Was haben Sie uns mit dieser Aktuellen Stunde für eine Brühe angerührt? – Als Sie diese Aktuelle Stunde zu den Themen „Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität“ beantragten und begründeten, konnte ich es eigentlich kaum glauben. Verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich habe ich Ihnen zugetraut, dass Sie in der Lage sind, zwei Themen, die jeweils für sich eine Aktuelle Stunde verdient hätten, in 10 Minuten zu verwursten und beide halb tot zu reden. Erstaunlich ist aber, welche beiden Themen Sie sich ausgesucht haben. Es schwimmen in Ihrer trüben Brühe ein paar Brocken, die man erst einmal finden und herausfischen muss. Das will ich gern tun.
Die Bilder sind so gut wie Ihre Aktuelle Stunde! – Zum einen gibt es die Terrorismusbekämpfung. Einig sind wir uns in einem Punkt: Deutschland und Berlin sind durch die Gefahr terroristischer Anschläge bedroht. Es verwundert aber schon, wenn einige hier zu meinen scheinen – mit Ihrer Aktuellen Stunde habe ich den Eindruck –, mit den Anschlagsversuchen 2004, 2005 und 2006 habe sich die Bedrohungslage drastisch verändert. Das ist nicht der Fall. Die Bedrohungslage ist nicht neu. Ich erinnere daran, dass schon im Jahr 2000 eine Gruppe Frankfurter Islamisten versuchte – das wird anscheinend gern vergessen –, einen Sprengstoffanschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg durchzuführen. Das Ziel war schon damals, Deutsche, Franzosen und andere Gäste in die Luft zu jagen. Das war im Jahr 2000 und damit vor dem 11. September 2001.
Ich konnte mich des Eindrucks nicht so ganz erwehren, dass Sie sich von der PDS und der SPD mit Ihrem Thema hinstellen und sagen: Hier stehe ich und kann nicht anders. – Vielleicht ist es deshalb Zeit, dass wir einmal kritische Bilanz Ihrer intelligenten Antiterrorpolitik, Herr Kleineidam, ziehen. Was haben Sie denn bisher gemeinsam auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung geleistet? – Blicken wir einmal zurück auf die Geschichte dieser fortgesetzten rot-roten Regierung. Da haben Sie die privaten Überflugrechte für Hobby-Piloten in Berlin eingeschränkt. Natürlich wussten Sie, dass das nichts bringt. Selbstmordattentäter aus der Luft lassen sich – wie Sie, Herr Körting, auch treffend zusammenfassten – durch ein Überflugverbot kaum beeindrucken.
Was haben Sie noch getan? – Sie haben die Videoüberwachung im öffentlichen Personennahverkehr weiter ausgebaut. Natürlich wussten Sie, dass das den Terroristen, der sich selbst und andere in die Luft sprengt, kaum von seinen Plänen abhalten wird. Angesichts der Personalknappheit bei BVG und Polizei wird das auch keine einzige Explosion verhindern. Wie lange es zurzeit dauert, bis ein erster Beamter an einem per Video identifizierten Tatort in einer U-Bahn-Station erscheint, wissen wir spätestens seit der Drogenproblematik an den Berliner U-Bahnhöfen. Dort ist trotz Videoüberwachung auch nichts geschehen, bis Sie irgendwann die Presse auf
Was haben Sie bei der Polizei getan? – Dort waren Sie ganz radikal. Sie haben radikal das Personal gekürzt.
Sie haben dadurch in Kauf genommen, dass Sie die Außenpräsenz und die Einsatzfähigkeit der Polizei massiv gefährdet haben. Eine effektive Kontrolle vor Ort und echte Sicherheit werden mit immer weniger Personal immer schwieriger.
Und dann kommt die größte Leistung von Rot-Rot im Antiterrorkampf. Zu guter Letzt fordert der Koalitionspartner Linksfraktion auch noch die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Das folgt der Logik „Vogel Strauß“: Wenn man von terroristischen Vorbereitungen nichts mitbekommt, geht der Terror vielleicht von selbst an einem vorbei.
Bei diesen bisherigen innen- und sicherheitspolitischen Milchmädchenrechnungen des rot-roten Senats bleibt der Betrachter nahezu sprachlos zurück.
Sie haben hinreichend demonstriert, wie man die Rechte der Berliner Bürgerinnen und Bürger sinnlos einschränken kann. Sie haben demonstriert, wie Sie ohne Erfordernis sinnlose Regelungen schaffen konnten. Immerhin konnten Sie damit Aktionismus vortäuschen. Tatsächlich haben Sie gleichzeitig das Gegenteil einer sinnvollen Sicherheitspolitik geschaffen.
Aber ich kann Sie beruhigen, meine Damen und Herren von der rot-roten Koalition – Sie sind nicht allein. Eine Geige wäre nichts ohne das zugehörige Orchester. Ihre Aktionen fügen sich nahtlos in die Qualität der Terrorismusbekämpfungsgesetzgebung der Bundesrepublik und unserer Nachbarbundesländer ein. – Und da, Herr Kleineidam, kommt die intelligente Sicherheitspolitik der SPD auf Bundesebene wieder ins Spiel. Es begann mit der Wahlkampfwunderwaffe im Kampf gegen die organisierte Kriminalität, dem großen Lauschangriff 1998, und ging dann weiter mit einer ständigen innenpolitischen Aufrüstung, mit einem permanenten Abbau der Bürgerrechte in der Folge – und zwar nicht erst seit dem 11. September 2001. 2001 senkte der Bundesgesetzgeber mit dem sogenannten Gesetz zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses die Hürden für Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis massiv. Dann kam „Schily II“, das noch eilig in Kraft trat, wo die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Verteilung von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Tätigkeiten verwischt wurde. Seitdem haben wir Biometrie, Rasterfahndung mit Sozialdaten und zentrale Referenzdatei, 2002 das sogenannte Finanzmarktförderungsgesetz, Zugriff der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht auf die Kontodaten von jedermann, und ein Jahr später, 2003, auch noch für das Finanzamt – selbstverständlich, auch
Weiter ging es mit dem Telekommunikationsgesetz und der Übermittlung von Passagierdaten ins Ausland – schöne neue Welt! Ohne sich zu fragen – Herr Kleineidam, da müssen Sie doch einmal schauen! –, welcher Sicherheitszuwachs erreicht wurde, wurden die Antiterrorgesetze 2006 nicht etwa geprüft – wie Sie es gefordert haben – und eingeschränkt, sondern verlängert und erweitert. Vorne auf diesem Zug immer mit dabei: die SPD – und natürlich auch unser Berliner Innensenator Körting! Ihm konnte übrigens die Verlängerung der Antiterrorgesetzgebung gar nicht lang genug gehen. Am liebsten, so sagte er im Juli 2006, sollten diese Gesetze ganz unbefristet weitergelten. Sie seien auch unbedenklich, sagte Herr Körting. Warum?, werden Sie sich fragen. – Auch das sagte uns Herr Körting: Die Gesetze seien deshalb unbedenklich, weil sie so wenig zur Anwendung gekommen seien. – Diese Logik erschließt sich dem geneigten Betrachter nicht. – Herr Wolf, da müssten Sie noch einmal ein Gespräch mit Herrn Körting führen!
Aber auch unser Innensenator ist nicht allein. In den vergangenen Jahren erwiesen sich die Innenminister auffallend häufig als nicht ganz verfassungsfest. Etliche übereilte Länderregelungen sind inzwischen – allerdings erst nach Interventionen der Verfassungsgerichte – wieder gefallen. Rasterfahndungsmaßnahmen sind da zu nennen und die verdachtsunabhängige Schleierfahndung. Präventiven Abhörregelungen erging es ähnlich. Das Bundesverfassungsgericht erst stoppte die Befugnisse des BND, der zuvor ohne jeglichen Verdacht den gesamten Fernmeldeverkehr vom und ins Ausland systematisch nach verdächtig klingenden Suchbegriffen durchforsten durfte.
Was haben nun all diese Gesetze und ihre Aktionen aus der letzten Legislaturperiode gemein? – Sie schränken Bürgerrechte massiv ein. Sie haben kaum einen Nutzen in der Anwendung, denn man braucht sie nicht. Fazit: Sie von Rot-Rot gewährleisten keine echte Sicherheit, sondern täuschen Sicherheit nur vor.
Aber das ist eine vorgetäuschte Sicherheit, die angesichts des Verlustes an Freiheitsrechten teuer erkauft ist.
Innere Sicherheit ist dann in den richtigen Händen, wenn das politische Handeln sich von drei Kriterien leiten lässt: 1. Gebotenheit. Ist die Maßnahme überhaupt geeignet, das Problem zu lösen? – Daran scheitern schon viele Ihrer Lieblingsprojekte, weil sie überhaupt keinen Erfolg erzielen. – 2. Erforderlichkeit. Kann der Erfolg durch ein milderes Mittel erzielt werden? – Letztlich gibt es noch die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Steht das Mittel überhaupt in einem sinnvollen Verhältnis zum angestrebten Zweck?
Wir Liberalen wollen, dass unser Land bei aller Sicherheit ein liberaler Rechtsstaat bleibt. Dafür werden wir kämpfen, denn wie wichtig die Freiheit ist, merkt man erst, wenn sie weg ist.
Sie reden von Sicherheit, aber Sie schaffen keine Sicherheit. Statt Sicherheit schaffen Sie mit Ihren Gesetzen nur bedrucktes Papier. Sie sind nicht bereit, wirklich etwas für die Bekämpfung von Terror zu tun, zum Beispiel unsere Behörden zur Terrorbekämpfung personell und finanziell besser auszustatten. Den Verfassungsschutz – die einzige Behörde, die präventiv aufklärt – will die Linksfraktion abschaffen. Das ist der Beitrag der Koalition zur Terrorismusbekämpfung in Berlin.
Leider sieht es bei der organisierten Kriminalität nicht viel anders aus. Das Wesen der organisierten Kriminalität ist, dass sie erst erkannt werden muss. Dazu braucht man kein Verbot von Privatfliegern oder ein Abhören im Schlafzimmer, wir brauchen vor allem qualifizierte und motivierte Beamtinnen und Beamte,
die Straftaten auswerten, die Verknüpfungen schaffen und die technisch und personell so ausgestattet sind, dass sie ihre Aufgabe – die Bekämpfung der organisierten Kriminalität – überhaupt erfüllen können. Statt unser Landeskriminalamt besser auszustatten, reduzieren Sie seit Jahren die personelle Leistungsfähigkeit in der Bekämpfung der organisierten Kriminalität immer weiter. Von dereinst 300 Beamten haben die OK-Abteilungen heute ein Drittel weniger Personal zur Verfügung. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass viele Mitarbeiter im Landeskriminalamt aufgrund Ihrer Versäumnisse extrem frustriert sind. – Die Presse stellte übrigens unlängst die Frage: Ist die Bekämpfung der organisierten Kriminalität in Berlin ein Luxus? – Das spricht für sich.
Ihre Politik ist ein Spiegel der mangelnden Antworten, die Sie unseren Bürgerinnen und Bürgern bieten. Wenn Berlin bisher nicht häufiger Ziel terroristischer Anschläge geworden ist, wenn die organisierte Kriminalität immer noch – mehr schlecht als recht – unter Kontrolle ist, so ist das nicht aufgrund Ihres Regierungshandelns der Fall, sondern trotz Ihres Regierungshandelns.
Wachen Sie endlich auf! Sorgen Sie bei der Inneren Sicherheit nicht für mehr bedrucktes Papier, sorgen Sie endlich dafür, dass unsere Behörden in die Lage versetzt werden, organisierte Kriminalität und Terrorismus effektiver zu bekämpfen!
Hören Sie endlich mit dem Sparen nach der Rasenmähermethode auf und handeln Sie! Denn an Ihrem Handeln, meine Damen und Herren von Rot-Rot und Herr Kleineidam, nicht an Ihren Worten werden Sie gemessen werden.
Danke, Herr Kollege! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. – Doch, Herr Senator Körting meldet sich. – Bitte schön, Herr Körting!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte zeigt mir, dass es in diesem Hause wichtig ist, mehr über Sicherheitsfragen zu reden als weniger. Die Debatte, die hier geführt wurde, ging in erster Linie um die Frage: Wollen wir überhaupt darüber reden?
Wir haben eine bundesweite Debatte über neue Instrumente zur Terrorismusbekämpfung. Wir haben eine Debatte mit etlichen Bundesländern, die die Verfassungsschutzaufgaben erweitern wollen und dem Verfassungsschutz Aufgaben aus der allgemeinen Kriminalität, der organisierten Kriminalität oder Ähnlichem zuschieben wollen. Es ist Aufgabe von Politik und auch Aufgabe von uns allen, uns rechtzeitig Gedanken zu machen, ob wir das getan haben, was erforderlich ist. Ich halte es für sinnvoller, sich vor einem möglichen Terroranschlag Gedanken zu machen, ob man alles getan hat, was präventiv möglich ist, als danach.
Soweit es die organisierte Kriminalität betrifft, haben wir eine Entwicklung, und zwar eine positive Entwicklung. Wir haben einen bundesweiten Rückgang der Zahlen organisierte Kriminalität. Wir haben nach 1990 befürchtet, dass wir mit Öffnung der Grenze nach Osten einen Massenanfall von maffiaähnlicher organisierter Kriminalität aus der ehemaligen Sowjetunion bekommen würden. Wir haben ihn nicht bekommen. Wir haben Zahlen, die in den letzten Jahren ungefähr gleich geblieben sind: 2003: 92, 2004: 84, 2005: 95 von Komplexen. Das bedeutet, es ist uns mit den Instrumentarien, die wir zur Verfügung haben, gelungen, nicht zuzulassen, dass organisierte Kriminalität sich über ein bestimmtes Level, das wir bekämpfen, in Berlin festsetzt.
Da ist Berlin übrigens eher Vorreiter als Nachreiter. Vergleichen wir unsere Bevölkerungszahl – 3,5 Millionen – mit 95 Fällen organisierte Kriminalität – die wir in Sonderdezernaten bearbeiten – mit einem Land wie Nordrhein-Westfalen – weil gerade der Kollege Jotzo von der FDP gesprochen hat!
Nordrhein-Westfalen weist gerade einmal 63 gesondert behandelte Fälle organisierter Kriminalität aus. Es kann mir keiner sagen, dass sich die organisierte Kriminalität in einem Bundesland mit der fünffachen Bevölkerung Berlins so wesentlich sensationell unterscheidet von der Berlins. Das heißt, wir sind offensichtlich in der Lage, ausreichend Manpower zur Verfügung zu stellen.
Das betrifft übrigens Kriminalität generell, Herr Henkel. Ich kenne die permanente Debatte, dass die Zahlen der PKS nicht gälten. Dazu sage ich ironisch: Ab 1998 haben alle Innensenatoren zu Recht darauf hingewiesen, dass die Anzahl bestimmter Kriminaldelikte zurückgeht z. B. bei der Jugendkriminalität. Ich habe sie weder 1998 noch 1999 noch im Jahr 2000 krähen hören, dass die Rückgangszahlen, die die Kollegen Schönbohm und Werthebach ihnen damals verkündet haben, gefälscht seien oder nicht die Realität widerspiegelten. Wir haben einen Rückgang von Kriminalität. Das heißt nicht, dass sie nicht noch mehr zurückgehen müsste. Aber wir haben einen Rückgang der Kriminalität unter CDU-Senatoren gehabt, und wir haben einem Kriminalitätsrückgang während das Innenressort unter meiner Federführung ist. Das halte ich für positiv. Das sollte man den Leuten draußen sagen.
Man sollte nicht permanent Verunsicherungskampagnen führen, indem man immer einen Popanz aufbaut, als ob man nun an jeder Straßenecke überfallen würde.
Das Gleiche gilt für terroristische Gefahren. In der Tat, der Terrorismus ist in der Bundesrepublik Deutschland angekommen. Er war schon einmal da, wenn ich an die Geschichte der RAF erinnere,