Wir vergeuden wichtige Ressourcen, die in den Köpfen unserer Kinder stecken. Wir müssen endlich begreifen, dass Heterogenität Chance und nicht Hindernis sein kann.
Da dieser Schulversuch von zahlreichen Vorgaben des Schulgesetzes abweicht, soll ihre Ausgestaltung in dem neuen § 17a des Schulgesetzes, den die Koalition einbringt, rechtlich geregelt werden.
Was sind die Besonderheiten dieser Schulform? – Erstens gibt es keine unterschiedlichen Bildungsgänge in der Sekundarstufe I. Zweitens finden die Regelungen zum Probehalbjahr und zur Bildungsgangempfehlung keine Anwendung. Das bedeutet, dass nach Absolvierung der Grundschule alle Schülerinnen und Schüler in die Sekundarstufe I aufgenommen werden, ohne dass sie vorher in verschiedene Bildungsgänge aussortiert werden, wie das bisher der Fall ist. Drittens gibt es bis zum Ende der Sekundarstufe I in der Regel keine Versetzungsentscheidung. Das Sitzenbleiben entfällt deshalb.
Danke schön, Frau Dr. Hiller! – Auch hierfür gibt es zahlreiche Untersuchungen, die den Wert der Klassenwiederholungen infrage stellen. Zum einen bringt diese Maßnahme meistens keine pädagogischen Erfolge, zum anderen verschwendet das Land dafür viel Geld, das sinnvoller in der individuellen Förderung eingesetzt werden könnte. Deshalb finden Klassenwiederholungen in der Gemeinschaftsschule nur in begründeten Ausnahmefällen statt. Wenn es dennoch dazu kommt, sind zwischen der Schule und der Schülerin oder dem Schüler bzw. ihren
Viertens ist die äußere Fachleistungsdifferenzierung kein durchgängiges Organisationsprinzip in der Gemeinschaftsschule. Das ist der größte Unterschied zu den Gesamtschulen, die mit dem FEGA-System oder ABC-Kursen operieren. Das bedeutet jedoch nicht, wenn es pädagogisch sinnvoll ist, nicht temporäre Lerngruppen einzurichten. Wichtig ist nur, dass diese Lerngruppen sich nicht zu langzeitigen Kursen verfestigen sollen.
Uns ist wichtig, dass die Gemeinschaftsschule auf eine breite Akzeptanz aller Beteiligten stößt. Deshalb muss die Schulkonferenz mit einer Zweidrittelmehrheit beschließen, ob sie Gemeinschaftsschule werden möchte oder nicht. In der ersten Welle werden elf Schulen oder Schulverbünde daran teilnehmen. Es handelt sich dabei um Grundschulen, die aufwachsen, oder um Schulzusammenschlüsse von zwei bis zum Rütli-Campus von drei Schulen. Der Rütli-Campus hat im Übrigen ein hervorragendes Konzept vorgelegt.
Das Genehmigungsschreiben für diese Schulen wurde ausführlich in der letzten Beiratssitzung am 7. April 2008 diskutiert. Eine Anhörung zur Gesetzesänderung hat am 7. Februar 2008 im Schulausschuss stattgefunden. Ergebnisse dieser Anhörung sind in den Änderungsantrag eingeflossen. Diese Änderungen habe ich zum Teil schon vorher erwähnt.
Gestatten Sie mir noch ein Wort zum Schluss. – Wichtig ist uns bei dieser Pilotphase, dass sie wissenschaftlich begleitet wird.
Wir hoffen auf positive Ergebnisse der Evaluation, damit das Projekt Gemeinschaftsschule im wahrsten Sinn des Wortes Schule macht und sich mehr und mehr Schulen in Berlin zu diesem Modell entschließen. Ich bitte Sie deshalb, unserer Gesetzesänderung zuzustimmen. – Ich danke Ihnen!
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Dr. Tesch! – Für die Fraktion der CDU hat jetzt Herr Abgeordneter Steuer das Wort. – Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute beschließt die Mehrheit dieses Hauses das bildungspolitische Prestigeobjekt dieser Legislaturperiode. Sage und schreibe elf Berliner Schulstandorte werden zu Gemeinschaftsschulen! Gleichzeitig warten aber 800 Berliner Schulen und damit 300 000 Schüler auf die Unterstützung des Senats.
Es ist kein Naturgesetz, dass Berliner Schüler stets am Ende aller nationalen und internationalen Bildungsstudien stehen.
Um es deutlich zu sagen: Daran ändern Ihre elf Schulen nichts, überhaupt nichts. Sie lenken von den zahlreichen Problemen in der Berliner Schule ab. Ihre Konstruktion der Gemeinschaftsschule sucht in Deutschland Gott sei Dank ihresgleichen. Sie verbieten, wie wir gerade von Frau Dr. Tesch hörten, den Schulen jede Leistungsdifferenzierung. Was für eine Zwangsbeglückungspolitik betreiben Sie hier? Welche Studie belegt eigentlich, Herr Zöllner, dass es ausreicht, Kinder einfach nebeneinander zu setzen, um sie dann allein dadurch besser werden zu lassen? Und zwar die leistungsschwächeren und die leistungsstärkeren gleichermaßen!
dass in der Berliner sechsjährigen Gemeinschaftsschule, denn nichts anderes ist die Grundschule in Berlin, systematisch die leistungsstärkeren Schüler in Klasse fünf und sechs zurückgelassen und nicht genügend gefördert werden.
Diese Studie, die Sie seit Monaten unter Verschluss halten, Herr Zöllner, ist die Anklageschrift gegen Ihre Gemeinschaftsschule und nichts anderes. Es wird klar: Sie wollen Mittelmaß, Sie wollen Zwangsbeglückung, Sie wollen ablenken von den wahren Problemen. Aber was Sie nicht wollen, dass ist, die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler ernstnehmen.
Wir fordern eine Schulstruktur, die sich an den unterschiedlichen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler orientiert und nicht an Ihrer Ideologie, meine Damen und Herren!
Es ist ungeheuerlich, dass Sie einem Dutzend Schulen 22 Millionen € geben, während Sie nichts für die gut 50 Hauptschulen in Berlin tun. Sie haben auf meine Frage in einer Sitzung des Ausschusses für Bildung, Jugend und Familie gesagt, dass Sie zum Thema Hauptschulen erst das Experiment Gemeinschaftsschule abwarten und danach Entscheidungen treffen wollten. Ich finde das unverantwortlich. Wir werden nicht hinnehmen, dass die Berliner Hauptschüler die schlechtesten deutschlandweit sind und es bleiben sollen.
Es ist ein klares Signal, dass Schüler, die am produktiven Lernen teilnehmen und nur an zwei Tagen in der Woche in die Berliner Hauptschule gehen, die besser sind, einen besseren Abschluss machen, bessere Prüfungen schreiben, als die Schüler, die die Berliner Hauptschule an fünf Tagen in der Woche besuchen. Offensichtlich sind die Schüler besser, die weniger in die Schule gehen. Um es deut
lich zu sagen: So kann es in Berlin nicht weitergehen! Deshalb müssen die Schulen für alle besser werden und nicht nur für einen Bruchteil oder elf Schulen.
Wir benötigen neue Weichenstellungen in der Berliner Schulstruktur, die allen Kindern eine Chance geben, weil sie entsprechend ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten angemessen gefördert werden. Deshalb war auch die Anhörung auf der letzten Sitzung des Ausschusses für Bildung, Jugend und Familie so erfrischend, in der der neue Hamburger 2-Säulen-Weg diesem Ideologiemurks in Berlin, Ihrer Gemeinschaftsschule, gegenübergestellt wurde.
Sie zergliedern das Berliner Schulsystem weiter, indem Sie eine achte Schulform einführen. Wir werden voraussichtlich schnell sehen, dass Ihr Prestigesobjekt den Berliner Schülern überhaupt nicht helfen wird. Statt Ihres rotroten Rumgemurkses täte Berlin ein bildungspolitischer Konsens gut, der allen hilft und nicht nur elf Schulen. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Steuer! – Für die Linksfraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Zillich das Wort. – Bitte!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man sich das ansieht, was die Schulen in der Bundesrepublik Deutschland den Kindern mitgeben und es international vergleicht, finden sich drei zentrale Probleme. Das erste Problem ist die Leistung. Die Fähigkeiten, die den Kindern mitgegeben werden, sind zu schlecht. Sowohl im Durchschnitt als auch in der Spitze und ebenso – und das sogar eklatant – bei den schwächeren in der Gesellschaft. Zum zweiten sichern unsere Schulen nicht den Fachkräftenachwuchs, weil sie viel zu wenige Menschen bis zum Abitur führen. Drittens gibt es eine eklatante soziale Ungerechtigkeit, wenn man sich ansieht, um wie viel geringer die Chancen von Kindern aus nicht so gutem Haus gegenüber anderen sind.
Aber das können Sie doch nicht im Ernst bestreiten! Das ist eine klare Aussage von PISA. Das kann man nicht bestreiten. – Ich will das noch an einem anderen Beispiel transparent machen, durchaus auch an IGLU und an PISA, da ist viel darüber geredet worden, aber der Zusammenhang ist noch nicht so präsent.
Wenn man sich die IGLU-Studie, der erste von 2001, anguckt – dort wurde die Lesekompetenz untersucht, und zwar von Kindern in der vierten Klasse –, was wird dort festgestellt? – Da liegt Deutschland mit an der Spitze im oberen Viertel der verglichenen Staaten. Gleichzeitig ist
die Streuung, also der Abstand zwischen den besonders guten und den besonders schlechten relativ gering. Außerdem ist der Anteil derjenigen, die in der vierten Klasse verhältnismäßig schlecht lesen können, geringer als in fast allen Ländern, die verglichen wurden. Der Anteil von Spitzenlesern ist allerdings nur durchschnittlich.
Guckt man sich jetzt PISA 2006 an, das ist die gleiche Kindergruppe mit dem gleichen Geburtsjahrgang, was stellt man dann fest? – Die Leistungen im Durchschnitt sind insgesamt nur noch durchschnittlich. Die Spitze hat sich nicht verbessert. Der Anteil der Kinder, die besonders schlechte Leistungen erbringen, ist eklatant gestiegen. Was bedeutet das? Was ist mit den Kindern zwischen der vierten und der neunten Klasse passiert? Der Durchschnitt ist schlechter geworden, in der Spitze wurde es nicht besser, und der Anteil der Benachteiligten wurde noch weiter benachteiligt. Das ist in der Sekundarstufe I genau in der Zeit passiert, wo das gegliederte Schulsystem einsetzt. Wenn man dann noch anguckt, wie Bildungschancen dort verteilt werden, muss man an dieser Stelle feststellen: Kinder, die die gleiche Leseleistung und die gleichen kognitiven Fähigkeiten in der vierten Klasse haben, haben, wenn ihre Eltern aus den oberen Einkommensgruppen kommen, ein zweieinhalbmal so große Chance, auf das Gymnasium zu gehen, gegenüber Kindern, die aus einem Facharbeiterhaushalt kommen. Das bedeutet für uns: Hier ist eine grundlegende Änderung des Schulsystems notwendig, eine grundlegende Reform der Schule.
Die Koalition hat sich darauf verständigt, in eine solche grundlegende Reform mit einer Pilotphase Gemeinschaftsschule einzusteigen. Mit dem vorliegenden Gesetz, das wir heute beschließen werden, schaffen wir die rechtlichen Grundlagen für diese Pilotphase Gemeinschaftsschule. Das bedeutet als Erstes, wir schaffen Rechtssicherheit bei den sich beteiligenden Schulen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil auch das infrage gestellt wurde. Zum Zweiten schaffen wir mit diesem Gesetz für die Schulen – wir engen sie nicht ein – die Möglichkeit, von selektiven Vorgaben des jetzigen Schulgesetzes abzuweichen. Wir schaffen also mehr Freiheit für die Schulen, und das an drei Punkten: Das betrifft das Sitzenbleiben, das betrifft die zwangsweise Aufteilung in unterschiedliche Leistungsgruppen an Gesamtschulen, und das betrifft die Aufteilung auf verschiedene Schulformen und damit auch die Möglichkeit der Abschulung. Darüber hinaus wollen wir auch Schulen die Möglichkeit geben, die das wollen und die das mit einem Konzept unterlegen, von dem mit Mängeln behafteten Benotungssystem abweichen zu können. Ein Punkt ist uns ganz wichtig: Wir beschränken die Pilotphase nicht nur auf die Schulen in der Pilotphase, sondern wir sagen deutlich: Wenn Schulen einzelne Elemente davon übernehmen wollen, also wenn ein Gymnasium sagen will: Ich will nicht mehr abschulen –, wenn ein Gymnasium sagen will: Ich will kein Sitzenbleiben mehr haben –, dann geben wir ihnen die Mög
lichkeit dazu, auch wenn sie sich nicht selbst an einer Pilotphase beteiligen. Die Pilotphase kann über die Pilotphase hinaus an dieser Stelle wirken. Das ist ein ganz wichtiger Punkt für uns. Wir wollen mit der Pilotphase werben. Wir wollen mit dieser Pilotphase auf der Basis von Freiwilligkeit und guten Beispielen überzeugen, dass genau das der Weg ist, um eine bessere Schule zu organisieren. Aber wir denken auch – und da gab es ein paar Debatten –, dass die Frage, wie eine solche Pilotphase Gemeinschaftsschule in die Fläche, also für alle Berliner Schülerinnen und Schüler ausgedehnt werden soll, nicht in dieser Wahlperiode beantwortet werden wird. Wenn man Menschen überzeugen will, eine solche grundlegende Änderung von Schule hinzubekommen, muss man klar sagen, wohin man will.
Wir sagen: Ja, wir wollen mit der Gemeinschaftsschule in die Fläche. Wir wollen hier die Erfahrungen dafür sammeln, damit das, was an diesen Schulen gehen wird – ich bin mir sicher, dass es ein Erfolg sein wird –, allen Schülerinnen und Schülern zugute kommen kann.