Protocol of the Session on June 11, 2009

[Beifall bei der Linksfraktion]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Barth! – Für die FDPFraktion hat nun Herr Abgeordneter Czaja das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Sehr geehrte Damen und Herren! Nachdem nun Frau Dr. Barth die Debatte wieder trockengelegt hat,

[Dr. Margrit Barth (Linksfraktion): Wieder anfeuchten?]

möchte ich trotzdem noch mal auf ein Phänomen eingehen. Trotz des insgesamt zurückgehenden Alkoholkonsums von Kindern und Jugendlichen fällt eine Gruppe auf, die immer mehr, regelmäßiger, exzessiver und früher im Leben trinkt. Allein 2008 hat die Berliner Polizei über 500 betrunkene Kinder und Jugendliche aufgegriffen, die mit schweren Vergiftungen medizinisch versorgt werden mussten. Dieses Problem hat unserer Meinung nach sicherlich viele Gründe. Eines muss jedoch erkannt und vermieden werden, nämlich, dass diese Kinder und Jugendlichen Gefahr laufen, Alkohol regelmäßig als Fluchtweg aus der Realität zu missbrauchen.

[Beifall bei der FDP]

Nur dann, wenn die Ursachen erkannt und angegangen werden, können Maßnahmen auch erfolgreich sein. Das ist leider bei dem CDU-Antrag nicht der Fall. Er ist schlicht repressiv statt kausal.

Der Antrag der CDU Drucksache 16/1327 erscheint uns hingegen sinnvoll. Die geforderten Berichte bieten eine wichtige Grundlage für die Evaluation von laufenden Programmen. Keine einzige Präventionsmaßnahme des Senats ist aktuell seriös auf Indizien zurückzuführen. Daran muss sich unserer Auffassung nach klar etwas ändern, und das wird in dem Antrag der CDU sehr deutlich. Hier sollte der Senat umgehend einen Fahrplan vorlegen. Ein neues, umfassendes Präventionskonzept für den Suchtbereich Alkohol plant der Senat derzeit nicht. – Auch das ist hinreichend bekannt.

Frau Senatorin Lompscher vermisse ich seit Anfang der Debatte. Sie hat anscheinend kein Interesse, an dieser Debatte teilzunehmen, obwohl ihr Haus hier einmal nicht die geeigneten Vorlagen vorlegt. Vielleicht hätte sie sich hier heute die eine oder andere Anregung holen können.

[Beifall bei der FDP]

Ich fordere Sie dennoch auf, Frau Lompscher: Schauen Sie doch wenigstens einmal gründlich hin, ob die von Ihnen aufgelegten Programme überhaupt messbar funktionieren! Dann finden Sie vielleicht Antworten darauf, warum der exzessive Alkoholmissbrauch von immer jüngeren Kindern und Jugendlichen in Berlin von den entsprechenden Präventionsmaßnahmen, die Sie aufgelegt haben, unbeeindruckt bleibt. Deswegen ist es an der Zeit, dass sie endlich in Gang kommen.

Der Antrag der Grünen bemerkt hingegen zu Recht, dass ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen das Problem nur verschiebt und nicht löst. Den Kurs „Volle Pulle Leben“ verpflichtend in den Schulen durchzuführen, ist sinnvoll, da unserer Meinung nach in der sechsten Klasse fast alle Kinder dieses sensiblen Alters erreicht werden. Auch die Integration präventiver Maßnahmen in Jugendeinrichtungen und Sportvereinen ist vernünftig, da auch sie erzieherische Defizite im Elternhaus mildern können. Die Einbeziehung der Eltern arbeiten Sie richtig in dem

Antrag heraus, sodass dies entsprechend unsere Zustimmung findet.

Aber was sich wie ein roter Faden auch in der Forschungspolitik durch Ihre Politik zieht, das ist die Forderung des verpflichtenden Finanzfonds. Da will ich Ihnen ganz klar etwas sagen – das richte ich auch an die Kollegen der Grünen: Die Forderung nach einem Finanzfonds kann nicht unsere Zustimmung finden. Sie scheinen die unwiderstehliche Sehnsucht zu haben, Industrien in gut und böse aufzuteilen. Wenn es nach Ihnen ginge, dann sollten wieder die Hersteller von Injektionsspritzen extra zur Kasse gebeten werden, weil Junkies sich mit den Produkten den Schuss setzen. Es gibt da auch noch etwas anderes, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zumindest nach unserer Auffassung und unserem Weltbild gibt es etwas anderes: Es gibt individuelle Verhaltensentscheidungen, und diese individuellen Verhaltensentscheidungen sollten Sie endlich mal akzeptieren.

[Beifall bei der FDP]

Denn Menschen sind verantwortlich für ihr Verhalten. Hören Sie auf, die Industrie hier zu kriminalisieren, wenn Einzelne es ablehnen, Verantwortung in der Verwendung ihrer Produkte zu übernehmen! Das gilt für Autos, Süßigkeiten, Sportgeräte, Alkohol und alles andere, das ohne Maß betrieben wird und werden kann.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Mündige Bürger! Die seht ihr nur nicht!]

Wenn man Prävention wirklich ernst nimmt, liebe Kollegen, dann muss man an die Stellen gehen, wo Verantwortung nicht wahrgenommen wird. Dann brauchen wir eine Kultur des Hinsehens – gerade da, wo es schwerfällt, den Anblick zu ertragen. Der Kinder- und Jugendschutz wird auch beim Alkoholmissbrauch ohne das Element einer stärker aufsuchenden Prävention seine Ziele nicht erreichen. Das kann man Frau Lompscher an dieser Stelle nur mit auf den Weg geben und ihr ans Herz legen, dass sie die stärker aufsuchende Prävention lieber bei ihren Konzepten in den Vordergrund rücken soll. Frau Lompscher! Ich rufe Ihnen von dieser Stelle zu: Seien Sie kein kleiner Feigling! Trinken Sie lieber einen, anstatt solche Politik hier weiterzumachen!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Czaja! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ausschuss empfiehlt zu den jeweiligen Anträgen die Ablehnung. Ich lasse über die Anträge einzeln abstimmen.

Zunächst zu a, Antrag der CDU Drucksache 16/1706, mehrheitlich gegen die CDU abgelehnt. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die CDU-Fraktion. Die Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfraktionen, die Fraktion der Grünen und die FDPFraktion. Enthaltungen? – Sehe ich nicht. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Dann kommen wir zu b, Antrag der CDU Drucksache 16/1327, mehrheitlich gegen die CDU und FDP bei Enthaltung der Grünen abgelehnt. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der CDU und der FDP. Die Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfraktionen. – Das war die Mehrheit. Enthaltungen? – Das ist die Fraktion der Grünen. Damit ist auch dieser Antrag abgelehnt.

Wir kommen zu c, Antrag der Grünen Drucksache 16/2108, mehrheitlich gegen die Grünen bei Enthaltung von CDU und FDP abgelehnt. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der Grünen. Die Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Das ist die Fraktion der CDU und die Fraktion der FDP. Damit ist auch dieser Antrag abgelehnt.

Die Priorität der Linksfraktion unter Tagesordnungspunkt 4 c war als gemeinsame Priorität mit der SPD bereits als Tagesordnungspunkt 4 a aufgerufen worden.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4 d:

a) Beschlussempfehlung

Umgehend einen Berliner Lebenslagenbericht mit Schwerpunkt Migration vorlegen

Beschlussempfehlung IntArbBSoz Drs 16/2395 Antrag der CDU Drs 16/2126

b) Antrag

Chancengleichheit – auch bei der psychosozialen Versorgung von Migrantinnen und Migranten

Antrag der Grünen Drs 16/2418

Das ist die Priorität der Fraktion der Grünen unter dem Tagesordnungspunkt 13. – Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der Grünen. – Bitte, Frau Bayram, Sie haben das Wort!

Vielen Dank! – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema „Chancengleichheit für Migrantinnen und Migranten“ will ich heute unter zwei Aspekten besonders herausstellen. Das eine ist der Umsetzungsbericht zum Berliner Integrationskonzept. Der deckt sich weitestgehend mit der Forderung der CDU, einen Lebenslagebericht abzugeben. Es ist leider so, dass die von der CDU formulierte Erwartung, dass ein solcher Bericht tatsächlich durch diesen Senat dazu genutzt würde, die Situation der Migrantinnen und Migranten darzustellen, enttäuscht wurde. Das liegt einerseits daran, dass die Zahlen, die der Untersuchung zugrunde gelegt wurden, falsch sind. Sie sind teilweise veraltet oder einfach nicht vorhanden. Wenn ich schon versuche, mit falschen Zahlen eine Situation zu beschreiben und dadurch greifbar zu machen, dann führt das zu einer Analyse, die an

den Problemen vorbeigeht, die in vielen Bereichen, in denen sie sich selbst die Aufgabe gestellt hat, die Probleme zu beleuchten, letztlich im Dunkeln herumstochert und kein System hat, innerhalb dessen sie überhaupt nach Antworten suchen könnte.

[Beifall bei den Grünen]

Diese Analyse ist letztlich lediglich Kaffeesatzleserei. Vielleicht beruhigt es Sie ein wenig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, dass Ihre Forderung eigentlich durch diesen Bericht erledigt ist. Ich denke jedoch, dass Sie später noch einmal begründen werden, warum das alles überhaupt keinen Sinn macht und neben der Sache liegt.

Bei jeder Gelegenheit betont dieser Senat, wie bunt Berlin sei und brüstet sich damit. Aber wie es den Menschen – wie es immer so schön heißt – aus aller Welt hier in Berlin eigentlich geht, das – dieser Eindruck entsteht jedenfalls bei mir und wahrscheinlich nicht nur bei mir – interessiert diesen Senat wenig bis gar nicht.

[Beifall bei den Grünen]

Dies wird besonders bei der gesundheitlichen Bedeutung von Migrantinnen und Migranten deutlich. Ich will hier speziell den auch in unserem Antrag genannten Bereich der Migrantinnen und Migranten mit psychischen Problemen herausstellen. Diesen Bedarf gibt es schon allein durch die Tatsache, dass die Menschen migriert sind. Er äußert sich darin, dass diese Menschen durch die Faktoren aus dem Herkunftsland Belastungsstörungen haben. Aber er entsteht auch dadurch, dass hier, im sogenannten Aufnahmeland, Bedingungen für die Menschen bestehen, die für sie schwierig zu bewältigen sind, und das gleichzeitig bei dem Wegfall der sozialen Unterstützung, die sie als Fremde hier oft nicht haben. Das führt – das ist nachgewiesen – zu Störungen, insbesondere zu Anpassungsstörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen und Angststörungen. Diese müssten eigentlich behandelt werden. Aber das ist nicht möglich, weil die Versorgungsangebote nicht da sind, weil sie kulturelle oder sprachliche Barrieren darstellen. Das ist die eine Seite.

Eine andere Seite muss man auch beleuchten, nämlich dass dieser Senat selbst psychische Störungen mit verursacht.

[Beifall bei den Grünen]

Vor allem durch die unmenschliche und oft zu harte Vorgehensweise der Ausländerbehörde werden immer wieder Menschen in Situationen gedrängt, in denen sie nicht weiterwissen. Als Anwältin kann ich von Menschen berichten, die in der Psychiatrie in der geschlossenen Abteilung landen, weil die Behörden nicht in der Lage sind, zeitgerecht Entscheidungen zu treffen und die Menschen in diese Schwierigkeiten stürzen. Daher fordere ich diesen Senat auf: Unterstützen Sie endlich die Menschen durch vernünftige und ausreichende Angebote in der psychosozialen Versorgung! Und, bitte, bitte, hören Sie endlich mit der unmenschlichen Praxis der Ausländerbe

weitere psychische Erkrankungen von Migrantinnen und Migranten zu produzieren!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Bayram! – Für die SPDFraktion hat jetzt der Abgeordnete Saleh das Wort.

Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Canan! Wir haben in den letzten Jahren genug Gelegenheiten gehabt, über das eine oder andere Thema zu reden. Es ist ganz klar, dass der Senat in diesen Bereichen einiges macht und auch vieles machen wird. Zum Beispiel hat er extra den Gemeindedolmetschdienst Berlin eingeführt, um die Kommunikation, die Verständigung, voranzubringen. Was der Senat in diesem Bereich gemacht hat, war gut. An der einen oder anderen Stelle, etwa im Bereich der psychosozialen Versorgung von Migrantinnen und Migranten, kann man auch schauen, was noch zu machen ist.

[Beifall bei den Grünen]

Entschuldigung! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Bayram?

Nein! – Im Großen und Ganzen möchte ich kurz etwas zum Lebenslagenbericht sagen, der von der CDU gefordert wird. Was wollen Sie eigentlich, meine Damen und Herren von der CDU? Wollen Sie noch mehr Berichte, noch mehr Zahlen? Was ich Ihnen empfehlen kann, ist ein Crashkurs in Integration – er wird von der Ebert-Stiftung angeboten – oder einfach mal mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]