Mit anderen Worten: Wir begrüßen die vorgelegte Novelle des Berliner Vergabegesetzes. Wir unterstützen die Ausweitung der Tariftreuepflicht. Wir stehen auch beim Mindestlohn an Ihrer Seite, das wissen Sie. Herr Liebich, Sie haben es schon erwähnt. Ich erinnere nur an den von uns initiierten Antrag von Rot-Rot-Grün für eine Berliner Bundesratsinitiative. Wir fragen uns bei Ihren Punkten lediglich, warum erst jetzt, warum noch Vertragsabschlüsse vor dem Inkrafttreten des Gesetzes. Dazu hat Herr Wolf in der letzten Plenarsitzung deutlich gesagt, man hätte es anders handhaben können. In der Zwischenzeit handhaben Sie es auch anders. Die Vergabe an die BIM hätte so nicht erfolgen müssen. Herr Brauner hat weitere Argumente genannt.
Aber wir stellen genauso klar fest, dass dieser Entwurf deutlich zu kurz springt. Das fängt schon vorne an. Nur wenn die Idee der ökologisch-sozialen Beschaffung als Ziel im Gesetz formuliert ist, wird sie sich wirklich in der Breite durchsetzen.
Wir wollen darüber hinaus direkt im Vergabegesetz weitere Dinge verankern, nämlich die Berücksichtigung der Gleichstellung als Vergabekriterium. Die ILO-Kern
arbeitsnormen und der Vorrang fair gehandelter Produkte sollten aufgenommen werden. Wir wollen auch ökologischen Kriterien mehr Gewicht bei der Vergabe geben.
Damit das nicht alles als bürokratisches Monster erscheint, haben wir uns auch dazu Gedanken gemacht. Es ist möglich, das zu vereinfachen, das nicht bürokratisch umzusetzen, indem man beispielsweise ein Präqualifizierungsverfahren einführt, d. h. grob auf Deutsch gesagt wollen wir eine Liste erstellen, in der die Unternehmen nur einmal darstellen müssen, dass sie diese Kriterien erfüllen, dann ist das ein für alle Male erledigt. Dann gibt es zwischendurch Stichproben, Nachweise sind nicht dauernd vorzulegen. Das ist eine vernünftige, den Zielen entsprechende und unbürokratische Lösung, die wir verankern wollen.
Das sind die Punkte, die wir ändern wollen. Darüber wollen wir reden. Deswegen haben wir den Änderungsantrag vorgelegt. Nur für den Fall, Herr Jahnke, dass es Ihnen entfallen sein sollte, Ihr eigener Landesparteitag hat bereits im November, nachdem der Senat seinen Entwurf verabschiedet hat, Sie hier im Parlament aufgefordert, dieses Gesetz nachzubessern. Deswegen bin ich sehr gespannt auf die Ausschussberatungen, bin auch optimistisch. Ich finde, wir müssen auch über die Punkte reden, die Herr Brauner angesprochen hat. Ich wiederhole sie nicht, meine Redezeit ist sofort zu Ende. Denn auch wenn Herr Brauner in der „falschen“ Partei ist, sagt er doch an dieser Stelle hundertprozentig richtige Sachen. Da muss es Veränderungen geben, weil er ansonsten recht hat. Dann ist das Gesetz mehr Schein als Sein. Oder man müsste dann auch sagen, in gewisser Weise missbrauchen Sie das Vergabegesetz für die Mindestlohndebatte. Damit ist aus unserer Sicht der Sache nicht gedient.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Paus! – Für die FDPFraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Thiel das Wort. – Bitte!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Diese Gesetzesnovelle setzt die Axt an die Wurzel der sozialen Marktwirtschaft.
Diese Gesetzesnovelle ist systemwidrig und wird, wenn sie so durchkommt – und das will sie letztlich und wird sie wahrscheinlich auch – Tür und Tor öffnen für eine andere Wirtschafts- und Sozialpolitik, als wir sie in Deutschland haben.
[Stefan Liebich (Linksfraktion): Bisschen übertrieben! – Uwe Doering (Linksfraktion): Der Sozialismus entert!]
Erstens sagen Sie selbst, das Problem sei eine Zunahme des Einsatzes von Niedriglohnkräften hier in Berlin. Das wollen Sie verhindern. Sie wollen Wettbewerbsverzerrungen entgegentreten. Faktisch wollen Sie aber Standortvorteile, die Bewerberinnen und Bewerber außerhalb von Berlin oder gar aus dem Ausland haben, gleichmachen, Sie wollen Berlin als Insel der Seeligen und der Glücklichen und damit Wettbewerb verhindern.
Sie werden das Gleiche erleben, wie wir das bei der Post erlebt haben. Die Zementierung eines Lohnes verhindert Wettbewerb und führt genau zu dem Gegenteil von dem, was Sie wollen.
Sie werden dazu beitragen, dass sich einzelne Unternehmen nicht daran beteiligen können, weil ihre Struktur und ihre Lohnstruktur anders ist, als Sie es sich vorstellen.
Letztlich werden Sie damit bei dem Ausschluss von Vergabemöglichkeiten sogar Unternehmen gefährden, denn Sie allein wissen, was richtig ist und sagen: Alles, was unter 7,50 € ist, wird nicht zugelassen. – Das ist einfach falsch. Denn der Lohn ist immer zugleich ein Abbild der Arbeitsproduktivität.
Nicht bei Ideologen, bei Marktwirtschaftlern schon! Der Lohn hat immer etwas damit zu tun, was ein einzelner an Produktivität leistet.
Wenn sich die Produktivität auf dem Markt nicht einpreisen lässt, wird der Lohn auch nicht erwirtschaftet. Dann kann ich quersubventionieren, sicherlich. Ich kann auch die Gelddruckmaschine anwerfen. Aber gerade Sie müssten doch mit Ihrer Tradition wissen, wohin das führt, wenn man Löhne politisch festsetzt. Das führt in der Regel immer gegen die Wand.
Zweiter Punkt: Systemwidrig ist die Idee, ein existenzsicherndes Einkommen, wie Sie das hier fordern, einzuführen. Das ist deshalb systemwidrig, weil wir in der Tradition der Bundesrepublik immer eine Sozialpolitik als ein eigenständiges Politikfeld neben der Wirtschaftspolitik gehabt und gepflegt haben, in der vollen Anerkennung dessen, dass ein Mensch, wenn er arbeitet, vom Haushaltseinkommen ausgehend, davon leben können soll. Sie aber wollen diese Errungenschaft umwidmen und der Wirtschaft und den Unternehmen zukommen lassen und
die in die Verantwortung nehmen. Das ist in der Tat ein Systemwechsel. Nur nebenbei: Wenn man sich hier hinstellt und sagt: 20 von 27 europäischen Ländern haben Mindestlöhne,
dann tauschen wir mit England zu den gleichen Bedingungen eins zu eins, keine Sozialgesetzgebung, keine Arbeitsschutzbestimmungen, keine Kündigungsschutzbestimmungen, kein Arbeitslosengeld – und dann einen Mindestlohn. Dann möchte ich einmal sehen, wie Sie schreien. Es gibt kein Land in Europa, das es sich leistet, neben einer Mindesteinkommenssicherung, wie wir sie haben, gleichzeitig einen Mindestlohn zu haben, wie Sie ihn hier fordern.
[Stefan Liebich (Linksfraktion): Das ist doch absurd! Sie wollen doch nicht sagen, dass die 20 Länder alle kein Sozialsystem haben?]
Noch ein dritter Punkt: Ihr Mindestlohn, den Sie vorgeben, ist auch ein Angriff auf die Tarifautonomie. Mich wundert, dass die Gewerkschaften Ihnen nur Beifall klatschen! Anscheinend, weil sie selbst nichts Konstruktives zustande gebracht haben.
Sie setzen politisch fest, ab wann überhaupt ein Tarifvertrag gelten soll: Alles unter 7,50 € nehmen wir nicht zur Kenntnis, erst alles ab 7,50 €. In der Umkehrung heißt das: Liebe Gewerkschaft, wenn du nicht in der Lage bist, einen Tarifvertrag über 7,50 € Mindestlohn einzuführen, dann kannst du dir die gesamten Verhandlungen sparen, das erledigen wir für dich!
Das ist der vierte Punkt. Er ist auch wieder fundamental anders, als Sie Ihre Politik verstehen. – Ludwig Erhard hat stets darauf hingewiesen, dass es sich für die Politik gehöre – und das ist ein hohes Gut! –, dass sie unabhängig sei. Die Politikerinnen und Politiker sollen sich weder von der einen noch von der anderen Seite vereinnahmen lassen und Partei ergreifen. Was Sie aber jetzt machen, ist, – –
Sie verstehen das doch gar nicht! – Sie wechseln aber von der Rolle des möglichen Schiedsrichters in die Rolle des Mitspielers. Damit wird der Mindestlohn, den Sie einführen, den Sie weiter ausdehnen wollen, letztlich zu einem Politikum.
Sie als Gutmenschen, als vollkommene Nichtmarktwirtschaftler, bedienen sich eines Systems. Deswegen sage ich noch einmal: Das, was wir hier erleben, hat viel weitere Auswirkungen als nur über das Vergabegesetz. Es ist
der Einstieg in eine andere Grundlage von Wirtschaft. Darüber muss man sich klar sein. Die einzige – und darauf bin ich sehr stolz! – Partei, die sich der sozialen Marktwirtschaft und ihrer Erneuerung ohne Wenn und Aber verschrieben hat, ist die FDP.
Wir werden deshalb mit aller Kraft gegen diesen Blödsinn, den Sie uns zumuten, zu Felde ziehen und lehnen ihn aus Überzeugung ab. – Ich danke Ihnen!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Thiel! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Frauen. Diese Überweisung gilt auch für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch.