Protocol of the Session on September 9, 2010

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 69. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße alle Kolleginnen und Kollegen gestärkt aus dem Urlaub zurück sowie die Zuhörerinnen und Zuhörer. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, bitte ich Sie, sich zu erheben.

[Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.]

Ich habe eine traurige Pflicht zu erfüllen. Am 25. Juli 2010 ist der frühere Abgeordnete und Stadtälteste von Berlin Günter Dach im 95. Lebensjahr in Berlin verstorben. Mit Günter Dach verliert Berlin einen engagierten Politiker und Bürger, der sich bis an sein Lebensende für seine Mitmenschen eingesetzt hat.

Günter Dach wurde am 27. August 1915 in Berlin geboren. Nach der Schulausbildung folgte die Berufsausbildung zum Drogisten und technischen Fotografen, später wurde das um die Ausbildung zum Luftbild-Gehilfen erweitert. Von 1936 bis 1938 versah Günter Dach seinen Wehrdienst bei der Luftwaffe und diente von 1939 bis 1945 als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Nach dem Krieg schloss er sich von 1946 bis 1947 einer Tätigkeit bei der Zentralverwaltung für Handel und Versorgung in der Sowjetischen Besatzungszone an.

Als die der SED die ihr nicht genehmen Mitarbeiter in der Zentralverwaltung entließ oder anders drangsalierte, verlor auch Günter Dach seine Stellung bei der Zentralverwaltung. 1948 und 1949 arbeitete Günter Dach als freier Bildberichterstatter und Journalist, danach übernahm er hauptamtlich die Redaktion und Leitung der Abteilung „Presse-Werbung-Rundfunk“ im Berliner Landesverband der Deutschen Angestelltengewerkschaft. Seit 1965 war er als Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte tätig.

Günter Dach war noch in der Zeit des Ersten Weltkriegs geboren. Er war geprägt von den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs. 1946 trat er in die Christlich Demokratische Union ein und engagierte sich in der Gewerkschaftsbewegung. Seit 1949 war Günter Dach Ortsvereinsvorsitzender, Kreisvorsitzender und Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der Berliner CDU.

Günter Dach war seit 1946 gewerkschaftlich organisiert, zunächst im FDGB, später in der Unabhängigen Gewerkschaftsorganisation UGO und anschließend in der Deutschen Angestelltengewerkschaft. Von 1949 bis 1964 war er auch hauptamtlich für die DAG tätig. Im Rahmen seines großen gesellschaftspolitischen Engagements arbeitete Günter Dach für verschiedene Organisationen: Er war Mitglied des Kuratoriums Unteilbares Deutschland, des Vorstandes der Gesellschaft für die Vereinten Nationen, der Europa-Union, der Ernst-Reuter-Gesellschaft und der Vereinigung für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.

Dem Abgeordnetenhaus gehörte Günter Dach über 16 Jahre an, von 1959 bis 1975. Er war Mitglied des Ältestenrats und des Ausschusses für Arbeit und Soziale Angelegenheiten. Dort hat er sich über viele Jahre um das Wohl der Stadt Berlin und ihre Bürgerinnen und Bürger verdient gemacht. Nahezu 25 Jahre war er als Arbeitsrichter und Landesarbeitsrichter ehrenamtlich tätig. Er war Mitglied der Vertreterversammlung der Deutschen Angestelltenkrankenkasse und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und im Rundfunkrat des Senders Freies Berlin. Das Land Berlin ehrte am 24. März 1981 die langjährigen Verdienste des Christdemokraten Günter Dach mit der Ernennung zum Stadtältesten von Berlin.

Günter Dach wird uns mit seiner ehrlichen und aufrechten Haltung und seiner unermüdlichen Arbeit für sozialen Ausgleich und das friedliche Miteinander der Menschen stets als Vorbild in guter Erinnerung bleiben.

Wir gedenken Günter Dachs mit Hochachtung.

Der ehemalige Abgeordnete Horst Lange ist am 27. Juli 2010 im Alter von 76 Jahren verstorben. Berlin verliert mit ihm einen engagierten Jugend- und Sozialpolitiker.

Horst Lange wurde am 30. März 1934 in Berlin geboren. Nach dem Besuch der Hauptschule begann er 1949 eine Bäckerlehre und arbeitete anschließend als Bäcker. Über den zweiten Bildungsweg holte er die mittlere Reife nach und wurde 1954 Erzieherpraktikant im Kinderheim Glienicke. Von 1955 bis 1957 studierte Horst Lange am Seminar für Sozialberufe der Arbeiterwohlfahrt in Mannheim. Dort legte er 1957 das Staatsexamen als Sozialarbeiter ab. Fortan widmete er sich in Kreuzberg seiner Tätigkeit als Fürsorger. Seit 1963 fungierte er als Prozessvertreter für das Jugendamt des Bezirks Kreuzberg und später – ab 1967– im Bezirk Tiergarten.

Horst Lange trat 1952 in die SPD ein. Er hatte verschiedene Ehrenämter inne, unter anderem im Kreisvorstand der SPD Kreuzberg, als Landesdelegierter und als Mitglied der Justizkommission beim Landesvorstand. Von 1967 bis 1971 verstärkte Horst Lange die SPD-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung seines Heimatbezirks als Bezirksverordneter und stellvertretender Fraktionsvorsitzender. In der BVV Kreuzberg saß er für seine Faktion im Ältestenrat und im Haushaltsausschuss. Daneben engagierte er sich in der Schuldeputation und der Sportdeputation. 1971 wurde Horst Lange in das Abgeordnetenhaus von Berlin gewählt, dem er zehn Jahre lang – bis 1981 – angehörte. Als Mitglied des Ausschusses für Justiz bekleidete er über alle drei Wahlperioden hinweg die Funktion des stellvertretenden Ausschussvorsitzenden. Daneben arbeitete er im Ausschuss für Sicherheit und Ordnung.

Schon zu Beginn seiner Lehre, im Jahr 1949, trat Horst Lange der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten im DGB bei. Er arbeitete im Landesjugendausschuss des

DGB mit. 1959 wurde er Mitglied der Gewerkschaft ÖTV.

Horst Lange war Mitglied der Arbeiterwohlfahrt sowie der Straffälligen- und Bewährungshilfe, Vorstandsmitglied der 1977 gegründeten Gustav-Radbruch-Stiftung und Mitglied des SFB-Rundfunkrats.

Mit Horst Lange hat die Berliner Landespolitik eine Persönlichkeit verloren, die sich zeitlebens für hilfsbedürftige Menschen eingesetzt hat, die in der Gesellschaft keine Lobby haben. Mit seinem Engagement für soziale Gerechtigkeit und für Straffällige hat er vielen Menschen geholfen, von der Gesellschaft wieder als vollwertiges Mitglied aufgenommen zu werden.

Wir werden Horst Lange ein ehrendes Andenken bewahren.

[Gedenkminute]

Bevor wir in der Tagesordnung weiter fortschreiten, möchte ich allen Muslimen im Hause und in Berlin zum heutigen Zuckerfest herzlich gratulieren!

[Allgemeiner Beifall]

Alles Gute den Muslimen!

Als neues Mitglied der Fraktion der SPD begrüße ich herzlich den Kollegen Florian Dörstelmann, der für Frau Stefanie Winde in unser Haus nachgerückt ist. – Auf eine gute Zusammenarbeit, Kollege Dörstelmann!

[Allgemeiner Beifall]

Am Montag hat mir der Abgeordnete Albert Weingartner seinen Austritt aus der Fraktion der FDP mitgeteilt. Mit Schreiben vom 8. September 2010 hat mich der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion darüber unterrichtet, dass die CDU Herrn Abgeordneten Weingartner in der Fraktion aufgenommen hat. Er sitzt wohl auch schon in der Mitte derselben.

Mit Schreiben vom 7. September 2010 hat mich die Fraktion der CDU darüber informiert, dass der Abgeordnete René Stadtkewitz aus der Fraktion ausgeschlossen worden ist. Er ist somit nunmehr Mitglied des Hauses ohne Fraktionszugehörigkeit.

Durch die Ihnen soeben mitgeteilten Änderungen der Fraktionszugehörigkeit ergibt sich eine Auswirkung auf die Zusammensetzung der Ausschüsse bzw. Unterausschüsse nach den Grundsätzen der Verhältniswahl nach dem Höchstzahlverfahren. In den durch das Haus eingesetzten Gremien mit neun Mitgliedern wäre die Fraktion der FDP nicht mehr vertreten, was mit dem Anspruch einer Fraktion gemäß § 7 Abs. 7 unserer Geschäftsordnung nicht zu vereinbaren ist. Hierauf haben die Fraktionen mit einem gemeinsamen dringlichen Antrag reagiert, den ich als Punkt 44 B unserer heutigen Tagesordnung aufrufen werde.

Sodann darf ich der Kollegin Sandra Scheeres von der SPD-Fraktion ganz herzlich zur Geburt des Sohnes Caju gratulieren. – Alles Gute für Mutter und Kind und die ganze Familie!

[Allgemeiner Beifall]

Wir kommen nun zum Geschäftlichen. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über Neubesetzung des Vorstandes des Untersuchungsausschusses Spreedreieck, Drucksache 16/3278 ist zurückgezogen. Der Antrag wurde in der 68. Sitzung am 1. Juli 2010 an den Rechtsausschuss überwiesen.

Am Montag sind folgende vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion zum Thema: „Integrationspolitik als zentrale Aufgabe einer zukunftsorientierten Stadtpolitik“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Auch Zöllner bekommt es nicht hin: Schulstart mit massivem Unterrichtsausfall, katastrophale VERA-Testergebnisse und die Abschaffung der Vorklassen rächt sich jetzt bitter!“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Start der Sekundarschule leider mangelhaft. Berlin braucht jetzt endlich eine Qualitätsoffensive für alle Schulen und Kitas. Das ist der beste Weg für Integration!“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „VERA an Jürgen: 40 % der Drittklässler können Deutsch und Mathe nicht – wann kommt eine verbindliche Startklasse und die notwendige Evaluation von Sprachförderung und jahrgangsübergreifendem Lernen?“.

Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, dem Thema der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Vorzug zu geben, sodass sich eine Abstimmung erübrigt. Somit rufe ich dieses Thema für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 3 auf. Die anderen Themen haben damit ihre Erledigung gefunden.

Ich weise auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie das Verzeichnis der Dringlichkeiten hin. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um entsprechende Mitteilung.

Es liegt folgende Entschuldigung eines Senatsmitgliedes für die heutige Plenarsitzung vor: Frau Senatorin JungeReyer wird aus privaten Gründen erst ab ca. 14 Uhr anwesend sein können.

Bevor ich den ersten Punkt der Tagesordnung aufrufe, möchte ich eine Besuchergruppe auf der Tribüne begrüßen: Herzlich willkommen, Herr Dr. Klöckner vom Vorstandsbüro der BSR mit einer Gruppe von kaufmännischen Auszubildenden!

[Allgemeiner Beifall]

Herzlich willkommen! Wir freuen uns natürlich über das Interesse an der Plenarsitzung.

Es geht nun weiter mit

lfd. Nr. 1:

Fragestunde – Mündliche Anfragen

gemäß § 51 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin.

Das Wort zur ersten Mündlichen Anfrage hat der Abgeordnete Sven Kohlmeier von der Fraktion der SPD zum Thema

Folgen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur nachträglichen Sicherungsverwahrung

Bitte schön, Herr Kollege Kohlmeier!

Ich danke Ihnen, Herr Präsident! – Ich frage den Senat:

1. Welche Folgen ergeben sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur nachträglichen Sicherungsverwahrung für das Land Berlin?

2. Welche rechtspolitischen Möglichkeiten sieht der Senat, um den Anforderungen des Urteils, aber auch den Sicherheitsbedürfnissen der Menschen auch in Zukunft gerecht zu werden?