Protocol of the Session on November 11, 2010

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.2:

Beschlussempfehlungen

Berlin-Pass für Opfer des DDR-Regimes ermöglichen

Beschlussempfehlungen IntArbBSoz und Haupt Drs 16/3553 Antrag der Grünen Drs 16/2746

Die Redezeit beträgt jeweils fünf Minuten. Für die Fraktion der Grünen beginnt Kollegin Pop. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen heute als Priorität – zugegebenermaßen zu ungewohnt später Stunde – über einen Vorgang diskutieren, den wir für unglaublich halten. Im Jahr 21 nach der friedlichen Revolution stoßen die einstigen Opfer des DDR-Regimes immer noch auf Widerstände in dieser Stadt, und besonders empörend finde ich, dass sie von der Linkspartei kommen, die eigentlich als Partei in besonderer Verantwortung für die Geschichte stehen müsste.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Schön, dass einige noch wach sind!

[Gregor Hoffmann (CDU): Ich habe Ihre Fraktion mal wachgemacht!]

Wir haben mit unserer Initiative erreichen wollen, dass diejenigen den Berlin-Pass erhalten, die Ausgleichszahlungen nach dem Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet erhalten, sowie Personen, die Anspruch auf die sogenannte Opferrente haben. Für die Betroffenen würde dies konkret eine bessere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, am öffentlichen Nahverkehr, Museen, Theater usw. durch den Sozialpass bedeuten. Denn eine aktuelle Studie zur sozialen Lage der Opfer des DDRRegimes macht noch einmal deutlich – ich zitiere –:

Die einstige Verfolgung bedeutet eine Benachteiligung bis heute. Die beruflichen Brüche zu DDRZeiten wirken nach beim Einkommen, sie werden sich auch bei den Renten niederschlagen.

Es geht also um Menschen, die in ihrer wirtschaftlichen Lage besonders beeinträchtigt sind – häufig als Folge von Inhaftierung und Verfolgung in der DDR.

Die Gruppe derer, die unter dem DDR-Regime gelitten haben, ist groß. Es sind die Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet, aber auch diejenigen, die Anspruch auf die Opferrente haben, die zu Zwangsarbeit in die damalige UdSSR Verschleppten und die SED-Haftopfer. Es sind all diejenigen, die gesundheitliche Schädigungen davongetragen haben. Zum 21. Jahrestag des Mauerfalls wäre es also höchste Zeit, mit einer politischen Geste denjenigen in dieser Stadt zu danken, die wegen ihres Widerstandes gegen das SED-Regime und ihres Engagements für die Freiheit politisch verfolgt und unterdrückt wurden.

[Beifall bei den Grünen]

Doch selbst diese kleine Geste der Anerkennung ist RotRot offensichtlich zu viel. Dass unser Antrag von Rot-Rot abgelehnt wird, hätten wir nicht für möglich gehalten. Nicht nur, dass diese rot-rote Regierung ganz offensichtlich den Blick für die sozialen Gerechtigkeitsprobleme in unserer Stadt verloren hat, mit dieser nicht nachvollziehbaren Ablehnung brüskieren SPD und Linke die Opfer des DDR-Regimes heute noch. Es wäre eine wegweisende Geste gewesen, den Antrag zu unterstützen und so den überschaubaren Kreis der einst politisch Verfolgten für ihren Widerstand gegen das DDR-Regime zu würdigen.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Die Begründung der Änderung ist ebenso fadenscheinig wie peinlich. Die sozialpolitische Sprecherin der Linkspartei, Elke Breitenbach, erklärte dazu im Hauptausschuss – ich zitiere aus dem Protokoll dieser Sitzung –:

Der symbolische Akt würde 600 000 Euro kosten insbesondere für das mit dem Berlin-Pass verbundene Sozialticket. Diese Summe könne in der gegenwärtigen Situation nicht einfach quasi aus der Portokasse aufgebracht werden.

Es ist ein Unding, dass die Linke hier nun plötzlich die Haushaltslage als Begründung anführt, zumal die Summe

von 600 000 Euro, die Frau Breitenbach offensichtlich erfunden hat, von der Koalition oder vom Senat bis heute nicht unterlegt werden konnte und unverhältnismäßig hoch angesetzt ist. Es geht nämlich nur um einige wenige Tausend Menschen, die zusätzlich den Sozialpass erhalten sollen. Zurzeit sind durch die Beschlüsse des Senats mehr als 600 000 Menschen berechtigt, den Sozialpass zu beantragen. Da soll mir einer erklären, warum ein oder zwei Tausend zusätzliche Berechtigte diesen Kreis von 600 000 Menschen so dramatisch erhöhen sollen, dass die Haushaltslage unübersichtlich zu werden droht. Das finde ich mehr als fadenscheinig. Das sage ich Ihnen auch als Haushälterin. Rechnen können Sie nicht, es ist nur ein Hilfsargument.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Es geht um einen symbolischen Mini-Betrag, aber noch nicht einmal das wollen Sie von der Linkspartei den Opfern gönnen. Sie sind offensichtlich bis heute nicht in der Lage, ein Zeichen der Anerkennung für diejenigen Menschen zu setzen, die wegen ihres Wunsches nach Freiheit gelitten haben. Das ist ein Armutszeugnis und zeigt, wer bei der Linkspartei heute noch das Sagen hat. Die SPD schweigt zu dem Vorgang. In keinem Ausschuss haben Sie sich dazu auch nur mit einem Buchstaben geäußert. Ich bin gespannt, was Sie heute erzählen werden. Das beredte Schweigen wird aber durchaus in der Stadt wahrgenommen. Ich glaube, so einfach kommen Sie hier nicht davon. Sie lassen lediglich Herrn Gaebler erklären – ich zitiere –:

Die Anbieter müssten eine Ausweitung des Personenkreises akzeptieren, und andernfalls könne der Berlin-Pass nicht mehr genutzt werden.

Ich frage nur, ob die SPD jetzt meint, dass alle Anbieter bei einer Öffnung des Berlin-Passes für die Opfer des DDR-Regimes einen Rückzieher machen würden. Oder was meint Herr Gaebler damit? Das finde ich erklärungsbedürftig.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Ich meine allerdings, dass es noch nicht zu spät ist, Ihren Fehler zu korrigieren. Sie können für unseren Antrag stimmen, den Berlin-Pass für Opfer des DDR-Regimes zu öffnen. Es wäre ein wichtiger Schritt, gerade in einer Zeit, wo das DDR-Regime zunehmend verharmlost und dadurch das Leid der Opfer bagatellisiert wird. Und das ist wahrlich nicht zum Gähnen, Herr Müller!

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Das Wort für die SPD-Fraktion hat Frau Radziwill. – Bitte schön!

[Volker Ratzmann (Grüne): Jetzt sind wir gespannt!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist billige grüne Stimmungsmache – die Frage, ob man als Ehrung den Opfern des DDR-Regimes den Berlin-Pass gibt oder nicht.

[Ramona Pop (Grüne): Sie wollen das gar nicht!]

Viele Bürgerinnen und Bürger haben für ihre Freiheit und für Meinungsfreiheit ihr Leben riskiert – auch für alle anderen. Am Ende ist der friedliche Weg hin zum Mauerfall insbesondere auch ihr Erfolg gewesen. Ihr Wissen und ihre Erfahrung brauchen wir für die jüngeren Generationen. Viele Berlinerinnen und Berliner wissen um ihre Lebensleistung. Wir wissen um ihr Engagement und um das Risiko, das sie persönlich eingegangen sind. Sie haben sich für Freiheit und Menschenrechte aus innerer Überzeugung engagiert und nicht, weil sie sich eine Ehrung erhofft haben.

[Beifall bei der SPD – Beifall von Udo Wolf (Linksfraktion) – Buh-Rufe von den Grünen – Zuruf von den Grünen: Perfide!]

Respekt, Ehrung und eine Herausstellung der Leistungen von Menschen, die Opfer von politischer Verfolgung in der DDR waren, müssen auf einer anderen Ebene erfolgen.

[Joachim Esser (Grüne): Das ist ein Wunsch von denen selber!]

Liebe Kollegen und Kolleginnen von den Grünen! Mit dieser Einzelgeste für diese besondere Gruppe, wo Sie sich – auf Deutsch gesagt – lieb Kind machen, kommen Sie einer wirklichen Ehrung nicht nach.

[Özcan Mutlu (Grüne): Wie bitte? – Christoph Meyer (FDP): Sie sollten aufpassen, was Sie da sagen! – Zuruf von den Grünen: Unmöglich! – Weitere Zurufe von der CDU und den Grünen]

Diese Einzelmaßnahme ergibt deshalb aus Sicht der Koalition keinen Sinn. Frau Pop! Im Übrigen: Wenn Ihnen dieses Thema so wichtig gewesen wäre, wie Sie es uns heute zu suggerieren versuchen, hätten Sie es im Herbst 2009 in den Haushaltsberatungen zum Doppelhaushalt 2010 und 2011 einbringen können.

[Zurufe von der CDU und den Grünen]

In den Protokollen der ersten und zweiten Lesung im Fachausschuss für Soziales oder im Hauptausschuss ist dazu nichts zu finden. Dort haben wir über den BerlinPass debattiert.

[Zuruf von Joachim Esser (Grüne)]

Im Übrigen gab es bei der Debatte im Fachausschuss für Soziales keine Aussprache. Sie wollten eine sofortige Abstimmung ohne Aussprache. Insofern hat die SPD hier nicht geschwiegen, sondern ist Ihrem Wunsch gefolgt.

Was steht diesen Betroffenen rechtlich zu? – Nach dem Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet erhalten ca. 7 200 Personen eine sogenannte Opferrente. Nach dem Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligung für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet, dem Berliner Reha-Gesetz, erhielten im Jahr 2009 geschätzt rund 300 Personen eine Ausgleichsleistung.

Berlin zeichnet aus, dass unter Rot-Rot in unserer Stadt trotz finanzieller Engpässe in den Kassen das Angebot Berlin-Pass für besonders einkommensarme Bürgerinnen und Bürger vorhält. Das ist bundesweit ein einmaliges Angebot. Es ist ein sozialpolitisches Instrument. Es steht allen Leistungsberechtigten zur Verfügung. Wir haben hier das soziale Maß sehr genau im Blick.

Zur Inanspruchnahme des Berlin-Passes berechtigt sind Leistungsempfangende nach dem SGB II, nach dem SGB XII und dem Asylbewerberleistungsgesetz sowie die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaften. Der Berlin-Pass ist ein zusätzliches Angebot des Landes, das zur Vereinfachung der Inanspruchnahme sozialer Vergünstigungen auf freiwilliger Basis bei Bedarf in Anspruch genommen werden kann. Für Empfänger und Empfängerinnen dieser besonderen Sozialleistungen gilt er als einfacher und einheitlicher Berechtigungsnachweis zur Inanspruchnahme von Vergünstigungen im öffentlichen Personennahverkehr und im gesamten Kultur- und Freizeitbereich.

[Zuruf von Joachim Esser (Grüne)]

Also steht der Berlin-Pass auch allen Opfern des DDRRegimes vollständig zur Verfügung, die leistungsberechtigt nach dem SGB II und dem SGB XII sind. – Liebe Frau Pop! Suggerieren Sie bitte nicht, dass diesen Menschen der Berlin-Pass nicht zur Verfügung steht. Das stimmt so nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen! Ihnen fehlt das Sozialprofil.

[Gelächter bei den Grünen]

Sie suchen händeringend nach Themen. Dieses sensible Thema aber eignet sich nicht dazu. Sie können den Berlinerinnen und Berlinern nicht auf Kosten der Opfer des DDR-Regimes ein Sozialprofil vorgaukeln.

[Zurufe von den Grünen]