Protocol of the Session on May 20, 2010

Ich kann aber auch die Verunsicherung der Bevölkerung verstehen, das Gefühl, dass Relationen verloren gehen, dass Deutschland mit dreistelligen Milliardensummen für die Krisenbewältigung bürgen soll, wenn Bund, Länder und Kommunen gleichzeitig unter gewaltigen Schuldenlasten leiden und wenn etwa Schwimmbäder wegen einiger Hunderttausend Euro dichtgemacht werden müssen. Diese Verunsicherung darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden. – Deshalb, Herr Müller, wenn Ihre Partei kritisiert, die Bundesregierung hätte nicht schnell genug diesen Hilfen zugestimmt, dann kann ich nur sagen: Wer ernsthaft fordert, dass wir den Krisenländern einfach und bedingungslos Milliardenkredite hinterherwerfen, dem ist nicht mehr zu helfen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Im Gegenteil! Es war gut und richtig, dass zunächst gewartet wurde und dass Hilfen mit Bedingungen verknüpft wurden.

[Andreas Gram (CDU): Allerdings! – Zuruf von Ramona Pop (Grüne)]

Diese Bedingungen nämlich sind wir dem deutschen Steuerzahler schuldig, Frau Kollegin Pop.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Im Bund gab es – deshalb verstehe ich die Empörung nicht – drei Fraktionen, die sich in dieser schwierigen Situation entschieden haben, Verantwortung zu übernehmen.

[Zuruf von Lars Oberg (SPD)]

Das war die Unionsfraktion, das war die FDP, und das waren die Grünen. Ich habe durchaus Respekt vor der Haltung der Grünen, die es sich in der Opposition ja hätten durchaus leichter machen können. – Ich bedaure, dass ich Gleiches nicht von Ihnen und Ihrer SPD sagen kann, Herr Regierender Bürgermeister.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Es gibt zwei Parteien in Deutschland, die sich offenbar jeder Verantwortung entziehen: Das sind SPD und Linkspartei. Wir kennen das ja nur zu gut aus Berlin, nicht wahr?

[Andreas Gram (CDU): Das passt!]

Ich denke nur daran, wie Sie damals mit dem Konjunkturpaket II umgegangen sind: Sie haben dagegen gestimmt, obwohl unsere Stadt im wesentlichen Maße davon profitiert hat. Dieser Virus der Verantwortungslosig

keit scheint nun auch auf Bundesebene um sich zu greifen. Bei der Linken habe ich außer fundamentaler Ablehnung nichts anderes erwartet.

[Oh! von der Linksfraktion]

Aber dass sich die SPD wie vor zwei Wochen bei einer zentralen Entscheidung enthält, dass sie die Tragweite der Herausforderung gar nicht begreift, dass sie die Herausforderung für kleinkarierte politische Spielchen nutzt, das macht einen wirklich fassungslos.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Und wenn Sie, Herr Kollege Müller, von einer Schande sprechen: Das ist eine Schande!

[Zuruf von Michael Müller (SPD)]

Es ist nicht nur verantwortungslos, es ist auch bigott. Als es darum ging, Griechenland in die Eurozone zu holen, da waren Schröder und die SPD ganz vorne dabei – gegen übrigens erhebliche Bedenken auch meiner Partei, ob die Griechen überhaupt reif dafür seien. Aber wenn es jetzt darum geht, die Folgen zu beseitigen, dann stiehlt sich die SPD aus der Verantwortung.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Die Stabilisierung von Staaten wie Griechenland und die Stabilisierung des Euro kann nur ein Aspekt sein. Politik muss auch dafür sorgen, dass sich so etwas, wie wir es gerade erleben, nicht wiederholt. Dass Spekulanten die Kraft haben, ganze Staaten in den Abgrund zu reißen, dass Organisationen auf den Niedergang ganzer Gesellschaften und Volkswirtschaften wetten, das ist unmoralisch und asozial.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wir müssen natürlich auch dafür sorgen, dass diejenigen, die die Krise verursacht haben, daran mitwirken, sie zu beheben.

[Zuruf von der Linksfraktion: Aha!]

Aber das schaffen wir nicht, lieber Herr Müller und meine Damen und Herren von der Linkspartei, mit plumper Kapitalismuskritik, sondern nur mit konkreten Taten.

[Gelächter bei der Linksfraktion]

Wir begrüßen daher, dass sich die christlich-liberale Regierung auf Maßnahmen verständigt hat, etwa auf eine Bankenabgabe oder darauf, dass nun eine Finanzmarktsteuer konkret ins Auge gefasst wird, die aber erst dann Sinn macht – und das gehört eben mit zur Wahrheit und zur anderen Seite der Medaille –, wenn die anderen europäischen Länder mitziehen.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Dilek Kolat (SPD)]

Ehrlich gesagt, liebe Frau Kolat, ich verstehe auch gar nicht, weshalb Sie hier so herumbrüllen.

[Martina Michels (Linksfraktion): Sie brüllt doch gar nicht!]

Ich darf daran erinnern, dass Sie von 1998 bis 2005 regiert haben. Wenn Ihnen die Finanzmarktsteuer so wich

tig gewesen wäre, dann hätten Sie sie doch einführen können.

[Beifall bei der CDU]

Diese Tatenlosigkeit zeigt doch, wie ernst Sie es mit diesem Thema meinen. Ich sage: Wir müssen dafür sorgen – das ist der entscheidende Punkt –, dass wir nicht länger über unsere Verhältnisse leben – gerade auch hier in Berlin. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte hat absolute Priorität. Dafür muss eben auch gespart werden. Übrigens nicht bei der Bildung, damit das klar ist. Ich stelle das ganz deutlich für die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus fest.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Uwe Doering (Linksfraktion)]

Ja, denn was geschlossene Jugendclubs, Lehrermangel und Unterrichtsausfall für ein Bundesland bedeuten, das sehen wir hier in Berlin Tag für Tag als Folge der völlig verfehlten Politik dieses rot-roten Senats.

[Beifall bei der CDU]

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Kolat?

Wenn ihre Zwischenfrage die gleiche Qualität hat wie ihre Zwischenrufe, dann

[Andreas Gram (CDU): Dann lieber nicht!]

möchte ich gern darauf verzichten. – Deshalb lautet die entscheidende Frage, Herr Kollege Müller: Was tun Sie hier in Berlin? Wo sind ihre Konsolidierungsvorschläge? Wo ist Herr Wowereit? Wo ist Herr Nußbaum? Bei seinem Vorgänger wusste man wenigstens, woran man war. Ihm musste man vorwerfen, dass er viel zu lange viel zu wichtige Infrastruktur kaputtgespart hat. Bei Herrn Nußbaum erleben wir Folgendes: Er geistert seit Wochen durch die Medien, ohne nur einen substanziellen Vorschlag zu unterbreiten.

[Christoph Meyer (FDP): Ja!]

Dieser Finanzsenator scheint die eigenen Leute nicht nur zu nerven, sondern er scheint auch völlig ohne Rückhalt in der eigenen Fraktion, in den eigenen Reihen zu sein. Dabei ist – das wissen Sie, Sie haben es beschrieben – die Lage ernst. Darin sind wir uns einig. Diese rot-rote Koalition wird einen Rekordschuldenstand von 66 Milliarden Euro bis zum Jahr 2011 zu verantworten haben. Allein im kommenden Jahr kommen 2,8 Milliarden Euro Schulden hinzu.

[Daniel Buchholz (SPD): Aber die Hälfte hat ihre Regierung aufgebaut!]

Bei vielen Indikatoren steht Berlin schlechter da als das krisengeschüttelte Griechenland. Herr Wowereit, meine Damen und Herren von SPD und Linkspartei! Wir sind

nicht bereit, Ihren mangelnden Konsolidierungswillen weiter hinzunehmen. Wachen Sie endlich auf, und machen Sie – verdammt noch einmal – nicht eine Politik nach dem Motto: Haltet den Dieb!

[Beifall bei der CDU]

Wir erwarten,

[Michael Müller (SPD): CDU-Vorschläge!]

dass Sie, Herr Wowereit, nachher klar sagen, was Sie gegen die ausufernden Schulden in Berlin zu unternehmen gedenken – auch vor dem Hintergrund der bereits beschlossenen Schuldenbremse. Da scheint es erhebliche Streitereien innerhalb ihrer Koalition zu geben,