Protocol of the Session on March 5, 2009

Frau Präsidentin! Liebe, verehrte Kollegen und Kolleginnen! Die Art und Weise, wie in dieser Stadt mit Menschen umgegangen wird, die eine durchweg positive Einstellung zur Religion haben, ist manchmal erstaunlich. Ich denke dabei an die Äußerung von Senator Zöllner, der uns weismachen will, die Integration in dieser Stadt sei gefährdet, wenn der Volksentscheid zugunsten von „Pro Reli“ ausgehe. Hört, hört!

[Dr. Felicitas Tesch (SPD): Zöllner ist auch religionsfreundlich!]

Verehrte Frau Dr. Tesch! Hier stellt sich die Frage, was eigentlich diejenigen von dieser Äußerung halten, die in unserer demokratischen Gesellschaft bestens integriert und bestens engagiert sind und ihr Leben nach ihrer eigenen Religion und nach ihren eigenen Werten ausrichten.

[Beifall bei der FDP – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Die subventionieren wir sogar über den Religionsunterricht! – Weitere Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Noch schlimmer ist es dann, wenn der Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung verkündet, diejenigen, die nicht am Ethikunterricht teilnehmen, seien die Verlorenen. Das lässt den Umkehrschluss zu, dass diejenigen, die am Ethikunterricht teilnehmen, die Geretteten seien. Welch Hybris, welch Anmaßung, welch intolerante Haltung gegenüber all denjenigen, die ihr Leben nach den Grundsätzen und Werten ihrer eigenen Religion ausrichten!

[Beifall bei der FDP – Zurufe von der Linksfraktion]

Welch Hybris, welche Anmaßung, als Senator urteilen zu wollen, wer verloren und wer gerettet ist. Das ist eine Unglaublichkeit.

[Zuruf von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

Stellen Sie sich vor, unser Bischof Huber würde sich dazu hinreißen lassen, sich vor die Berlinerinnen und Berliner zu stellen und zu sagen: Wer nicht am Religionsunterricht der evangelischen Kirche teilnimmt, ist ein Verlorener. –

[Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Ein Aufstand, Kirchaustritte en masse – und das zu Recht – wären die Folge.

Für mich als liberale, aufgeklärte Christin ist die Haltung von Senator Zöllner völlig indiskutabel. Es ist nicht nur seine Hybris in diesem Falle, sondern es ist insbesondere auch die intolerante Haltung denjenigen gegenüber, die nach ihrer Fasson selig werden wollen.

[Beifall bei der FDP]

Das Prinzip der Toleranz soll, wird und muss wesentliches Element eines wertevermittelnden Unterrichts sein – egal übrigens, wie er heißt. „Wahlfreiheit“ ist das Zauberwort. Von wegen „Wahlzwang“! Das ist ein Wort, das gerade durch die Presse wabert. Völlig abstrus! Wer hier von „Wahlzwang“ redet!

[Dr. Felicitas Tesch (SPD): Aber etwas anderes ist es doch nicht!]

Was ist das für eine Wortkombination? Nein, die Freiheit zur Wahl, die Freiheit zur eigenen Entscheidung, die soll den Bürgern und Bürgerinnen und den Jugendlichen in dieser Stadt ermöglicht werden. Nichts anderes, und genau deshalb unterstützt die FDP-Fraktion diesen Volksentscheid.

[Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Wir diffamieren nicht die Befürworter eines Ethikunterrichts. Herr Ratzmann, hören Sie genau zu! Wir wollen ihnen jedoch die Möglichkeit geben, frei zu entscheiden, wie das übrigens in weiteren 14 von 16 Bundesländern der Fall ist.

[Beifall bei der FDP]

Jetzt möchte ich etwas von den Grünen zitieren. Die kommen mir hier nämlich immer ein bisschen zu kurz. Der Religionsbeauftragte der Bundestags-Grünen, Josef Winkler, kann das Nein seiner Berliner Parteifreunde zu „Pro Reli“ nicht nachvollziehen. Er plädiert nachhaltig für eine friedliche Koexistenz von Religion und Ethik, denn Familien, die mit Schulkindern nach Berlin zögen, hätten – Zitat – „ein Grundrecht weniger“. Das finde ich eine sehr kluge und tolerante Auffassung.

[Beifall bei der FDP – Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Jeder kann hierher kommen und den Religionsunterricht wählen! – Weitere Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Ich freue mich immer wieder, dass Sie sich immer wieder aufregen. Ich wiederhole mich hier am allerseltensten. Ich habe nämlich heute einen völlig neuen und anderen Aspekt gebracht. Sehr geehrte Frau Dr. Hiller! Lesen Sie die anderen 20 Reden nach, die ich zu dem Thema gehalten habe!

[Zurufe von der Linksfraktion]

In der letzten Plenarsitzung habe ich deutlich formuliert, was unsere Fraktion davon hält, wenn dieses Hohe Haus sich weigert, selbst gefasste Beschlüsse umzusetzen, nämlich gar nichts.

Herr Regierender Bürgermeister! Leider ist er nicht hier, aber es sitzen hier noch einige Vertreter des Senats. Das ist schon dreist. Mit dieser Haltung werden Sie Ihrem Auftrag nicht gerecht. Das sehen im Übrigen 58 Prozent der Berliner und Berlinerinnen auch so, die sich für eine Zusammenlegung der Termine ausgesprochen haben. Dabei spielt der finanzielle Aspekt eine wesentliche Rolle, denn sie – die Berliner und Berlinerinnen – sind es, die die zusätzlichen Kosten von 1,4 Millionen Euro aufbringen müssen. Aber schauen wir doch mal kurz in die Verfassung des Landes Berlin! Ein Blick genügt: In Artikel 86 Abs. 2 wird der Senat verpflichtet, nur dann Haushaltsmittel in Anspruch zu nehmen, soweit es eine sparsame Verwaltung der Steuergelder erforderlich macht.

Frau Senftleben! Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Ihre Redezeit beendet ist.

Ein Satz noch – oder anderthalb: Dazu gehört auch, dass der Senat von der Möglichkeit Gebrauch macht, die Abstimmung zu einem Volksentscheid mit Wahlterminen

zusammenzulegen. Ihr eigenes Geld können Sie verplempern. Das geht keinen etwas an. Aber Sie haben die verdammte Pflicht gegenüber den Berlinern und Berlinerinnen, mit deren Steuergeldern sorgsam umzugehen. Dies vernachlässigen Sie gerade in sträflicher Weise. Es gibt von uns einen Gesetzentwurf zum Senatorenregressgesetz.

Frau Senftleben! Das sind mehr als anderthalb Sätze. – Bitte, kommen Sie zum Schluss!

Darüber werden wir in der nächsten Sitzung munter debattieren. – Vielen Dank, Frau Präsidentin!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Das waren sechs Sätze!]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Senftleben! – Nun hat der Abgeordnete Gaebler das Wort zu einer Kurzintervention. – Bitte!

Frau Präsidentin! Liebe Frau Senftleben! Zu Ihrem Beitrag muss ich drei Dinge klarstellen: Erstens ist es einfach nicht wahr, dass mit dem Modell von „Pro Reli“ mehr Wahlfreiheit entsteht.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Beifall von Anja Kofbinger (Grüne)]

Im Moment nehmen alle Schülerinnen und Schüler am Ethikunterricht teil. Sie können zusätzlich Religionsunterricht frei wählen – und es sind alle Angebote voll finanziert. Das, was Sie und „Pro Reli“ wollen, bedeutet, die Schülerinnen und Schüler müssen sich zwischen dem Ethik- oder Religionsunterricht entscheiden. Das heißt, sie haben weniger Auswahl. Im Moment können sie beides nehmen, in Zukunft nur noch eines. Das ist weniger Wahl und nicht mehr, liebe Frau Senftleben.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Beifall von Anja Kofbinger (Grüne) und Ramona Pop (Grüne)]

Verstehen Sie das endlich einmal! Das, was Sie hier machen, bedeutet, es gibt in Zukunft weniger Stunden Werteunterricht an der Schule als bisher. Bisher gibt es zwei Stunden Ethik- und zwei Stunden Religionsunterricht. Das macht vier Stunden pro Woche. Nach Ihrer Planung sind es in Zukunft nur noch zwei Stunden pro Woche, weil man sich zwischen den beiden Angeboten entscheiden muss. Das heißt, Sie wollen weniger Wertevermittlung in der Berliner Schule. Das wollen wir nicht! Deshalb: Nein zum Volksentscheid, nein zu „Pro Reli“.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Beifall von Ramona Pop (Grüne)]

Zum Zweiten, Frau Senftleben: Ich habe letztes Mal Herrn Pestalozza nicht weiter zitiert – das will ich heute aber tun –, der nämlich zu Ihrem Vorwurf der Trickserei und der Rechtswidrigkeit gesagt hat:

Das ist ein unsachliches Argument und fördert das eigene Anliegen nicht. Rechtlich ist dieser Termin völlig einwandfrei. Es ist ganz im Sinne des Gesetzes früh abzustimmen.

Weiter sagt Pestalozza, er könne aber auch politisch die Kritik der Initiatoren nicht nachvollziehen: „Die Kritik an dem frühen Termin ist so miesepetrig“. – Genau das sind Sie, Frau Senftleben: miesepetrig.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Die Initiatoren müssten optimistische Stimmung verbreiten und jetzt auf die Pauke hauen, sie sollten die Argumente des Senats aufnehmen und in ihre eigene Kampagne einbauen. Jawohl, das Thema eines gleichberechtigten Religionsunterrichts ist so wichtig, dass separat darüber abgestimmt werden muss.

Dem ist nichts hinzuzufügen. Weshalb können Sie sich dem nicht anschließen? Das ist doch genau das, was Sie sagen müssten!

[Beifall bei der SPD]

Das Dritte: Das Bundesverfassungsgericht möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal zitieren, denn das hat ausdrücklich den Berliner Weg als „nachvollziehbar“ bezeichnet, wenn man bestimmte Integrationsziele verfolgt. Herr Zöllner hat nicht gemeint, jeder sei verloren, der dort nicht hingeht, nur wer nicht zum Ethikunterricht geht, kann nicht an der Integration teilnehmen und sie auch nicht befördern. Das ist es doch. Wir brauchen die Leute, die sich positiv in die Integration einbringen und die anderen mitnehmen. Die nehmen Sie dort aber raus. Das ist das Problem an Ihrem Modell.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Deshalb sagt das Bundesverfassungsgericht:

Angestrebt wird mithin, dass sich Schüler auch unterschiedlicher Religionszugehörigkeit und Weltanschauung untereinander über Wertfragen austauschen. Angesichts dieser Unterrichtsziele durfte der Berliner Landesgesetzgeber im Ergebnis davon ausgehen, bei einer Separierung der Schüler nach der jeweiligen Glaubensrichtung … könne dem verfolgten Anliegen im Land Berlin möglicherweise nicht in gleicher Weise –

Herr Gaebler! Ihre drei Minuten Redezeit sind vorbei!

Rechnung getragen werden wie durch einen gemeinsamen Pflichtethikunterricht.