Protocol of the Session on October 15, 2009

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Dieser Senat lässt keine Diskussion über seine Politik zu. Die Einmischung der Bürgerinnen und Bürger ist unerwünscht. Mit Basta-Rhetorik, Herr Wowereit, lässt sich vielleicht die SPD führen. Die Berlinerinnen und Berliner lassen sich so nicht abfertigen.

[Beifall bei den Grünen]

Vor drei Jahren haben alle Fraktionen hier im Hause die Änderung der Berliner Verfassung beschlossen. Es war der erklärte Wille dieses Abgeordnetenhauses, den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt mehr zuzutrauen.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Ach!]

Heute wundern Sie sich, was Sie beschlossen haben! – Für meine Fraktion kann ich nur sagen, dass wir uns freuen, dass diese Gesetzgebung jetzt endlich mit Leben erfüllt wird. In Zeiten steigender Politikverdrossenheit und sinkender Wahlbeteiligung ist es uns wichtig, andere und neue Wege der politischen Beteiligung und Mitsprache für Menschen in dieser Stadt zu gehen. Wir haben die Abstimmungshürden gesenkt, ebenso gesenkt haben wir die Zulassungsvoraussetzungen.

[Zuruf von der SPD: Wir!]

Allein der Senat kennt offenkundig die aktuelle Verfassungslage nicht. Er kann ja gar nicht mit der Begründung, dass gegen höherrangiges Recht verstoßen wird, ein Volksbegehren für nicht zulässig erklären. Herr Lederer erklärt mir, das sei jetzt alles ganz selbstverständlich so

gedacht gewesen. Dann hätte man es vielleicht auch hineinschreiben sollen, wenn es so selbstverständlich ist. Es sei denn, ein Volksbegehren verfolgt offenkundig verfassungsfeindliche Ziele, was im Fall des Volksbegehrens zur Offenlegung der Konsortialverträge wahrlich nicht der Fall ist.

[Beifall bei den Grünen]

Finden Sie nicht eigentlich auch, meine Damen und Herren von Rot-Rot, dass die Berlinerinnen und Berliner ein Recht darauf haben zu erfahren, warum sie die höchsten Wassergebühren der Republik zahlen müssen? Meinen Sie nicht auch, dass die Berlinerinnen und Berliner eigentlich wissen sollten, was für Verträge zulasten des Landes und der Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt von einer SPD-Finanzsenatorin zu verantworten sind? – Und wenn Sie dieses Anliegen teilen – was ich heute von Ihnen gehört habe –, dann machen Sie doch die Offenlegung der Verträge möglich! Sie sind Mehrheitseigentümer bei den Wasserbetrieben, das könnten Sie doch angehen! Dann gehen Sie doch einfach mal in die Vollen und unternehmen Sie etwas, anstatt sich nur darüber zu beschweren, was nicht geht.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Meine Fraktion kämpft seit Jahren für mehr Transparenz. Wir haben vieles vorangebracht, sind in Sachen Verträge offenlegen – Stichwort S-Bahnvertrag, Frau Junge-Reyer ist nicht da – noch nicht besonders weit gekommen, und wir werden deswegen eine weitere Initiative für mehr Transparenz bei den Unternehmen der Daseinsvorsorge ergreifen, ganz im Sinne des Volksbegehrens zu den Wasserbetrieben. Wir haben uns vor drei Jahren ebenfalls darauf verständigt, dass Haushaltsauswirkungen kein Ausschlussgrund für Volksbegehren sein dürfen. Und wenn ich Herrn Lederer aus der Plenardebatte am 4. Mai 2006 zitieren darf – ich zitiere:

Berlinerinnen und Berliner werden auch über Dinge entscheiden können, die Geld kosten,

sagte damals Herr Lederer.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): So ist es ja auch!]

Und dann kam das Volksbegehren, und die Koalition wunderte sich, dass die Berlinerinnen und Berliner über Geld entscheiden wollen, und keiner wollte sich jetzt mehr erinnern, dass man es so beschlossen hat.

Der Senat versuchte, es für unzulässig zu erklären.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Ich habe es aber nicht für unzulässig erklärt!]

Ich gucke ja auch Herrn Körting an! – Und dann fingen Sie wieder an zu tricksen. Sie haben die angeblichen Kosten des Kitavolksbegehrens künstlich von 85 auf 212 Millionen Euro hochgerechnet, um dann den Eltern vorzuwerfen, sie würden mit ihrem Begehren den Berliner Haushalt zum Entgleisen bringen. Wenn irgendjemand den Berliner Haushalt zum Entgleisen bringt, dann ist es

ja wohl diese rot-rote Koalition und nicht die Eltern mit ihren berechtigten Anliegen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Sie haben sich vor einigen Jahren offenkundig mit einem Wahlversprechen der Gebührenfreiheit in den Kitas vergaloppiert. Aber die Eltern wollen mehr Qualität. Das zeigen alle Umfragen.

[Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Natürlich hätten sie gerne beides. Wenn sie sich aber entscheiden könnten, dann entscheiden sie sich für die Qualität.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Und Sie sollten auch aufhören, so zu tun, als ob nur die Gebührenbefreiung mehr Kindern aus einkommensschwachen Familien den Kitabesuch ermöglichen würde. Heute schon müssen diese Familien das Essensgeld zahlen, und das kann man tatsächlich abschaffen. Dafür bin ich auch.

Frau Pop! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des – –

Gerade nicht! Die Zeit reicht nicht. – Dann aber wird es richtig absurd, wenn eine rot-rote Regierung lieber Gutverdienende von der Kitagebühr entlastet, anstatt in mehr Qualität zu investieren. Das verstehe noch einer.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Bei uns hat die Qualität Vorrang. Wir nehmen das Volksbegehren ernst und fordern Sie auf, keine halben Sachen zu machen. Hören Sie auf, den Menschen vorzumachen, man könne den Kuchen essen und auch behalten, denn für eine Gebührenbefreiung plus eine anständige Qualitätsverbesserung fehlt Ihnen doch schlichtweg das Geld, meine lieben Damen und Herren von Rot-Rot! Folgen Sie unserem Vorschlag, dem Begehren der Eltern, der als Gesetzentwurf vorliegt! Wir wollen den Rechtsanspruch auf einen Teilzeitplatz für alle Kinder ab drei Jahren ohne bürokratische Bedarfsprüfung. Diese Vereinfachung eröffnet mehr Kindern aus einkommensschwachen Familien den Zugang zur Kita. Dieser Weg, weniger Bürokratie und leichterer Zugang zur Kita, ist besser als eine Gebührenbefreiung, die nur jenen nutzt, die jetzt schon drin sind.

[Beifall bei den Grünen]

Wir wollen kleinere Gruppen, und zwar um ein Kind kleiner und nicht um ein halbes Kind. Erzieherinnen und Erzieher brauchen mehr Zeit, beispielsweise um individuelle Förderbücher zu schreiben. Weiterhin sollte die Kitaleitung gestärkt werden, aber das haben Sie offensichtlich selber auch schon vor. Und kommen jetzt mit einem Stufenplan, der aber noch nicht mal richtig finanziert ist. Herr Nußbaum sagt: Dann soll die Fraktion doch mal Geld im Haushalt suchen gehen.

[Zurufe von Dr. Fritz Felgentreu (SPD) und Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion)]

Und zu Recht hat die „Berliner Zeitung“ diesen Stufenplan Volksentscheidvermeidungsstrategie genannt. Der ist nichts anderes als ein hilfloser Versuch, dem vermutlich erfolgreichen Kitavolksbegehren das Wasser abzugraben. Wir brauchen jetzt aber keine halben Sachen. Die Eltern haben das auch gemerkt. Sie sollten der Verbesserung der Qualität endlich Vorrang einräumen und deswegen unserem Gesetzesantrag zustimmen.

[Beifall bei den Grünen]

Bislang haben Sie es wahrlich mit allen Mitteln versucht, jegliche Diskussion in dieser Stadt über rot-rote Politik abzuwürgen. Den Volksentscheid zum Flughafen Tempelhof hätten wir – ich sage bewusst wir, Grün-Rot-Rot – fast verloren, weil der Senat hoffte, dem Volksentscheid durch Totschweigen das Wasser abgraben zu können. Danach haben Sie versucht, den Volksentscheid zur Frage „Pro Reli“ über Terminschiebereien zu schwächen. Und zuletzt haben Sie richtig in die Vollen gegriffen und die zwei Volksbegehren zur Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge und zum Kitagesetz für unzulässig erklärt. Das Landesverfassungsgericht hat Ihnen völlig zu Recht die rote Karte gezeigt.

[Beifall bei den Grünen]

Und was die politischen Konsequenzen des Urteils sind, sie werden dem diskussionsunfreudigen Senat nicht gefallen.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Sie verstehen ja davon nichts!]

In Zukunft wird sich nämlich kein Senat mehr der öffentlichen Debatte einfach entziehen können. Sie werden in dieser Stadt für Ihre Politik werben müssen. Sie werden auf die Menschen in der Stadt zugehen müssen und sich nicht länger im Roten Rathaus einmauern können. Eine neue Stufe der Demokratie erhoffte sich die „taz“ von diesem Urteil. Dem können wir uns hier nur anschließen und dem zustimmen.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank! – Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Kluckert.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle fest, die beiden Urteile des Berliner Verfassungsgerichtshofs vom 9. Oktober reihen sich ein in eine Serie von juristischen Niederlagen der rot-roten Koalition und des rotroten Senats vor Verfassungsgerichten. Schauen Sie sich zu den entsprechenden Entscheidungen doch einfach mal die wichtigsten Überschriften auf der Internetseite des Verfassungsgerichtshofs an! „Wesentliche Vorschriften des Berliner Haushaltsgesetzes verfassungswidrig und nichtig“, „wesentliche Vorschriften des Berliner Hoch

schulgesetzes verfassungswidrig und nichtig“, „Unterlassen der Finanzplanung für die Jahre 2004 bis 2008 verfassungswidrig und nichtig“. Ferner erinnere ich Sie an den gescheiterten Versuch des Senats, Bundeshilfen vor dem Bundesverfassungsgericht einzuklagen. Nicht vergessen ist auch die Trickserei des Regierenden Bürgermeisters als Bundesratspräsident bei der Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat den Verfassungsbruch des Regierenden Bürgermeisters entlarvt und auch für die Nachwelt in der amtlichen Sammlung dokumentiert.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Hört, hört! von der FDP – Zuruf von Andreas Gram (CDU)]

Die FDP sieht mit Zufriedenheit auf die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit im Land Berlin. Wir danken den Richterinnen und Richtern und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsgerichtshofs für ihre verantwortungsvolle Tätigkeit.

[Beifall bei der FDP und den Grünen]

Die FDP begrüßt die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs zum Wasservolksbegehren und zum Kitavolksbegehren ausdrücklich, nicht weil wir jeden einzelnen Punkt in diesen Volksbegehren teilen, nicht weil wir mit den Trägern in jedem Punkt einer Meinung sind, sondern weil wir der Ansicht sind, dass durch diese Entscheidungen die Hürden für Volksbegehren abgesenkt werden und die direkte Demokratie erheblich gestärkt wird.

[Beifall bei der FDP]