Protocol of the Session on October 15, 2009

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Juhnke! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Herr Abgeordnete Kleineidam das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu einer internationalen, weltoffenen Stadt wie Berlin gehört auch eine bürgernahe, offene Polizei. Wir halten es deshalb für richtig, dass der Polizeipräsident eine Kennzeichnung für alle Polizisten einführen will.

[Beifall bei der SPD, den Grünen und der Linksfraktion]

In allen anderen Bereichen der Exekutive treten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung als Vertreter des Staates unter ihrem Namen Bürgern gegenüber. Wir leben zum Glück in einem Staat, der seinen Bürgern nicht anonym, sondern offen gegenübertritt. Das ist ein Zeichen für eine bürgernahe Verwaltung, und es ist deshalb richtig, dass der Polizeipräsident dieses Zeichen nun auch für alle Bereiche der Polizei umsetzen will.

Herr Kollege Juhnke! Ich war eben etwas verwundert, dass Sie in Ihrer Rede einen Zusammenhang mit einem Vorfall bei einer Demonstration hergestellt haben. Die Diskussion um die Kennzeichnung ist deutlich älter. Ich möchte Ihnen – falls Sie sie nicht kennen – kurz aus einer Presseerklärung der GdP nach dem Innenausschuss am 21. September 2009 vorlesen, die ausdrücklich begrüßte

…, dass Staatssekretär Ulrich Freise und Polizeipräsident Dieter Glietsch in der Innenausschusssitzung des Abgeordnetenhauses klargestellt haben, dass die vorgesehene namentliche Kennzeichnung von Polizeibeamtinnen und -beamten nicht in Zusammenhang mit der Diskussion über angebliche Übergriffe eines Polizisten auf einen 37-jährigen Demonstranten zu sehen ist

Es folgt der Dank an Sie und mich persönlich, dass wir diese Haltung unterstützt haben. Schade, dass Sie heute davon abrücken.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Es gibt bei vielen Polizistinnen und Polizisten erhebliche Vorbehalte und Ängste, obwohl die überwiegende Zahl der Mitarbeiter der Polizei bereits heute Namensschilder trägt.

[Kurt Wansner (CDU): Stimmt doch gar nicht!]

Es ist zweifelsohne so, dass Polizisten immer wieder in schwierige Situationen kommen, bedroht und angegriffen werden. Sie üben eine verantwortungsvolle Aufgabe für uns alle aus und verdienen deshalb unser aller Respekt und Unterstützung. Natürlich haben wir deshalb auch eine Fürsorgepflicht gerade gegenüber den Polizistinnen und Polizisten. Fraglich ist allerdings, ob aus dieser Fürsorgepflicht tatsächlich eine Ablehnung einer Kennzeichnung folgen muss. Auch in anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung treten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Staates unter ihrem Namen Betroffenen gegenüber. Sie treffen Maßnahmen, die bei Betroffenen alles andere als beliebt sind. Ob Sie an Richter oder Staatsanwälte denken, Mitarbeiterinnen in Sozial- oder Jugendämtern und vielen anderen Verwaltungen, sie alle geraten immer wieder in Ausübung ihres Amtes in Konfliktsituationen mit Betroffenen. Wir mussten gerade erleben, wie ein Staatsanwalt im Internet persönlich bedroht worden ist. Ich bin dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses ausgesprochen dankbar dafür, dass er diese Bedrohung scharf verurteilt hat – in unser aller Namen. Das war richtig so.

[Beifall]

Aber ich habe noch niemanden gehört, der daraus abgeleitet hat, Richter und Staatsanwälte sollten künftig anonym arbeiten. Sie haben, wie Sie gerade ausgeführt haben, Kollege Juhnke, regelmäßig mit einer Klientel zu tun, insbesondere Strafrichter, die in hohem Maße kriminell ist. Denken Sie an Jugendämter. Bei einem Eingriff eines Jugendamtes in eine Familie, aus der ein Kind herausgenommen wird, entstehen hoch emotionale Situationen. Es hat in der Vergangenheit immer wieder Fälle gegeben, wo Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Jugendämtern in solchen Situationen bedroht wurden. Aber niemand kam auf die Idee zu sagen, sie sollen künftig anonym arbeiten. Es ist vielmehr im demokratischen Rechtstaat selbstverständlich, dass sich alle Bürgerinnen und Bürger über die Verwaltung und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschweren können, wenn sie sich falsch oder ungerecht behandelt fühlen, und zwar unabhängig davon, ob sie objektiv betrachtet mit ihrem Gefühl richtig oder falsch liegen. Es ist ihr Recht, sich im demokratischen Rechtsstaat zu beschweren. Und da kann für die Polizei im Prinzip auch nichts anderes gelten als für Richter oder Staatsanwälte.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Die Vertreter der CDU führen in diesem Zusammenhang als Gegenargument gegen eine Kennzeichnung immer wieder an, die Polizisten würden dann mit ungerechtfertigten Anzeigen überzogen. Nun wissen wir nie bei einer Anzeige von vornherein, ob sie gerechtfertigt ist oder nicht. Mit Ihrem Argument erwecken Sie aber den Eindruck, die Polizei habe etwas zu verstecken. Sie wollen es offensichtlich den Bürgerinnen und Bürgern schwer machen, Klagen und Anzeigen gegen Polizisten zu erheben. Genauso falsch ist Ihr Argument, eine Kennzeichnung würde die Polizei unter Generalverdacht stellen. Vielmehr ist es umgekehrt so, dass eine fehlende Kennzeichnung den Eindruck erwecken kann, die Polizei habe etwas zu verbergen. Dieser Eindruck belastet das Bild der Polizei

bei Bürgerinnen und Bürgern. Die Berliner Polizei ist zum Glück eine bürgernahe Polizei, die nichts zu verbergen hat. Wer wie die CDU einen anderen Eindruck erweckt, schadet dem Ansehen der Polizei, weckt Misstrauen gegen die Polizei und vermindert damit die Akzeptanz gegenüber polizeilichem Handeln. Das wollen wir nicht. Wir vertrauen unserer Polizei. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kleineidam! – Das Wort für eine Kurzintervention hat Dr. Juhnke.

Frau Präsidentin! Herr Kollege Kleineidam! Sie haben recht, wenn Sie sagen, die Diskussion ist deutlich älter als ein paar Wochen. Sie wurde schon vor Jahrzehnten geführt. Dort war aber klar und es gab einen klaren Konsens, dass es sich dabei um eine hochpolitische Entscheidung handelt, eine Entscheidung, die nicht einfach nur von der Polizei oder einer Behörde per Rundschreiben getroffen werden würde, sondern dass es eine Diskussion hier im Parlament geben muss. Das bemängeln wir, das hat es nie gegeben. Und das würde es nicht geben, wenn wir nicht heute diesen Antrag vorlegen würden.

[Beifall bei der CDU]

Das ist eine Haltung, die der Tragweite dieser Diskussion überhaupt nicht gerecht wird. Deshalb müssen wir das eindeutig kritisieren.

Ich finde es auch fragwürdig, wenn Sie versuchen, mir das Wort im Munde umzudrehen und daraus abzuleiten, dass wir geradezu unterstellen, dass diese möglichen – wir nehmen keine Vorverurteilung vor – Vorfälle bei der Demonstration etwas damit zu tun haben könnten. Aber der Eindruck drängt sich auf, wenn der Polizeipräsident just in diesem Moment zu dem Gedanken kommt, dieses Thema jetzt durchpeitschen zu wollen. Nach wie vor hat sich Herr Körting zu der Thematik gar nicht geäußert. Jetzt sitzt er da. Vielleicht können Sie ihn ja einmal davon überzeugen, dass es seine politische Pflicht ist, an dieser Stelle deutlich seine Auffassung darzulegen und dazu eine Entscheidung zu treffen.

[Beifall bei der CDU – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Was wollten Sie eigentlich sagen, Herr Juhnke?]

Vielen Dank! – Herr Abgeordneter Kleineidam, Sie möchten antworten. Dann haben Sie die Gelegenheit – bitte sehr!

Herr Juhnke, zwei Punkte: Es ist einfach falsch, wenn Sie behaupten, der Polizeipräsident habe diesen Vorfall bei der Demonstration zum Anlass genommen, diese Forderung aufzustellen.

[Beifall bei der SPD und den Grünen]

Er verfolgt seine Pläne schon länger, wie auch immer man dazu steht. Der Zusammenhang stimmt einfach nicht. Das waren andere interessierte Kreise, die diesen Vorfall zum Anlass genommen haben, aus ihrer Perspektive eine Kennzeichnung zu fordern. Aber das ist etwas anderes als das, was der Polizeipräsident macht.

Zweiter Punkt: Das Thema beschäftigt dieses Parlament schon. Schon seit längerem liegt ein Antrag der Grünen im Innenausschuss vor, den wir bisher einvernehmlich noch nicht behandelt haben, weil wir den Diskussionsprozess innerhalb der Behörde noch etwas abwarten wollten.

[Benedikt Lux (Grüne): Innerhalb der SPD!]

Aber eines Antrags der CDU bedurfte es nicht, weil es den Antrag von den Grünen schon gibt.

[Beifall von Benedikt Lux (Grüne)]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kleineidam! – Für die Grünen hat der Abgeordnete Lux das Wort. – Bitte sehr!

Danke, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kleineidam hat recht. Die Einführung der individuellen Kennzeichnung in Berlin ist längst überfällig. Wir Grünen unterstützen sie seit Jahrzehnten aus vollem Herzen und wünschen uns sehr, in dieser Legislaturperiode diesen überfälligen Schritt zu machen.

[Beifall bei den Grünen]

Wir können von hier nur den Berlinerinnen und Berlinern, den Polizistinnen und Polizisten, den Angehörigen dieser Polizistinnen und Polizisten sagen: Hört nicht auf die Schwarzseher von der Union, auf diese Teufelsbeschwörer, auf diese Auguren, die falsch argumentieren! Denn der erste Punkt: Racheanzeigen, die jetzt kommen sollen. Herr Dr. Juhnke! Jeder, der hier falsch und offenkundig rechtswidrig jemanden anzeigt, wird selbst verfolgt. Das ist eine falsche Verdächtigung. Diese Person ist auch namentlich feststellbar. Jeder, der meint, einfach so irgendeinen Polizisten anzeigen zu müssen, der begeht selbst eine Straftat, und den kriegen wir auch in unserem Rechtsstaat.

Herr Lux! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Trapp?

Schönen Dank, Frau Präsidentin! – Werter Kollege Lux! Die Beschäftigtenvertretung hat dieser individuellen Kennzeichnungspflicht im Personalvertretungsverfahren nicht zugestimmt. Wollen Sie die Beschäftigtenvertretung überstimmen?

Ich würde dazu neigen, nachdem wir es so lange diskutiert haben. Sie wissen, wir haben sogar einen Gesetzesantrag gestellt. In dem Sinne wissen Sie, dass wir die Beschäftigtenvertretung überstimmen würden. Wir sind auch in der Diskussion mit vielen Polizistinnen und Polizisten, die für das Argument offen sind. Ich werde Ihnen auch sagen, dass sie unseren Argumenten, wenn sie sich denen öffnen, durchaus Folge leisten bzw. sich überzeugen lassen, dass die individuelle Kennzeichnung richtig ist – im Interesse der Berliner Polizei. Dieser neue Geist in der Berliner Polizei, die Modernisierung dieser Berliner Polizei, muss weiter voranschreiten. Und das tut er mit der individuellen Kennzeichnung, Herr Kollege Trapp.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Ihr Punkt, es gebe einen Kontrollwahn gegenüber unseren Berliner Polizistinnen und Polizisten, lang ausgeführt in der Begründung, ist einfach falsch. Jede zweite Körperverletzung, die im Amt begangen wird, wird nicht aufgeklärt. Wo ist denn hier bitteschön ein Kontrollwahn, wenn Sie auf der anderen Seite über 95 Prozent der Widerstandshandlungen gegen die Staatsgewalt aufklären? Sie sehen doch an diesem Verhältnis: Es gibt keinen Kontrollwahn gegenüber den Berliner Polizistinnen und Polizisten; es gibt ein berechtigtes Interesse der Berliner Bevölkerung zu wissen: Welcher Polizist steht dort vor mir, kann man ihn am Ende identifizieren?

Die Gruppenkennzeichnung ist dazu keineswegs geeignet. Denn Sie sehen doch an den jüngsten Vorfällen: Es ist nicht die Gruppenkennzeichnung der Berliner Polizei, es ist nicht die eigene Ermittlung der Berliner Polizei, sondern es sind Videoaufnahmen von Demonstranten, Videoaufnahmen von Journalistinnen und Journalisten, die dazu führen, dass einzelne Polizisten überführt werden. Das stärkt das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Polizei. Das lösen wir auf, indem wir die Polizistinnen und Polizisten individuell kennzeichnen.

[Beifall bei den Grünen]

Das bestätigt auch die Studie, die der Berliner Polizeipräsident in Auftrag gegeben hat, dass in 17 Prozent der Fälle bei Körperverletzung im Amt die individuelle Kenn

zeichnung geholfen hätte. Aber Ihr unredliches Argument, Herr Juhnke – so habe ich Sie eigentlich noch nicht erlebt –, ist, dass auch die Familien der betroffenen Polizistinnen und Polizisten gefährdet seien.

[Dr. Robbin Juhnke (CDU): Hat’s doch gegeben!]

Ich finde, Sie müssten mal den Beweis antreten, wie eine Nummer, die ein Polizist des Spezialeinsatzkommandos des MEKs oder der geschlossenen Einsätze, der Einsatzhundertschaften bei Demonstrationen, die tragen Nummern – – Jetzt müssten Sie mir mal erklären: Wie soll jemand, der da Böses vorhat, auch gegen die Familie eines Polizisten, an die Adresse kommen? Sie haben in Ihrer Begründung pauschal den Vorwurf an irgendwelche Linksextreme gemacht, insofern trifft der Vorwurf Augur, trifft der Vorwurf Schwarzseher. Das ist genau die gleiche Situation wie bei dem Brandanschlag auf die rechte Kneipe neulich in Friedrichshain. Da haben Sie auch vorschnell gesagt, das waren irgendwelche Linksextremen. Genauso sagen Sie jetzt hier, völlig aus der Luft gegriffen: Polizistinnen und Polizisten und deren Familien müssen um ihr Leben fürchten, weil eine Nummer auf der Einsatzkleidung steht. Herr Juhnke! Hier spielen Sie mit Sorgen und Ängsten der Bevölkerung. Das ist einfach unlauter. Hier müssen Sie als Unionspartei, die ständig bemüht ist, Sicherheitskompetenz zu zeigen, Ihre Aufklärungsfunktion auch einmal wahrnehmen. Aber hier tun Sie das Gegenteil. Ich kann Ihnen nur raten: Bitte hören Sie auf, so unlauter zu argumentieren!

[Beifall bei den Grünen und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Den einzigen Punkt, der in Ihrem Antrag ein bisschen Substanz hat, haben Sie gar nicht erwähnt. Ich nehme an, dass Kollege Trapp den Antrag geschrieben hat. Dieser Punkt heißt Beförderungssperre. Da ist einiges dran. Ein Polizist, der angezeigt wird, unterliegt einer Beförderungssperre, weil das Strafverfahren innerhalb des Disziplinarverfahrens abgewartet wird. Was tut man da? Auch darauf gibt es eine politische Antwort. Jeder Vorgesetzte kann eine Sondervorlage zur Beförderung schreiben, kann sagen: Diese Anzeige ist offenkundig aus der Luft gegriffen, und deswegen werden wir diesen Kollegen befördern, auch wenn das Strafverfahren noch nicht beendet ist.

Also gibt es dort flexible Möglichkeiten der Polizistinnen und Polizisten selber. Lassen Sie uns doch hier gucken, wie wir dieses kleine Problem der Beförderungssperre lösen können! Und das werden wir auch in der Ausschussbearbeitung tun. Hier haben Sie durchaus einen richtigen Punkt angesprochen, aber ich kann Sie nachhaltig dazu auffordern, nutzen Sie Ihre in meinen Augen zu Unrecht zugeschriebene Kompetenz in Sachen Sicherheit nicht für so einen Hokuspokus wie die Ablehnung der individuellen Kennzeichnung. Der Innensenator handelt verantwortungslos, aber in ganz anderen Punkten. Er stellt z. B. einen verantwortungslosen Haushalt auf, stellt erst mal mehr Polizisten ein und gibt mehr Geld für Personal aus, als in Zukunft drin sein wird.