Protocol of the Session on May 29, 2008

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 30. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und die Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen. Ich bitte Sie, sich zu erheben. Wir möchten eines unserer ehemaligen Kollegen gedenken.

[Die Anwesenden erheben sich.]

Im Alter von 72 Jahren ist am 19. Mai 2008 der frühere Abgeordnete Dr. Diethard Rüter in Berlin verstorben. Mit ihm hat Berlin einen engagierten Politiker verloren, der über drei Jahrzehnte in der Kommunal- und Landespolitik tätig war.

Dr. Diethard Rüter wurde am 20. März 1936 in Dorsten/Westfalen geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und Betriebswirtschaft in München und Münster und legte sein Zweites Juristisches Staatsexamen in Berlin ab. Von 1967 bis 1973 war Diethard Rüter als Anwalt tätig, dann hat er als Jurist bei einer Bank und danach bei der Freien Universität Berlin gearbeitet.

Diethard Rüter trat im Jahr 1965 in die SPD ein und begann seine politische Laufbahn 1971 als Bezirksverordneter in Reinickendorf. Von 1975 bis 1977 war er stellvertretender Fraktionsvorsitzender und von 1977 bis 1979 Fraktionsvorsitzender der SPD in der Bezirksverordnetenversammlung Reinickendorf von Berlin.

Diethard Rüter wurde 1979 zum Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin gewählt, dem er bis März 1989 angehörte. In den zehn Jahren seiner Abgeordnetenhaustätigkeit gehörte er zunächst den Ausschüssen für Arbeit und Soziales, für Bau- und Wohnungswesen sowie für Schulwesen an. Über zwei Legislaturperioden wirkte er im Hauptausschuss. Als Vorsitzender des Ausschusses für Stadtentwicklung und Umweltschutz in der 10. Wahlperiode setzte er sich vor allem sehr engagiert für eine stärkere Beachtung des Umwelt- und Naturschutzes in unserer Stadt ein.

Nach seiner Parlamentstätigkeit wurde Diethard Rüter 1989 von der Bezirksverordnetenversammlung Reinickendorf zum Bezirksstadtrat für Volksbildung gewählt und war anschließend von 1995 bis 1999 Bezirksstadtrat für Bau- und Wohnungswesen in Reinickendorf.

Für seine Partei, die SPD, war er lange Jahre als Abteilungsvorsitzender in Tegel, als Mitglied des Kreisvorstandes Reinickendorf und als Landesparteitagsdelegierter tätig.

Nach seinem Ausscheiden aus dem Bezirksamt war er beruflich als Rechtsanwalt tätig. Darüber hinaus engagierte sich Diethard Rüter im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. Landesverband Berlin, dessen Vorsitzender er von 2003 bis zu seinem Tod war. Die Sorge für angemessene Grabanlagen für die Toten der Kriege und Gewaltherrschaft waren ihm ein großes Anliegen, und dafür hat er hart und sehr kreativ gearbeitet.

Der Sozialdemokrat Dr. Diethard Rüter wird uns allen mit seiner Sachkenntnis und bürgernahen Haltung als ein Vorbild für engagierte und sachliche Politik in unserer Stadt unvergessen bleiben.

Wir gedenken unseres verstorbenen ehemaligen Kollegen Dr. Diethard Rüter mit Hochachtung.

Meine Damen und Herren! Sie haben sich zu Ehren von Diethard Rüter erhoben. Ich danke Ihnen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen, und zwar Änderungen von Ausschussüberweisungen. Die Vorlage – zur Beschlussfassung – über Gesetze und Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG für Lehrkräfte und Sozialberufe auf Drucksache 16/1289 war in der 27. Sitzung am 10. April 2008 an den Ausschuss für Wissenschaft und Forschung überwiesen, die nunmehr auf Antrag der Linksfraktion und der SPD ausschließlich an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie geht. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Der Antrag der Fraktion der CDU über „Inhabergeführte Einraumkneipen vom Rauchverbot ausnehmen“ auf Drucksache 16/1407 war in der 29. Sitzung am 8. Mai 2008 an den Ausschuss für Gesundheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz überwiesen worden. Nunmehr auf Antrag der CDU soll er federführend an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Frauen gehen. Der Ausschuss für Gesundheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz wird mitberaten. – Auch dazu höre ich keine Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Am Montag sind die folgenden vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion zum Thema: „Gemeinsames Lernen auch bei Grundwerten – erfolgreiches Berliner Modell fortführen“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Keine Richtlinien, keine Kompetenz – Wowereits Führungskrise isoliert Berlin in Europa und schadet unserer Stadt!“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Nach der Enthaltung zum EU-Reformvertrag – ist der Senat noch handlungsfähig?“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Wer regiert Berlin? Wer vom Verfassungsschutz beobach

teten Parteien das Ruder überlässt, blamiert und isoliert die Hauptstadt“.

Ich rufe auf zur Begründung der Aktualität, und für die SPD-Fraktion hat der Kollege Gaebler das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen beantragen für die heutige Aktuelle Stunde das Thema „Gemeinsames Lernen auch bei Grundwerten – erfolgreiches Berliner Modell fortführen“. Es gibt dazu einen aktuellen Anlass: Eine gestern vorgestellte Umfrage zeigt, dass 84 Prozent der Berlinerinnen und Berliner einen gemeinsamen Ethikunterricht befürworten. Das sehen wir als Unterstützung für das Berliner Modell eines gemeinsamen Ethikunterrichts, ergänzt um die Angebote der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Aus unserer Sicht besteht kein Änderungsbedarf; das vor zwei Jahren eingeführte Modell hat sich bewährt, es wird von den Fachleuten positiv bewertet, deshalb soll es aus unserer Sicht weiterlaufen. Tun wir den Schülerinnen und Schülern etwas Gutes!

Die Initiative „Pro Reli“ will dies durch ein Volksbegehren ändern. Ethik soll in allen Klassenstufen als Wahlpflichtfach eingeführt werden, das zugunsten von Religionsunterricht abgewählt werden kann. Das halten wir für falsch. Wir halten es auch für falsch, wenn seitens der CDU begonnen wird, die Verschleierungstaktik, die wir bereits vom Thema Tempelhof kennen, fortzuführen. Herr Steuer hat gestern erklärt, es gäbe da Missverständnisse, es würde suggeriert, die Schülerinnen und Schüler könnten sich vom Ethikunterricht abmelden, tatsächlich ginge es aber um ein Wahlfach.

[Dr. Felicitas Tesch (SPD): Quatsch!]

Was ist das für eine Dialektik? – Wenn ich ein Wahlfach habe, heißt das doch, dass ich mich für ein Fach entscheide und dann nicht zum Unterricht des anderen Fachs gehe.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wenn ich Ethik als Pflichtfach belegt habe, heißt das, ich kann mich vom Ethikunterricht abmelden und gehe stattdessen zum Religionsunterricht. Herr Steuer! Sie streuen den Leuten Sand in die Augen! Wir wollen von Ihnen heute wissen, was Sie eigentlich wollen!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wollen Sie einen gemeinsamen Ethikunterricht? Wollen Sie einen Religionsunterricht, und wie passt das zusammen, dass das alternativ zueinander steht? – Wenn – wie die Kirchen zu Recht sagen – der Ethikunterricht den Religionsunterricht nicht ersetzen kann, wie kann er dann als Wahlpflichtfach alternativ dazu stehen? – Das habe ich bis heute nicht verstanden, das müssen Sie uns erklären.

[Mieke Senftleben (FDP): Tut er gerne!]

Und dass Sie, Frau Senftleben, jetzt als liberale Partei einen staatlichen Religionsunterricht fordern, ist auch bemerkenswert, wo Ihre Partei sonst immer für eine Trennung von Staat und Privatbereich plädiert. Auch das können Sie uns heute mal erklären, darauf sind wir sehr gespannt.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Eine parteipolitische Vereinnahmung dieser Themen wollen wir allerdings vermeiden.

[Ach! von der CDU]

Es muss eine sachorientierte Auseinandersetzung um den besten Weg geben, wie wir unseren Kindern in der Schule die gemeinsame Auseinandersetzung mit den Grundwerten unserer Gesellschaft ermöglichen.

[Beifall von der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von Uwe Goetze (CDU)]

Dafür ist – aus unserer Sicht – der gemeinsame Unterricht der beste Weg. Die Initiative „Pro Reli“ ist in Wirklichkeit eine Anti-Ethik-Initiative, jedenfalls so, wie sie von Vielen interpretiert wird – auch das muss hier thematisiert werden.

[Beifall von Dr. Felicitas Tesch (SPD) und Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Im Bildungsausschuss gab es letzte Woche eine interessante Anhörung dazu, und auch heute soll die aktuelle Debatte darüber geführt werden, wie wir die Wertevermittlung in der Schule gestalten. Das ist allemal aktueller und für die Menschen in der Stadt relevanter als die Nachklappaktion einer ideen- und inhaltsarmen Opposition zu einer Bundesratsabstimmung. Sie wollen eine Jamaika-Show, weil Sie genau wissen, dass Sie beim Thema Werteerziehung erhebliche Differenzen in Ihrer schwarz-grün-gelben Konstellation haben.

[Özcan Mutlu (Grüne): Wovon reden Sie?]

Das werden wir nicht zulassen. Wir wollen über das reden, was für die Menschen in der Stadt von Bedeutung ist, nämlich wie sich die Kinder gemeinsam mit den gesellschaftlichen Werten auseinandersetzen – und nicht über einzelne Bundesratsabstimmung und die Meinung der Opposition dazu, die in den Zeitungen ausreichend zu lesen waren. Stimmen Sie deshalb für unseren Antrag – gemeinsames Lernen auch bei Grundwerten –, das ist das aktuelle Thema, um das es gehen sollte. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Kollege Gaebler! – Für die CDUFraktion hat der Kollege Dr. Pflüger das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der letzten Woche hat es eine Abstimmung im Bundesrat gegeben, bei der es nicht um die EU-Seilbahnverordnung ging – da hätte man sich ohne größeren Schaden enthalten können. Es ging um den Verfassungsvertrag der Europäischen Union, deutschland- und europaweit beobachtet.

[Nein! von der SPD]

Der Wowereit-Senat hat sich enthalten, und das war eine Blamage für die Hauptstadt, das muss heute diskutiert werden.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Gerade unsere Stadt verdankt der europapolitischen Solidarität all unserer Nachbarn sehr viel – politisch und auch materiell. In den letzten Jahren sind über zwei Milliarden € in unzählige Projekte unserer Stadt aus Brüssel geflossen. Herr Wowereit! Das Schlimme ist, Sie wissen das alles, Sie haben im Bundesrat gegen Ihre eigene Überzeugung gestimmt. Sie haben in diesem Haus am 28. Februar in einer Fragestunde auf Fragen der Kollegin EichstädtBohlig und meines Kollegen Oliver Scholz gesagt: