Protocol of the Session on June 11, 2009

beschämend für diese Stadt, die in der Bildungspolitik im Bundesländervergleich bei diesem wichtigen Politikfeld leider zum Schlussfeld gehört. Ihr fauler Kompromiss, Ihre Eckdaten weichen im Kern von den Plänen ab, wie sie noch in der Mitteilung – zur Kenntnisnahme – des Senators formuliert wurden.

Selbstverständlich muss der Zugang zu Schulen, die sich einer übergroßen Nachfrage erfreuen, geregelt werden – ohne Frage, da sind wir auch dabei.

[Zuruf von der SPD: Aha!]

Aber nicht mit einem Losverfahren! Schließlich sind wir nicht in einem Kasino!

[Beifall bei den Grünen]

Es geht um Bildung und nicht um Spielsucht. Was ist denn mit dem Schulprofil? Was ist denn mit dem Schulprogramm? Was ist denn mit den Leistungen und Neigungen der Schülerinnen und Schüler – egal, auf welche Schulform sie aufgenommen werden? – Das alles scheint für Sie egal zu sein.

Nun, vielleicht wäre ja das Losverfahren in gewissem Rahmen sogar akzeptabel.

[Zurufe von der SPD: Ah!]

Ich verstehe auch, Herr Gaebler, dass Sie Ihrem Koalitionspartner nicht die Illusion nehmen wollen. Soll doch die Linke um des Koalitionsfriedens willen ihre pseudogerechte Lotterie bekommen! – Aber wie das Losverfahren in der Praxis umgesetzt, kontrolliert und der Missbrauch verhindert werden soll, erschließt sich mir in Ihren bisherigen Plänen nicht.

[Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Das muss jede Schule selbst regeln!]

Der rot-rote Kompromiss ist der Worst Case für die geplante Schulreform. Das sage ich ganz klar und deutlich. Denn anders ist das Probejahr, das jetzt beschlossen worden ist, nicht zu verstehen. An der Stelle frage ich die Linksfraktion, insbesondere Frau Bluhm: Schauen Sie mal in Ihrem Bildungsprogramm nach, das Sie seit Jahren gebetsmühlenartig wiederholt haben! Was steht denn da zum Probehalbjahr? – Mit diesem Probejahr machen Sie die Reform kaputt, bevor sie überhaupt angefangen hat. Das ist der Todesstoß für die gesamte Reform, sage ich hier, und die Zeit wird es beweisen.

[Beifall bei den Grünen]

Mit diesem Probejahr privilegieren Sie wieder einmal die Gymnasien. Sie degradieren die Sekundarschule zum Aufwärmbecken für Schülerinnen, die das Gymnasium verlassen müssen.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Keine Zwischenfrage!

[Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Schade!]

Nun zu Ihrer Drucksache, die Sie im Eiltempo heute verteilt haben und durchpeitschen wollen. Ich zitiere:

Für aufgenommene Schülerinnen und Schüler ist ein Wechsel der Schulart durch Entscheidung der Schule nicht mehr zulässig.

Das steht auf der ersten Seite. Und hinten – hören Sie genau zu, Frau Kollegin! –:

Führt die Bildungs- und Erziehungsvereinbarung nicht dazu, dass am Ende der Klasse 7 die Ziele erreicht werden, so wechselt eine Schülerin oder ein Schüler des Gymnasiums in die Klasse 8 der integrierten Sekundarschule.

Können Sie mir mal diesen Widerspruch erklären? Auf der ersten Seite soll es keinen Wechsel der Schulformen geben, und auf der zweiten Seite sagen Sie: Das Kind soll nach der 7. Klasse wechseln. – Das ist ein Widerspruch. Und ich sage Ihnen: Für wie blöde halten Sie die Eltern?

[Christian Gaebler (SPD): Das muss man Sie fragen!]

Warum sollen sich die Gymnasien überhaupt noch weiterentwickeln? Warum sollen sie sich überhaupt noch reformieren, wenn jeder Lehrer, jede Lehrerin innerhalb des

Gymnasiums innerhalb eines Jahres jederzeit die Möglichkeit hat, einen vermeintlich falschen Schüler oder eine vermeintlich falsche Schülerin durch Abschiebung auf die Sekundarschule loszuwerden? Das ist Ihr Plan. Was geschieht denn, wenn ein Schüler, eine Schülerin die Probezeit am Gymnasium nicht schafft? Er oder sie muss wechseln. Damit kriegt dieses Kind einen Stempel auf die Stirn, Versager zu sein, Verlierer zu sein. Ob das gerade im Interesse des Kindes oder im Interesse der Sekundarschule ist, auf die das Kind wechseln soll, wage ich zu bezweifeln.

[Beifall bei den Grünen]

Diesen Kindern wird am Gymnasium wieder einmal gesagt, wie wenig sie können, anstatt dass ihre tatsächlichen Fähigkeiten und Talente herausgearbeitet und individuell gefördert werden. Nach diesen Plänen, die Sie durchpeitschen wollen, bleibt individuelle Förderung an den Gymnasien wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft lediglich ein Fremdwort oder Wunschdenken, aber in der Realität wird es nicht umgesetzt.

Und dieses Probejahr ist auch ein Instrument, das die Gymnasien als vermeintlich bessere Schulform bevorrechtigt. Ich frage noch mal die Linksfraktion: Wollen Sie das im Ernst? Also ich weiß nicht, wofür Sie sich dieses haben abkaufen lassen. Von der behaupteten Gleichwertigkeit der Schulformen, der Bildungsgänge – immerhin eines der Kernanliegen der Reform – kann keine Rede mehr sein. Im Gegenteil, der rot-rote Kompromiss verstärkt die soziale Entmischung und führt die gesamte Reform ad absurdum.

[Zuruf von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion)]

Ich sage daher an dieser Stelle, wir lehnen diese Reform, wie sie jetzt geplant ist, in der Form ab und werden einem Probejahr ohne Wenn und Aber nicht zustimmen.

[Beifall bei den Grünen]

Wir halten an der Gleichwertigkeit der beiden Bildungsgänge Sekundarschule und Gymnasium fest. Wir wollen, dass sich beide Schulen reformieren. Wir wollen bestmögliche individuelle Förderung für jedes Kind am Gymnasium wie auch an der Sekundarschule.

[Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Dazu gehört, dass Sie auf das Probejahr verzichten.

[Mieke Senftleben (FDP): Unsinn!]

Auf der anderen Seite muss man natürlich auch sagen, es sind Zugangskriterien notwendig, ohne Frage. Wir fordern ehrliche, gerechte und gerichtsfeste Zugangskriterien.

[Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Das geht aber, so wie Sie geplant haben, nicht. Unsere Empfehlung an Sie: 70 Prozent der Plätze werden nach einem obligatorischen Beratungsgespräch mit Eltern vergeben. Ziel soll es sein, mit den Eltern gemeinsam und entsprechend dem Profil und dem Schulprogramm der

aufnehmenden Schule eine Aufnahmeentscheidung für die Schülerinnen und Schüler zu treffen.

[Zurufe von Steffen Zillich (Linksfraktion) und Mieke Senftleben (FDP)]

20 Prozent der Plätze werden vorgehalten für Schülerinnen und Schüler aus der Nachbarschaft, für Schülerinnen und Schüler, die von Lernmitteln befreit sind, oder Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Wenn diese Plätze nicht aufgefüllt werden können, weil zu wenig Anmeldungen da sind, dann können diese Plätze auch an Schülerinnen und Schüler vergeben werden, die diese Kriterien nicht erfüllen.

[Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Das ist grün! Toll!]

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Harant?

Keine Fragen! Ich habe nur 20 Sekunden.

Dann fahren Sie bitte fort!

10 Prozent der Plätze werden wie nach der bisherigen Gesetzeslage für Härtefälle vorgehalten.

[Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Wir sind auch der Auffassung, dass Eltern, die aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse oder aufgrund fehlender Kenntnisse des Bildungssystems eben diese Beratungsgespräche nicht im Interesse ihre eigenen Kindes führen können, gezielt gefördert und unterstützt werden, damit eine Entscheidung getroffen werden kann, die im Interesse des Kindes ist.

Ich appelliere zum Schluss noch mal an Ihre Vernunft, an Rot-Rot: Unterlassen Sie jedwede Schritte und Maßnahmen, die diese Reform kaputt machen! Wir haben sie nicht umsonst mit initiiert. Und wir haben sie bisher nicht umsonst unterstützt. Wir würden es gerne auch weiterhin tun, aber nicht mit einem Probejahr und einer Lotterie.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege Mutlu! – Für die SPDFraktion hat nunmehr Frau Dr. Tesch das Wort. – Bitte schön!

Danke schön, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Herr Mutlu gibt hier immer vor, er bzw. die Grünen hätten diese Schulstrukturreform erfunden. Das wüsste ich aber.