Protocol of the Session on May 6, 2010

Herr Müller! Wenn die politische Integrität des Herrn Thierse so außer Frage steht, frage ich Sie, warum Herr Thierse nicht darauf verzichtet hat, sich in den Rücken der Einsatzkräfte zu begeben. Warum hat er sich nicht wie alle anderen Gegendemonstranten auch staatsbürgerlich dort hinter die Absperrung begeben und ganz klar gesagt: Hier möchte ich die politische Meinungsäußerung nicht haben. Das wäre sein gutes Recht gewesen. Jeder hat nach unserer Verfassung das Recht, sich entsprechend zu verhalten. Dafür braucht er keine Sonderrechte zu bemühen. Dafür muss er die Polizei nicht in Schwierigkeiten bringen.

Herr Müller! Ich muss mich doch schon wundern, dass Sie hier dieses tatsächlich in Frage stellen. Man kann doch nicht ernsthaft der Auffassung sein, dass ein solches Gebaren das ist, was wir uns hier in den nächsten Jahren wünschen. Soll jetzt bei jeder Demonstration, die uns politisch nicht in den Kram passt, der gesamte Sicherheitsbereich dem ausgeliefert werden, dass sich plötzlich Herr Lux, Herr Thierse oder ich, Sie oder andere Abgeordnete hinter die Polizeiräumkette begeben und sich dort hinsetzen oder sonstige Aktionen vollführen? Das kann doch wohl nicht das sein, was Sie sich hier vorstellen. Herr Lux und Frau Herrmann haben sich darüber beschwert, dass der Innensenator die Routen nicht bekanntgibt. Wie soll der Innensenator Routen bekanntgeben, wenn möglicherweise diese Kenntnis sofort ausgenutzt wird, um in entsprechenden Kreisen polizeiliche Maßnahmen zu stören oder sich entsprechend zu verhalten, sich hinter Polizeiketten zu bewegen und dann irgendwelche Sitzblockaden mit Abgeordnetenprivilegien zu veranstalten? Das kann es doch nicht sein.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wer sich so verhält, dem müssen diese Privilegien in Zukunft nicht mehr gewährt werden. Dann kann Herr Thierse genau wie alle anderen Gegendemonstranten vor der Polizeiabsperrung stehen, kann sich dort entsprechend

zivilgesellschaftlich aktivieren, aber nicht auf Kosten aller anderen, die dieses nicht in Anspruch nehmen können.

[Beifall bei der FDP]

Herr Kollege Ratzmann! Sie haben jetzt das Wort zu einer Kurzintervention.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Jotzo! Sie haben nicht nur jeden Kompass verloren, sondern Sie haben auch jedes Maß verloren.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Ich finde es schon sehr bezeichnend, dass Sie sich hier dazu versteigen, eine Aktion gegen eine NPD-Aktion, eine Nazi-Aktion in Berlin, zu der wir seit Jahren – jedenfalls diejenigen, die sich zum demokratischen gesellschaftlichen Spektrum zählen – immer wieder aufgerufen haben zu protestieren, gleichzusetzen mit jeder xbeliebigen Demonstration hier in der Stadt. Man kann – das hat Kollege Müller zu Recht gesagt – in Bezug auf die Aktion von Herrn Thierse, von Wolfgang Wieland und von Benedikt Lux sehr wohl politisch diskutieren, ob das richtig ist oder nicht richtig ist. Aber eins darf man, glaube ich, nicht tun: Man darf nicht verkennen, dass das – auch weil es übertragen worden ist – ein bundesweites Signal gesetzt hat, dass diese Stadt es sich nicht gefallen lässt, dass Nazis unwidersprochen und ungehindert durch die Stadt laufen können.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Herr Jotzo! Dieses Verständnis vermisse ich bei der FDP zunehmend mehr. Sie haben mit Ihren Äußerungen, zu denen Sie sich hier verstiegen haben, für meine Person wirklich jedes Tischtuch der Zusammenarbeit zwischen uns und Ihnen durchschnitten.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wer uns unterstellt – unwidersprochen von seiner Fraktion –, dass wir eigentlich auf die andere Seite dieser Demonstration gehört hätten, der verkennt alles, was wir an Tradition in der Auseinandersetzung mit Nazis in der Stadt haben, wovon Sie nur träumen können, liebe FDP!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Wer uns darüber hinaus auch noch unterstellt, dass das, was wir vertreten, in eine Meinungsdiktatur münden würde, der verkennt all das, was wir in unserer Tradition für Demokratie, für Menschenrechte und für Meinungsfreiheit in diesem Land getan haben. Herr Jotzo! Ich glaube, Sie haben nicht nur noch nicht Ihre Rolle gefunden, son

dern Sie haben einfach keinen Platz mehr hier in diesem Haus, um diese Stadt weiter politisch zu gestalten.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Zur Erwiderung hat Kollege Jotzo das Wort. – Herr Kollege Jotzo! Das bietet auch die Möglichkeit zur eventuellen Richtigstellung einer Ihnen eben unterstellten Gleichsetzung der Grünen mit den anderen. Vielleicht können Sie das jetzt richtigstellen oder bestätigen.

[Zurufe – Unruhe]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Ratzmann! Was Sie möglicherweise nicht verstanden haben und was ich an dieser Stelle noch einmal bekräftigen will, ist, dass tatsächlich vor dem Gesetz und vor unserer Verfassung alle Demonstrationen gleich sind.

[Beifall bei der FDP]

Das bundesweite Signal, dass – ich will Sie mal in Ihrem Jargon zitieren – Nazis nicht durch die Stadt gezogen sind, ging vor allem davon aus, dass mehrere Tausend Menschen diese Aufzugstrecke in der Weise blockiert haben, dass diese Demonstration beendet werden musste.

[Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Dieses bundesweite Signal ging nicht davon aus, dass hier irgendeine PR-Aktion stattgefunden hat, sondern diese PR-Aktion ist nur anlässlich dieses bürgerschaftlichen Engagements in Erscheinung getreten. Das muss man hierbei auch berücksichtigen.

[Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Ich will zu der Frage einer Unterstellung in Bezug auf die Grünen Folgendes sagen: Ich habe in der Tat gesagt: Wenn man erst einmal damit anfängt, einzelne gesellschaftliche Gruppen von der Meinungsfreiheit auszuschließen, dann ist das der Anfang zu einer Meinungsdiktatur. Das ist etwas, wozu ich auch stehe. Ich meine, dass wir nicht damit anfangen sollten, einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ihre Grundrechte oder ihre Bürgerechte zu beschneiden. Das wäre der falsche Weg, und das ist nichts, was wir uns auch als Parlamentarier leisten können.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP – Christian Gaebler (SPD): Da klatscht ja nicht mal Ihre Fraktion! – Weitere Zurufe – Unruhe]

Ich hoffe nicht, dass tatsächlich in diesem Haus Menschen und Abgeordnete die Auffassung vertreten, dass

man so mit den Rechten von Minderheiten umgehen kann.

[Zurufe – Unruhe]

Und wenn es tatsächlich in diesem Haus einen solchen Konsens gibt, dann besteht überhaupt keine Gefahr – –

Meine Damen und Herren! Würden Sie Herrn Kollegen Jotzo – –

[Zurufe von der SPD: Nein! – Weitere Zurufe]

Meine Damen und Herren! Wir können dieser Debatte und auch Zurufen weder folgen noch diese bewerten, wenn Sie weiter in dieser Lautstärke auf den Redner einreden. Hören Sie ihm zu, und machen Sie von Ihren parlamentarischen Möglichkeiten Gebrauch!

[Christian Gaebler (SPD): Dazu gehören auch Zwischenrufe! – Weitere Zurufe von der SPD, den Grünen und der Linksfraktion]

Wir werden auch über das Protokoll diesen einen beanstandeten Satz klären, und dann werden wir hoffentlich wieder zu einer sachlichen Debatte zurückkehren können. – Bitte fahren Sie fort, Herr Kollege!

Ich bin mir sicher, dass dann, wenn wir alle – alle Demokraten in diesem Hause – einig sind, dass wir so mit Minderheiten nicht verfahren können, auch die Gefahr, dass diese Rechte in Gefahr geraten, gebannt ist und dass wir alle gemeinsam als Demokraten einen demokratischen Weg und einen demokratischen Umgang auch mit Minderheiten in diesem Hause weiter betreiben – und nicht nur in diesem Hause, sondern auch auf der Straße.

[Beifall bei der FDP]

Eine weitere Kurzintervention liegt nicht vor. – Das Wort hat nun Senator Dr. Körting. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast möchte ich bedauernd sagen: Die Debatte hat mich nicht enttäuscht – nach dem, was zuletzt gelaufen ist. Ich möchte zwei Vorbemerkungen machen:

Ich glaube und bin der festen Überzeugung, dass ich im Grunde mit allen in diesem Hause einig darüber bin, dass gewaltbereiter Linksextremismus nicht über die Hintertür salonfähig gemacht werden soll – weder über die SPD noch über die Linken noch über Bündnis 90/Die Grünen.

Ich habe überhaupt keinen Anlass, daran zu zweifeln, und habe den betreffenden Satz nicht verstanden, muss ich ehrlich sagen.

[Beifall bei der SPD, den Grünen und der Linksfraktion]

Das Zweite, was ich nicht verstanden habe: Wir haben viele unterschiedliche Auffassungen – auch zu Stilfragen. Ich streite mich mit Herrn Lux oder mit Frau Herrmann oder wie auch immer. Aber ich habe im Vorfeld des 1. Mai oder heute von keinem von denen, die Sie genannt haben, Herr Jotzo, gehört, dass er sich hier gewaltbefürwortend geäußert hat – von keinem.

[Beifall bei der SPD, den Grünen und der Linksfraktion – Björn Jotzo (FDP): Das habe ich auch nicht gesagt!]

Dann darf ich zum 1. Mai zurückkommen. Ich bedanke mich – und ich glaube, das tun wir alle – auch für die Stadt bei den eingesetzten Polizistinnen und Polizisten – auch denen der anderen Bundesländer und des Bundes. Ich spreche den verletzten Beamtinnen und Beamten meine Genesungswünsche aus. Mein Dank gilt auch den Bürgerinnen und Bürgern, die am Mauerpark, im Viktoriapark, großteils auch am Boxhagener Platz und beim Myfest friedliches Feiern vorgelebt haben. Und mein Dank gilt auch den Bürgerinnen und Bürgern, die friedlichen Protest in Treptow am 30. April und am Prenzlauer Berg am 1. Mai gezeigt haben.

[Beifall bei der SPD, der CDU, den Grünen und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Es ist von den Vorrednern viel dazu gesagt worden, dass es auch Defizite gibt. Wer würde die verschweigen wollen. Es gibt nach wie vor Gewaltbereitschaft, die wir gesehen haben, und damit werden wir umgehen müssen. Der 1. Mai dieses Jahres war ein Schritt in die richtige Richtung. Dafür bin ich dankbar. – Ich bedanke mich.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Wir kommen zur zweiten Runde. Es gibt noch eine gewisse Restzeit.