Herr Kollege! Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass die deutsche Sprache genug Möglichkeiten enthält, seine Kritik und seine Polemik auszudrücken. Die Worte „Die Ratten kommen aus den Löchern“ gehören nicht dazu.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Gutzeit! Lieber Martin! Dem Parlament liegt mit dem Jahresbericht 2009 der nunmehr 16. Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR – so ist der ausführliche und korrekte Ausdruck – vor. Es ist eine gute Tradition, dass das Berliner Abgeordnetenhaus unabhängig davon, wie lang die Tagesordnung ist und zu werden droht, der Besprechung im Plenum immer wieder Zeit einräumt, so auch heute.
Vor 20 Jahren wurde die deutsche Einheit vollendet. Vor 21 Jahren legten Proteste und Demonstrationen den Grundstein hierfür. 20 Jahre sind ein sehr langer Zeitraum, dem man eine Generation zuweist. Eine so lange Zeit mag den Einen oder die Andere dazu verführen, dem Thema Aufarbeitung des DDR-Unrechts mit distanziertem Verständnis zu begegnen. Wer jedoch einen Blick in den Tätigkeitsbericht wirft – und wie alle Jahre zuvor möchte ich Sie wieder dazu ermuntern –, wird herauslesen können, wie aktuell und wichtig die Arbeit des Landesbeauftragten und seiner Behörde noch immer ist.
Nach wie vor wird die Behörde des Berliner Landesbeauftragten von sehr vielen ehemaligen DDR-Bürgern aufgesucht, die trotz politisch begründeter Haft oder sonstiger Verfolgung noch keinen Antrag auf Rehabilitierung oder Akteneinsicht gestellt haben. Die Gründe für diesen anhaltenden Beratungsbedarf sind vielfältig. Zum einen waren viele Menschen über die Rehabilitierungsmöglichkeiten noch immer nicht ausreichend informiert, andere benötigen Hilfe im Zusammenhang mit rentenrechtlichen Fragen, wieder andere brauchten Zeit, um nach Verfolgung und Haft den nötigen Abstand zu persönlicher Nachforschung zu finden.
Im Gegensatz zu den Vorjahren wuchs aus dem gestiegenen Interesse der Öffentlichkeit an der friedlichen Revolution sogar der Beratungsbedarf von Opfern der SED
Diktatur. Das ist bemerkenswert, 20 Jahre danach. Darauf verweist der Bericht des Landesbeauftragten in seiner Einleitung. In den folgenden Ausführungen wird diese Einschätzung durch konkrete Beispiele und Zahlen hinterlegt. Ich erspare Ihnen das jetzt alles. Nur grundsätzlich: Es wird wieder darauf verwiesen, dass Fragen nach strafrechtlicher Rehabilitierung im Vergleich zum Vorjahr abermals zugenommen haben.
Gleichfalls wird in diesem Zusammenhang berichtet, dass die Bearbeitung von Anträgen auf Opferrente – richtig heißt das: Zuwendung nach § 17a Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz – in Berlin mittlerweile relativ zeitnah und unproblematisch verläuft. Das ist positiv zu erwähnen.
Hingegen bleibt es ein häufiges Ärgernis, dass einige Jobcenter die Opferrente als reguläre Einkünfte werten und auf andere Sozialleistungen wie zum Beispiel das Arbeitslosengeld II anrechnen. Dies steht im Widerspruch zu den gesetzlichen Vorgaben. Der Landesbeauftragte konnte in konkreten Fällen oft vermittelnd tätig werden, und durch Verweis auf die Gesetzeslage konnten diese Entscheidungen häufig schnell und unbürokratisch rückgängig gemacht werden.
In einigen konkreten Fällen geht der Landesbeauftragte auch auf die Schwierigkeiten ein, verfolgungsbedingte Gesundheitsschäden herauszufinden und zur Anerkennung zu bringen. Die Frage, was sind gesundheitliche Beeinträchtigungen, die auf Verfolgung und Haft, und was sind gesundheitliche Beeinträchtigungen, die auf das normale Altern zurückzuführen sind, sorgt häufig für Kontroversen zwischen Behörden und Antragstellern. Wenn Menschen überzeugt sind, auch wenn es keine Anerkennungsgründe für haftbedingte Folgeschäden gibt, diese Gründe wären gegeben, zeigt das, wie traumatisch viele Folgen aus der DDR-Rechtsprechung Menschen ein Leben lang begleiten können.
Ein besonderer Schwerpunkt des Berichtes liegt wieder in der Zusammenarbeit und Förderung mit und von Verfolgtenverbänden.
Ich habe nicht mehr sehr viel Zeit und will nur noch kurz erwähnen, dass auch die Bildungsarbeit einen großen, zentralen Schwerpunkt einnimmt. Im Bericht ist ein schönes Beispiel von Lehrerinnen und Lehrern zu finden, die reflexartig ablehnend reagieren, wenn die Diskussion auf SED-Unrecht zu sprechen kommt. Das ist 20 Jahre nach dem Fall der Mauer immer noch Realität. Ich selbst kenne eine Geschichtslehrerin, die 15 Jahre nach dem Fall der Mauer im Geschichtsunterricht an einem Gymnasium heftig bestritten hat, dass es unter Stalin in der UdSSR zivile Opfer gegeben hat. Ableitend daraus war auch entsprechend ihre Sicht auf das DDR-Unrecht. Also es ist noch viel zu tun, auch wenn diese Menschen weniger werden. Dieses Beispiel zeigt das gut.
Es bleibt abschließend festzustellen, Herr Gutzeit, dass Sie und Ihre Behörde nach wie vor in unser aller Namen und für unsere Stadt wichtige Arbeit leisten. Dafür danken wir Ihnen ganz herzlich, insbesondere im Namen der SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Hilse! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Herr Abgeordnete Otto das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich möchte zunächst im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herrn Gutzeit und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die im Jahr 2009 geleistete Arbeit ganz besonders danken.
Sie haben uns wieder einen umfangreichen Bericht vorgelegt, und ich gehe davon aus, dass ihn nicht alle ganz intensiv studiert haben, und deswegen will ich mich an ein paar Stellen darauf beziehen.
Ich will zuerst sagen: Wir bekommen immer Ihre Schriftenreihe mit Heften, wo Leute über ihr persönliches oder andere Schicksale schreiben oder uns einen Überblick über das geben, was im Rahmen der Aufarbeitung aktuell an das Licht gekommen ist. Ich denke dabei an das Heft, das ich gerade dieser Tage erhielt, von Herrn Bude der uns sehr anschaulich über seinen Aufenthalt im Lager Workuta berichtet. Ich glaube, eine ganz wichtige Aufgabe ist, dass Sie Öffentlichkeitsarbeit machen, dass Sie Leute zu Wort kommen lassen, die vielleicht sonst in der Presse nicht zu Wort kommen, und dass Sie mit dieser Arbeit versuchen, die Öffentlichkeit und interessierte Kreise und nicht zuletzt die Schulen zu erreichen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt in Ihrer Tätigkeit.
Sie haben in Ihren Bericht geschrieben, welche Schwierigkeiten es gibt. Das macht man so, man schreibt ein paar gute Sachen hinein, aber man benennt auch Probleme. Das Thema der Opferrente ist hier schon erwähnt worden.
In Ihrem Bericht ist es auch noch einmal ganz gut erklärt: Diese Opferrente ist keine Anerkennung für besondere Leistungen im Kampf gegen die Diktatur, sondern sie soll ein wenig helfen, die Folgen abzumildern, die Leute aus Hafterfahrungen oder aus anderer Drangsalierung mit sich herumschleppen. Da ist es natürlich höchst bedauerlich, wenn Jobcenter oder andere Behörden nicht informiert sind, die Leute vor neue Hürden geschoben werden und dort Sachbearbeiter sitzen, die mit der Gesetzeslage nichts am Hut haben.
Sie haben in Ihrem Bericht geschrieben, dass die psychosoziale Beratungsstelle „Gegenwind“ erst einmal ge
sichert ist. Ich weiß, dass wir uns im letzten Jahr darüber unterhalten haben und es hieß, dass die psychosoziale Betreuung von Haftopfern oder von Menschen, die Schädigungen erlitten haben, eine wichtige Arbeit ist, das müsse doch zu finanzieren sein, das müsse doch in Berlin gehen. Wir haben viele Beratungsstellen, und diese psychosoziale Beratung ist unheimlich wichtig, das braucht man, das braucht man auch für die Supervision bei den verschiedenen Trägern von juristischer Beratung, von Opferberatung. Ich freue mich, dass das zunächst einmal gesichert ist.
Herr Gutzeit hat uns dargelegt, welche Veranstaltungen er im letzten Jahr anlässlich des zwanzigjährigen Jubiläums durchgeführt hat und welche Ausstellungen stattfanden. Heute – die Präsidentin hat zu Beginn der Sitzung in ihren Gedenkworten darauf hingewiesen – vor 20 Jahren hat die erste Kommunalwahl in Berlin-Ost und in den Bezirken stattgefunden. Wenn man daran zurückdenkt, dann freue ich mich – das war eine Zeit, in der Leute Demokratie gelernt haben, in der Leute sich vorgenommen haben, etwas zu verändern. Nicht zuletzt – das weiß ich aus dem Bezirk, in dem ich damals tätig war – haben auch die SED- oder PDS-Leute damals lernen müssen, von Diktatur auf demokratische Strukturen umzuschalten. Das ist nicht allen leichtgefallen, aber das ist eine Erfahrung dieser Zeit von vor 20 Jahren. Wir müssen uns auch darüber unterhalten, was wir aus dieser Zeit heute noch an Praxis, an parlamentarischem Gebaren haben. Manchmal fehlt mir das heute in diesem Haus; es gelingt uns nicht immer, deutlich zu machen, dass wir bei allem Meinungsstreit, bei allen Auseinandersetzungen respektvoll miteinander umgehen, dass wir alle am Fortkommen Berlins arbeiten und dafür die besten Ideen suchen. 1990 war das, glaube ich, etwas anders; da hat man dies den Leuten mehr abgenommen, die waren allen Argumenten gegenüber aufgeschlossen. Daran können wir in der eigenen politischen Praxis öfter mal zurückdenken.
Herr Gutzeit! Sie haben sich in den letzten Jahren auch um Brandenburg gekümmert, weil es all diese Jahre – das mag der Regierung von Manfred Stolpe geschuldet sein – in Brandenburg keinen Landesbeauftragten gegeben hat. Es ist ja fast ein Treppenwitz, dass jetzt, nachdem eine rot-rote Regierung in Brandenburg amtiert, auch dort eine Landesbeauftragte tätig ist.
Die heißt aber nicht Landesbeauftragte für die StasiUnterlagen, sondern die heißt Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur. Ich glaube, das ist eine viel bessere Bezeichnung, und ich wünsche mir, dass wir auch in Berlin darüber nachdenken, ob wir Ihre Behörde, Herr Gutzeit, nicht a) mit ein paar mehr Aufgaben ausstatten und b) vielleicht auch etwas breiter auf die Aufarbeitung der Diktatur insgesamt ausrichten.
Ich bin im letzten Satz! – Ich muss Sie, Herr Scholz, ansprechen, weil es natürlich auch die CDU in den vielen Jahren der Regierungsbeteiligung in Brandenburg nicht geschafft hat, dort einen Landesbeauftragten oder eine Landesbeauftragte zu installieren. Das ist nun unter RotRot so gekommen, und ich glaube nicht, dass die Linkspartei das gefordert hat.
Das hatte sicherlich ein paar andere Gründe. Wir sollten von den Erfahrungen, die Brandenburg nun macht – – die beschäftigen sich ja übrigens auch mit der Aufarbeitung der Aufarbeitung, z. B. damit, was 1991 im Rahmen der Überprüfung der Parlamentarier herausgekommen ist beziehungsweise verschwiegen wurde.
Damit müssen die sich heute beschäftigen, wir sind ein kleines bisschen weiter, dafür, Herr Gutzeit, Ihnen und Ihrer Behörde ganz herzlichen Dank!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Otto! – Für die Linksfraktion hat nun Frau Abgeordnete Seelig das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Gutzeit! Wir haben heute den 16. Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, wie es offiziell heißt, vor uns liegen. Im Berichtszeitraum lagen die Gedenktage im Zusammenhang mit dem 20. Jahrestag der friedlichen Revolution und dem Fall der Mauer – davon war auch die Tätigkeit des Landesbeauftragten in starkem Maße geprägt. Dabei wurde unter dem Titel „Die friedliche Revolution – Berlin 1989“ monatlich eine Veranstaltungsreihe insbesondere in Zusammenarbeit mit der Robert-Havemann-Gesellschaft durchgeführt. Als Beispiele mögen dienen die Veranstaltungen „Kirche in der Revolution“, „DDR-Wirtschaft am Ende“, eine Veranstaltung zu den gefälschten Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989, die so etwas wie ein Ausgangspunkt für die immer stärker werdenden Proteste der Bürgerinnen und Bürger
waren, sowie die Veranstaltungen im Berliner Rathaus unter dem Motto „Die Opposition als Kristallisationspunkt des gesellschaftlichen Aufbruchs“. Diese Veranstaltungen waren gut besucht bis überfüllt, weil natürlich auch die mediale und politische Begleitung in runden Jubiläumsjahren das Interesse auf dieses Thema lenkte. Das hat sich auch verstärkt für die Kooperation im Bereich der Schulen ausgezahlt; gerade hier konnten immer wieder beklagte Defizite in der politischen Bildung, wenn natürlich nicht ausgeglichen, so doch aber verstärkt angegangen werden.
Die Publikation „Die friedliche Revolution 1989/1990 – Quellen, Fragen, Kontexte“, die der Berliner Landesbeauftragte gemeinsam mit dem Landesinstitut für Schulen und Medien herausgegeben hat, konnte zum Jahresende bereits in einer zweiten Auflage erscheinen. Und, Herr Jotzo, genau davon sprach ich vorhin in einem anderen Zusammenhang.
Der Beratungsbedarf hat im Berichtszeitraum keineswegs abgenommen, sondern durch mehrere Gesetzesänderungen wie auch durch die bereits erwähnte mediale Öffentlichkeit gab es eher eine Zunahme. Ich finde es bemerkenswert, wenn hier so getan wird, als würde das Landesamt für Gesundheit und Soziales die Opferrente sabotieren – ganz das Gegenteil steht in dem Bericht des Landesbeauftragten. Er verweist auf die Jobcenter, in denen z. B. die Opferrente des Öfteren auf das Arbeitslosengeld II angerechnet wird, was gesetzeswidrig ist. Im Übrigen finde ich, dass die CDU sehr vorsichtig sein sollte:
Sie haben die ganzen Jahre die Gelegenheit im Bund gehabt, vernünftige Rehabilitierungsgesetze zu schaffen, was Ihnen nicht gelungen ist.
Auf jeden Fall bedarf es der Nachschulung für die Mitarbeiter der Jobcenter, dieser Forderung des Landesbeauftragten kann ich mich nur anschließen.
Die meisten Probleme ergeben sich nach wie vor im Zusammenhang mit der Anerkennung von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden, und das ist nicht ganz unnormal, das haben wir in anderen Bereichen, bei Folter und Ähnlichem, auch. Obwohl immer wieder in Aussicht gestellt, gibt es leider keine Verbesserung in der Gesetzeslage – dafür sind nicht wir zuständig. Deshalb sind wir froh, dass zunächst für dieses Jahr die Existenz der Beratungsstelle „Gegenwind“ gesichert werden konnte. Auch für die kommenden Jahre zeichnet sich jetzt ja eine Finanzierungsmöglichkeit ab; damit könnte die psychosoziale Beratung vieler Betroffener auf eine dauerhafte Grundlage gestellt werden, was wir sehr wichtig finden und sehr begrüßen.
2009 wurden durch einen Mitarbeiter des Landesbeauftragten vielfältige Beratungen in Brandenburg angeboten. Durch ein eigenes Stasi-Beauftragtengesetz– es heißt