Zweiter Punkt: Ich schüre überhaupt nicht die Dinge, die Sie mir in der Debatte vorwerfen, überhaupt nicht. – Sie müssen mir zuhören: Wir haben ein Hauptproblem der Jugendkriminalität im Bereich jugendlicher Intensivtäter. Wenn Sie es mir nicht glauben, fragen Sie Ihren Innensenator und den Polizeipräsidenten, den Sie und Ihre Koalition ins Amt geholt haben.
In diesem Bereich der jugendlichen Intensivtäter lässt sich das Problem auf einen Dreisatz bringen, ich sage ihn Ihnen gern noch einmal: jung, männlich, Migrationshintergrund. Doch die Tatsache, dass Sie das immer verschweigen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, heißt nicht, dass es diese Probleme nicht gibt.
Ich habe hier im Übrigen die wesentlichen Ergebnisse einer Analyse der Intensivtäter der Staatsanwaltschaft Berlin und nicht irgendeines Ortsverbandes der CDU Berlin vorgetragen. Ich sage Ihnen das gern noch einmal zum Mitschreiben: 74 % der Täter wurden in Deutschland geboren, 51 % haben die deutsche Staatsangehörigkeit, und 70 % der Täter haben einen Migrationshintergrund. Wenn Sie sich freundlicherweise an meine Mündliche Anfrage an den Herrn Innensenator von vorhin erinnern würden, was die Frage von Intensivtätern, Mehrfachintensivtätern und kiezorientierten Intensivtätern betrifft, hat der Herr Senator selbst über den Daumen eine Rechnung gemacht, die lautete, dass der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund etwas über 65 % betrage. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es Ortsteile gibt, wo dieser bei über 80 % liegt. Es tut mir leid, dass Sie das nicht wahrhaben wollen, aber es ist die Wahrheit! – Herzlichen Dank! [Beifall bei der CDU]
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, Herr Henkel, ich weiß, es ist Ihr Lieblingsthema. Hier für das Haus möchte ich nur sagen: Gewalttätige Kinder und Jugendli
che und der Umgang mit ihnen scheint auch das Thema der letzten Tage und Wochen in Berlin zu sein. Mit Ihrem Beitrag haben Sie genau wieder die Stelle getroffen. Sie betreiben eine Angst- und Panikdebatte und schreien nach unverhältnismäßiger Verschärfung des Jugendstrafrechts. Vor allen Dingen versuchen Sie, die Debatte politisch zu instrumentalisieren.
Sie suggerieren, dass gewalttätige Jugendliche der Regelfall seien und dass mehr Repression, mehr Überwachung und mehr Verschärfung in Berlin zu mehr Sicherheit und Ordnung beitragen würden. Sie fragen nicht nach Ursachen und bemühen sich auch nicht um deren Beseitigung. Sie doktern an Symptomen herum und suggerieren schnelle Lösungen. Das muss ich Ihnen gleich am Anfang sagen.
Wir setzen deshalb aus der Jugendsicht klar und deutlich auf Prävention, auf Erziehung und erst dann auf Strafverfolgung. Ja, es ist richtig, wenn ein Jugendlicher eine Straftat begangen hat, muss ihm deutlich gemacht werden, dass er gegen eine Regel verstoßen hat.
Meinetwegen kann man auch die gelbe Karte zeigen. Ja, es ist richtig, es muss auf die Straftat eines Jugendlichen schnell, angemessen und erzieherisch reagiert werden. Was uns unterscheidet, ist die Suche nach den Ursachen und vor allem die Frage, wie man so frühzeitig wie möglich
Wir geben junge Menschen, die erst am Beginn ihres Lebens stehen, nicht auf, indem wir sie in Knäste stecken und sie ihr Leben lang in Sicherheitsverwahrung halten, sondern wir versuchen, im Rahmen der bereits bestehenden Möglichkeiten – und die Jugendhilfe und das Strafrecht bieten bereits heute die Möglichkeiten – diese jungen Leute wieder in die Gemeinschaft zu integrieren. Sie sind und bleiben auch die Mitglieder unserer Gesellschaft.
Insofern bin ich der Berliner Landeskommission gegen Gewalt und Prof. Ohder ausgesprochen dankbar, dass er mit der Studie zu jugendlichen Intensivtätern genau dazu einen Beitrag geleistet hat. Er versachlicht die Daten und versucht, die Ursachen jugendlicher Gewalt festzustellen. Der Verdienst dieser Studie besteht darin, dass die Jugendlichen erstmals in ihrer Gesamtheit, ihrer Biografie, gesehen werden und uns ein Einblick in das Leben vermittelt wird. Dieses Leben ist oft von früher sozialer Benachteiligung, Ausgrenzung und Chancenlosigkeit geprägt. Ein Ergebnis der Studie ist auch, dass das Zusammenwirken von Elternhaus, Schule, Jugendhilfe, Polizei
Meine Damen und Herren von der Fraktion der FDP! Ich bin froh, dass Ihr Antrag heute nicht in diese Richtung ging, die ich gerade von der Fraktion der CDU gehört habe. Allerdings bin ich noch davon ausgegangen, dass Sie das Berliner Diversionsprojekt kennen. Offensichtlich ist das nicht so, denn dieses Projekt wird seit 1999 in Berlin praktiziert. Es wurde bereits gesagt, dass in allen sechs Berliner Polizeidirektionen unter anderem auch Sozialpädagogen als sogenannte Diversionsmittler arbeiten. Diversion liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Straftaten Jugendlicher bzw. Heranwachsender häufig ein entwicklungsbedingtes und deshalb episodenhaftes Verhalten darstellen. Manchmal – und das belegt auch die Studie von Prof. Ohder – kann sie aber auch auf den Beginn einer bereits kriminellen Karriere hindeuten. Wichtig ist deshalb, schnell und abgestimmt in erzieherischem Sinn tätig zu werden.
Das Berliner Diversionsprojekt beinhaltet unter anderem ein normverdeutlichendes Gespräch mit dem polizeilichen Ermittler, ein Gespräch mit dem Diversionsmittler über die Straftat, die Folgen für das Opfer und die gemeinsame Überlegung, wie vielleicht Wiedergutmachung geleistet werden könne. Entschuldigung und Wiedergutmachung gehören unmittelbar zusammen und sollen verantwortliches Handeln einüben. Die Diversionsmittler begleiten und prüfen den Prozess und die Ergebnisse. Bei Erfolg kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen. Dieses Verfahren folgt im Gegensatz zum gerichtlichen Verfahren sehr schnell auf die Straftat, und die Aktivitäten von Polizei, Jugendhilfe und Staatsanwaltschaft sind vernetzt. Opfer und soziales Umfeld des Täters, der Täterin, werden einbezogen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, das Berliner Diversionsmodell ist auch ein Erfolgsmodell. Wenn Sie ein neues Modell einführen wollen, muss es eine gründliche Prüfung geben. Das werden wir in den Ausschüssen machen. Hier werden wir über den Antrag noch einmal beraten. Aber ich erinnere Sie, dass wir uns in der Koalitionsvereinbarung eindeutig zu dem Berliner Diversionsmodell bekannt haben und es fortsetzen und verstärkt nutzen wollen.
Aus pädagogischer und rechtlicher Sicht wünschen wir uns, dass die Diversionsberatung auch in Zukunft auf einen noch größeren Kreis junger Delinquenten angewendet wird. – Danke schön!
Wir haben uns noch ohne Waffen geprügelt, wir haben unsere Alcopops noch selbst gemixt, und die FDP war noch eine Bürgerrechts- und Antibürokratiepartei.
Die gelbe Karte, das ist nett gemeint, aber das ist auch mehr Bürokratie, mehr Staat, ein Termin mehr für die ermittelnde Kommissarin, die Staatsanwältin, die ohnehin schon überforderten Erzieherinnen und Eltern. Und die FDP will diese Bürokratie! Um unsere Jugend muss es wirklich schlecht bestellt sein!
Die gelbe Karte für Ersttäter – warum? – Eine erste Verwarnung macht Sinn, haben alle betont. Aber diese Möglichkeit gibt es doch bereits. Die Diversionsrichtlinie, JDG, außergerichtlicher Tatausgleich, Probezeit, gemeinnützige Leistung, Zahlung von Geldbeträgen, Eintragung ins Erziehungsregister, Bestellung von Terminen – das geht alles, man kann es von mir aus auch gelbe Karte nennen. Man kann auch sagen: Rot-Rot macht da noch nichts. Aber haben Sie in dieser Legislaturperiode schon gesehen, was Rot-Rot mit Verve angepackt hätte?
Der Senat pennt, während der Jugendknast aus allen Nähten platzt. Etwa 125 % Überbelegung diese Woche, mal sehen, wie weit wir in der nächsten und übernächsten sind. Wir Grünen diktieren Ihnen das schon die ganze Zeit in Ihre vergilbten Aktendeckel. Tun Sie doch mal was! Nutzen Sie doch diese Möglichkeiten, und schauen Sie nicht zu, wie ein Jugendlicher nach dem anderen in den Knast kommt! Das kostet uns in Zukunft ein Vielfaches.
Die FDP hatte recht: Sie hat in ihrer Begründung geschrieben, das Intensiv- und Schwellentäterkonzept des Senats reicht nicht aus. Das glaube ich auch, das können sich nur Juristinnen und Juristen ausgedacht haben: Schublade auf, Täter hinein, Schublade zu, Deckel drauf, wir haben ein Konzept. Man munkelt schon, dass es demnächst das Vorschwellentäterkonzept, das Mittelschwellen-, das Nachschwellen- und das Zwischenschwellentäterkonzept geben wird. Das erinnert mich ein wenig an Bayern, wo es heißt, der Normalbär wird zum Problembär, der Problembär zum Schadbär, und die Justizsenatorin wirft eine Nebelkerze, damit die Opposition den Wowibären nicht noch kräftiger in Beschuss nimmt. [Beifall bei den Grünen]
Vielleicht wird der Antrag etwas bringen. Schauen wir einmal. Die Grenzen sind klar. Der Überzeugungstäter Dr. Lindner nennt den Regierenden Bürgermeister „Hetzredner“. Gelbe Karte! Herr Dr. Lindner macht es noch einmal und bekommt die rote Karte. Raus ist er! Aber bringt das etwas? Nein! Diese Überzeugung trägt er im Herzen, und da kann man sich gleich der Grenzen dieses Gelbe-Karten-Prinzips bewusst sein.
Wir Grüne fordert seit langem, lieber die richtigen Schwerpunkte zu setzen. Die setzt man eben nicht nach der Tat, sondern die setzt man am Anfang eines jeden Lebens im Vorschul-, Schul- und Jugendbereich. Vor allem müssen wir die Ursachen der Gewalt berücksichtigen, das wurde richtig gesagt. Als Innenpolitiker muss ich sagen, dass wir auch einmal passen müssen. Wir müssen auch einmal den Bildungs- und Jungendpolitikern das Primat lassen und uns gemeinsam überlegen, was wir dort machen können, aber nicht nach einer härteren Hand schreien. Es gab massive Kürzungen im Jugendbereich, es gab eine Zunahme der Jugendgruppengewalt, und vielleicht gibt es dort einen Zusammenhang.
Liebe Frau Dr. Barth, Sie schildern, dass Sie ein Primat haben wollen. Das finde ich richtig, und ich gestehe es Ihnen auch zu, aber seit 2002 sind 170 Millionen € in der Jugendhilfe weg. Die Jugendgerichtshilfe sollen die Bezirke selbst machen, ohne einen Zugriff dort zu haben und selbstverständlich ohne eine Mittelzuweisung, ohne überschaubare Kürzungen bei Jugendfreizeitstätten und Jugendprojekten. Die prekäre Situation unter Berliner Jugendlichen ist hausgemacht, und das Gelbe-KartenProjekt ist vielleicht nett gemeint, aber ein Label macht hier noch kein neues Konzept.
Mit dieser vollkommen falschen Schwerpunktsetzung des rot-roten Senats ist eine Politik nicht zu machen, wie wir Grüne uns sie vorstellen: eine Bildungs- und Jugendpolitik, die Jugendliche davor bewahrt abzurutschen, und eine Politik, die nicht ausgrenzt, sondern jungen Menschen Perspektiven und Zukunftschancen eröffnet. – Danke!
Vielen Dank, Herr Kollege! – Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung federführend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung und mitberatend an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie sowie an den Rechtsausschuss, wozu ich keinen Widerspruch höre.
Ich hatte diesen Antrag bereits vorab federführend an den Sportausschuss, mitberatend an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie sowie an den Hauptausschuss überwiesen. Die nachträgliche Zustimmung hierzu stelle ich fest.