Protocol of the Session on February 17, 2011

Und da, Herr Dr. Felgentreu, muss man eins konstatieren, und dazu bin ich gerne bereit: Herr Dr. Zotl hat sich über alle Maßen verdient gemacht, indem er auf alle Fraktionen in diesem Hause zugegangen ist und gesagt hat: Wir wollen einen offenen Dialog über das führen, was wir gemeinsam bei der bezirklichen Verwaltung und der dortigen Demokratietheorie und -praxis erreichen wollen. Hier hat Dr. Zotl einen wichtigen Beitrag geleistet.

[Beifall bei der FDP, der SPD und der Linksfraktion]

Diesen Beitrag erkennen wir an, auch wenn es uns allen – und hier müssen wir auf uns alle schauen – nicht gelungen

ist, an dieser Stelle in dieser Legislaturperiode den wirklich großen Wurf zu machen.

Ich darf jetzt auf das eingehen, worüber wir hier wirklich reden, und das sind die beiden Anträge. Zunächst der Antrag der Grünen: Er lässt sich in drei Komplexe unterteilen. Der erste betrifft die Bildung von Fraktionen und Bezirksämtern, der zweite die Aufwertung des Rates der Bezirksbürgermeister in einen Rat der Bezirksämter und der dritte die Stärkung der Bezirksverordnetenversammlungen. Beim dritten stimmen wir mit den Grünen völlig überein. Es ist wichtig, dass wir die Bezirksverordnetenversammlungen in ihrer Entscheidungskompetenz stärken, dass wir dort abschließende Zuständigkeiten ermöglichen, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern dort ermöglichen, abschließende Entscheidungen zu treffen. Der jetzige Zustand der BVVen – und da haben die Grünen recht – ist in der Tat nicht sachgerecht. Er ermöglicht auch keine Verortung der wirklichen politischen Verantwortlichkeit, aber diese muss hergestellt werden. Denn ohne politische Verantwortlichkeit lässt sich kein politisch verantwortliches Handeln feststellen, und das sehen wir zur Zeit in zu vielen Bezirken.

[Beifall bei der FDP]

Dazu gehört aus der Sicht der FDP allerdings zwingend auch das politische Bezirksamt. Es nicht umzusetzen ist ein großer Fehler, den die Koalition in dieser Legislaturperiode umgesetzt hat. Es wäre ein großer Schritt hin zu mehr politischer Verantwortlichkeit gewesen, und es ist wirklich bedauerlich, dass es nicht gelungen ist, das umzusetzen. Das wird auch das sein, was überwiegt, selbst wenn man ihre anderen Anstrengungen in diesem Bezug in dieser Legislaturperiode einbezieht.

[Beifall bei der FDP]

Was die Grünen noch fordern – die Aufwertung des Rats der Bezirksbürgermeister zu einem Rat der Bezirksämter –, das lehnen wir ab. Wir halten es überhaupt nicht für sachgerecht, dieses Gremium noch weiter, bis zu einer Vetofunktion, aufzuwerten. Das würde diesem Gremium eine Funktion zubilligen, die ihm aus unserer Sicht nicht zukommt. Die Bezirke haben sich um ihre bezirklichen Belange zu kümmern und dürfen sich nicht noch weiter als bisher in weitere Fragestellungen einmischen. Das muss entsprechend der verfassungsmäßigen Rolle klargestellt werden.

[Beifall bei der FDP]

Das Weitere, was Sie hier vorschlagen, etwa die Bildung von Fraktionen und Bezirksämtern, halten wir auch nicht für sachgerecht. Dort die Listenaufstellung in Abhängigkeit zu bringen zur Mitgliedschaft von Fraktionen, ist aus unserer Sicht falsch. Es ist demokratietheoretisch falsch, und obwohl wir nicht über parlamentarische Körperschaften reden, wollen wir hier Mindeststandards an ein freies Mandat gewährleisten, und dazu gehört auch eine entsprechende Verbindungsfreiheit der Bezirksverordneten, die sich gruppieren können.

Die entsprechende Bildung der Bezirksämter von einer Komplettbesetzung abhängig zu machen, führt uns – vor allem dann, wenn wir auf das politische Bezirksamt verzichten – in einen Bereich, wo Stagnation herrschen kann und wir nicht in der Lage sind, funktionierende Bezirksämter aufzubauen. Deswegen lehnen wir auch das ab.

[Beifall bei der FDP]

Nun komme ich zum Antrag der Koalition. Wir unterstützen Sie in dem, was Sie bei den Einwohneranträgen oder den Einwohnerfragestunden konstituieren. Sie sind nötig und sinnvoll. Auch dort, wo Sie die Bürgerbegehren und Bürgerentscheide stärken – um nämlich vom Beteiligungs- zum Zustimmungsquorum zu kommen –, finden wir das richtig. Es ist auch positiv, dass Sie den Forderungen der Angehörten und auch der FDP-Fraktion nachgekommen sind.

Leider können wir Ihrem Antrag dennoch nicht zustimmen, denn – Herr Gram hat es angesprochen – es sind Regelungen enthalten, die in keinem Fall zustimmungsfähig sind. Da ist zum einen die Offenlegung von Spenden in dem Ausmaß, in dem Sie das festlegen wollen und die entsprechenden Initiativen gegenüber Parteien benachteiligen. Das ist aus unserer Sicht nicht geboten.

Das Zweite ist, dass Sie die Versicherung an Eides statt von Vertrauenspersonen fordern. Das kriminalisiert Personen, die an direkter Demokratie teilnehmen, –

Herr Jotzo, Ihre Redezeit ist bereits zu Ende.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Ich bin am Ende. – und wirkt ihr auch entgegen. Deswegen: Trotz der guten Ansätze werden wir beide Anträge ablehnen müssen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Das Wort für eine Kurzintervention hat jetzt der Abgeordnete Lux. – Bitte sehr!

Herr Kollege Jotzo hat mich gerade aufgefordert abzurüsten. Das will ich gerne tun und nachschieben, dass der Prozess, der von Herrn Zotl eingeläutet worden ist, einer war, den man sich bei mehreren Themen so gewünscht hätte, nämlich alle Fraktionen zu fragen: Wo steht ihr? Was können wir gemeinsam tun? Aber, Herr Zotl, mir fällt es nicht so leicht wie Ihnen, in dieser Situation, wo wir einen Volksentscheid hatten, wo massiv Stimmungen in der Bevölkerung herrschen zu sagen: Deckt das auf, macht keine falschen Geschichten, hintergeht uns nicht bei wichtigen Verträgen – zu sagen, dass wir demokratie

politisch etwas geleistet haben. Das, was heute im Rahmen des Bezirksverwaltungsgesetzes vorgelegt wird, ist das Einzige, was zur Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern in den Kiezen, in den Bezirken oder eben auch Bezirksverordnetenversammlungen kommt. Wir wissen alle, was für ein schwieriges Amt das ist, mit wie viel Ehrenamt, mit wie viel Zeitaufopferung das verbunden ist. Wir geben ihnen hier Steine statt Brot.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Wir gehen nicht weit weg genug, um auch andere, im Diskurs stehende demokratiepolitische Forderungen, die sinnvoll und notwendig sind, einzuführen. Dieser Punkt geht einfach mit der Koalition nach Hause. Ein Wahlalter mit 16 zu fordern, aber nicht einzuführen, obwohl es hier eine Mehrheit dafür gäbe; für mehr Transparenz und für Referenden zu sein, aber nicht ein Vorschlag kommt auf den Tisch. Sie erinnern sich noch: Als Klaus Wowereit bei den Flugrouten sagte, der Senat könne der Bevölkerung keine Frage vorlegen, da wollte er auf einmal ein Referendum haben. Seitdem aber gibt es nicht einen Vorschlag.

Und das Gemeine ist: Herr Wolf wiederholt das auch noch. Bei den Wasserverträgen sagt er, man müsste bei bestimmten Privatisierungen ein Referendum machen. Aber es kam nicht ein Vorschlag aus diesem Haus. Der Innensenator räumt dann die Vorschläge wieder auf, weil er weiß, dass das alles weder Hand noch Fuß hat, was die dort denken. Ich finde, wir als Opposition sind hier auch gefordert klarzustellen, dass außer vielen Ankündigungen nichts dabei herausgekommen ist.

[Beifall bei den Grünen]

Herr Jotzo! Sie möchten antworten. Bitte, Sie haben die Gelegenheit dazu!

Herr Lux! Ich kann Ihnen insoweit zustimmen, dass das, was wir von diesem Senat in dieser Legislaturperiode an vielen Stellen gehört haben – wobei ich nicht nur auf diesen Antrag rekurrieren möchte –, beschämend war. Wenn ich mich daran erinnere, was wir vom Regierenden Bürgermeister gehört haben, als es um den Flughafen Tempelhof ging, als sich die Bürgerinnen und Bürger mit viel Herzblut auch an diesem Volksentscheid beteiligt haben – da hatten wir einen Regierenden Bürgermeister, der sich hierhin gestellt und gesagt hat: Es ist mir piepegal, was die Berlinerinnen und Berliner entscheiden. Die Sache ist gegessen. Dieses Verfahren ist für mich überhaupt nicht verbindlich. Ich fühle mich an das, was dann kommen wird, nicht gebunden. – Das ist in der Tat – an dieser Stelle muss ich Ihnen recht geben, Herr Lux – eine Schande, und das wirkt jeder plebiszitären Demokratie entgegen.

[Beifall bei der FDP]

Es ist wirklich bedauerlich, dass wir das hier erleben mussten. Aber ich bin sehr zuversichtlich, Herr Lux – und da muss ich Ihnen widersprechen –, dass wir die Voraussetzungen dafür haben, um in der nächsten Legislaturperiode auch in einer breiteren Mehrheit die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir sowohl auf Landesebene als auch auf bezirklicher Ebene bei der direkten Demokratie vorankommen. Meine Fraktion hat sich vorgenommen, dort einen wesentlichen Beitrag zu leisten.

[Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Es wird Sie doch in der nächsten Legislaturperiode gar nicht mehr geben!]

Herr Dr. Felgentreu! Ich denke, ich kann Sie in Sicherheit wiegen: Die Berlinerinnen und Berliner werden sehr genau wissen, wer in dieser Frage an ihrer Seite steht, und sie werden sich auch daran erinnern, wie der Regierende Bürgermeister und die Regierungskoalition an den wichtigen Stellen, wo es tatsächlich um direkte Demokratie ging, mit den Bürgern umgegangen sind. Ich bin mir sicher, dass diese Überlegungen an der richtigen Stelle – da stimme ich mit Herrn Lux wieder überein – dann auch die richtige Rolle spielen werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Jotzo! – Zum Gesetzesantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Die Linke Drucksache 16/3819 empfiehlt der Fachausschuss – mehrheitlich gegen FDP und bei Enthaltung CDU und Grüne – die Annahme mit Änderungen. Wer dem Antrag mit den Änderungen der Beschlussempfehlung Drucksache 16/3819 zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Die Gegenprobe! – Das ist nur die FDP. Enthaltungen? – Die Fraktion der CDU und die Fraktion der Grünen. Damit ist das Zehnte Gesetz zur Änderung des Bezirksverwaltungsgesetzes so angenommen.

Zum Gesetzesantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/3821 empfiehlt der Fachausschuss – mehrheitlich gegen die Grünen – die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Gegenprobe! – Das sind alle anderen Fraktionen. Ich frage nach Enthaltungen. – Das war nichts, Herr Hillenberg? Nur ein bisschen zu spät? – Damit ist der Gesetzesantrag Drucksache 16/3821 abgelehnt.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 4.4:

a) Antrag

Kein Drogenvollzug in Lichtenrade – endlich vernünftiges Gesamtkonzept für den Berliner Strafvollzug vorlegen!

Antrag der FDP Drs 16/3864

b) Antrag

Kein Umzug der jugendlichen Drogenstraftäter nach Lichtenrade – Kosten in Millionenhöhe sparen und Anwohnerinnen und Anwohner schützen!

Antrag der CDU Drs 16/3869

Das ist die Priorität der FDP, Tagesordnungspunkt 43. Für die gemeinsame Beratung der beiden Anträge steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der FDP. Herr Dr. Kluckert steht schon bereit. – Sie haben das Wort, bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem Verschweigen der Flugrouten für den Flughafen BBI plant der rot-rote Senat einen erneuten Anschlag auf die in Lichtenrade wohnenden Berlinerinnen und Berliner.

[Zuruf von der Linksfraktion: Geht es nicht noch dramatischer?]

Die Lichtenrader sollen nach dem Willen der Justizsenatorin neue Nachbarn bekommen, nämlich die Insassen des Drogenhauses der Jugendstrafanstalt. Um es hier schon ganz klar zu sagen: Wir lehnen einen Drogenvollzug im Lichtenrader Wohngebiet strikt ab.

[Beifall bei der FDP]

Diese Maßnahme ist unnötig, sie ist teuer und ein Schlag ins Gesicht der betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner.

[Benedikt Lux (Grüne) und Sven Kohlmeier (SPD) melden sich zu einer Zwischenfrage]

Schon früher wurde den Lichtenradern ins Gesicht geschlagen. Der CDU-geführte Diepgen-Senat setzte in den 90er-Jahren einen Gefängnisbau mitten in ein reines Wohngebiet. Seitdem werden in Lichtenrade in einer Außenanstalt der Jugendstrafanstalt, dem sogenannten Untersuchungshaftbereich Kieferngrund, jugendliche Untersuchungshäftlinge untergebracht.