Protocol of the Session on November 12, 2009

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Kohlmeier! Das Verfassungsgericht des Landes Berlin hat entschieden, dass es verfassungswidrig ist, wenn ein Gefangener – unter Würdigung der Gesamtumstände – über einen Zeitraum von nahezu drei Monaten in einem Haftraum von 5,25 m2 ohne abgetrennten Sanitärbereich untergebracht ist, er zeitweise – 15 bis 21 Stunden – unter Verschluss ist und diese Form der Inhaftierung zeitlich nicht absehbar ist. In seiner Entscheidung hat das Landesverfassungsgericht engere Grenzen für eine menschenwürdige Unterbringung gezogen, als es das Kammergericht noch in seiner Entscheidung vom September 2007 getan hat. Das Kammergericht sagte, eine Unterbringung in diesen Hafträumen der Teilanstalt I der JVA Tegel sei zwar unzweckmäßig, verletze aber die Menschenwürde noch nicht.

Das Verfassungsgericht hat nun drei Stellschrauben für die Verfassungswidrigkeit festgelegt: die Größe des Haftraums, seine sanitäre Ausstattung und die Dauer des Aufenthalts. An den beiden baulichen Voraussetzungen arbeiten wir seit geraumer Zeit, nämlich am Neubau der JVA Heidering. Wie Sie wissen, stehen uns die dortigen Haftplätze aber erst im Jahr 2011 bzw. 2012 zur Verfü

gung. Das Landesverfassungsgericht hat aber auch gesagt, dass es uns keinen Übergangszeitraum einräumt, in dem der bestehende Zustand noch als hinnehmbar betrachtet wird. Um den Voraussetzungen dieser Entscheidung möglichst nahe zu kommen, habe ich den Auftrag erteilt, die Aufschlusszeiten in der Teilanstalt I der JVA Tegel mit dem Ziel der Verlängerung zu überprüfen und in diesem Teil der Anstalt Gefangene unterzubringen, deren Inhaftierungszeit absehbar ist. Diese Maßnahme ist sofort möglich und wird auch umgesetzt.

Die Entscheidung des Verfassungsgerichts ist für mich eine Bestätigung und spornt mich dazu an, die Anstrengungen der letzten Jahre bei der Sanierung und der Schaffung neuer Hafträume fortzusetzen. Sie wissen, dass ein großer Teil unserer Straf- und Untersuchungsgefangenen in Hafträumen aus dem 19. Jahrhundert untergebracht ist, die den Anforderungen und Standards des 21. Jahrhunderts nicht mehr gerecht werden. Wir haben in den vergangenen fünf Jahren rund 280 Hafträume im Altbaubestand in einen zeitgemäßen Zustand mit abgetrennten Sanitärbereichen versetzt. Bis Ende dieses Jahres werden es 329 Räume sein. Dadurch konnten wir immerhin die vom Kammergericht in seinem Beschluss vom Sommer 2004 als verfassungswidrig erkannte Doppelbelegung in Hafträumen ohne abgetrennten und belüfteten Sanitärraum beseitigen.

Wegen der in der Justizvollzugsanstalt Tegel immer noch vorhandenen Überbelegung können wir allerdings auf die Hafträume der Teilanstalt I im Moment noch nicht verzichten. Erst durch die neue Justizvollzugsanstalt in Heidering kann die Überbelegung im geschlossenen Männervollzug in Berlin vollständig beseitigt werden. Mit den 648 hinzukommenden Haftplätzen dieser Anstalt wird es unter anderem möglich sein, die Teilanstalt I in Tegel zu schließen.

Hinsichtlich Ihrer Frage nach den anderen Ländern ist vorweg zu bemerken, dass die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts insoweit ein Novum darstellt, als Kriterien für die verfassungsgemäße Unterbringung in Hafträumen bei Einzelbelegung aufgestellt wurden. Wir wissen genau, dass in anderen Ländern, die mit ähnlich großem Altbaubestand in Gefängnissen zu kämpfen haben, die Schwierigkeiten einer verfassungsgemäßen Unterbringung von Häftlingen sehr groß sind. Im Frühjahr dieses Jahres hat z. B. das Oberlandesgericht Hamm einem Gefangenen Entschädigung zugebilligt. Dieser Gefangene war über mehrere Monate bei Mehrfachbelegungen in einem Haftraum untergebracht, in dem ihm für sich selbst weniger als 5 m2 zur Verfügung gestanden haben. Das wird zur Folge haben, dass das Land NordrheinWestfalen voraussichtlich 6 000 neue Haftplätze bauen wird.

Haben Sie eine Nachfrage? – Bitte, Herr Kohlmeier, Sie haben das Wort!

Frau Senatorin! Gibt es im Land Berlin weitere Anstalten, die aufgrund der Bedingungen zur Unterbringung von Strafgefangenen, die der Verfassungsgerichtshof Berlin aufgestellt hat, nach Ihrer Einschätzung verfassungswidrig sein könnten?

Frau Senatorin von der Aue – bitte!

Herr Abgeordneter Kohlmeier! Ich hatte gerade ausgeführt, dass wir eine erhebliche Anzahl von Hafträumen in einen zeitgemäßen Zustand versetzt haben, sodass ich ausschließen kann, dass über eine längere Dauer in bestimmtem Umfang eine verfassungswidrige Unterbringung noch durchgeführt werden wird.

Herr Behrendt hat das Wort zu einer Nachfrage. – Bitte schön!

Frau Senatorin! Stimmen Sie mir zu, dass wir heute schon viel weiter sein könnten und dass der Senat nicht wegen verfassungswidriger Unterbringung hätte verurteilt werden müssen, wenn wir zu Beginn dieses Jahrzehnts tatsächlich mit Sanierungsanstrengungen in den Altbauten in Moabit, in der Lehrter Straße oder in Tegel begonnen hätten, statt unsere Planungsintensität in überflüssige neue Haftanstalten zu investieren?

[Beifall bei den Grünen]

Frau Senatorin von der Aue – bitte!

Herr Abgeordneter Dr. Behrendt! Ich stimme Ihnen nicht zu. Ich halte den Neubau der JVA Heidering für zwingend geboten. Das zeigt auch gerade die jetzige Entwicklung. Wenn Sie sich noch daran erinnern, in welch erheblichem Umfang die Überbelegung in unseren Haftanstalten die Arbeit in vielerlei Hinsicht schwierig gemacht hat, dann wissen Sie selbst, dass eine Sanierung im Bestand nur dazu geführt hätte, dass wir noch weitere Doppel- und Mehrfachbelegungen hätten durchführen müssen, die zur Folge gehabt hätten, dass noch ganz andere Probleme aufgetreten wären – neben denen, die wir hatten.

Nun hat Herr Abgeordneter Friederici das Wort zu seiner Mündlichen Anfrage über

Sachstand bei der S-Bahn: Welche Verkehrseinschränkungen gibt es aktuell bei welcher Reduzierung der Zahlung des Berliner Senats an das Unternehmen?

Ich frage den Senat:

1. Wie ist der Sachstand der aktuellen und leider noch zu erwartenden Verkehrseinschränkungen der Berliner S-Bahn, die sich in den Monaten August, September und Oktober 2009 u. a. auch durch welche Reduzierung der Zahlung des Berliner Senats an die S-Bahn in welcher Höhe ausdrückt?

2. Welche Bemühungen unternimmt der Senat aktuell, langfristig und strategisch, damit die Berliner S-Bahn wieder ihren vertraglich vereinbarten Verkehrsverpflichtungen nachkommt, und ist dabei zweifelsfrei auszuschließen, dass im kommenden Winter sich nicht das 2008/2009er S-Bahn-Winterchaos wiederholt?

Es antwortet die Senatorin für Stadtentwicklung. – Frau Junge Reyer, bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Friederici! Die S-Bahn hat am 2. November begonnen, wieder alle S-Bahnstrecken zu befahren, aber es gibt weiter erhebliche Einschränkungen, und zwar im Linienlauf, in der Zugfolge – d. h. in der Taktfrequenz – und im Platzangebot. Es gibt Ausnahmen. Das heißt allerdings, dass auf dem überwiegenden Teil der Strecken weiter mit verkürzten Zügen gefahren wird. Wir haben also nach wie vor übervolle oder volle Züge.

[Mieke Senftleben (FDP): Das kann man wohl sagen!]

Die S-Bahn hat uns angegeben, dass sie seit dem 9. November maximal 384 Fahrzeuge, also Viertelzüge, einsetzen kann. Für das komplette Leistungsangebot im werktäglichen Verkehr werden entsprechend der Bestellung beider Länder eigentlich über 550 Viertelzüge benötigt. Derzeit bewegt sich das Angebot je nach Streckenabschnitt zwischen 60 und 100 Prozent der bestellten Leistung. Sie wird allerdings nur auf wenigen Strecken zu 100 Prozent erbracht.

Als Konsequenz aus den Leistungseinschränkungen sind die Zahlungen des Landes Berlin in den Monaten August, September, Oktober und November verringert worden. Inzwischen hat sich die Summe, um die es sich dabei

handelt, um weitere Euro erhöht. Es sind inzwischen 31 Millionen Euro, die das Land Berlin einbehalten hat. Mit der Schlussrechnung für das Jahr 2009 wird sich dieser Betrag voraussichtlich – ich sage ausdrücklich: leider – erhöhen müssen.

Der Senat steht in ständigem Kontakt mit der S-Bahn und vor allem mit dem Vorstand der Deutschen Bahn. Die Länder Berlin und Brandenburg haben die S-Bahn förmlich für die andauernden Störungen im S-Bahnbetrieb abgemahnt. Die S-Bahn hat zugesichert, gegebenenfalls unter Einbeziehung externer Dienstleister oder der Hersteller der Fahrzeuge so schnell wie möglich wieder zu einem Regelbetrieb kommen zu können. Wir haben daran auch die Bedingung geknüpft, dass uns erläutert wird, wie die S-Bahn dafür Sorge tragen will, dass das gravierende Defizit in der Instandhaltung unbedingt nachhaltig beseitigt wird.

Die S-Bahn hat uns Anfang November eine Stellungnahme geschickt. Danach kann die S-Bahn nicht zusichern, die vertraglich zu erbringende Leistung sicher zum 13. Dezember – also zum Fahrplanwechsel – zu erbringen. Sie strebt dies an, aber sie macht ausdrücklich keine Zusicherung, dass dies auch gelingt. Insbesondere setzt sie sich mit dem betriebssicheren Einsatz der Radscheiben und dann natürlich mit der Mängelbeseitigung an den Bremszylindern auseinander. Darüber hinaus will sie die Fahrzeugverfügbarkeit erhöhen, und zwar durch das Bereitstellen von 12 abgestellten Viertelzügen, die inzwischen weiter saniert und instandgesetzt worden sind. Das sind die Viertelzüge der bekannten Baureihe 485.

Ich habe dem Vorstand der Deutschen Bahn ausdrücklich mündlich und schriftlich mitgeteilt, dass wir eine Antwort darauf erwarten, wie sie den Winterdienst in diesem Jahr und zu Beginn des kommenden Jahres so sicher wie möglich gestalten will. Ich habe seit gestern Abend eine Antwort auf dieses Schreiben. Danach sichert die Deutsche Bahn zu, dass sie sich mit sehr vielen konstruktiven Veränderungen bei den Fahrzeugsperren auseinandergesetzt hat und dass sie sich vor allem hinsichtlich der Infrastruktur der Signale und der Weichen, die einem anderen Bereich der Deutschen Bahn und nicht unmittelbar dem Betreiben der S-Bahn zuzuordnen sind, in der Pflicht gesehen hat, intensive technische Verbesserungen durchzuführen und sie zu überprüfen – also auch bei laufendem Betrieb Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen, die sich im Winterdienst auch bei schlechter werdender Witterung regelmäßig darum kümmern, dass die Weichen und die Fahrsperren funktionieren.

Herr Friederici hat das Wort zu einer Nachfrage. – Bitte sehr!

Ich habe folgende Nachfrage: Wenn hoffentlich am 13. Dezember die S-Bahn wieder im hundertprozentigen

Fahrplantakt fährt – dann aber mit teilweise kürzeren Zügen –, wird das dann aufseiten des Senats wiederum zur Konsequenz haben, dass es beispielsweise zu einer erneuten Zahlungsreduzierung an die S-Bahn kommt?

Frau Senatorin Junge-Reyer!

Frau Präsidentin! Herr Friederici! Der S-Bahnvertrag wird im Augenblick nachverhandelt, und er wird ausdrücklich zu dieser Fragestellung der Behängung der Züge nachverhandelt. Ich meine, dass wir nicht hinnehmen können, dass für eine Minderleistung, die dadurch entsteht, dass die Züge übervoll sind, weil ihnen Wagen fehlen, zukünftig dieselben Zahlungen erfolgen, wie dies jetzt der Fall ist. Die Rechtsfrage, ob ein weiterer Abzug deshalb möglich sein könnte, muss geprüft werden, und sie wird geprüft. Ich setze allerdings eher auf die Nachverhandlungen zum Vertrag, um hierbei wirklich sicher sein zu können. Diese Verhandlungen werden fortgesetzt. Sie finden im Augenblick statt, und ich werde dazu noch in diesem Monat Chefgespräche führen.

Herr Weingartner hat das Wort zu einer Nachfrage. – Bitte schön!

Frau Senatorin! Sie haben uns berichtet, dass Sie die S-Bahn abgemahnt haben. Haben Sie in dieser Abmahnung Konsequenzen in Aussicht gestellt? Wenn ja, welche?

Frau Senatorin Junge-Reyer – bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Weingartner! In einer solchen Situation muss man zunächst mahnen. Das heißt, man muss darstellen, welche Leistungen man erwartet. Die S-Bahn hat inzwischen geantwortet. Dieses Schreiben ist drei Tage alt. Wir werten dieses Schreiben aus und werden entsprechend reagieren. Die Möglichkeit, in einer solchen Situation Konsequenzen in Aussicht zu stellen, ist selbstverständlich gegeben. Das haben wir auch getan, aber nur im Rahmen der Möglichkeiten, die der Vertrag z. B. bei den Bonus-Malus-Regelungen vorsieht. Wie Sie sehen, machen wir ja durch den Einbehalt von Leistungen bereits davon Gebrauch: Bei Leistungsstörungen ist weniger zu zahlen. – Und wenn Sie sehen, dass die gesamten Zahlungen des Landes Berlin pro Jahr bei etwa 230 Millio

Bürgermeisterin Ingeborg Junge-Reyer

nen Euro liegen, stellen Sie fest, dass 31 Millionen Euro die Zehn-Prozent-Grenze bei weitem überschreiten. Das ist eine durchaus empfindliche Situation für die Deutsche Bahn und die S-Bahn.

Vielen Dank, Frau Senatorin Junge-Reyer!

Jetzt hat Frau Abgeordnete Hämmerling das Wort für die nächste Mündliche Anfrage über

Ist die Tangentialverbindung Ost – TVO – machbar, und will der Senat den Straßenneubau finanzieren?

Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

1. Welches Ergebnis hat die Machbarkeitsstudie für die TVO, und wann wird sie dem Parlament zur Verfügung gestellt?

2. Ist der Senat bereit, diesen klimaschädlichen Straßenneubau zu finanzieren, oder wird er weiter konsequent auf eine Entlastung des Gebietes durch den Ausbau der S-Bahnanbindung setzen?

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Hämmerling! – Es antwortet erneut die Senatorin für Stadtentwicklung Frau Junge-Reyer. – Sie haben das Wort, bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Hämmerling! Gegenwärtig werden die Machbarkeitsstudie und die Variantenuntersuchung, vor allem die verkehrliche Untersuchung auf der Basis der Prognose 2025 erarbeitet. Es gibt naturgemäß kein abschließendes Ergebnis, sondern Zwischenergebnisse. Einige Zwischenergebnisse sind inzwischen auch mit Bezirksvertretern erörtert worden. Dieser Zwischenstand umfasst, wie Sie wissen, zwei Grundvarianten zur Führung einer tangentialen Verbindung. Zum einen gibt es die Variante, die sich westlich der Bahntrasse befindet, die andere Variante befindet sich östlich davon. Für jede dieser Varianten gibt es mehrere Untervarianten, die geprüft werden müssen. Man kann nicht von vornherein auf den ersten Blick eine östliche oder westliche Trassenführung vornehmen.

Nach Vorlage der zusammenfassenden Ergebnisse werden wir Ihnen das Ergebnis dieser Voruntersuchungen zur Verfügung stellen und gern auch im Ausschuss diskutieren. Sie werden dann die Grundlage für die Entscheidung, ob dieses Vorhaben realisiert werden soll, sein. Eine Aussage über den Zeitraum und über den Umfang der dann

zur Verfügung zu stellenden Mittel kann natürlich erst nach einer solchen Entscheidung über weitere Planungsschritte gemacht werden.