Protocol of the Session on May 20, 2010

wir brauchen einen Finanz-TÜV, der Produkte auch verbieten kann, und wir brauchen selbstverständlich ein dauerhaftes Verbot von ungedeckten Leerverkäufen.

[Beifall bei der SPD, den Grünen und der Linksfraktion]

Das ist doch überhaupt die dollste Nummer mit diesen Leerverkäufen, die sich da abgespielt hat. Am Mittwoch hat die Bundesanstalt für das Finanzwesen endlich rea

giert und das Verbot sogenannter ungedeckter Leerverkäufe und ungedeckter Kreditausfallversicherungen ausgesprochen.

[Zuruf von Jutta Matuschek (Linksfraktion)]

Dieses Verbot gilt aber vorerst nur bis Ende März 2011. Diese Befristung erschließt sich mir überhaupt nicht. Warum eigentlich?

[Christoph Meyer (FDP): Warten Sie es doch mal ab!]

Besonders heikel ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Verbot von ungedeckten Leerverkäufen ja schon bestand, dass es 2008 schon beschlossen und umgesetzt wurde, allerdings im Februar dieses Jahres von der neuen Bundesregierung aufgehoben wurde – somit waren Leerverkäufe wieder erlaubt. Das kann doch nicht wahr sein! Offensichtlich hat man aus der Krise von 2008 nichts gelernt – Leerverkäufe gehören dauerhaft verboten!

[Beifall bei der SPD, der CDU, den Grünen und der Linksfraktion]

Darüber hinaus müssen wir über durchgreifende Regulierungen von Hedgefonds in Europa sprechen, die maßgeblich an der Zockerei gegen Griechenland beteiligt waren. Natürlich brauchen wir auch die Finanztransaktionssteuer, wie es ja selbst die CDU in ihrem Bundesvorstand schon einmal beschlossen hatte. Mit dieser Steuer auf alle börslichen und außerbörslichen Finanztransaktionen können wir endlich die Zocker und Spekulanten an den Kosten der Krise beteiligen, die von ihnen mit verursacht wurde. Es ist eine Schande, das muss man an dieser Stelle sagen, dass die Bundesregierung bei diesem Thema nicht an der Spitze der Bewegung steht, sondern sich aktuell noch immer nicht klar zu dieser Steuer bekennen kann, die doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein müsste.

[Beifall bei der SPD, den Grünen und der Linksfraktion]

Die Bundesrepublik Deutschland muss ein Zeichen setzen, und Sie werden sehen – auch wenn es am Anfang vielleicht noch nicht durchgreifend überall im internationalen Maßstab klappt –, andere Länder werden folgen! Der gesellschaftliche Druck wird sicherlich dazu beitragen, dass sich solche Finanzregulierungsinstrumente nach und nach durchsetzen werden. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, meine Damen und Herren von der CDU, wie Sie vorhin selbstzufrieden gejohlt haben, als Frau Kolat das alles schon angesprochen hat. In den letzten Monaten hat es von der Kanzlerin an keinem Tag politische Führung in der Krise gegeben, nicht an einem einzigen Tag!

[Beifall bei der SPD, den Grünen und der Linksfraktion]

Sie werden es erleben: Wenn Sie den gesellschaftlichen Druck brauchen, dann werden Sie ihn auch kriegen. Die Menschen in unserem Land und in anderen Ländern werden es sich nicht gefallen lassen, dass Spekulanten über die Zukunft von Staaten entscheiden und dass der Eindruck entsteht, dass Regierungen dem nicht eindeutig widerstehen und entgegenstehen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Diese Finanztransaktionssteuer brächte – je nach Ausgestaltung, es gibt unterschiedliche Modelle – für Deutschland pro Jahr bis zu 20 Milliarden Euro und sichert damit Einnahmen. Selbst wenn sie, wie ich vorhin gesagt habe, Spekulationen nicht sofort gänzlich unterbinden kann, ein zweistelliger Milliardenbetrag hilft, die Bürgschaften für Griechenland abzusichern, Schulden zu tilgen, die Finanzmärkte hinterlassen haben, und es hilft, die Einnahmebasis für Bund, Länder und Kommunen zu stabilisieren. Wie kann eigentlich eine Bundesregierung darauf angesichts völlig unüberschaubarer Haushaltsrisiken verzichten? – Im Zusammenhang mit der von SchwarzGelb so groß proklamierten Steuerreform und diesem unsäglichen Wachstumsbeschleunigungsgesetz heißt ein Verzicht auf Finanztransaktionssteuer, dass in der Bundesregierung eine völlig unseriöse Finanzpolitik gemacht wird, nichts anderes ist die Botschaft dieser politischen Haltung.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Für Berlin stellt sich die aktuelle Situation wie folgt dar: Auch wenn wir, dank vernünftiger Planung, dieses Jahr voraussichtlich ein kleines Plus von 50 Millionen Euro erzielen werden,

[Christoph Meyer (FDP): Ah!]

wird es in den nächsten Jahren Steuerausfälle geben. Allein für 2011 rechnen wir nach der jüngsten Steuerschätzung mit einem Minus von 160 Millionen Euro, das schwarz-gelbe Wachstumsbeschleunigungsgesetz mit seinen unsinnigen Steuerbegünstigungen für einige wenige Privilegierte kostet Berlin rund 200 Millionen Euro. Das macht deutlich, dass es nach der Regulierung der Finanzmärkte genauso wichtig ist, die Einnahmen für Bund, Länder und Kommunen zu stabilisieren. Wir müssen dafür sorgen, dass die Kommunen nicht durch weitere Steuersenkungen in den Ruin getrieben werden. Dazu gehört sicherlich auch, dieses Beschleunigungsgesetz mit seinen Wohltaten zurückzunehmen, dazu gehört es, die Finger von der Gewerbesteuer zu lassen, dazu wird es auch gehören, dass sich der Bund an den Sozialausgaben von Ländern und Kommunen beteiligt.

[Christoph Meyer (FDP): Das tut er doch schon!]

Berlin braucht dringend Einnahmen – genauso wie die anderen Länder. Selbstverständlich müssen auch wir parallel dazu die Ausgabenlinie halten und weiter konsolidieren, gar keine Frage. Dazu müssen wir uns in den nächsten Haushaltsberatungen sehr genau anschauen, was geht und was nicht geht. Das werden harte Verhandlungen werden. – Herr Goetze, das hat sich bei Ihnen vorhin so schön angehört. Aber wo bleiben an dieser Stelle eigentlich Ihre Konsolidierungs- und Sparvorschläge?

[Christoph Meyer (FDP): Wer regiert denn hier?]

Man kann sicherlich immer alles noch besser machen. Aber ich will an den Einschnitt beim Solidarpakt erinnern, an den Ausstieg aus der Anschlussförderung, an Vermögensaktivierungen, die es in den letzten Jahren

gegeben hat, um zu konsolidieren. Auch an Personalabbau will ich erinnern. Wo bleiben Ihre konstruktiven Vorschläge, in dieser Krise mit dem Finanzproblem umzugehen?

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Selbst bei den Themen ICC und Charité – in der Fragestunde hat das schon wieder eine Rolle gespielt – kann man nicht bei Ausgaben im dreistelligen Millionenbereich sagen: Macht mal schnell, entscheidet mal schnell! Vivantes, Charité – was wird saniert? ICC – abreißen oder sanieren? – Nein, es gehört zur seriösen, verantwortungsvollen Regierungspolitik, das eine oder andere Szenario genau abzuwägen, um zu sehen, was man diesem Haushalt zumuten kann und was nicht.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von Uwe Goetze (CDU)]

Das Ziel des politischen Handelns muss sein, Gestaltungsspielräume für die öffentliche Hand zurückzugewinnen. Eine realistische Steuer- und Finanzpolitik unter den Bedingungen der Schuldenbremse muss dazu führen, dass wir uns nicht länger durch überbordende Verschuldung in die Hände der Banken und der Spekulanten begeben. Das gilt für Berlin, für Deutschland und für die europäischen Länder.

Wir dürfen dabei aber – und das möchte ich betonen – einen Fehler nicht machen: Wir dürfen diejenigen nicht doppelt für die Fehler unserer Generation bezahlen lassen, in deren Händen unsere Zukunft liegt, nämlich durch die Verschuldung auf der einen Seite und durch Kürzungen bei den Bildungsaufgaben auf der anderen Seite. Wem, wie Herrn Koch aus Hessen, angesichts der Wirtschafts-, Finanz- und Währungskrise nichts Besseres einfällt, als bei der Bildung mit Sparen anzufangen, der hat die Herausforderung des 21. Jahrhunderts noch nicht begriffen.

[Beifall bei der SPD, den Grünen und der Linksfraktion]

Ich will zum Abschluss betonen: Bei aller Konsolidierung müssen wir genau hinschauen, was wir bei den Investitionen machen können. Ich glaube, es wäre falsch, hier pauschal die Axt anzulegen. Investitionen bedeuten eben auch, die Einnahmeseite zu stärken. Sie bedeuten, Arbeitsplätze zu sichern und Ansiedlungen in unserer Stadt sicherzustellen.

Die Krise hat uns drastisch vor Augen geführt, dass vieles von dem, was wir für Wachstum und Wertschöpfung gehalten haben, in Wahrheit kein Wachstum und keine Wertschöpfung war. Wenn wir diese Erkenntnis teilen, dann müssen wir heute nicht nur bestimmte Fehlentwicklungen im Finanzsektor, sondern grundlegend hinterfragen, was uns eigentlich als Wert und Wohlstand gilt.

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen!

Ich bin schon beim Schlusssatz. – Wir müssen die Ziele und Maßstäbe unseres Wirtschaftens neu definieren. Das ist die Aufgabe, der wir uns alle in dieser Krise stellen müssen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, den Grünen und der Linksfraktion]

Vielen Dank! – Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Kollege Henkel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Müller! Wenn ich mir die Klassenkampfrhetorik anhöre, die Sie eben von sich gegeben haben,

[Gelächter bei der SPD]

dann frage ich mich wirklich: Wo haben Sie eigentlich in den letzten Jahren gelebt?

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wenn man Sie so reden hört, dann scheinen Sie völlig vergessen und vollkommen ausgeblendet zu haben, wie viel Ihre SPD einst für Spekulanten übrig hatte.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielleicht darf ich Ihrer Erinnerung etwas auf die Sprünge helfen: Es war die SPD, die den Weg für Hedgefonds – die Sie in diesen Tagen so gerne und so heftig kritisieren und auch heute wieder kritisiert haben – in Deutschland 2004 überhaupt erst freigemacht hat. Deshalb sage ich: Dieser SPD kauft es niemand mehr ab, wenn sie sich jetzt als Tugendwächter aufspielt.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wir haben es ohne Zweifel mit einer überaus schweren Krise zu tun, und vieles von dem, was wir bislang als gegeben hingenommen haben – etwa ein starker Binnenmarkt und ein stabiler Euro –, steht auf dem Spiel. Wie schon bei der Wirtschafts- und Finanzkrise gilt auch bei der Griechenlandkrise, die sich mittlerweile zu einer europäischen Haushalts- und Währungskrise ausgeweitet hat: die Probleme haben ihren Ausgangspunkt nicht in Deutschland.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Aber ihre Konsequenzen sind für uns dramatisch, und wir können sie nicht ignorieren. Wir können vor allem nicht so tun, als würden andere für uns die Dinge schon regeln. Es geht darum, die Grundlagen des wirtschaftlichen Erfolgs gerade hier in Deutschland zu wahren und das Geld der Menschen in unserem Land zu schützen. Es geht aber auch darum, das Auseinanderdriften unseres Kontinents, das Scheitern der europäischen Idee zu verhindern. Wir sind der Bundesregierung deshalb außerordentlich dankbar, dass sie gemeinsam mit den europäischen Partnern an Lösungen gegen einen drohenden Flächenbrand arbeitet.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Am Freitag steht mit der Abstimmung über den EuroRettungsschirm in Bundestag und Bundesrat zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage eine schwere Entscheidung an. Ich kann jeden verstehen, der sich die Entscheidung über das Rettungspaket für Griechenland vor zwei Wochen schwergemacht hat. Das wird auch morgen angesichts der Summen, um die es geht, und angesichts vieler Ungewissheiten, wie sich die Lage in Europa entwickelt, so sein.

Ich kann aber auch die Verunsicherung der Bevölkerung verstehen, das Gefühl, dass Relationen verloren gehen, dass Deutschland mit dreistelligen Milliardensummen für die Krisenbewältigung bürgen soll, wenn Bund, Länder und Kommunen gleichzeitig unter gewaltigen Schuldenlasten leiden und wenn etwa Schwimmbäder wegen einiger Hunderttausend Euro dichtgemacht werden müssen. Diese Verunsicherung darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden. – Deshalb, Herr Müller, wenn Ihre Partei kritisiert, die Bundesregierung hätte nicht schnell genug diesen Hilfen zugestimmt, dann kann ich nur sagen: Wer ernsthaft fordert, dass wir den Krisenländern einfach und bedingungslos Milliardenkredite hinterherwerfen, dem ist nicht mehr zu helfen.