Protocol of the Session on February 14, 2008

Die Möglichkeit einer EU-Bürgerinitiative wird als neues Instrument geschaffen. Eine Million Bürgerinnen und Bürger können sich zusammenfinden und direkt in die europäische Politik einwirken.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Damit wieder was schiefläuft!]

Hier eröffnet sich ein ganz neues Handlungsfeld auch für den Kollegen Pflüger, wenn er dann die 606 000 Unterschriften in Berlin eingesammelt hat.

Aber zurück zum Thema. – Wichtig ist auch, dass der Raum für mehr und einheitlichere EU-Politik endlich durch die Schaffung eines Hohen Repräsentanten für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik geöffnet wird.

Lassen Sie mich die wichtigsten Ziele des Verfassungsvertrags benennen. Der Artikel 1 (2) legt als neue Werte für die EU Gerechtigkeit und Solidarität fest und verankert sie. Die Union wird

auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität

Sie fördert den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierung und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frau

en und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes.

Ich glaube, das sind Verfassungsziele, die wir wirklich begrüßen können, denn sie stehen deutlich über dem, was in den meisten nationalen Verfassungen heute steht.

[Beifall bei den Grünen]

Wir wollen durchaus auch auf das hinweisen, was aus unserer Sicht problematisch ist. Das eine ist die Ausnahmeklausel bei der Grundrechtscharta für Großbritannien und Polen, die dauerhaft gelten soll. Die neue polnische Regierung hat allerdings ihrerseits erklärt, dass sie davon keinen Gebrauch machen wird. Das begrüßen wir sehr.

Problematisch ist auch, dass die lange umstrittene doppelte Mehrheit von 65 Prozent der Bevölkerung und 55 Prozent der Staaten erst 2014 bzw. 2017 in Kraft treten wird. Wir Grüne haben auch Kritik daran, dass bei der Energie- und Klimapolitik und bei deutlichen Teilen der Sozialpolitik das Einstimmigkeitsprinzip gelten muss, sodass es dort sicher Schwierigkeiten gibt.

Dies alles kann aus unserer Sicht aber kein Grund sein, den längst überfälligen Schritt der Verfassungsreform jetzt aktiv zu unterstützen. Darum fordern wir das Abgeordnetenhaus auf, sich dieser Diskussion konstruktiv zu stellen. Wir fordern speziell auch die Linkspartei auf. Wir erwarten vom Senat, dass er die Bürger und Bürgerinnen in unserer Stadt intensiv informiert und in die Diskussion über diese neue, de facto Verfassung der EU eintritt.

[Beifall bei den Grünen]

Die Schlusssätze müssen nicht unbedingt 20 oder 30 Sekunden betragen. – Ich erteile Herrn Krug von der SPDFraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ein großes Thema, das wir heute besprechen wollen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir gerade in Berlin diese Diskussion führen können, Frau Eichstädt-Bohlig. Es ist nicht nur ein Erfolg einer klaren europagerichteten Politik. Wenn Sie den Vertrag anführen, dann müssten Sie auch sagen, dass gerade der sozialdemokratische Außenminister Steinmeier einen großen Anteil daran hat.

Wir wissen, Europa hat eine komplizierte Phase hinter sich. Die Ablehnung des Verfassungsentwurfs hat für Europa viel Lähmung und Stillstand hervorgebracht. Das Problem des gescheiterten Verfassungsentwurfs hat Herr Juncker sehr treffend so dargestellt: Für die einen war es zu viel Europa, für die anderen war es zu wenig. – Darin scheinen auch heute noch die Probleme zu liegen. Es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen, auch bei unserem geschätzten Koalitionspartner, Sie haben das bereits be

nannt, über das, was ein neuer Reformvertrag leisten kann und muss, wenn er den Verfassungsvertrag ersetzt.

Ich war mit den Unklarheiten nach den gescheiterten Voten in meiner Arbeit beim Kongress der Gemeinden und Regionen Europas in Straßburg vielfach konfrontiert. Ich vertrete Berlin in Straßburg. Die Arbeit des Kongresses als Konsultativorgan bedarf einer Rahmensetzung, wenn es darum geht, Menschenrechte, europäische Grundwerte, lokale und regionale Demokratie, soziale Kohäsion in den 47 Mitgliedsstaaten in diesem großen Wirtschaftsraum durchzusetzen. Deswegen ist auch der Reformvertrag von großer Bedeutung, nicht nur für die Mitgliedsländer, sondern vor allen Dingen auch für alle europäischen Länder, weil er die Richtung vorgibt.

Der Reformvertrag – Sie haben das bereits gesagt, Frau Eichstädt-Bohlig – verleiht der EU die Fähigkeit, sich den großen Herausforderungen in der globalisierten Welt zu stellen. Mit tief greifenden Reformen im institutionellen Bereich geht er auch noch über den Verfassungsentwurf hinaus. Die Union wird greifbarer, handlungsfähiger und transparenter. Einige der Vorteile sind bereits genannt worden. Ich möchte auch die europäische Bürgerinitiative, klare Kompetenzabgrenzungen zwischen der Union und den Mitgliedsstaaten nennen. Weitere Fortschritte sind auch in den Sachpolitiken z. B. Klimaschutz erreicht worden. Allerdings ist und bleibt der Vertrag ein Kompromiss. Man kann das immer wieder neu beklagen oder neue Wünsche und Forderungen äußern. Er ist ein Vertrag über die Arbeitsweise der uropäischen Union. E

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Eichstädt-Bohlig?

Herr Kollege Krug! Ich freue mich, dass wir inhaltlich durchaus einer Meinung sind, aber ich möchte Sie schon fragen, wie Sie bei diesem wichtigen Thema die Präsenz des Senats betrachten, denn im Endeffekt zielt unser Antrag darauf, den Senat aufzufordern, sich zu engagieren.

Sie wissen, es hat die Entschuldigungen gegeben. Die Diskussion um Europa wird breit geführt, aber die Präsenz ist im Moment etwas schwach entwickelt. Das würde ich auch so sehen wie Sie.

[Zuruf von den Grünen]

Ich komme zurück zu dem, was wir auf der Habenseite des Vertrages aus der Sicht der Länder heraus verbuchen sollten. Die Stärkung der Länderinteressen haben Sie nicht so herausgearbeitet. In der Form des Frühwarnme

chanismus ist das eine ganz besondere Errungenschaft. Das alles fand und findet Anerkennung und bedarf auch nicht einer ausdrücklichen Aufforderung zum Handeln.

Der Vertrag von Lissabon ist kein festgefügtes Instrument. Er steht am Anfang eines langen Weges. Mir ist wichtig zu sagen, dass wir viele Fragen im Rahmen dieses Vertrages beantworten müssen, und zwar: Welche soziale Dimension will dieses gemeinsame Europa? Wie leben die Nationen mit ihren unterschiedlichen Wirtschaften und Kulturen zusammen? Welche Mindeststandards wird es verbindlich geben? Wie sieht es aus mit Mindestlöhnen? – Das Thema haben wir bereits gehabt. Aber wie sieht es aus mit dem Wettbewerb der Regionen? Wie werden Migration und Integration aktiv gestaltet? Wann gibt es klare Gesetze gegen einen ruinösen Subventionstourismus der Wirtschaft, dessen Auswirkungen wir gerade wieder dank Nokia vorgeführt bekommen?

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Auf keinen Fall wird der Vertrag zum Trojanischen Pferd mutieren, wenn es darum gehen sollte, Neoliberalismus den Weg zu bereiten.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Mirco Dragowski (FDP): Oh Gott!]

Die Grundfrage bleibt: Was tut Europa, um Frieden und Wohlstand weiter erfolgreich zu schützen, und wie gehen wir gemeinsam damit um?

Ich komme zum Schluss.

Das müssen Sie auch.

Sie können sicher sein, dass wir als Sozialdemokraten alles tun werden, dass Europa gut vorankommt. Der Terminplan ist bereits genannt worden. Auf die Geschwindigkeit, verehrte Frau Eichstädt-Bohlig, hat der Senat keinen Einfluss mehr.

Herr Kollege! Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen!

Ich bin auch dabei.

[Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das ist gut so!

Deswegen ist der Antrag der Grünen eigentlich überflüssig, aber die Diskussion im Euro-Bund-Medien-Ausschuss werden wir bestimmt mit großem Engagement und Interesse führen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank! – Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Kollege Scholz, auch er unter Beachtung der Redezeit.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Antrag zur Befürwortung des EU-Reformvertrages wird wohl mit seltener Einmütigkeit die Zustimmung dieses Hauses finden. Gleichwohl ist es ein Thema, zu dem es sich immer lohnt, eine Debatte zu führen. Wir alle haben die Möglichkeit, ein klares Bekenntnis für Europa und für ein Vertragswerk abzulegen, welches unsere Bundeskanzlerin als einen historischen Erfolg bewertet hat. Angela Merkel sagte nach der Einigung der Staats- und Regierungschefs in Lissabon: Dies sei eine Wegmarke zu mehr Handlungsfähigkeit in Europa. – An dieser Stelle gilt unser Dank der Kanzlerin, die bereits während der deutschen Ratspräsidentschaft den entscheidenden Grundstein für diesen für Europa so wichtigen Reformvertrag gelegt hat. Gerade in diesem Jahrzehnt durften wir erleben, wie rasant sich die Dinge in der Europäischen Union entwickelt haben. Die Einführung des Euro, mittlerweile in 15 europäischen Ländern Zahlungsmittel, 12 neue Mitglieder, die Erweiterung des Schengen-Raumes, und nicht zuletzt wurden mit den Leitlinien zur Kohäsion von 2007 bis 2013 neue Strategien zur Mittelverteilung für nationale und regionale Hilfsprogramme entwickelt. Dies sind Erfolge, von denen in den Jahrzehnten davor nur wenige zu träumen wagten.

Eine Frage wird jedoch noch lange offenbleiben: Wie kann die öffentliche Akzeptanz für Prozesse in Brüssel und Straßburg mit den erfreulichen Entwicklungen in Europa Schritt halten? Für die Akzeptanz in möglichst breiten Teilen der Bevölkerung müssen wir, muss der Senat in Berlin etwas tun. Interessengruppen, Verbände, Institute in unserer Stadt leisten viel, um den Menschen Europa näherzubringen. Um nur einige zu erwähnen: Das Europäische Informationszentrum, die Europäische Akademie, die Europa-Union, das IEP und nicht zuletzt Dr. Sabathil als Vertreter der Europäischen Kommission in Berlin mit den vielen Veranstaltungen in seinem Hause. Während hier und durch bürgerliches Engagement viel bewegt wird, muss man Herrn Wowereit in Sachen Europa förmlich zum Jagen tragen. Auch den Bildungssenator fordere ich an dieser Stelle auf, mehr für ein besseres Europaverständnis an den Berliner Schulen zu tun. Die CDUFraktion hat dazu einen Antrag eingebracht, der jedoch dank rot-roter Mehrheit schon seit Monaten im Ausschuss schmort. Ich fordere Sie nun endlich auf, tätig zu werden

und Europa auf den Lehrplan der Berliner Schulen zu setzen. Das ist der Titel unseres Antrags, vielleicht ziehen Sie sich das noch einmal zu Gemüte.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Wolfgang Brauer (Linksfraktion)]

Zurück zum Reformvertrag: Jetzt warte ich eigentlich auf eine Zwischenfrage zur Bedeutung des Vertrags, denn mein eigenes Redezeitbugdet reicht nicht aus, aber ich sehe schon eine. – Herzlichen Dank, ich lasse sie zu!

[Zuruf von der Linksfraktion]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Dr. Hiller? – Bitte schön!