Der Mythos hinter dem deutschen Ausleseprinzip heißt homogene Lerngruppe. Es herrscht immer noch die Annahme, dass man durch rechtzeitiges Sortieren der Schüler homogene Lerngruppen schaffe und es dadurch Einheitlichkeit im Klassenzimmer gebe. … Die Schule muss endlich verstehen, dass heterogene Lerngruppen mehr und besser lernen.
Eine Schule mit diesen Ansprüchen braucht eine verlässliche und gute Ausstattung. Genau das schaffen wir. Ich will es noch einmal sagen: 25 Kinder pro Lerngruppe als Grundausstattung, zusätzlich Ganztagsausstattung mit
Sozialarbeitern und -pädagogen, zusätzlich Förder- und Teilungsstunden, zusätzlich Mittel für Duales Lernen, zusätzlich Mittel für die Schulen mit einem besonders hohen Anteil von Kindern aus armen Familien und Familien mit Migrationshintergrund. Das ist eine verlässliche Ausstattung, und es war nicht einfach, das hinzubekommen.
Natürlich braucht eine so große Veränderung Unterstützung. Deswegen werden die Schulen nicht allein gelassen. Sie bekommen eine Schulentwicklungsberatung. Sie bekommen ein Fortbildungsbudget, sodass sie die Möglichkeit haben, die Fortbildung tatsächlich den Entwicklungserfordernissen ihre Schule anzupassen.
Natürlich befinden wir uns in einem Dilemma, was diese Schulreform betrifft: Wir wissen einerseits, dass die Probleme, die die Gliederung im Schulsystem mit sich bringt, nur komplett zu überwinden sind, wenn man eine Aufteilung von Kindern, wenn man die Gliederung des Schulsystems insgesamt überwindet. Wir wissen gleichzeitig, dass eine Überwindung der kompletten Gliederung des Schulsystems derzeit weder eine politische noch eine gesellschaftliche Mehrheit hat. Wir müssen uns in diesem Rahmen bewegen, und die Art und Weise, wie wir uns darin bewegen, ist, dass wir das Ziel klar benennen. Die Koalition möchte zu einem Schulsystem kommen, das insgesamt auf Auslese verzichtet, und wir gehen einen Schritt nach dem anderen.
Deswegen ist es so wichtig, dass wir neben dieser Schulstrukturreform ein ganz wichtiges Berliner Element nicht über Bord werfen, sondern dort einordnen, und das sind die Berliner Gemeinschaftsschulen.
Die Schulen, die den direkten Weg des gemeinsamen Lernens von Klasse 1 bis zur Klasse 10 und bis hin zum Abitur gehen, haben – auch wenn gerade erst gestartet – bewiesen, dass sie anerkannt sind, eine große Veränderungsdynamik in sich haben, dass dort eine ganz große Veränderung, eine ganz ermutigende Entwicklung stattfindet. Diese Schulen werden mehr werden. Wir haben gesichert, dass sich weitere Schulen an dieser Pilotphase Gemeinschaftsschule beteiligen können.
Wir sehen, dass wir von den Schwierigkeiten, auch von den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und den Widerständen her eine ganz ähnliche Situation haben, wie sie in Hamburg besteht. Es ist auch gar nicht verwunderlich, dass wir im Kern der Schulstrukturreform zu einer ähnlichen Lösung gefunden haben. Es gibt zwei maßgebliche Unterschiede, die ich benennen will. Der eine Unterschied ist, dass wir nicht so rabiat gegen den Elternwillen vorgegangen sind, wie es Hamburg gemacht hat, und der zweite Unterschied ist, dass wir genau die Schulen, die weiter gehen, die weiter Motoren der Entwicklung sein wollen wie die Berliner Gemeinschaftsschulen, fördern und nicht enthaupten, wie es in Hamburg zum Teil mit den dortigen Reformschulen stattfindet. Das ist ein ganz
Natürlich ist eine solche Schulstrukturreform ein Kompromiss. Wie könnte es anders sein? Natürlich gibt es auch Punkte, die wir gern anders gesehen hätten, aber man muss sich einigen und eine stabile Grundlage finden, um so etwas auch im Grundsatz gemeinsam wegzutragen. Der Beifall von gesellschaftlichen Gruppen, von der GEW bis zur IHK, gibt uns recht, und auch die Wissenschaft attestiert uns, dass das ein richtiger Weg ist.
Insofern verstehe ich die Grünen an dieser Stelle nicht. Ich verstehe durchaus, dass man sagt: Wir wollen hier einen anderen Weg gehen, wir wollen da einen anderen Weg gehen. Wir haben an der einen oder anderen Stelle etwas zu kritisieren. – Natürlich kann man darüber reden, wie man mit dem Sitzenbleiben im Gymnasium umgeht, natürlich kann man darüber reden, ob eine andere Zugangsregelung vielleicht besser wäre. Ich bin mir gar nicht sicher, ob Ihre besser gewesen wäre. Aber etwas anderes ist doch die Frage: Wie stelle ich mich insgesamt zu der Reform? Trage ich sie im Grundsatz mit – was Sie immer sagen – und weiß, dass es ein Kompromiss wird – oder sage ich: Wegen des Sitzenbleibens im Gymnasium und wegen einer Zugangsregel, die das Elternwahlrecht nach wie vor hochhält und dafür das Probejahr in Kauf nimmt, stimme ich der Reform insgesamt nicht zu.
Wenn man zu diesem Ergebnis kommt, liebe Grünen, dann muss man euch zumindest eines vorwerfen, nämlich dass ihr die Erfahrungen, die eure Parteifreunde in Hamburg gerade machen, bei der Begründung eurer Ablehnung nicht wirklich zur Kenntnis genommen habt.
Diese Schulreform ist ein wichtiger Schritt zu einem nicht auslesenden Schulsystem, zu einem Schulsystem, das Schülerinnen und Schüler nicht mehr nach vermeintlicher Eignung und Leistungsfähigkeit in vermeintlich leistungshomogene Gruppen sortiert. Dieser Schritt wird umso deutlicher ausfallen, je besser es uns gelingt, integrierte Sekundarschule und Gymnasium als gleichwertige Schulform zu begreifen. Wichtig für das Gelingen der Schulreform ist, dass die Schere des gegliederten Schulsystems im eigenen Kopf, die wir mehr oder weniger alle haben, überwunden wird. Schülerinnen und Schüler werden künftig nicht mehr nach Leistungsfähigkeit zugeordnet. Es wird nicht mehr an eine Abschlussperspektive geknüpft. Das Stigma – du bist Hauptschüler – wird es nicht mehr geben. Die Förderprognose ist keine Empfehlung für den Abschluss mehr, sondern eine Empfehlung für die beste Förderung aufgrund der Leistungen, der Eignung, der Stärken, der Interessen des Kindes.
Eine solche wichtige und große Veränderung erfordert von uns, vom Abgeordnetenhaus, und vom Senat nicht nur die klare Entscheidung, die wir jetzt treffen, sondern
auch eine Zusage, um den Mut und das Engagement zur Veränderung bei Eltern, Lehrerinnen und Lehrern, Erzieherinnen und Erziehern tatsächlich zu behalten. Es erfordert die Verlässlichkeit, dass der Rahmen und die Ausstattung, die wir hier vereinbart haben, nicht infrage gestellt wird. Ich sage das hier bewusst so deutlich: Das wird unsere Verantwortung und die Voraussetzung dafür sein, dass diese Reform gelingt, die ein Mehr an Gerechtigkeit, besseres Lernen mit besserer Förderung der Kinder und Jugendlichen zur Folge haben kann. Wenn uns das gelingt, dann sind wir auch in der Lage, das Versprechen, das wir mit dieser Gesetzesänderung machen, einzuhalten und damit einen sehr großen Schritt nach vorne zu gehen. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Zillich! – Für die CDUFraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Steuer das Wort. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor genau einem Jahr haben wir von der CDU ein solides Konzept für eine gute Schulstrukturreform vorgestellt, das wir heute als Gesetzesänderung vorlegen. Es ist unzweifelhaft notwendig, die Schulstruktur zu verändern und vom Durcheinander der sieben Schulformen wegzukommen, das auch dazu geführt hat, dass die frühere Hauptschule heute eine Nebenschule mit nur noch sieben Prozent der Schülerschaft geworden ist.
Anstatt die Einigkeit aller Parteien über die Notwendigkeit einer Reform zu nutzen, haben SPD und Linkspartei auf Konfrontationskurs gesetzt: gegen die Opposition, gegen die Gremien und gegen die Schulen. Anstatt Bremen und Hamburg auch dafür als Vorbild zu nehmen, Herr Senator, und einen Konsens zu suchen, haben Sie auf Konfrontation geschaltet. Zitieren Sie Herrn von Beust nicht nur inhaltlich, nehmen Sie ihn auch als Vorbild für einen Konsens, den man herstellen kann!
Herausgekommen ist also kein Konsens, sondern ein Kompromiss zwischen den beiden Regierungspartnern. Die einen durften ihre Gemeinschaftsschulen behalten, die anderen aus taktischen Gründen die Gymnasien, wenngleich auch nur eingeschränkt, denn mit der Schülerlotterie sollen auch die Gymnasien zu einer „Schule für alle“ werden – was für ein Unsinn! 50, 30, 25 Prozent – eine Zahl jagte die nächste, und am Ende wusste selbst die bildungspolitische Sprecherin der SPD nicht mehr, wofür die Schülerlotterie eigentlich gut sein soll. Insgesamt hatte die Stadt den Eindruck eines großen Durchein
Damit die Debatte sich nicht noch länger zwischen den Koalitionspartnern hinzieht, sollte alles ganz schnell über die Bühne gebracht werden. Statt solider Vorbereitung, lieber Augen zu und durch. Lieber alles schnell durchpeitschen, das ist die Bildungspolitik von SPD und Linkspartei in dieser Stadt!
Nach unserer Auffassung muss im Mittelpunkt der neuen Schulstruktur im Oberschulbereich der einzelne Schüler mit seinen individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen stehen. Eine Schulstruktur, die der Unterschiedlichkeit der Schüler nicht kreativ begegnet, sondern alle Schüler schlicht nebeneinander setzt, wird an der Situation der schwächeren Schüler und der stärkeren Schüler nichts verbessern. Wir brauchen Vielfalt und damit Chancen für alle Schüler! Wir wollen deshalb individuelle Bildungsgänge, zwischen denen sich die Schüler entscheiden und wechseln können – unter einem Dach. Herr Senator! Das hat überhaupt nichts mit den 1950er Jahren zu tun, das ist ein Unterschied zu dem, was es damals gab, wie Tag und Nacht.
Unser Modell ist ein Modell der Zukunft, weil es einen guten Ausgleich zwischen Flexibilität und Verbindlichkeiten findet.
Bei uns steht nicht das Schulgebäude im Mittelpunkt der Bildungspolitik, sondern der einzelne Schüler. Deshalb sind wir offen, ob unsere Bildungsgänge in einem Schulgebäude organisiert werden können oder in mehreren – in jedem Fall aber unter einem Dach einer kooperativen Oberschule. Der Schüler gehört in den Mittelpunkt, nicht das Gebäude, nicht das Namensschild mit der seltsamen Aufschrift „Integrierte Sekundarschule.“
Zu einem guten Schulsystem gehören ein leistungsstarkes, differenziertes, profiliertes Gymnasium mit dem Abitur nach 12 Jahren bzw. mit Expresszügen ebenso wie die Bildungsgänge, die in entsprechender Differenzierung zu mittleren und weiterführenden Abschlüssen führen, berufliche Qualifizierung, Fachhochschulreife und dem Abitur nach 13 Jahren. An die Stelle der in der bisherigen Schulstruktur bestehenden Schulformen treten in unserem Modell neu konzipierte Bildungsgänge mit klaren Profilen und optimalen Aufstiegschancen,
zwischen denen sich die Schüler frei entscheiden können. Die Schüler mit dem Ziel des Abiturs sind dabei für uns genauso wertvoll wie die Schüler, die sich auf ihre praktischen Talente konzentrieren wollen.
Rot-Rot ignoriert die Unterschiedlichkeit der Schüler. Ihnen ist es lieber, alle sind etwas schlechter, aber dafür
gleich. Deshalb gibt es auch keine Einigkeit bei der Abschaffung des Gymnasiums, das Sie nur erhalten, weil Sie Angst vor dem Widerstand der Eltern haben. Angesichts der wirtschaftlichen Probleme dieser Stadt ist es fahrlässig, wenn von der linken Koalition immer nur über die schwächeren Schüler gesprochen wird und nie von den stärkeren.
Das Gymnasium ist kein Selbstzweck, es hat die Aufgabe, Schüler fit zu machen für das Studium und die Wirtschaft, um mit guten Ideen und Tatkraft Arbeitsplätze in dieser Stadt zu schaffen.
Entschuldigung, Herr Abgeordneter Steuer! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zillich?
Nach dem nächsten Satz! – Es muss Menschen in dieser Stadt geben, die sich mit der Arbeitslosigkeit nicht abfinden, sondern die etwas auf die Beine stellen wollen. Deshalb braucht Berlin starke Gymnasien und gute Schulabgänger – mehr denn je!
Sie haben davon gesprochen, dass man Schüler nach ihrer Unterschiedlichkeit auf verschiedene Bildungsgänge aufteilen müsse. Sie teilen also nicht die Auffassung des Ersten Bürgermeisters in Hamburg, Ole von Beust, dass genau diese Aufteilung nach Begabungstypen falsch sei?
Herr Kollege Zillich! Ich finde es grundsätzlich falsch, wenn der Staat ihnen vorschreiben will, wie sie glücklich werden. Aber ich finde es richtig, dass ich eine Auswahl an Möglichkeiten habe, und deshalb wollen wir Bildungsgänge, zwischen denen die Schüler sich frei entscheiden können.