Protocol of the Session on June 11, 2009

Sind Tatsachen nicht quälend und langweilig?

Die Antwort des Senats auf die Große Anfrage der SPD und der Linksfraktion bietet tatsächlich viele Tatsachen, aber sie sind nicht langweilig, wenn man die Antwort liest. Manche Aussage ist allerdings schon – ich räume das ein – quälend, z. B. die Mitteilung, dass sich seit 1998 der prozentuale Anteil der Ausgaben für die Literaturförderung am Kulturhaushalt – ich rede nur vom Kulturhaushalt – immer so um die 0,6 Prozent herumrankt – 0,6 Prozent! –, obwohl – der Regierende Bürgermeister hat darauf hingewiesen – die Literatur die offensichtlich von den Berlinerinnen und Berlinern am meisten rezipierte Kunst ist.

Nun mag man einräumen, dass die Produktionsbedingungen von Literatur so gänzlich anders sind als die von Oper, Schauspiel oder meinethalben bildender Kunst. Nur, Arbeit macht Literatur auch, und auch Literaten müssen von ihrer Arbeit leben können. Wenn der Landesverband der freien Theaterschaffenden jüngst ausgerechnet hat, dass der Mindestbedarf, der anstrebenswerte Mindestlohn eines freien Künstlers, bei etwa 1 930 Euro liegt, wenn er oder sie Mitglied in der Künstlersozialkasse ist, so beziffert eben diese KSK – das kann man in der Antwort nachlesen – das durchschnittliche Einkommen von Autoren in Berlin mit 1 300 Euro bei Männern und 1 100 Euro bei Frauen. Das ist also 600 bis 800 Euro unter dem tatsächlichen Bedarf. Das ist eine Zahl, die uns allen zu denken geben sollte.

Weshalb nun Autorinnen weniger erhalten als Autoren, verdient nun auch eine nähere Untersuchung, passt aber in das allgemeine Bild des zur Zeit erreichten Grades der realen Gleichstellung von Mann und Frau in unserer Gesellschaft. Es gibt nur einen einzigen schwachen Trost: Auf beide Geschlechter trifft in der Regel Spitzwegs Metapher vom „Armen Poeten“ immer noch zu.

Mit Leistungsbereitschaft und künstlerischer Qualität hat das alles nichts zu tun. Klasse setze sich immer wieder durch, meinte einmal ein CDU-Kultursenator. Aber über das Verständnis der christlich-demokratischen Fraktion haben wir eben hinreichend erfahren können.

Ich zitiere wieder Nicolas Born:

Ist es nicht besser drei Wünsche zu haben unter der Bedingung dass sie allen erfüllt werden?

Vor langer Zeit schon wurde an uns der Wunsch nach einem Berliner Lesefonds – Kollegin Lange hat darauf hingewiesen – für Lesungen Berliner Autoren in öffentlichen Einrichtungen herangetragen. Dieses würde natürlich das Grundproblem nicht lösen, aber dieser Fonds würde helfen, z. B. an Schulen und Kiezbibliotheken einen unmittelbareren Zugang zur Literatur zu ermöglichen als er angesichts der Kürzungen der letzten 15 Jahren im Moment der Fall ist. Deshalb werden wir dafür Sorge tragen, dass ein solcher Honorartopf Bestandteil des Doppelhaushalts 2010/2011 sein wird.

Das Format Literaturveranstaltung, im Bericht hervorgehoben, ist mitnichten anspruchslos und weniger kreativ als anderes in unserer so nach Innovation gierenden Zeit. Dieses Format ist das schwierigste, aber auch am nachhaltigsten wirkende Projekt auf dem Feld der Literaturvermittlung. Wir denken, dem muss auch Aufmerksamkeit zugedacht werden. Einfach, weil etwas vorhanden ist, weil etwas bewährt ist, darüber mit dem Rasenmäher hinwegzugehen, weil der Begriff der Innovation fehlt, das halten wir viel zu kurz geschlossen.

Zu „lyrikline.org“ hat Frau Lange auch schon gesprochen. Ich teile diese Position. Die Finanzierung von „lyrikline.org“ gehört auf eine stabile Basis gestellt. Es ist eine Frage des kulturpolitischen Anstands, die dazu erforderlichen Mittel zu etatisieren. Das wäre dann auch schon der zweite Wunsch.

[Alice Ströver (Grüne): Hätten wir schon lange haben können!]

Der dritte hat etwas mit den Leserinnen und Lesern zu tun. Die Kunst des Lesens muss gelehrt und gelernt werden. Über die Rolle der Schule müssen wir hier noch häufiger reden. Der Ist-Zustand des Literaturunterrichts ist alles andere als befriedigend. Darüber werden wir uns, glaube ich, sehr schnell einig werden. Aber das ist ein anderes Problem, weniger ein kulturpolitisches.

Unsere Aufgabe ist es, den rasanten Erosionsprozess der öffentlichen Bibliothekslandschaft in Berlin aufzuhalten. Die Zahlen sind dramatisch. Sie kennen sie. Von 1998 bis 2007 sank die Anzahl der öffentlichen Bibliotheken in Berlin von 184 auf 91.

Herr Kollege Brauer! Im Jahr 2009 müssen Sie jetzt leider zum Ende kommen.

Ich komme zum Schluss! – Hier muss das Signal auf Halt gestellt werden. Das ist der dritte Wunsch. Dazu bedarf es tatsächlich eines Mentalitätswechsels, auch in der Kulturpolitik, gerade in der Kulturpolitik. Ich denke, dass die Große Anfrage hier ein kleiner Baustein ist, um diesen

herbeizuführen. Lesen und Schreiben sind sehr individuelle, intime Vorgänge, –

Ist das jetzt wirklich Ihr Schlusssatz?

aber günstigere Voraussetzungen dafür hat die Politik zu schaffen. Wir als rot-rote Koalition stellen uns dieser Herausforderung. Wir hoffen, dass die heutige Debatte uns da weiterbringt. – Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Ströver.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Güte, Herr Regierender Bürgermeister, verehrter Kultursenator! Dass Sie jetzt die schriftliche Beantwortung der Großen Anfrage uns jetzt auch noch einmal vorgelesen haben und nur abgelesen haben,

[Reg. Bürgermeister Klaus Wowereit: Das hätte länger gedauert!]

das hätten wir nicht noch einmal anhören müssen, zumal wir sehen, wie das Interesse bei den Prioritäten setzenden Fraktionen ist.

[Lars Oberg (SPD): Die lesen wir!]

Besser, wir hätten die Große Anfrage und Ihre Antwort im Ausschuss diskutiert und dann sachgerechte Lösungen gefunden.

[Beifall bei den Grünen und der CDU – Reg. Bürgermeister Klaus Wowereit: Aber das müssen Sie nicht mit mir besprechen, sondern in ihrer Fraktion!]

Wenn das Ziel ist, dass man hier noch einmal klar ins Mikrofon und vor der Presse sagen wollte, dass die Zentral- und Landesbibliothek 20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer endlich einen gemeinsamen neuen Standort braucht, dann hat es seinen Sinn gehabt, dass wir heute darüber geredet haben. In diesem Zusammenhang, verehrter Herr Regierender Bürgermeister, wünsche ich Ihnen für die morgigen Chefgespräche mit dem Finanzsenator alles Gute.

[Beifall bei den Grünen – Reg. Bürgermeister Klaus Wowereit: Danke schön!]

Die Literatur ist eine wichtige Sparte – wir haben es schon gehört –, weil diese Stadt nicht nur Lebens- und Arbeitsort für weit über 1 000 professionell arbeitende Autorinnen und Autoren ist, sondern der Buchmarkt in Berlin eine wirklich wichtige Rolle spielt und laut Kulturwirtschaftsbericht 2008 die Buch- und Pressebranche

immerhin in Berlin einen Umsatz von 4,6 Milliarden Euro macht.

[Özcan Mutlu (Grüne): Das ist auch Rot-Rot gewesen?]

Wir sind froh, dass Berlin als Kreativstadt immer noch diese Anziehungskraft hat. Es ist natürlich gut, dass wir fünf institutionell geförderte Literatureinrichtungen in der Stadt haben, die in ihrem jeweiligen Profil – ich hoffe, da sind wir uns einig – ganz gut voneinander abgegrenzt sind. Nun muss man nach den Ausführungen und einer gewissen Selbstbeweihräucherung der Regierungskoalition und des Regierenden Bürgermeisters den Finger in die Wunde legen: 0,6 Prozent des gesamten Kulturetats des Landes Berlin gehen in die Literaturförderung. Das ist diesem Bereich definitiv nicht angemessen.

[Beifall bei den Grünen]

Selbst die institutionell geförderten Literatureinrichtungen sind mit zu geringen Mitteln ausgestattet, um die aktuellen Aufgaben vor allem im Bereich der internationalen Kooperation und der Interdisziplinarität zu bewältigen und weiterentwickeln zu können.

Es ist von meinen Vorrednern gesagt worden, aber ich finde, man muss es hier noch einmal sehr kritisch benennen: Die „lyrikline“, das international vielleicht profilierteste Projekt zur Literatur aus Berlin mit inhaltlicher Vernetzung zu über 40 Ländern, ist bisher finanziell überhaupt nicht abgesichert gewesen und musste Jahr für Jahr im Rahmen der Haushaltswirtschaft wie ein Bittsteller bei der Verwaltung vorsprechen, um überhaupt einige Zehntausend Euro zu bekommen. Ich finde das unwürdig, meine Damen und Herren von Rot-Rot! Deswegen hoffe ich, dass wir gemeinsam dieses innovative Projekt in den Haushaltsberatungen absichern können.

[Beifall bei den Grünen]

Fast alle Literaturhäuser sind darauf angewiesen, zum Teil mehr als die Hälfte ihres Etats aus Drittmitteln zu akquirieren. Sie schaffen das auch. Aber im Grundsatz zeigt sich immer wieder das Gleiche im Kulturetat: Alle zerren an einem viel zu kleinen Tuch.

Unter den Tisch fallen vor diesem Hintergrund die Einzelprojekte, die von dem ohnehin schon bescheidenen Kuchen das allergeringste Stück abbekommen, nur 10 Prozent der Mittel überhaupt. Und Nachwuchsförderung findet in Berlin nicht statt. Das ist kulturpolitisch ein besonderes Fanal, denn gerade der innovative und besonders kreative Kulturbereich in Berlin braucht dringend Förderung. Das gilt natürlich für die Kinder- und Jugendleseförderung in besonderem Maße. Für alles soll jetzt der Projektfonds Kulturelle Bildung herhalten. Was Sie alles daraus fördern wollen, dazu müssten Sie diesen Titel erst einmal ungefähr verzehnfachen. Ansonsten ist das nur eine klassische Bemühenszusage ohne Realitätschance.

[Beifall bei den Grünen]

Und die Sicht auf einen Teil der Berliner öffentlichen Bibliotheken in den Bezirken in Ihrem Bericht, Herr Regierender Bürgermeister, der zeugt ehrlich gesagt von

besonderer Ignoranz gegenüber den tatsächlichen Problemen: mangelnde Entwicklungsmöglichkeiten für diese Einrichtungen der Lesekompetenzförderung. Ich sage Ihnen, wenn Sie nicht dazu kommen, die Bibliotheken durch ein Landesbibliotheksgesetz abzusichern, dann sehe ich schwarz für diese zentralen Einrichtungen der Kultur.

Wir haben nicht über die soziale Lage der Autoren gesprochen, aber ich denke, bei einer Bestandsaufnahme in einer Großen Anfrage, die noch nicht einmal einen Begründungsteil hat, wäre zu wünschen gewesen, dass man erfährt, welche Zielvorstellungen der Senat mit der Literatur verbindet. Vor allen Dingen der Regierende Bürgermeister ist eine Antwort darauf heute leider schuldig geblieben. Daher verschieben wir diese Debatte in die Haushaltsberatungen. Da werden wir das Thema dann noch einmal aufrufen. – Danke schön!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank! – Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete von Lüdeke.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede des Regierenden Bürgermeisters heute, die Große Anfrage und die Antwort auf die Große Anfrage zur Literatur in Berlin – was sagen die uns? – Man muss feststellen: eigentlich gar nichts. Aber Sie sagen viel über das politische Selbstverständnis der rot-roten Fraktionen hier im Hause. Denn die Fragen dienen doch – das wurde bei den Redebeiträgen deutlich – nur dazu, den Senat und seine Leistungen in irgendeiner Weise ins rosarote Licht zu setzen.

[Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Dann machen Sie doch mal was anderes!]

Eine Große Anfrage hat eine Kontrollfunktion. Aber so, wie Sie die stellen und sich selbst sozusagen die Vorlage liefern, um sie dann hier abzuarbeiten, öffentlich,

[Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Wo hätten Sie es denn gemacht?]

allerdings ohne viel Öffentlichkeit, wie man sieht, das ist doch nicht kontrolliert, das ist inszeniert und nichts anderes.

[Beifall bei der FDP – Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Dann sagen Sie doch mal was anderes außer Autobahn!]

Wie schlecht muss es um so eine Regierung bestellt sein, wenn sie solche Mätzchen nötig hat?