Protocol of the Session on November 12, 2009

Ich glaube, dass kaum jemand von uns an einem Sonntag für einen Bummel zum Hauptbahnhof geht.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Doch! Aber ich mache das noch nicht einmal am Montag!]

Ja, Herr Brauer, jeder geht dann einkaufen, wann er Lust dazu hat, das ist so. – Wir müssen aber festhalten: Ein Bahnhof steht nicht im Wettbewerb zu Shoppingcentern. Das Angebot ist für Reisende gedacht und nicht für Flaneure; selbst wenn Sie es täten, wäre es mir ja sehr recht, wir bedienen hier aber eine ganz andere Klientel.

Rainer-Michael Lehmann

Herr Thiel! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klemm?

Aber immer!

Herr Klemm – bitte sehr!

Herr Thiel! Wann waren Sie das letzte Mal in Hamburg um 23 Uhr am Bahnhof einkaufen? – Ich war dort kürzlich und bekam nicht einmal mehr eine Currywurst.

Herr Klemm! Das tut mir ausgesprochen leid. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich das letzte Mal vor zwei oder drei Jahren um diese Zeit dort war. In der Regel bin ich früher dort. Aber es geht ja nicht darum, wo ich bin, ich bin ja nicht der Maßstab der Dinge. Sie weisen auf etwas sehr Wesentliches hin, Herr Klemm: Der Souverän ist immer noch der Kunde, nicht der Politiker.

[Oh! von der Linksfraktion]

Insofern hoffe ich, dass wir eine zügige und wohlwollende Ausschussberatung zu unserem Änderungsantrag durchführen, damit wir uns endlich wieder dem widmen können, wofür wir eigentlich hier sitzen – die Aufgaben und Probleme dieser Stadt zu lösen, statt uns mit solchen überflüssigen Bagatellen zu beschäftigen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Thiel! – Für die SPDFraktion hat nun die Frau Abgeordnete Monteiro das Wort – bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist wieder November, und wie schon so oft im November steht das Ladenöffnungsgesetz zur Debatte. Im Plenum vor drei Jahren, am 9. November 2006, begingen wir an dieser Stelle gemeinsam das 50. Jubiläum des Ladenschlussgesetzes, das im November 1956 in Kraft getreten war, und wir beschlossen das erste Berliner Ladenöffnungsgesetz.

Gerne erinnere ich daran, dass vor der Einführung des Ladenöffnungsgesetzes bundesweit eine restriktive Schließzeit galt und die Geschäft werktags z. B. um 18.30 Uhr schließen mussten. Wir in Berlin haben unver

züglich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ein Ladenöffnungsgesetz zu erlassen und damit weitergehende Möglichkeiten für den Einkauf in Berlin zu schaffen. Die Interessen aller Beteiligten wurden dabei berücksichtigt – die der Menschen, die in dieser Stadt leben, der Beschäftigten im Einzelhandel, der Touristen, die diese Stadt besuchen und die Interessen der Händler selbst.

Es ist in Berlin derzeit möglich, von Montag 00 Uhr bis Samstag 24 Uhr ununterbrochen Ladengeschäfte aller Art zu öffnen. Wir können beobachten, dass diese Möglichkeit kaum genutzt wird. Gleichzeitig kann jeder von uns Orte benennen, an denen die Regelungen des Ladenöffnungsgesetzes zur nicht erlaubten Sonntagsöffnung aufgeweicht wurden – beispielhaft möchte ich Sonntagsöffnungen von Ladengeschäften am Ostbahnhof, Hauptbahnhof, Innsbrucker Platz und am Bahnhof Lichtenberg erwähnen.

Gegen die gesetzlich bereits vereinbarten Ausnahmemöglichkeiten zum Sonntagsverkauf, über den der vorliegende FDP-Antrag nochmals hinausgeht, klagen die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und das Erzbistum Berlin vor dem Bundesverfassungsgericht; die Entscheidung wird für den 1. Dezember erwartet. Das Bundesverfassungsgericht steht vor einem Grundsatzurteil zum Schutz des Sonntags. Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier beschrieb dies so, es gehe in dem Verfahren um die verfassungsrechtlichen Grenzen der Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen. Genau in dieser Situation legt die FDP ihren Antrag vor. Der Antrag liest sich, als wüsste die FDP bereits, wie das Verfassungsgericht urteilen wird – anders lässt sich der Wunsch nach einer Öffnung von Verkaufsstellen auf allen Fernverkehrsbahnhöfen an allen Sonntagen nicht erklären. Ungeduld und einseitiges Vorpreschen helfen jetzt nicht. Nötig ist ein Vorgehen mit Augenmaß, sinnvoll ist ein Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen. Dazu gehören auch die Interessen der Beschäftigten des Einzelhandels.

Schon bei der Beschlussfassung des Gesetzes in der heute geltenden Form hat die SPD-Fraktion einen Abwägungsprozess zwischen dem geltenden Verfassungsrecht mit dem besonderen Schutz der Sonn- und Feiertage und dem weitgehenden Interesse des Einzelhandels und der Einkaufswünsche der Berliner und unserer Gäste treffen müssen. Entgegen der Behauptung der FDP – und Herr Thiel ist da gerade in Schwierigkeiten geraten – darf auch auf den meisten Bahnhöfen wie z. B. in Leipzig, Frankfurt, München, Köln, Dortmund, Stuttgart, Düsseldorf und weiteren deutschen Großstädten an Sonn- und Feiertagen nur Reisebedarf verkauft werden.

In diesem Sinne plädiere ich dafür, die Erweiterung des Ladenöffnungsgesetzes gründlich und mit Augenmaß zu prüfen. Das heißt, dass erstens zunächst das Urteil des Verfassungsgerichts abgewartet werden muss, zweitens müssen wir die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Einzelhandel berücksichtigen und drit

drittens brauchen wir einen sachkundigeren Umgang mit einer möglichen Gesetzesnovelle als es die FDP mit ihrem Antrag uns vorgelegt hat. Dies kündige ich hiermit für die SPD-Fraktion an.

[Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Monteiro! – Das Wort für eine Kurzintervention erhält Herr Abgeordneter Thiel – bitte sehr!

Danke, Frau Präsidentin! – Frau Monteiro! Ich habe versucht, es verständlich auszudrücken, was ich sagen wollte, aber ich wiederhole es gerne, weil ich feststelle, dass Sie es nicht verstanden haben. Das Bundesverfassungsgericht wird über eine grundsätzliche Sache urteilen müssen – ob die zehn offenen Sonntage dem Grundgesetz widersprechen oder nicht. Es wird aber nicht darüber urteilen, ob wir von einem bestehenden Ladenöffnungsgesetz Ausnahmetatbestände weiter formulieren, die auch den Sonntag betreffen – das ist ein ganz anderer Sachverhalt. Bereits im Ladenschlussgesetz, ein Service des Bundesministerium der Justiz, Ausfertigungsdatum 28. November 1956, sind diese Ausnahmetatbestände dargelegt worden. Nach der Föderalismuskommission und deren Ergebnissen ist die Regelung der Öffnungszeiten Ländersache geworden. Wir fordern, dass wir davon mit sehr viel Augenmaß Gebrauch machen und – anders als wir es ursprünglich geplant hatten – dass wir eine großzügigere Regelung auf den Fernbahnhöfen in Berlin finden, analog der ausdrücklich vorgenommenen Regelung für den Flughafen Tegel. Ich bin gerne offen und diskussionsbereit, den Begriff „Fernbahnhöfe“ gegen „Bahnhöfe“ zu ersetzen. Das kommt mir als Liberalem sehr entgegen, allerdings sehe ich dagegen noch mehr Widerstände aufkommen. Ich bitte zumindest darum, mir zuzuhören, um zu verstehen, was ich gesagt habe.

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Thiel! – Möchten Sie antworten, Frau Monteiro? – Nein, dann fahren wir fort, und das Wort erhält Herr Abgeordneter Melzer von der CDU-Fraktion. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im November 2006, also vor fast genau drei Jahren, haben wir hier das Berliner Ladenöffnungsgesetz beschlossen. 50 Jahre gesetzlich verordneter Einkaufszeiten haben damals ihr Ende gefunden. Nach 50 Jahren lag es jetzt in der Entscheidung jedes Einzelnen, wann er Handel betreiben oder einkaufen wollte und wann nicht. „Die neuen gesetzlichen Regelungen beenden eine über 100-jährige Diskri

minierung unseres Wirtschaftszweiges“, sagte damals der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes BerlinBrandenburg, Nils Busch-Petersen. In der Rückschau der vergangenen drei Jahre sind wir froh, dass die schwarzmalerischen Ankündigungen – Arbeitnehmer würden ausgebeutet – nicht eingetroffen sind.

Die CDU-Fraktion hat seinerzeit das Gesetz als Fortschritt gelobt. Wir sehen mit dem Ladenöffnungsgesetz eine alte Forderung der Unionsparteien verwirklicht, nämlich die, mehr Freiheit zu schaffen.

[Beifall bei der CDU]

Mehr Freiheit – das ist insbesondere und gerade für diese Stadt Berlin gut: Mehr Freiheit für die Unternehmen und Unternehmer, für die Berlinerinnen und Berliner und letztlich auch für die Gäste in unserer Stadt.

Für die CDU-Fraktion halte ich aber auch ausdrücklich fest: Wir bekennen uns weiterhin zum besonderen Schutz der Sonntage als Tage des Innehaltens, des Reflektierens und als Tage für die Familie. Beides muss in Einklang gebracht werden: Freiheit und Sonntagsschutz. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen,

[Beifall bei der CDU – Zuruf von den Grünen]

und das ist auch die Herausforderung, vor der das Bundesverfassungsgericht steht. Diese Abwägung ist dort Anfang Dezember zu treffen.

Dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts Anfang Dezember wollen und werden wir vor der weiteren Beratung dieser Gesetzesänderung abwarten, denn rund um das Ladenöffnungsgesetz ist es in den drei Jahren seiner Gültigkeit zu genug Unsicherheit und Verunsicherung gekommen. Kaum beschlossen, musste das Gesetz geändert werden, weil Bäcker und Floristen mit der neuen Öffnungsregelung plötzlich schlechter gestellt waren als in den 50 Jahren des Ladenschlussgesetzes.

Hier hat sich Rot-Rot monatelang verweigert. Am Hauptbahnhof wurden bis vor kurzem die Ladenöffnungen am Sonntag toleriert – plötzlich wurden sie verboten. Nun gibt es parallel zum angekündigten Urteilsspruch des Verfassungsgerichts den nächsten Änderungswunsch für dieses Gesetz. Das alles führt zu Unsicherheit bei den Betroffenen und kann nicht in unserem Interesse sein. Unsicherheit bei Unternehmern, bei Gewerbetreibenden, bei Kunden und bei Gästen in unserer Stadt kann nicht in unserem Interesse sein.

[Beifall bei der CDU]

Wenn wir hinterfragen, wer dafür die Verantwortung trägt, dann stelle ich fest: Das sind nicht diejenigen, die schlechte und nicht praxistaugliche Regelungen verbessern wollen wie beispielsweise die CDU oder die FDP. Sie verunsichern nicht die Betroffenen. Verantwortlich für die Verunsicherung sind SPD und Linke, ihre handwerklichen Fehler und ihre kopflose Kompromisslosigkeit bei diesem Gesetzgebungsverfahren in den vergangenen Jahren.

Birgit Monteiro

[Beifall bei der CDU]

Apropos Verunsicherung: Die Vielstimmigkeit der SPD und der Koalition hat die Verunsicherung und Verärgerung noch erhöht. Wowereit machte in einem Brief an Bahnchef Grube bereits Anfang August – angeblich „unmissverständlich“ – klar, dass an dem Gesetz nicht gerüttelt werde. Kurz darauf sagt Mittes Bezirksbürgermeister Hanke von der SPD, er finde es provinziell, wenn jetzt plötzlich die Läden am Sonntag schließen sollten. Senatorin Lompscher kontert damit, dass sie derzeit eine Ausweitung für nicht nötig halte. Das wiederum ruft den SPD-Politiker Stroedter auf den Plan, der sagt, dass in einer Weltstadt wie Berlin der Hauptbahnhof sonntags nicht tot sein solle und er sich für eine Sondergenehmigung für den Hauptbahnhof einsetzen wolle. Herr Stroedter, ich hätte von Ihnen erwartet, dass Sie heute auch hierzu reden oder zumindest Ihrer Kollegin die richtigen Hinweise geben. Das haben Sie unterlassen.

[Zuruf von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion)]

Wir wollen der SPD in den nächsten Tagen bis zum 1. Dezember die Zeit geben, zuerst sich zu sortieren, eine gemeinsame Position zu finden und diese Position dann auch ihrem Koalitionspartner beizubringen. Herr Stroedter und Herr Hanke aus dem Bezirksamt Mitte! Wir fordern Sie auf: Setzen Sie sich innerhalb Ihrer Partei durch! Wir brauchen auch am Hauptbahnhof Berlin eine vernünftige Ladenöffnungszeit. Der Hauptbahnhof ist genauso wenig ein normaler Bahnhof, wie Tegel ein Dorfflughafen ist, und deswegen brauchen wir auch hier vernünftige Öffnungszeiten nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

[Beifall bei der CDU]

Wir wollen ab dem 1. Dezember das Gesetz zügig, professionell und mit der notwendigen Sorgfalt der Realität anpassen.

[Zuruf von Wolfgang Brauer (Linksfraktion)]

Was wir nicht wollen, ist Rückschritt auf Kleinstadtniveau, wie es die „Morgenpost“ schreibt, oder wie es im „Tagesspiegel“-Kommentar heißt: „Das Dorf lässt grüßen.“ Die SPD-Fraktion ist aufgefordert, sich nicht an der kurzen Leine ihres Koalitionspartners durch die Stadt treiben zu lassen und mittelstandsfreundliche, wirtschaftsfreundliche, kundenfreundliche und touristenfreundliche Politik zu machen.

[Zuruf von Wolfgang Brauer (Linksfraktion)]

Dazu gehört auch eine vernünftige Öffnungszeitregelung am Berliner Hauptbahnhof. Daran werden wir Sie messen, und das werden wir auch in den Ausschüssen durchsetzen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Melzer! – Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Abgeordnete HolzheuerRothensteiner das Wort. – Bitte sehr!