Protocol of the Session on January 13, 2011

Jedenfalls finde ich, dass dabei ein Gesichtspunkt nicht zu kurz kommen darf. Und er kommt, meine ich, zu kurz in der aktuellen hochschulpolitischen Diskussion. Wenn wir als Land Berlin diese Studienplätze mitfinanzieren, sollten wir auch unser Augenmerk darauf legen, dass diese Studienplätze auch den Abiturientinnen und Abiturienten aus Berlin zugute kommen. Nun weiß ich natürlich auch, dass eine Landeskinderregelung verfassungsrechtlich nicht zulässig ist. Das ist mir schon klar. Und ich weiß auch – dieses Argument wird mit Sicherheit heute auch kommen, weil ich es schon einmal gehört habe –, dass es durchaus jungen Menschen guttut, wenn sie sich auf den Weg machen auf der Suche nach einem Studienplatz, auch in anderen Bundesländern zu gucken. Auch das ist richtig.

Ich frage aber umgekehrt: Warum ist es eigentlich für einen Studierenden aus einem anderen Land nur abhängig von seinem Studiendurchschnitt, ob er die Chance hier in

Berlin bekommt, und wir argumentieren damit, Berlin sei ja so attraktiv, weil wir attraktive Hochschulen, ein attraktives Umfeld, eine attraktive Partyszene, attraktive Wohnquartiere und billige Wohnungen haben, und lassen dabei außen vor, dass auch junge Menschen familiäre Bindungen haben, dass sie sich möglicherweise auch um ihre Eltern, ihre Geschwister mit kümmern, dass sie sich dort, wo sie groß geworden und verwachsen und aufgewachsen sind, auch eine Grundlage schaffen wollen. Ich meine, dass das auch ein Gesichtspunkt ist, der in einer Form einfließen sollte.

Deswegen ist es auch richtig nachzufragen, wo eigentlich die Schwerpunkte in der Studienwahl sind, weil ich meine, dass man dann auch ein entsprechendes Angebot in Berlin schaffen kann. Je passgenauer das Angebot an den Berliner Hochschulen für die Bedürfnisse der Berliner Abiturientinnen und Abiturienten ist, desto größer ist aus meiner Sicht die Chance, dort tatsächlich einen Studienplatz zu finden, der den eigenen Bedürfnissen gerecht wird. Ich finde, das sollte sich die Berliner Landespolitik mit als Ziel setzen.

Man darf vor allen Dingen eines nicht vergessen: Das, was an Studienplätzen vereinbart ist, und das, was an Studienplätzen besetzt wird, sind zwei unterschiedliche Dinge. In Berlin insbesondere verdienen mittlerweile ganze Hundertschaften an Anwälten ihr Honoraraufkommen damit, dass sie Klagen machen, um festzustellen, dass überkapazitäre oder außerkapazitäre Studienplätze zur Verfügung stehen. Auch das halte ich nicht für richtig, denn dort geht schon zum ersten Mal ein Selektionsmechanismus los, der nicht richtig sein kann, dass derjenige, der sich das leistet, sich einen Anwalt zu nehmen, die Chance hat, einen Studienplatz zu bekommen, jemand anderes, der weder den Mut noch die finanziellen Mittel aufbringen kann, diesen Weg zu beschreiten, außen vor bleibt. Auch das ist eine Ungerechtigkeit, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU – Beifall von Mirco Dragowski (FDP)]

Deswegen sage ich: Lassen Sie uns diese Gelegenheit nutzen, nicht nur etwas darüber zu erfahren, was unsere Abiturientinnen und Abiturienten wollen, sondern auch mit ihnen in einen Dialog zu treten, sie möglicherweise auch besser darauf vorzubereiten, was sie an den Hochschulen erwartet, welches Angebot in Berlin gemacht werden kann und auch für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, wenn es darum geht, in Berlin zu studieren. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU – Beifall von Volker Thiel (FDP)]

Vielen Dank, Herr Kollege Zimmer! – Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Fugmann-Heesing. – Bitte schön!

Herr Zimmer! Ich habe mich ja gefragt, warum Sie darauf bestehen, dass wir zu diesem Punkt heute hier noch eine Rederunde machen, ob Sie vergnügungssüchtig sind

[Beifall von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion) und Wolfgang Brauer (Linksfraktion)]

oder was Ihr Anliegen ist. Denn wenn ich den Antrag lese – und dieser Antrag soll auch noch überwiesen werden an den Wissenschaftsausschuss, meinetwegen könnten wir ihn gleich heute abstimmen –,

[Beifall von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion) und Wolfgang Brauer (Linksfraktion)]

dann ist das ja nichts anderes als ein Ablenken von den Versäumnissen der Bundesregierung.

[Mirco Dragowski (FDP): Na, na!]

Denn diese Bundesregierung hat die Wehrpflicht ausgesetzt.

[Beifall von Mirco Dragowski (FDP) und Nicolas Zimmer (CDU)]

Die Folgen treten unmittelbar ein,

[Mirco Dragowski (FDP): Sie sind für Zwangsdienste, Frau Fugmann-Heesing?]

und Sie stellen jetzt einen Antrag, erst einmal eine große Erhebung zu machen, welcher Bedarf denn daraus resultiert. Ich meine, wenn man einen solchen Weg geht, dann sollte man sich auch überlegen, was die Konsequenzen sind. Es ist doch absurd, dass Sie mit einem Antrag, der darauf abzielt, jetzt Riesenumfragen zu machen, meinen, das Problem lösen zu können, das Sie dort so kurzfristig erzeugt haben. Ich sage gar nicht, dass das mittel- oder langfristig nicht okay wäre. Es ist also ein Schauantrag, nichts anderes. Das Schlimme ist, dieser Antrag ist auch noch leider unsinnig und ziellos. Das will ich Ihnen ganz kurz darlegen.

Wir haben natürlich Prognosen, wir wissen, wie viele Abiturienten wir haben werden, wir wissen, wie viele Studienplätze wir haben werden, und Sie stellen jetzt einen Antrag, der darauf abzielt, genau zu erfragen, was denn die beabsichtige Studien- und Berufswahl ist. Was wollen Sie denn eigentlich erreichen? Was machen Sie denn, wenn jetzt die Hälfte der Berliner Abiturienten sagt, sie wolle Medizin studieren?

[Nicolas Zimmer (CDU): Wir haben doch Ärztemangel!]

Wollen Sie dann dementsprechend Medizinstudienplätze schaffen oder was? Was ist denn die Zielrichtung Ihres Antrags? Wir sind doch dabei, die Studienplätze aufzubauen,

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

alle Entscheidungen in diese Richtung sind bereits getroffen. Mittel sind bereitgestellt. Aber überhaupt den Eindruck erwecken zu wollen, dass, wenn ein anderer Bedarf als der, den wir zurzeit mit den Planungen abdecken, sich

darstellen würde, man kurzfristig alle Strukturpläne der Hochschulen verändern könnte, das ist doch blanker Unsinn. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Deshalb ist es ein reiner Schauantrag. Der Antrag ist unsinnig, er basiert wohl auf einer Maßnahme, die man in Bayern versucht hat durchzuführen und die da sogar daran gescheitert ist, dass es aufgrund technischer Probleme gar nicht möglich war, eine solche Umfrage zu führen.

Dann noch eine kurze Anmerkung: Wir haben in Berlin ungefähr doppelt so viele Studienplätze, wie wir Abiturienten haben, die tatsächlich ins Studium gehen – doppelt so viele Studienplätze! Ja, das kommt ungefähr hin, ungefähr das Verhältnis eins zu zwei, weil nicht jeder, der Abitur macht, auch ins Studium geht. Was hilft Ihnen überhaupt eine Erkenntnis, was die Bedürfnisse der Berliner Abiturienten sind? Sie haben es doch eben selbst angesprochen. Sie können doch nicht diejenigen, die aus anderen Bundesländern zu uns kommen wollen, ausschließen von den Studienplätzen in Berlin – nach anderen Kriterien als die Berliner Abiturienten. Wie wollen Sie ein solches Verfahren überhaupt rein technisch umsetzen?

[Mirco Dragowski (FDP): Sie sind an der Regierung!]

„Sie sind an der Regierung!“ – Es gibt verfassungsrechtliche Grenzen! Ich gehe einmal davon aus, dass auch Sie der Meinung sind, dass Regierungen Verfassungen einzuhalten haben. Deshalb ist das, so leid es mir tut, Herr Zimmer – und Sie wissen, dass ich unsere Debatten, die wir führen, immer sehr schätze –, aber das hier ist wirklich leider bloßer Unsinn. Deshalb sollten Sie das Ding am besten gleich ganz begraben. Ich fände es gut, wir würden gleich darüber abstimmen und würden uns den wirklichen Problemen zuwenden.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Vielen Dank! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat die Kollegin Schillhaneck.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Geschätzte Frau Kollegin Fugmann-Heesing! Es ist jetzt kein Problem der Aussetzung der Wehrpflicht, das plötzlich über uns gekommen ist. Das ist eine etwas kurzsichtige Deutung der Sachlage, ganz ehrlich.

[Beifall von Mirco Dragowski (FDP)]

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU! Einer Kritik muss ich mich allerdings anschließen. Ich glaube, unser Problem derzeit ist keine Prognoseunsicherheit im empirischen Sinne. Wenn wir jetzt erheben, was denn die potenziellen Abiturientinnen und Abiturienten so machen wollen, was sie sich vorstellen, dann hilft uns das nicht viel. Ihr Antrag kommt nämlich leider eine Runde zu spät.

Ich möchte darauf hinweisen, dass es früher solche Umfragen gab, mindestens stichprobenweise. Viel geholfen haben sie auch nicht, ganz ehrlich.

Was ist denn eigentlich unser Problem? – Unser Problem ist schlicht und ergreifend ein eklatanter Mangel an Studienplätzen an und für sich. Wir haben seit 20 Jahren – ich habe das heute noch mal nachgeschlagen – kontinuierlich ungefähr 140 000 Studierende in dieser Stadt. Das oszilliert ein bisschen; es gab mal einen Höhepunkt zum Wintersemester 93/94 mit etwas über 150 000 Studierenden und nach Einführung der Zwangsexmatrikulation einen Tiefpunkt mit ca. 130 000 Studierenden. – Einige Menschen haben behauptet, das sei eine Statistikbereinigung. Ich kenne genügend Personen, die mit dem Instrument tatsächlich von der erfolgreichen Beendigung eines Studiums abgehalten worden sind. – Aber die Zahl der personenbezogenen Studienplätze, errechnet an der Finanzierung der Hochschulen, ist im selben Zeitraum von 110 000 personenbezogenen Studienplätzen – damals noch mehrheitlich Universitätsstudienplätze – auf ungefähr 85 000 gesunken – bei derselben Zahl von immatrikulierten Studierenden. Das zeigt sehr deutlich, was derzeit unser Problem ist. Unser Problem ist nicht das Aussetzen der Wehrpflicht, unser Problem ist, dass jeden Sommer wieder Tausende von jungen Menschen eine Ablehnung nach der anderen kriegen und keinen Studienplatz in Berlin bekommen, ob sie hier nun Abi gemacht haben oder ob sie hierherziehen wollen und egal, wie lange sie gewartet haben. Das ist unser Problem, das ist der eigentliche Skandal.

[Beifall bei den Grünen]

Berlin befindet sich da in der Situation des Mannes, dessen Decke dreimal abgeschnitten wurde und immer noch zu kurz ist. Ganz ehrlich, da hilft jetzt auch keine darum herumgehäkelte hübsche Borte oder ein kreatives Zusammenrechnen von Landes- und Bundeszuweisungen oder ein Zeigen auf den bösen Bund, der sich nicht genug an der Finanzierung beteiligt. Das löst das Problem nicht. Das Einzige, was unser Problem mittelfristig lösen würde, wäre, wieder in die Richtung zu gehen: Wir brauchen mehr Studienplätze. Grüne haben am Anfang dieser Legislaturperiode vorgeschlagen, die damals – am Anfang, jetzt nicht mehr – erwarteten Steuermehreinnahmen zu einem Fünftel für Bildung zu verwenden. Da war auch der Aufbau von Studienplätzen mit angedacht, weil wir offensichtlich im Gegensatz zu den meisten Fraktionen in diesem Haus schon wussten, wann die doppelten Abiturjahrgänge kommen und dass wir ein strukturelles Problem haben und dass die Attraktivität von Berlin als Studienstandort steigen und nicht sinken wird.

Wer wird die Studienplätze, die wir jetzt haben, bekommen? – Ich kann Ihnen sagen, wer statistisch im Sommer eine Zusage und wer eine Absage bekommt. Eine Absage werden insbesondere sehr viele potenzielle Studierende aus Berlin bekommen, weil die durchschnittlichen Abinoten in Berlin aus irgendwelchen Gründen ein bisschen schlechter sind. Wir haben einen flächendeckenden NC – die Konsequenzen sind logisch.

Die Zusammensetzung der Berliner Studierendenschaft ist relativ untypisch. Wir hatten eine Anhörung mit Frau Mai-Hartung, der Geschäftsführerin des Studentenwerks. Sie hat gesagt, es gebe kein Bundesland, in dem der Anteil von mobilen und von der Herkunft her in höheren Schichten angesiedelten Studierenden so hoch sei. Woran liegt das? – Mal ganz neutral gesagt: Bei einer drastischen Knappheit von Studienplätzen verschiebt sich die Zulassungswahrscheinlichkeit drastisch zugunsten der im Bildungssystem ohnehin Privilegierten. Ich glaube, eines können wir gemeinsam nicht wollen: die bekannten Ungerechtigkeiten unseres Bildungssystems weiter und weiter und weiter zu perpetuieren.

[Beifall bei den Grünen]

Wer wird besonders davon betroffen sein, keinen Studienplatz zu bekommen? – Das kann ich Ihnen sagen: alle Leute, die nicht mobil sein können. – Ich weiß nicht, warum das Land Berlin auf seiner Berlin.de-Webseite Werbung für das Studium in Mecklenburg-Vorpommern macht. Vielleicht ist das ein Teil der Strategie. Ich bin gespannt auf die Antwort auf meine Kleine Anfrage. – Es gibt Personen, die sich Mobilität gar nicht leisten können, denn sie kostet Geld. Ich muss es mir leisten können, mich von meiner Familie zu entfernen, nicht auf die sozialen Sicherungssysteme zurückzufallen. Viele junge Frauen aus eher traditionellen Elternhäusern können zudem gar nicht durchsetzen, dass sie in einer anderen Stadt studieren.

[Mieke Senftleben (FDP): Die Zeiten sind aber vorbei! Wo leben Sie denn?]

Frau Kollegin Schillhaneck! Sie sind am Ende!

Ich habe das gesehen. – Was wir sonst noch haben, ist ein deutlicher Verdrängungswettbewerb zuungunsten derer, die ohne Abitur versuchen, einen attraktiven Ausbildungsplatz zu bekommen. Und das insgesamt beißt sich mit sämtlichen Vorstellungen von einer Steigerung der Akademikerquote, von Bildungsgerechtigkeit des Heranführens von bis jetzt nicht akademischen Familien an höhere Bildung. Das kann nicht in unserem Interesse liegen.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank! – Das Wort für die Linksfraktion hat der Kollege Albers.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen, meine Herren! Eine Bemerkung vorweg, Herr Zimmer! Sie haben vorhin davon gesprochen – ich hoffe, das ist Ihnen

nur so herausgerutscht –, dass die Finanzierung unserer Hochschulen zwielichtig sei. Die Finanzierung ist transparent. Sie ist demokratisch kontrolliert, und sie schöpft konsequent alle Möglichkeiten im Interesse unserer Hochschulen aus. Das sollten Sie begrüßen und nicht mit dem Wort „zwielichtig“ belegen.

Zum anderen: Frau Fugmann-Heesing hat im Grunde genommen alles gesagt, was zu diesem Antrag zu sagen ist. Er erschließt sich mir nicht. Wenn ich ihn richtig lese, dann schlagen Sie am 30. November des letzten Jahres vor, für das laufende Jahr eine Befragung der Studien- und Berufswahl der Abiturienten desselben Jahres durchzuführen, um dann darauf mit geeigneten Maßnahmen zu reagieren. Das nenne ich eine zeitnahe Umsetzung eines solchen Problems, aber der Sache gerecht werden Sie damit nicht. – Das muss ich nicht alles wiederholen, das hat auch Frau Fugmann-Heesing schon gesagt.

Mir wird auch nicht klar: Wollen Sie die Absolventenzahlen für die Jahrgänge 2011 und 2012 noch einmal präzisiert haben? Auch dazu hat der Senat, vorausschauend, wie er ist, längst, bevor Sie die Frage stellen konnten, entsprechende Zahlen vorgelegt. Die Senatsverwaltung hat Ihnen am 3. Februar 2010 auf Ihre Mündliche Anfrage aus der 57. Sitzung die Studienanfängerzahlen der vergangenen Jahre und die prognostizierten Zahlen bis 2015 vorgelegt, und auf die Anfrage von Frau Senftleben ist ebenfalls detailliert unterlegt worden, wie die entsprechenden Zahlen bis zum Jahr 2020 sind. Danach rechnen wir im Jahr 2012 mit 22 200 Hochschulzugangsberechtigungen.