Protocol of the Session on January 14, 2010

Die Kernpunkte unseres Antrags sind daher zum einen, allen Dauerkarteninhabern im Tarifbereich nochmals einen weiteren Freimonat zu gewähren, und zum anderen, im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg an mindestens zwölf Wochenenden im Jahr 2010 Freifahrten für alle Berlinerinnen und Berliner zu ermöglichen. Die anfallenden Kosten hierfür hat die S-Bahn zu tragen, und der Berliner Senat hat als Vertragspartner der S-Bahn dafür Sorge zu tragen, dass diese Maßnahmen umgesetzt werden.

Herr Wowereit hat vorgestern gegenüber der Bahn sinngemäß formuliert: Wenn die S-Bahn nicht in der Lage ist, schnellstmöglich zum Normalfahrplan zurückzukehren, muss sie ihren Auftrag zurückgeben. – Gleiches gilt auch für Sie, Herr Wowereit, und für die zuständige Senatorin: Denn wenn Sie nicht in der Lage sind, in Berlin schnellstmöglich einen annähernd normalen öffentlichen Personennahverkehr zu organisieren, dann sollten Sie Ihren Regierungsauftrag ebenfalls schnellstmöglich zurückgeben. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Jetzt hat Kollege Gaebler von der SPD-Fraktion das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Berliner S-Bahn ist ein unverzichtbarer Bestandteil des öffentlichen Personennahverkehrs der Hauptstadt.

[Christoph Meyer (FDP): Wenn sie fährt!]

Sie steht seit den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts für ein modernes Stadtverkehrssystem, das die Mobilität in Berlin sichert. Den Zweiten Weltkrieg, Blockade, Teilung Deutschlands, Mauerbau und sozialistische Mangelwirtschaft hat diese S-Bahn überstanden.

[Oliver Friederici (CDU): Und Rot-Rot!]

Zuverlässig transportierte sie die Berlinerinnen, Berliner und die Gäste der Stadt. Nach dem Mauerfall wurde sie auch im Westteil wieder schnell zu einem integralen Bestandteil des Verkehrsnetzes. Ich will an dieser Stelle allen danken, die in Vergangenheit und Gegenwart mit vollem Einsatz für die S-Bahn arbeiteten und arbeiten und mit Sicherheit nicht schuld an diesem Desaster sind.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Aktuell wollen wir uns besonders bei den Kolleginnen und Kollegen von der S-Bahn Berlin GmbH bedanken, die in der größten Krise, die die Berliner S-Bahn durchlebt, mit hohem Einsatz und allen verfügbaren Kräften im Führerstand und in den Werkstätten, auf den Bahnsteigen und in den Leitzentralen den Betrieb irgendwie am Laufen halten. Ein Dank geht auch an die Kolleginnen und Kollegen bei der BVG, die mit hohem persönlichen Einsatz mit zusätzlichen Fahrten bei Straßenbahn, Bus und U-Bahn den Fahrgästen Alternativangebote zum reduzierten S-Bahnverkehr machen.

Aber trotz aller tatkräftigen Unterstützung ist die aktuelle Situation nicht zu beschönigen. Seit einem Jahr ist kein dauerhaft zuverlässiger S-Bahnbetrieb bei der Berliner S-Bahn realisiert worden. Seit Mai letzten Jahres ist der vorgesehene Fahrplan nur noch Makulatur. Statt Wiederaufnahme des Regelbetriebs am 13. Dezember 2009, wie ihn der oberste Krisenmanager Homburg verkündet hatte,

gibt es nunmehr gar keinen gültigen Fahrplan mehr. Weniger als die Hälfte der benötigten Fahrzeuge ist einsatzfähig. Das Eisenbahn-Bundesamt hat die Betriebsgenehmigung für die S-Bahn nur für ein Jahr erteilt. Das ist der Offenbarungseid der Deutschen Bahn AG.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Björn Jotzo (FDP): Und Ihrer Politik!]

Dieser Offenbarungseid zeigt sich auch in der Informationspolitik. Gab es in der zweiten Jahreshälfte 2009 zumindest noch umfangreiches Informationsmaterial und Personal vor Ort, das für die Fahrgastinformation zur Verfügung stand, ist das einzige Informationsangebot, das es jetzt noch gibt, die Internetseite der S-Bahn Berlin. Hier wird ein Fahrplan, gültig ab 4. Januar 2010, veröffentlicht, und dann gibt es ein kleines Info-Kästchen, in dem zu lesen ist:

Aktuelle Betriebslage: Sehr geehrte Fahrgäste! Entgegen dem veröffentlichten Fahrplan kommt es heute zu folgenden weiteren Einschränkungen im S-Bahnverkehr. Wir bitten um Entschuldigung!

Das ist also der große, weltweit agierende Mobilitätsdienstleister Deutsche Bahn AG, wie ihn der ehemalige Bahnchef Mehdorn auf dem Weg gebracht hat. Das selbsternannte Unternehmen Zukunft ist nicht einmal in der Lage, eine halbwegs seriöse Fahrgastinformation auf die Beine zu stellen. Das ist wirklich kläglich.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Dieses Debakel ist nicht das Ergebnis höherer Gewalt oder einer Verschwörung der Fahrzeughersteller, wie uns die Bahnvorstände, namentlich die Herren Grube und Homburg seit Monaten glauben machen wollen. Man kann die Ursachen gut auf den Punkt bringen. Zitat:

Die Berliner S-Bahn musste 80 Prozent ihrer Züge zwischenzeitlich aus dem Verkehr ziehen. Wegen Sicherheitsmängeln. Das lag daran, dass man die S-Bahn zeitweise finanziell wie eine Zitrone ausgepresst hat. Achsen und Bremsen wurden auf Verschleiß gefahren. So etwas darf sich nicht wiederholen. Für mich ist das ein warnendes Beispiel – gegen jede überzogene Privatisierungsabsicht.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Meine Damen und Herren von der CDU! Da hätten Sie ruhig einmal klatschen können, denn diese Sätze stammen vom Bundesverkehrsminister Ramsauer,

[Vereinzelte Heiterkeit bei der SPD und der Linksfraktion]

der offensichtlich weiter ist als Sie und als viele in seiner Partei, der CDU/CSU, und auch bei der Bahn AG! Er hat es richtig benannt. Krisenmanager Homburg dagegen war monatelang vorrangig damit beschäftigt, die Schuld bei anderen zu suchen und keine grundlegenden Veränderungen bei der S-Bahn Berlin zuzulassen. Deshalb mein Aufruf an den Bahnchef, Herrn Grube: Wir wollen klare Bekenntnisse zu den Ursachen, schnelle Kurskorrekturen, einen Investitionsplan, mehr Ersatzverkehre, weitere

Entschädigungen, vor allem für die Stammkunden, und eine vernünftige Fahrgastinformation!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Björn Jotzo (FDP): Und ein Tischlein-deck-dich!]

Hören Sie endlich mit Ihrer halbherzigen Politik der Schadensbegrenzung auf! Die Probleme der S-Bahn Berlin sind hausgemacht. Machen Sie die unverantwortlichen Sparprogramme rückgängig, legen Sie uns einen belastbaren Investitionsplan vor, der Ihre Ankündigungen nachvollziehbar untersetzt, und ziehen Sie endlich auch personelle Konsequenzen!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Die Namen sind bekannt. Die Herren Hedderich, Thon und von der Schulenburg vorneweg, aber auch ein Herr Homburg hat daran mitgewirkt und versucht bis heute, die Schuldigen zu decken. Trennen Sie sich sofort von all diesen Leuten, denen der Börsenprospekt wichtiger war als die Gesundheit der Fahrgäste, die das in Programmen mit klangvollen Namen wie OSB – Optimierung S-Bahn Berlin – niedergelegt und mit ihren bedenkenlosen Einschnitten die öffentliche Sicherheit gefährdet haben! Das ist das Mindeste, was die entnervten, frierenden Menschen auf den Bahnsteigen in Berlin erwarten.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wir wollen schnell Klarheit über weitere Entschädigungen. Beenden Sie die Farce, sich mit den Studierendenvertretungen der Universitäten um 2 Euro Verwaltungskosten für die versprochene Erstattung zu streiten, und sagen Sie uns endlich, wann und wie viel den Fahrgästen, vor allem den Stammkunden, zusätzlich für die dauerhafte Fehlleistung erstattet wird!

Wir benötigen aber auch mehr Ersatzverkehre. Setzen Sie alle verfügbaren Mittel für Ersatzverkehre ein! Lassen Sie auch den S-21-Shuttle im Nord-Süd-Tunnel wieder fahren! Lassen Sie von Osten her zusätzliche Regionalzüge fahren, die von Erkner, Karlshorst und Strausberg die reduzierten S-Bahnfahrten ergänzen! Setzen Sie Busshuttle zwischen den wichtigen Bahnhöfen ein! Machen Sie endlich mehr, als dazusitzen und auf ein Wunder zu warten!

[Zuruf von den Grünen]

Eine aktuelle Szene aus der S-Bahn: Eine ältere Dame hat es gerade noch geschafft, den Zug zu erwischen, der nur alle 20 Minuten fährt, und dabei ihren Fahrschein nicht mehr abgestempelt. Den prompt auftauchenden Kontrolleuren gegenüber gibt sie das sofort zu, erklärt den Grund und bietet an, den Fahrschein am Zielbahnhof abzustempeln. Die Kontrolleure geben sich ruppig. Die Stimmung im S-Bahnwagen droht zu kippen. Mehrere Fahrgäste mischen sich ein und verbitten sich diese Behandlung. Letztendlich steigen die Kontrolleure unverrichteter Dinge wieder aus, um einem Volksaufstand zu entgehen. – Deshalb: Herr Grube! Setzen Sie das Kontrollpersonal bis auf Weiteres für Fahrgastinformation und Hilfestellung für Menschen mit Behinderungen, Kindern und Kinder

wagen ein! Da werden sie gebraucht und nicht bei sinnlosen Kontrollen für Leistungen, die nicht erbracht werden.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das Land Berlin hat über die bescheidenen Ansätze der Bahn AG hinaus bei der BVG bereits zusätzliche Verkehre bestellt. Dies muss noch weiter verstärkt werden, soweit die Kapazitäten der BVG dies zulassen. Insbesondere auf der U-Bahnlinie 5 sind zusätzliche Fahrten erforderlich, vor allem im Abschnitt zwischen Lichtenberg und Alexanderplatz. Zudem muss die BVG die Bauarbeiten auf der U 1 schnellstmöglich abschließen.

Über die aktuelle Situation hinaus muss aber für die Zukunft Vorsorge getroffen werden, dass Berlin nie wieder in die Situation kommt, in dieser Art und Weise einem profitorientierten Monopolisten ausgeliefert zu sein. Es hätte bei Abschluss des Bahnvertrages niemand erwartet, dass die Deutsche Bahn als öffentliches Unternehmen in dieser Art und Weise den Betrieb gegen die Wand fährt.

[Christoph Meyer (FDP): Dann kündigen Sie den Vertrag!]

Hier liegt auch eine Verantwortung der Politik. Die Berliner SPD und der Senat von Berlin haben auf allen Ebenen gegen die Privatisierung der Deutschen Bahn und den Börsengang gekämpft.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzeltes Gelächter bei der CDU und den Grünen]

Auch wenn wir uns letztendlich durchgesetzt haben, konnten wir die Auswirkungen der Vorbereitung des Börsengangs nicht verhindern. Dafür möchte ich mich auch bei den Fahrgästen entschuldigen!

[Vereinzeltes Gelächter bei den Grünen]

Wir stehen aber in der Verantwortung, diese Fehler zu beheben, auf die wir früher schon hingewiesen haben, und zudem einen stärkeren Einfluss des Landes Berlin bei der Sicherung der Daseinsvorsorge auch im ÖPNV der Hauptstadt sicherzustellen. Die Bundesregierung muss ihren Einfluss als Eigentümer geltend machen, um dies zu unterstützen.

[Björn Jotzo (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Senatorin Junge-Reyer hat dazu in den letzten Wochen die Planung vorgelegt. Die Details wird Ihnen die Senatorin sicher nachher noch einmal erläutern. Liebe Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen und von der FDP! Lesen Sie doch mal Zeitung oder die Pressemitteilungen des Senats! Ihren jetzt geforderten „Aktionsplan Zukunft“ oder das, was Sie in der Aktuellen Stunde alles einfordern, gibt es längst. Sie rennen den Entwicklungen hinterher.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jotzo?

Herr Kollege Gaebler! Habe ich Sie eben richtig verstanden, dass Sie keinerlei politische Verantwortung beim Berliner Senat für die jetzige Situation im Zusammenhang mit dem Abschluss und der Handhabung dieses Verkehrsvertrages sehen?

Sie haben meiner Rede nicht richtig zugehört und können sie sicherlich noch einmal im Protokoll nachlesen. Ich habe bereits vorhin gesagt, dass natürlich der Abschluss des Verkehrsvertrages im Jahr 2003 unter anderen Voraussetzungen stattgefunden hat. Dass man im Nachhinein alles besser weiß, ist eine typische Eigenschaft der FDP. Aber liebe Kolleginnen und Kollegen! Man merkt ja: Wenn Sie in Regierungsverantwortung sind, schaffen Sie es auch nicht, es besser zu machen, sondern hängen alten Träumen hinterher.