Protocol of the Session on July 1, 2010

Da spekuliert der BVG-Vorstand mit Billigung des Aufsichtsrats auf den internationalen Finanzmärkten wild herum und versenkt mal eben 150 Millionen Euro. Der Vorstand der Flughafengesellschaft sitzt etliche Wochen auf Informationen einer erheblichen Zeitverzögerung, und der Aufsichtsratsvorsitzende muss innerhalb weniger Tage einen terminlichen Zickzackkurs gegenüber der Öffentlichkeit hinlegen, der an die besten Tage von Kati Witt on Ice erinnert.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Der Vorstand einer großen Wohnungsbaugesellschaft schafft sich entgegen der Weisung des Eigentümers über Gutachten ein eigenes rechtswidriges Vergaberecht, und der Aufsichtsrat staunt. Der kommt aus dem Mustopf. Er lässt sich an der Nase herumführen und ist sich bis heute keiner Schuld bewusst.

[Beifall bei der CDU – Margit Görsch (CDU): Genau!]

Und als ob dies alles nicht reicht, werden wir mit dem Umstand konfrontiert, dass sich mehrere städtische Wohnungsbaugesellschaften ein am Markt zu deutlich besseren Konditionen erhältliches Hausnotrufsystem erlauben, das mal eben schnell eine knappe Million Euro Verlust macht. Die Aufsichtsräte schauen dabei untätig zu.

[Zuruf von der CDU: Unerhört!]

Wie gesagt, wir unterhalten uns jetzt nur über die aktuellen Schlagzeilen des Jahres 2010. Wenn man dann einmal hinterfragt, wie dies denn geschehen kann, welche handelnden Personen beteiligt sind, wer denn hier auf wessen Ticket in den Aufsichtsrat geschickt worden ist, dann schwebt über all diesen wunderbaren Entwicklungen und Ergebnissen die Erkenntnis roter Parteibücher.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Emine Demirbüken-Wegner (CDU): Unglaublich!]

Die von Rot-Rot praktizierte Besetzungspraxis für die Aufsichtsräte der Landesbeteiligungen hat dazu geführt, dass sich eine kleine Gruppe von Polit- und Verwaltungsfunktionären gegenseitig kontrolliert. Durch diesen Entsendemechanismus ist ein wechselseitiges System von Abhängigkeiten entstanden, das die vom Gesetz geforderten Aufsichtsanforderungen aushebelt. Hinzu kommt, dass viele dieser Aufsichtsräte auch noch in verantwortungsvollen Positionen in Politik, Verwaltung und bei

freien Trägern sind. Zu Deutsch: Den Leuten fehlt schlichtweg die Zeit für eine qualifizierte Aufsichtstätigkeit, und daraus resultieren dann auch Unaufmerksamkeit und Überforderung.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Die Senatsfinanzverwaltung hat in einer Kleinen Anfrage am 6. April zu den Grundlagen der Professionalisierung von Aufsichtsräten gesagt, sie arbeite daran. Wörtlich: Zu gegebener Zeit wird sich der Senat damit befassen. – Ich frage: Wann, wenn nicht jetzt, ist denn die Zeit gegeben? Da gibt es ganz tolle Worte: Corporate Governance Kodex, Merkblätter, Schulungen. – Das ist alles hohles Blech, um es mal deutlich zu sagen. Der Senat hat es bis heute noch nicht mal auf die Reihe bekommen, einen gesicherten Informationstransfer an der Schnittstelle Aufsichtsräte und Beteiligungsverwaltung zu institutionalisieren. Die entsendenden Senatsverwaltungen kommunizieren untereinander überhaupt nicht über Inhalte oder gar Strategien in den Aufsichtsgremien. Offensichtlich sehen sich die Vertreter des Landes Berlin auch gar nicht genötigt, miteinander zu kommunizieren.

Man muss leider feststellen, in dieser Stadt Berlin ist wahrlich was los. Der Senat gebraucht seine Aufsichtsfunktion sinnlos, kopflos, lustlos.

[Beifall bei der CDU]

Wir brauchen eine Verschärfung der Haftung, eine Steigerung der Qualität in den Aufsichtsratstätigkeiten, eine engere Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfer, den Austausch der Wirtschaftsprüfer, eine stärkere Haftung der Aufsichtsratsmitglieder,

[Zuruf von Heidi Kosche (Grüne)]

und wir müssen es sicherstellen, dass der Aufsichtsrat und nicht der Vorstand die Wirtschaftsprüfer beauftragt. Die Beteiligungsverwaltung hat einen regelmäßigen und regelhaften Informationstransfer herzustellen.

Es gab ja mal die TV-Serie „Reich und arm“. Eine solche Daily Soap präsentiert auch der Senat. Berlin ist reich an Beteiligungen. Der Senat aber ist arm an Durchsetzungsfähigkeit. Die Aufsichtsräte und Vorstände der Unternehmen sind reich an Mitgliedern der SPD.

Herr Kollege! Und Sie sind am Ende Ihrer Redezeit.

Aber man muss den Eindruck gewinnen, dass wir damit arm dran sind.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Herr Kollege Wegner! – Das Wort für die Linksfraktion hat der Kollege Lederer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Wegner! Metaphern sind Glückssache und Bilder manchmal nicht so glücklich, aber wenn Sie heute Abend von Ihrer Frau dafür ein Lob kriegen, dass Sie so eine schöne Rede gehalten haben, dann hat sich das für Sie jetzt schon gelohnt.

[Heiterkeit und Beifall bei der Linksfraktion – Emine Demirbüken-Wegner (CDU): Machen Sie es mal nach!]

Steuerung und Kontrolle von Landesbeteiligungen ist in den letzten beiden Legislaturperioden ein zentrales Thema in diesem Parlament gewesen. Mit viel Engagement haben sich insbesondere drei Fraktionen – sage ich an dieser Stelle bewusst –, z. T. mit unterschiedlichen Ansätzen, am Ende aber doch mit gemeinsamer Zielrichtung, diesem Thema immer wieder zugewendet. Ich sage es an dieser Stelle einfach nur mal, 2001, am Ende der Regierung Diepgen, war die Landschaft der öffentlichen Unternehmen in Berlin eine Trümmerlandschaft. Das ist das, was wir hier übernommen haben.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Das war die Wirtschaftskompetenz Ihrer Partei, Prof. Wegner, denken Sie mal darüber nach!

Wir haben seitdem eine ganz gute Bilanz vorzuweisen. Die Beteiligungsverwaltung haben wir überhaupt erst wieder reorganisiert. Einen Beteiligungsausschuss haben wir hier eingeführt. Beteiligungsberichterstattung und Zielbilder haben wir eingeführt. Regelungen zur Inkompatibilität von Ämtern haben wir eingeführt. Corporate Governance Kodex haben wir hier eingeführt. Beteiligungshinweise sind durch diese Koalition eingeführt worden. Und wir haben für die finanzielle Stabilisierung der ökonomischen Situation in den öffentlichen Unternehmen gesorgt. Das ist eine Bilanz, die die Regierung Diepgen nicht ansatzweise vorzuweisen hatte, sondern genau das Gegenteil, eine Trümmerlandschaft haben Sie hinterlassen.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Das ändert nichts daran – da komme ich jetzt auf den Kollegen Thiel –, dass, wo Defizite existieren, sie ausgeräumt werden müssen. Und wo man vernünftige Anregungen bekommt, sollten sie auch aufgegriffen werden. Darüber wird man zu diskutieren haben.

Es gibt, glaube ich, mehrere zentrale Probleme, die auch in der Verwaltungswissenschaft, in der Betriebswirtschaftslehre und der Juristerei immer wieder aufgerufen werden: Wie sichert man jenseits des fachspezifischen Blicks der einzelnen Senatsverwaltungen eine Gesamteigentümerstrategie des Landes Berlin? Das ist eine zentrale Frage. Zweitens: Wie gelingt es, die ökonomische Stabilität der öffentlichen Unternehmen mit der qualitativ hochwertigen Erbringung von Leistungen zu verbinden und dabei auch noch der sozialen Verantwortung gegen

über Stadt, Gesellschaft und Belegschaft nachzukommen? Die dritte Frage: Wie erreicht man es, über gute Informationen und Steuerungsinstrumente vorwegnehmende Kontrolle zu sichern, statt immer erst im Nachhinein auf Entwicklung und unternehmerische Entscheidungen reagieren zu können?

Das sind die zentralen Probleme. Darüber wird viel diskutiert. Es ist auch allen, die sich mit diesem Thema ein bisschen auskennen, klar, dass das nicht ohne Probleme zu regeln ist, sondern dass es zum Teil tiefsitzende strukturelle Probleme sind, die in diesem Sektor immer wieder auftauchen. Deswegen brauchen wir Ideen, um die faktischen Lücken und Probleme, die bekannt sind, anzugehen.

Diese betreffen auch die personelle Steuerung der Unternehmen. Es gibt Managerialisierungstendenzen der Unternehmensleitungen. Es gibt eine größere Rolle fiskalischer als sachbezogener Zielsetzungen. Fiskalische Zielsetzungen sind immer leichter durchzustellen als sachbezogene Ziele. Das weiß auch jeder. Und es gibt die Schwierigkeiten des öffentlichen Eigentümers, Personal zu gewinnen, bei dem sich Kompetenz auf der einen Seite mit dem Ethos für die besondere Funktion öffentlicher Unternehmen auf der anderen Seite verbindet.

Insofern kann man sich dem Anliegen des FDP-Antrags überhaupt nicht verschließen. Ich glaube aber, dass das, was Sie derzeit anzubieten haben, entwicklungsfähig ist – um dies vorsichtig auszudrücken. Um es anders zu sagen: zum Teil Placebo, zum Teil sogar kontraproduktiv. Deswegen sollten wir das Thema im Ausschuss diskutieren und überlegen, was wir daraus gemeinsam machen können. Ich will zum Beispiel sagen, dass die Beteiligungshinweise in Anlage 2 selbstverständlich die Qualität von Aufsichtsratsmitgliedern in den Mittelpunkt für die Aufsichtratsmandatsübertragung stellen. Das Problem ist aber: Es geht nicht nur um betriebswirtschaftliche Kompetenz, sondern es muss auch fachbezogene Kompetenzen geben. Es muss auch bestimmte Kompetenzen im Umgang mit Personal in den öffentlichen Unternehmen geben und Diverses andere. Insofern wird es nicht so einfach sein, mehr hineinzuschreiben, als jetzt schon drinnen steht. Die Frage ist: Woher nimmt man die Leute, und wie besetzt man die Stellen?

Der nächste Punkt: Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, die Zahl der Aufsichtsratsmandate auf drei zu beschränken. Es wird im Einzelfall sinnvoll sein, Menschen nur drei Mandate zu geben. In einem anderen Fall wird es sinnvoll sein, wenn Menschen auch in fünf oder sechs Aufsichtsräten sitzen. Und wer will – ich tue es –, dass die Exekutive, die Exekutivspitze diese öffentlichen Unternehmen kontrolliert, dann sollen das nicht die Verwaltungsbeamten sein, sondern die politisch verantwortlichen Senatoren. Man kann sich die Frage stellen, ob in jedem Aufsichtsrat drei Senatoren sitzen müssen. Das wird man diskutieren können. Wichtig ist es aber, dass man sich im Senat auf eine generelle Eigentümerstrategie einigt.

Der Vorschlag einer qualifizierten ständigen Ausbildungspflicht ist Unsinn. Denn wir werden manchmal Leute haben, die so hohe Kompetenzen haben, dass sie das „auf einer Pobacke absitzen“. Diese dorthin zu schicken, hieße, sie zu verprellen. Denn sie würden sagen: Wenn ich dann auch noch dreimal im Jahr irgendwo eine Woche lang den ganzen Tag herumsitzen muss, ist mir meine Zeit für ein ehrenamtliches Engagement zu schade.

Insofern sollten Sie mit dem Antrag auch nicht die Illusion schüren, dass wir mit zwei, drei oder vier kleinen Änderungen alle Probleme gelöst bekommen. Das ist wahrscheinlich nicht so.

Entschuldigung! Sie sind am Ende der Redezeit!

Ja, ich weiß! – Es reicht auch nicht, einfach das Aktiengesetz oder das GmbH-Gesetz vorzulesen, lieber Prof. Wegner! Man muss sich in die Probleme hineinversetzen. Man muss vernünftige Lösungen entwickeln, und dann muss man handeln – wie dies Rot-Rot seit neun Jahren tut.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank! – Das Wort für Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Esser.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorab: Ich habe die verbliebene Kampfkraft vor der Sommerpause gestern in der Auseinandersetzung um die Entwicklungsgesellschaft Tempelhof und die Struktur der EinsteinStiftung nicht ganz ohne Erfolg gelassen.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen und der CDU]

Herr Thiel! Sie werden damit leben müssen, dass ich jetzt einen etwas weniger temperamentvollen Auftritt habe als gewohnt, obwohl ich Ihnen und dem Antrag etwas anderes gegönnt hätte.

Um sachdienliche Hinweise zu machen: Ich glaube, in dem Antrag pflegen Sie ein falsches Bild. Es ist ein wenig das Bild, dass Sie, Herr Wegner, am Schluss ebenfalls ein wenig bedient haben: Da gibt es auf der einen Seite den hoch kompetenten Wirtschaftsfachmann und auf der anderen Seite den doofen Politiker, den man mal zur Schulung schicken, aber besser noch gegen den Ersteren austauschen sollte.

Hier habe ich zwei Einwände, der eine Einwand wurde vorhin schon genannt – wir hatten das früher unter der großen Koalition –: Da waren deutlich mehr Unabhängi

ge. Das hat aber nicht daran gehindert, dass wir damals quer durch alle Landesbeteiligungen etwa 2 Milliarden Euro Verlust und obendrein den Zusammenbruch der Bankgesellschaft zu beklagen hatten. Und das hatte nicht unmittelbar etwas damit zu tun, dass auf den ersten Blick die Aufsichtsräte unqualifiziert waren.

Herr Thiel! Der zweite Punkt, der dabei eine Rolle spielt: Gucken Sie sich mal die drei Beispiele an, an denen Sie Ihren Antrag entlanggestrickt haben. Das erste Bespiel, das Sie gebracht haben, ist die Situation beim Großflughafen BBI – Verspätung der Eröffnung und die damit verbundenen Verluste. Wer ist da der Aufsichtsratsvorsitzende? – Der Herr Regierende Bürgermeister Wowereit! Glauben Sie denn, er regiert besser, wenn Sie ihn wegen seines Aufsichtsratsmandats einmal im Jahr zur Schulung schicken?

[Zuruf von der FDP: Meinen Sie, das nützt nichts mehr?]

Das ganz bestimmt nicht! Den Mann müssen Sie abwählen,