Sie schlagen nämlich vor, das Netz möglichst kleinteilig zu zerlegen und dann von möglichst vielen unterschiedlichen, aber vor allem privaten Unternehmen betreiben zu lassen.
Jeder dieser Betreiber, Herr Meyer, würde sein eigenes Renditesteigerungsprogramm auflegen, sein eigenes Geschäft gegen das der anderen abschotten und jede kleine Betriebsstörung den anderen anlasten. Die juristischen Auseinandersetzungen zwischen allen Beteiligten – und da freut sich der Jurist Meyer wahrscheinlich – sind da geradezu vorprogrammiert. Solch ein Chaos wollen wir Linke nicht! Wir wollen ein kommunales Unternehmen
auf einem Netz, und wenn nicht gleich, dann eben schrittweise. Wir setzen das öffentliche Interesse über privates Renditeinteresse.
Bis Dezember 2009 hat die DB AG Krisenmanagement as usual betrieben. Die Wiedereröffnung der Werkstätten kam zu spät, die Wiederinbetriebnahme der abgestellten Züge ist schon vor einem Jahr versprochen worden und kommt ebenfalls zu spät. Damit können wir uns nicht mehr abfinden. Wir erwarten – wir tun dies seit Langem, aber auch weiterhin – klare Aussagen durch den Bahnkonzern, wann der Normalbetrieb wieder möglich sein wird und was dafür getan wird. Wir erwarten jetzt den Verzicht auf Fahrscheinkontrollen und den Einsatz der Kontrolleure für bessere Fahrgastinformationen. Wir erwarten: Schluss mit dem Personalabbau und unbefristete Übernahme der zusätzlich eingestellten Mitarbeiter, die zurzeit in Zeitarbeit arbeiten. Wir erwarten die Offenlegung der bahninternen Prüfungsunterlagen über die Ursachen und die personellen Konsequenzen daraus. Wir erwarten jetzt eine Entschädigung. All das kann leider nicht darüber hinweghelfen, dass der Wirtschafts- und Tourismusstandort Berlin, dass die Berlinerinnen und Berliner, dass der Nahverkehr als ganzes erheblichen Schaden genommen haben. Damit das nicht wieder passiert, werden wir als rot-rote Koalition alles in die Wege leiten, was zur Durchsetzung der Berliner Interessen nötig ist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wegner! Bitte richten Sie auch unseren Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der S-Bahn aus. Wir wissen alle, Sie trifft keine Schuld, und Sie leiden wahrscheinlich noch mehr als die Fahrgäste. Sie tun alles, um den Schaden so gering wie möglich zu halten. Doch das reicht leider nicht.
Dieses S-Bahn-Desaster verschlingt jeden Tag volkswirtschaftliche Werte, es schwächt den ÖPNV, untergräbt Klimaschutzbemühungen, und es kostet die Fahrgäste unendlich viel Zeit und Nerven. Aber noch schwerwiegender sind die Sicherheitsmängel. Die S-Bahn ist und war mit defekten Bremsen, Rädern und Türen unterwegs, und ab uns zu brennt und qualmt ein Zug – zuletzt gestern. Es ist einfach nur Glück, dass dieses S-Bahndesaster noch keine Schwerverletzten oder Todesopfer gefordert hat. Stellen Sie sich vor, die S-Bahnentgleisungen hätten sich in voll besetzten Zügen mit Gegenverkehr abgespielt
oder die besetzten Züge wären die Böschung hinuntergestürzt, die Türen hätten sich bei einer überfüllten S-Bahn in einer Kurve geöffnet oder die Leute hätten den qualmenden Zug nicht mehr verlassen können. Gerade gestern ist ein Kind im Gedränge zwischen S-Bahn und Bahnsteig gerutscht. Bis auf Schürfwunden ist nichts passiert, aber nicht immer fahren die Schutzengel mit.
Das weiß das Eisenbahn-Bundesamt und hat der S-Bahn erst im letzten Moment eine Betriebserlaubnis erteilt, und die auch nur für ein Jahr. Sie kann jederzeit widerrufen werden. Ich stelle mir die bange Frage, wann das wohl passieren wird, denn die Sicherheitsmängel sind nicht abgestellt. Meine Sorge ist, dass die Betriebserlaubnis beim ersten größeren Personenschaden weg ist. Dann stehen wir ohne S-Bahn da. Herr Wowereit! Hören Sie auf, mit den Bahnchefs zu reden und zu kuscheln. Machen Sie wirtschaftlichen Druck! Eine andere Sprache verstehen die nicht.
Es ist richtig, die Verantwortung für die S-Bahn hat die Bundesregierung als Eigentümerin. Richtig ist auch, dass der geplante Börsengang und ein inkompetentes Management die Bahn kaputt gemacht haben. Aber seit 2006 schlägt der Betriebsrat, schlägt Herr Wegner Alarm. Das haben Sie ignoriert, Herr Wowereit. Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass der von Ihnen geschätzte Bahnchef Grube weiter am Börsengang für 2014 festhält – an einem Börsengang mit der S-Bahn.
Herr Wowereit! Sie streiten es zwar ab, aber natürlich tragen Sie Mitverantwortung, und zwar für den grottenschlechten S-Bahnvertrag und das miserable Krisenmanagement hier im Berliner Senat.
Hinzu kommt: Sie kannten die Börsenpläne, Sie wussten davon, und trotzdem haben Sie auf die Ausschreibung verzichtet. Sie haben sich auf Dauer an dieses staatliche Monopolunternehmen mit seinem Privatisierungskurs gekettet. Ihr Senat hat diesen Vertrag geschlossen. Natürlich tragen Sie damit Mitverantwortung. Was haben Sie getan, um das Chaos bzw. diesen verrückt gewordenen Bahnkonzern in den Griff zu bekommen? – Mit Herrn Grube geredet. Was war dann? – Nichts. Genau deshalb konnte Bahnvorstand Homburg im letzten Jahr weiterwursteln wie bisher. Die Strukturentscheidungen zu mehr Personal, mehr Wartungskapazitäten und zu mehr Zügen sind nicht getroffen worden. Deshalb haben wir jetzt zum vierten Mal ein S-Bahnchaos. Gerade habe ich über den Ticker gelesen, dass wieder Hunderte Züge ausfallen wegen Motorschaden. Schönen Dank!
Ihr Krisenmanagement, Herr Wowereit, war im letzten Jahr genauso schlecht wie das S-Bahndesaster selbst. Bis heute haben Sie keinen schlüssigen Plan vorgelegt, wie Sie dieses Problem lösen wollen. Nichts außer Worten und Ankündigungen.
Es macht keinen Sinn, den Vertrag zu kündigen. Wir sagen aber auch ganz deutlich: Die Bahn hat jetzt zweimal die Chance gehabt, zweimal die Belastungsprobe mit Berlin auf den höchsten Punkt getrieben. Ich glaube, eine dritte Chance wird es nicht geben und kann es auch nicht geben.
Herr Wowereit! Die dritte Chance ist längst verspielt. Sie bewegen gar nichts, wenn Sie wieder nur mit Herrn Grube reden wollen. Das haben Sie doch bereits erfolglos getan. Gehen Sie gleich zur Bundesregierung, sprechen Sie mit Herrn Ramsauer, er hat die Verantwortung für die Bahn. Aber auch das haben Sie in der Vergangenheit versäumt, das hätten Sie mit Herrn Tiefensee, Ihrem Parteifreund, längst tun können,
Sie betonen gebetsmühlenartig, dass der S-Bahnvertrag keine Rolle beim S-Bahndesaster spielt. Weshalb aber verhandelt Ihre Senatorin dann – und auch schon seit Monaten – erfolglos diesen Vertrag nach? Ganz einfach, die Bahn wäre schön dumm, wenn sie Zugeständnisse machen würde. Für sie ist der Vertrag außerordentlich lukrativ. Er hat ermöglicht, die Züge zu verschrotten und das Angebot zu verkürzen. Er hat es ermöglicht, denn nennenswerte Strafen sind dafür im Vertrag nicht vorgesehen. Wer diesen Vertag abgeschlossen hat, trägt Mitverantwortung. Sie sind in der Pflicht, Herr Wowereit.
Machen Sie endlich Druck auf die Bahn! Druck entsteht nur, wenn Sie den Vertrag außerordentlich kündigen. Das können Sie, denn die Bahn ist nicht mehr sicher. Erst gestern ist wieder ein Zug abgeraucht. Schließen Sie einen für Berlin günstigen Vertrag mit ganz klaren Sanktionsmöglichkeiten! Unsere Beihilfebeschwerde vor der EU stärkt Ihnen den Rücken. Bei Ihren seit Monaten laufenden Verhandlungen zu Vertragsänderungen kommt nichts heraus.
Herr Gaebler! Ich freue mich, dass Frau Junge-Reyer – in Ihren Augen ist es neoliberal – inzwischen bereit ist, 25 Prozent zu einer Teilausschreibung zu geben. Wir fordern: Schreiben Sie nicht nur 25 Prozent zu 2017 aus, schreiben Sie die erste Teilsstrecke so schnell wie möglich aus, das ist 2015, wenn Sie jetzt kündigen.
Das ist kein Widerspruch zur Kommunalisierung der Infrastruktur. Denken Sie daran, die Berlin Transport erbringt zuverlässig einen großen Teil des BVGVerkehrs, ohne dass ihr die Busse und Bahnen gehören. Aber denken Sie auch daran, dass man nicht nur für das Große und Langfristige eine Verpflichtung hat, die Fahrgäste brauchen sofort zusätzliche Verkehrsangebote. Sorgen Sie dafür, dass auf Kosten der Bahn sinnvolle Ersatzangebote angeboten werden – und zwar schnellstmöglich. IGEB und Bahnkundenverband haben dafür gute Vorschläge gemacht. Setzen Sie durch, dass die Fahrgäste für die nächsten zwei Monate kostenlos fahren dürfen oder dass die Fahrpreise um 10 Prozent gesenkt werden. Die S-Bahn kassiert 100 Prozent Fahrgeld für 75 Prozent Leistung. Sie hat damit 100 Millionen Euro Fahrgeld erschlichen. Das kann Sie nicht einfach behalten.
Noch ein Satz an die CDU: Ihr verkehrspolitischer Sprecher überrascht nun wirklich. Er will am Bahnmonopol festhalten und spricht von der Zerschlagung des Netzes, wenn der Wettbewerb kommt. Herr Friederici, heraus mit der Sprache. Wer hat Ihnen den Sprechzettel geschrieben: Herr Grube oder Frau Wagenknecht?
Der Wettbewerb sorgt dafür, dass Netzabschnitte, Teile des Netzes, zum Beispiel der Ring, zum Beispiel die Nord-Süd-Trasse und zum Beispiel die Stadtbahn von unterschiedlichen Betreibern betrieben werden. Das funktioniert überall in der Bundesrepublik. Das funktioniert bestens. Die Kommunen sparen. Sie haben mehr Angebot für weniger Geld. Es gibt mehr Arbeitsplätze.
Zerschlagen, Herr Friederici, kann man ein Netz nur durch Gewalteinwirkung, oder die DB spart es weiter kaputt. Und das wollen Sie auch nicht.
Abschließend an die Koalition: Es ist sehr schade, dass Sie unserem Antrag nicht folgen. Wir unterbreiten seit April letzten Jahres Vorschläge zur Lösung dieses S-Bahndesasters. Sie haben selber keine Ideen, und deshalb sollten Sie sich allmählich auf uns zu bewegen und unseren Vorschlägen folgen.
An Herrn Wowereit: Bislang waren Sie ein Bürgermeister der großen Worte und kleinen Taten. Damit haben Sie dem verrückten Kaputtsparen der S-Bahn Vorschub geleistet. Herr Wowereit! Bleiben Sie nicht der Bremsklotz, sondern werden Sie zum Motor, denn wenn Sie nicht aktiv werden und die Bahn unter Druck setzen, dann wird sich nichts ändern! Wir brauchen 100 Prozent Ausschreibung, einen neuen Vertrag, bestmögliche Kompensation der Ausfälle und Entschädigung in voller Höhe. – Schönen Dank!
[Beifall bei den Grünen und der FDP – Martina Michels (Linksfraktion): 30 Jahre! Wie tief seid ihr gesunken?]
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Hämmerling! Da Sie das mit der Teilausschreibung offensichtlich nicht ganz verstanden haben, will ich es Ihnen gern noch einmal – für die anderen Kollegen auch – erläutern. Ich spreche mich deswegen für eine zerschlagende Teilausschreibung des Netzes aus,
gegen eine zerschlagende Teilausschreibung – weil ich, wenn Frau Senatorin eine bestimmte Strecke ausschreibt – beispielsweise den Berliner Ring oder eine ganz andere gute Strecke, die mit Sicherheit gewinnbringend läuft –, die Sorge habe, dass sich ein Betreiber bewirbt, der möglicherweise mit internationalen Investoren auf Gewinnmaximierung aus sein und die S-Bahnfahrer künftig zu Dumpinglöhnen beschäftigen wird. Das ist unsere große Sorge.