Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion der FDP in Person von Herrn Weingartner. – Bitte schön, Herr Weingartner, ergreifen Sie das Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das S-Bahnchaos hat nicht nur in Berlin wegen eklatanter Versäumnisse seitens des Auftragnehmers, der Deutschen Bahn AG, zugeschlagen, sondern inzwischen ist es auch in Hamburg angekommen. Nach ersten Vertröstungen in Berlin durch die Bahn und S-Bahn und anfänglicher Zurückhaltung des Berliner Senats hat sich inzwischen bei den Betroffenen und bei den Entscheidungsträgern offensichtlich die Meinung der Opposition durchgesetzt: Es muss eine Entschädigung her!
Was ist geplant? – Es sind Freifahrten geplant, aber nicht etwa in einem Monat, der so richtig von Betriebsamkeit geprägt ist, in dem so richtig ÖPNV gefahren wird, was das Zeug hält. Nein, es wird der Monat Dezember gewählt, ein überwiegend von Urlaub, Urlaubsstimmung und urlaubsbedingter Abwesenheit von Berlinern, aber auch Abwesenheit von Besuchern, Geschäftsleuten und vielen Touristen geprägter Monat.
Das Chaos trifft aber nicht nur die Stammkunden der S-Bahn. Es trifft auch Käufer von Einzelfahrscheinen, die Fahrgäste der BVG, die in U-Bahnen und Bussen enger zusammenrücken, aber auch die Autofahrer, die mit
erhöhtem Verkehrsaufkommen klarkommen müssen. Darum halten wir es für unabdingbar, dass alle Berlinerinnen und Berliner von der S-Bahn entschädigt werden.
Hier bietet die FDP ein weitaus einfacheres und effektiveres Kompensationsmodell mit Lernfaktor an, nämlich die Verlegung der Freifahrten in den Monat April 2010,
ein für das monatelange S-Bahnchaos adäquater Monat. Der April ist geprägt von wenigen Feiertagen genauso wie von vollen Geschäfts- und Betriebstagen und auch dem Semesterbeginn an den Unis. Frei Fahrt für freie Bürger im ÖPNV für einen Monat, aber dem richtigen. Damit wollen wir erreichen, dass sich ein bedenklicher Trend wieder umkehrt. Wir stellen fest, dass nicht nur die SBahn, sondern der gesamte Berliner Nahverkehr das Vertrauen der Kunden verloren hat. Das ist eine schlimme Entwicklung. Der kann man entgegenwirken,
und zwar mit wissenschaftlichen Auswertungen der sich entwickelnden Fahrgastzahlen, der Schwerpunktnutzung, der Verknüpfungsqualität zwischen S- und U-Bahn, Bussen und Straßenbahnen. Durch diese zusätzlich mögliche Auswertung eines für einen Monat komplett kostenfrei zu nutzenden ÖPNV durch Freifahrten für jedermann, egal ob Einzelfahrschein, Monats- oder Jahreskarte für A-, B- oder C-Bereich-Fahrer ergeben sich mit Sicherheit Erkenntnisse, die sich für künftige Weichenstellungen in der Tarifgestaltung, in der Betriebsgestaltung zugunsten der ÖPNV-Nutzer, aber auch der Autofahrer, der Umwelt, der Feinstaubbelastungsreduzierung nutzen lassen.
Und das alles ohne komplizierte Erstattungs- und Verlängerungsmechanismen von Dauerkarten! Wenn dann auch noch der Chef des wesentlich beteiligten Verkehrsverbundes VBB einen solchen Versuch begrüßt, ist das ein deutliches Signal an die Politik, das Entschädigungsmodell als Pilotversuch zu verhandeln, aber auch durchzusetzen.
Das wäre ein Gewinn, der als nicht unbeträchtlich einzustufen ist und der aus dem entstandenen monatelangen
Chaos noch gezogen werden könnte. Mit dem jetzigen Erstattungsverfahren werden diese Erkenntnismöglichkeiten schlicht vertan, verbunden mit einem komplizierten und einem unpräzisen, ungerechten, aufwendigen Erstattungsmodus der Bahn AG. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zum eigentlichen Thema komme, möchte ich Ihnen, Herr Weingartner, noch ein paar Hinweise zur Feiertagsverteilung im Jahr 2010 geben: Sie haben den April als ferien- und feiertagsfreien Monat hervorgehoben. Wir haben 2010 am 2. April Karfreitag und am 4. und 5. April Ostern sowie von 31. März bis zum 10. April Ferien. Wovon reden Sie eigentlich, Herr Weingartner?
Sie sagten, der Dezember sei ein schlechter Monat, weil da alle in den Ferien seien, und April wäre günstig, weil es da keine Feiertage gäbe. Lesen Sie das noch einmal im Protokoll nach! Die FDP weiß nicht einmal, was der Kalender sagt, geschweige denn, was für den ÖPNV richtig ist.
Daraus ergibt sich schon der Verdacht, dass Ihr Antrag ein Aprilscherz ist. Wir haben in der letzten Plenarsitzung nach einer Debatte einen unfassenden Antrag – Schnelle Konsequenzen aus der S-Bahnkrise – beschlossen. Dafür waren alle Fraktionen mit Ausnahme der FDP.
Die wollte erst im April etwas für die Fahrgäste tun und nicht schon jetzt. Jetzt wissen wir auch, warum Sie diesen Antrag einbringen. Ich habe tatsächlich länger darüber nachgedacht,
weil ich wissen wollte, was Sie sich dabei gedacht haben, und bin darauf gekommen, dass die Koalitionsverhandlungen auf der Bundesebene der Grund sind.
Das ist offensichtlich die Ursache. Da Sie dort Ihre Wahlversprechen – Steuererleichterungen und mehr Netto vom Brutto – nicht umsetzen können, muss jetzt der ÖPNV in Berlin herhalten. Statt das Geld in den ÖPNV zu stecken, wollen Sie eine ideologiegeleitete Ausschüttung an die Bürger. Steuererleichterungen laufen nicht; deswegen gibt man jetzt das Geld, das man nicht hat bzw. über das Sie
Zudem haben Sie in Ihrem wegweisenden Antrag die Abo-Kunden vergessen. Sie fordern eine Entschädigung für die Besitzer von Monatskarten, aber die Abonnenten spielen bei Ihnen keine Rolle, obwohl das ungefähr 80 Prozent der Berliner ÖPNV-Nutzer sind. Das zeigt, wie sehr Sie an den wirklichen Bedürfnissen der ÖPNVKunden vorbeiagieren und -argumentieren.
Auch die Summe, die Sie nennen, ist falsch. Die FDP kann nicht nur nicht wirtschaften, sondern auch nicht rechnen.
Wir reden nicht über 50, sondern über ca. 75 Millionen Euro. Das sind die Fahrgeldeinnahmen im Bereich ABC in einem Monat, selbst wenn in diesem Monat Ferien sind. Deshalb ist auch ein Modellversuch ziemlich albern. Wissenschaftliche Modellversuche macht man nämlich nicht in Monaten, in denen Ferien sind, sondern in Monaten mit Normalbetrieb, da man ansonsten keine repräsentativen Ergebnisse erhält.
Die S-Bahn soll zahlen. Ersatzweise nennen Sie aber auch den Senat, der das aus einbehaltenen Geldern zahlen soll. Wir wollen das Geld aber nachhaltig investieren, und zwar entsprechend dem Beschluss der letzten Plenarsitzung. Wir wollen damit Aufzüge bauen, Strecken sanieren und zusätzliche Verkehrsleistungen realisieren, aber wir wollen keine Wahlkampfversprechen der FDP umsetzen. Deswegen werden wir Ihren Antrag nach der Beratung in den Ausschüssen ablehnen. – Vielen Dank!
Danke schön, Herr Kollege Gaebler! – Jetzt kommt die CDU-Fraktion an die Reihe. Der Kollege Scholz wird zu dem Thema sprechen. – Bitte schön!
Weit gefehlt, Herr Doering! Abo-Kunde! Aber darauf kommen wir noch. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wem – wie mir – das Wohl der Fahrgäste am Herzen liegt, dem fällt es schwer, all das, was es zum Thema S-Bahnchaos zu sagen gibt, in fünf Minuten abzuhandeln. S-Bahnchaos 2009 – das bedeutet überfüllte Bahnen und Bahnsteige, Kinder und Jugendliche, die viel Zeit benötigen, um pünktlich in der Schule zu sein, Menschen, die zu spät zur Arbeit kommen, mangelhafte Fahrgastinformation, Bürger, die ihr Ziel mit der S-Bahn nicht mehr erreichen können und wieder auf das
Auto umsteigen. Das Ergebnis sind Staus, Parkgebühren, Benzinkosten und eine erhöhte Umweltbelastung, zu der auch die Senatorin Lompscher bisher hartnäckig schweigt.
Weshalb führe ich Ihnen diese Bilder noch einmal vor Augen? – Weil der Senat aus der Dienstwagenperspektive noch immer nicht realisiert hat, was Berlinerinnen und Berliner über Monate hinweg erdulden mussten und nach wie vor müssen.
Wie sonst ist zu erklären, dass der Senat nichts unternommen hat, um den Menschen diese Situation zu erleichtern. Sie, Frau Senatorin Junge-Reyer, haben auf keinen unserer Vorschläge reagiert, die lauten: Parkgebühren aussetzen, Umweltzone zeitweilig öffnen – wobei ich „zeitweilig“ betone – und Kioskbesitzer auf den geschlossenen Bahnsteigen unterstützen. Initiativen des Senats? – Fehlanzeige! Wann nimmt der Senat endlich zur Kenntnis, dass es sich hier nicht um eine kleine Panne gehandelt hat, sondern dass wir in den vergangenen Wochen und Monaten den größten Verkehrsinfarkt der Berliner Nachkriegsgeschichte erleben mussten?
Sie vom Senat haben jetzt gemeinsam mit der S-Bahn und der Deutschen Bahn AG die Möglichkeit, das verlorene Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Selbstverständlich trägt die Bahn in diesem Zusammenhang die Hauptverantwortung, natürlich liegt der Schwarze Peter bei der S-Bahn, und das aktuelle Entschädigungsangebot der Bahn ist ein Witz.
Die Regelungen sind absolut unzureichend, kompliziert und komplett am Ziel vorbei. Was ist zum Beispiel mit den Schülern, die sich Anfang September ein Monatsticket kaufen und ihre Fahrkarte eine Woche später in den Papierkorb werfen konnten, weil niemand mehr mit einem Fahrrad in die S-Bahn kam? Was ist mit denen, Herr Gaebler, deren Abo im November ausläuft, die aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht bereit sind, nahtlos in ein neues Jahresabo zu investieren? Bestenfalls ist das jetzt vorliegende Angebot der S-Bahn eine Marketingaktion. Das ist ziemlich nah dran an der Aktion mit den kostenlosen Einkaufsgutscheinen, um neue Abo-Kunden zu ködern.