, ins Handy zu brüllen, wenn andere herumstehen, und man rennt nicht mit der Flasche Bier durch die Stadt.

[Beifall bei der CDU]

All diese Dinge sind mittlerweile im Berliner Alltag Norm geworden. Ich will mich mit dieser Norm nicht abfinden. Auch das gehört zu den Dingen, bei denen man die Privatsphäre anderer schützen muss. Das gehört zu sozialer Kompetenz, auch wenn es weit über das Internet hinaus reicht.

Damit komme ich zu einer Sache, die vor allen Dingen Eltern angeht. Wenn Eltern ihre Kinder vor Fernsehern parken und sie den ganzen Tag Privatfernsehen schauen lassen, muss man sich nicht wundern, wenn das Niveau der Kinder so ist, wie es im Privatfernsehen vorgelebt wird.

[Unruhe]

Möglicherweise auch des öffentlich-rechtlichen Fernsehens! Ich will mich hier nicht festlegen. Wir sollten da sicher auch manchmal konkreter bei unserer Kritik werden.

Eltern sind in erster Linie verantwortlich, was soziale Kompetenz betrifft. Auch dieses muss verstärkt in die Elternhäuser hineingetragen werden. – Ich danke Ihnen zunächst für die Aufmerksamkeit und habe noch eine Minute.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Dr. Hiller! – Für die FDP-Fraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Senftleben das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anfang März titelte die „Berliner Zeitung“:

An Berliner Schulen geht es friedlicher zu – Senator Zöllner konnte für das Schuljahr 09/10

13 Prozent weniger Gewaltvorfälle melden – Nur noch 1 576 gemeldete Vorfälle.

Nach Jahren des Anstiegs gab es einen plötzlichen Rückgang auf das Niveau von 2005/2006. Doch fragen wir einmal etwas genauer nach, was dort passiert: Senator Zöllner hat zum Schuljahr 2009/2010 die Meldepflicht verändert. Schlägereien, Beleidigungen von Lehrern, Sachbeschädigungen, wiederholte Anpöbeleien oder Diffamierungen müssen nicht mehr angezeigt werden. Seine Anweisungen lauteten:

Die schriftliche Meldung erfolgt nur dann, wenn die schulinternen pädagogischen Lösungsversuche nicht ausreichen und externe Hilfe bzw. eine Meldung an die Polizei erforderlich ist.

Das heißt mit anderen Worten: Wenn die Schule zukünftig einen Vorfall meldet, gesteht sie gleichzeitig ein pädagogisches Versagen ein. Wer tut das schon gern?

Herr Senator! Auch wenn Sie sich offenbar nicht so wirklich richtig für das Klima an Schulen interessieren, die Gewaltvorfälle – und dazu gehört selbstverständlich auch das Thema Mobbing – sind wohl eher nicht zurückgegangen; es ist lediglich die Anzahl der Meldungen zurückgegangen.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Ich hole hier etwas weiter aus, denn ist einmal wieder typisch für diese Regierung: Augen zu und durch! Fakten interessieren nicht. Im Gegenteil! Es wird stets behauptet: Wir sind gut. Wir tun bereits alles. Wir werden vor allen Dingen immer besser.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Kollegen und Kolleginnen von der Regierungskoalition: Das ist verantwortungslos und fahrlässig. Das haben die Reden von der Kollegin Dr. Tesch und Dr. Hiller soeben auch noch einmal dargelegt.

Ebenso fahrlässig ist es, Herr Brauer, hören Sie dabei zu, bei Vorschlägen der Opposition prinzipiell auf Durchzug zu schalten und die Schallplatte „brauchen wir nicht“, „haben wir schon“, „wissen wir sowieso alles besser“ aufzulegen. Im März 2010 hat die FDP-Fraktion einen Antrag eingebracht: Kompetenzen für eigenverantwortliche Mediennutzung gezielt stärken. Mit diesem Antrag ging es vorrangig nicht um technische Medienkompetenz. Das ist von allen Rednern vorhin so genannt worden. Es ging um ein integriertes pädagogisches Konzept, nämlich wie die Kompetenzen der Schüler für eine eigenverantwortliche Nutzung der technischen Möglichkeiten gestärkt werden können.

[Beifall bei der FDP]

Medienkompetenz ist neben Lesen, Rechnen und Schreiben als vierte Schlüsselkompetenz unbestritten. Doch bei Schlüsselkompetenzen geht es nicht ausschließlich um das Können, es geht auch um das Anwenden. Es geht um Fertigkeiten und Fähigkeiten. Genau das wollte unser

Antrag, ein strukturiertes pädagogisches Gesamtkonzept, das die eigenverantwortliche Nutzung thematisiert.

Bei der Besprechung des Antrags wurde allerdings deutlich, dass meine Kollegen, die Bildungsexperten aller Fraktionen, den Unterschied zwischen technischer Medienkompetenz und eben dieser eigenverantwortlichen Nutzung nicht verstanden haben. Herr Steuer! Auch Sie haben es damals nicht verstanden. Ich habe aber den Eindruck, als hätten Sie es inzwischen verstanden.

Der Senator damals und auch die Kollegin Dr. Tesch: Es genügt, Medienkompetenz und die verantwortliche Nutzung der Medien als allgemeines Unterrichtsziel in allen Fächern in jedem Jahrgang in jeder Schulart zu begreifen.

[Dr. Felicitas Tesch (SPD): Ja!]

Das heißt auf Deutsch, jeder denkt, der andere tut es, und am Ende macht es keiner. Das nenne ich Verantwortungsdiffusion und nichts anderes.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]