Es gibt eine sehr gefährliche Tendenz. Es wird immer häufiger gesagt, die Deutschen seien Schweinefleischfresser, Nazi-Omas, Scheißdeutsche. Immer häufiger gibt es diese Diskriminierungen und Beschimpfungen. Haben Sie sich einmal überlegt, dass man in Teilen Berlins etwas feststellen kann, was man umgekehrten Rassismus nennen könnte? Vor dem muss genauso gewarnt werden wie immer vor schrecklichem Rassismus, wo immer er auftritt.
Es ist völlig richtig, was Frank Henkel gesagt hat. Wir müssen Repressionen und Strafen einerseits sowie Prävention nicht gegeneinander ausspielen, sondern in eine Balance bringen. Wer wollte denn bestreiten, dass man jungen Menschen zuerst mit Aufmerksamkeit, mit Zuwendung, mit Beratung, mit aufsuchender Sozialarbeit, mit Schulstationen, mit Hilfen zur Erziehung begegnet? Das bestreitet niemand. Was ist aber die Realität? – Die Realität ist, dass die von Ihnen so vollmundig ausgespro
chene Prävention gerade von diesem Senat nicht geleistet worden ist. 160 Millionen € Streichungen bei den Hilfen zur Erziehung in den letzten fünf Jahren sind die Realität.
Die aufsuchende Sozialarbeit ist kollabiert. Schauen Sie sich an, was hier in dieser Stadt bei den Hilfen zur Erziehung geschieht. Mich erreichte jetzt ein eindrucksvoller Brief des Schulleiters der Grundschule an der Bäke in Steglitz-Zehlendorf. Ich möchte Ihnen vorlesen, was Herr Haase sagt. Er hat Angst davor, dass Mittel vom Senat gestrichen werden. Er bittet darum, sich dafür einzusetzen, dass die Schulstationen erhalten bleiben. Durch diese Schulstationen ist präventiv und erfolgreich gearbeitet worden. Es gibt keine Schulschwänzer, keine Gewalt mehr. Dann sagt er:
Die Rütli-Schule hat ihre Sozialpädagogen nach der Katastrophe bekommen. Ich wünsche meinen Schülerinnen aber keine Hilfe nach der Katastrophe. Sie haben einen Anspruch auf Schutz vor der Katastrophe. Einsparungen in der Jugendhilfe kosten Geld, und sie kosten Kinderseelen.
Sie haben in diesem Bereich gespart. Hören Sie sich an, was die Sozialarbeiter in dieser Stadt sagen, und stoßen Sie nicht so große Worte in die Gegend hinein. Sie sind Präventionsversager und Sicherheitsversager. Weder bei der Repression sind Sie stark und genügen den Anforderungen und ganz bestimmt nicht bei der Prävention.
Herr Dr. Pflüger! Gestatten Sie eine Zwischenfrage? – Nein, Sie sind fertig. Vielen Dank, Herr Dr. Pflüger! – Jetzt hat für die SPD-Fraktion der Herr Abgeordnete Kleineidam das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Pflüger! Das war ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Sie offensichtlich noch nicht verstanden haben, was mit Jugendlichen in dieser Stadt tatsächlich los ist.
Uns wurden im Jahr 2006 erstmalig vom Statistischen Bundesamt Zahlen geliefert, wie viele Menschen in unserem Land mit Migrationshintergrund leben. In Berlin sind es bei den unter 18-Jährigen weit über 40 Prozent mit Migrationshintergrund. Das sind Jugendliche, die in Berlin geboren sind. Sie sprechen hier immer noch eine Sprache der 60er Jahre: „Wer zu uns kommt, hat sich wohlzuverhalten.
Wenn er sich nicht an unsere Gesetze hält, soll er dorthin gehen, wo er herkommt.“ Soll er in die Berliner Krankenhäuser zurückgehen? Das ist völlig neben den Realitäten,
was Sie hier zum Besten gegeben haben. Aber das scheint der Stil zu sein, wie man sich diesen Fragen in der CDU nähert.
[Dr. Friedbert Pflüger (CDU): Sie sollten zuhören, was ich sage! Uwe Goetze (CDU): In welcher Sitzung waren Sie eben?]
Sie haben eben deutlich gesagt: Wer zu uns kommt, hat sich an unsere Gesetze zu halten. – Wir können es im Protokoll ja noch einmal nachlesen.
Skandalös ist es, wenn so schlimme Fälle wie in der Münchner U-Bahn für Wahlkampfzwecke missbraucht werden.
Das mögen zwar starke Sprüche und harte Forderungen sein, echte Lösungen sind das nicht. Die Berliner CDU kommt wieder mit den Oldtimern der Hardliner: Wir fordern die Erhöhung der Höchststrafe für Jugendliche von 10 auf 15 Jahre. – Haben Sie sich schon einmal angeschaut, wie viele Straftäter im Erwachsenenstrafrecht eine höhere Strafe als 10 Jahre bekommen? – Sie werden ganz schnell merken, dass das mit den Realitäten im Strafvollzug nichts zu tun hat. Das ist nicht sachgemäß, das ist eine hohle Phrase.
Noch deutlicher wird es mit der Forderung der Berliner CDU nach der Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre.
Hierzu haben wir immer noch einen Antrag im Geschäftsgang. Herr Pofalla sagt dann vor ca. zwei Wochen, dass niemand in der CDU die Absicht habe, Kinder ins Gefängnis zu stecken.
[Dr. Friedbert Pflüger (CDU): Wir auch nicht! – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Sagen Sie das mal Herrn Henkel!]
Daraufhin kriegt Herr Henkel es fertig, letzte Woche im Rechtsausschuss zu erklären, ja, wir wollen die Herabsetzung auf 12 Jahre, aber es ist eine Unverschämtheit, uns zu unterstellen, wir wollten 13-Jährige ins Gefängnis stecken.
Offensichtlich ist aber der Zwang, schnell etwas bieten zu müssen, auch bei anderen Parteien vorhanden. Ich habe am 13. Januar 2008 in der „Morgenpost“ mit Interesse das Interview mit dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen gelesen, der auf die Frage nach Gesetzesverschärfung sagt, er habe kürzlich ein Gespräch mit dem Familiengericht geführt, und dort wundere man sich, dass so wenig Anträge auf Sorgerechtentzug gestellt werden. Er fordert des
halb die Einrichtung einer Task-Force bei der Polizei, die im Umgang mit dem Familiengericht geschult ist. Ich dachte bislang, dass wir dafür die Jugendämter und deren qualifizierte Mitarbeiter haben. Ich bin mir mit dem Kollegen Ratzmann sicher einig, dass wir einen Innensenator haben, der auch ein hervorragender Jugendsenator wäre.
Aber auch bei Dr. Körting hat der Tag nur 24 Stunden, und ich glaube, er sollte sich weiter um die Polizei kümmern; auch die Jugendpolitik ist in diesem Senat sehr gut vertreten.
Wir sollten uns vielmehr die Frage stellen, was für eine Geisteshaltung Jugendliche haben, die nach den Berichten der Polizei spontan, ohne Planung, aus nichtigen Anlässen, aber mit zunehmender Brutalität Gewalttaten begehen. Was passiert in diesen Köpfen? Sind das soziale Probleme, ungenügendes Rechtsbewusstsein, mangelnde Perspektive? – Ganz entscheidend ist, sich klar zu machen, dass Jugendliche sich in einer Phase der Identitätsfindung befinden. Sie müssen ihre eigenen Werte festlegen, sie müssen ihren Platz in dieser Gesellschaft suchen und finden können. Und nun kommt das Verheerende an den Äußerungen des Kollegen Pflüger und vieler anderer: Bei 40 Prozent Jugendlichen mit Migrationshintergrund kommen Politiker und sagen: Wenn du dich nicht konform verhältst, dann wirst du rausgeschmissen.
Jugendliche, die in Berlin geboren sind, die die Heimatländer ihrer Eltern kaum kennen, dort jedenfalls überhaupt nicht zu Hause sind – wer diesen Berlinerinnen und Berlinern ihre Heimat streitig macht, trägt nicht dazu bei, dass sie hier ihre eigene Identität finden können.
Wir wissen alle, dass Jugendliche in dieser Lebensphase oft für Jugendkulturen und Modeentwicklungen empfänglicher sind als für die klugen Ratschläge ihrer Eltern oder ihrer Erzieher. Wir müssen leider feststellen, dass wir es in bestimmten Bereichen mit einer Jugendkultur zu tun haben, die ganz bewusst Hass und Gewalt befördert. In den letzten Tage konnten wir in der Zeitung lesen, zu welchen Auswüchsen dies in dem Bereich des sogenannten Gangster-Rap führt. Der Fall in Neukölln ging durch die Presse, ich denke, Sie kennen ihn alle. Dem „Tagesspiegel“ ist zu danken, der in seiner letzten Sonntagsausgabe zusammengestellt hat, was diese Idole von vielen Jugendlichen übereinander berichten. Ich empfehle Ihnen diese Lektüre, um einen Eindruck davon zu bekommen, welche Vorbilder diesen Jugendlichen, die auf der Suche nach Identität sind, gegeben werden. Es ist eine Ansammlung von Hass und Gewaltaufforderungen. Ich teile nicht die Ansicht des Kollegen Henkel, der Verbote von Liedern fordert. Aber – und da stimme ich mit ihm völlig überein – es ist ein Skandal, wenn große Medienunternehmen in der Bundesrepublik mit solchen – ich tue mich schwer, das Wort Kultur zu gebrauchen – Liedern Geld
Prävention und konsequent gegen Jugendkriminalität und Jugendgewalt – das ist die Antwort der rot-roten Koalition, die einzig sinnvolle Antwort, um richtige Lösungen zu finden. Starke Sprüche mögen das eigenen Gewissen beruhigen, sie sind eher ein Zeichen von Hilflosigkeit, übrigens ähnlich der Hilflosigkeit, die Jugendliche empfinden, die sich dann nur noch mit Gewalt zu wehren wissen.
Wer wirklich Ursachen bekämpfen will, muss auf Gewalttätigkeit konsequent reagieren. Das hat der rot-rote Senat in der letzten Wahlperiode an zahlreichen Punkten unter Beweis gestellt. Wir haben die Intensivstraftäterabteilung eingeführt und um das Schwellentäterkonzept ergänzt. Wir haben Diversionsmaßnahmen ausgebaut, wir erproben neue örtliche Zuständigkeiten der Staatsanwaltschaft.
Wir haben in Berlin seit vielen Jahren – übrigens noch aus Zeiten der großen Koalition – eine Landeskommission gegen Gewalt, die umfangreiche Maßnahmen der Prävention und der Intervention zielgenau erarbeitet, die Tätigkeit unterschiedlicher Verwaltungen koordiniert und Analysen der Ursachen erarbeitet. Nur mit dieser kleinteiligen Arbeit am Detail werden wir die Probleme tatsächlich lösen – starke Sprüche helfen hier überhaupt nichts.
Wir setzen auf Prävention, nicht am grünen Tisch, sondern vor Ort in den Kiezen, mit dem Quartiersmanagement – jahrelang in diesem Hause von der CDU verteufelt. Dort sprechen wir mit den Betroffenen, wir aktivieren sie, wir geben ihnen die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen, und wir nehmen sie in die Verantwortung für ihren Kiez. Die Berliner Polizei betreibt eine hervorragende Präventionsarbeit – ebenfalls nicht am grünen Tisch, sondern in den Abschnitten auf der Straße und gemeinsam mit anderen Institutionen in den Stadtteilen. Dies geschieht nicht nach starren Vorgaben, sondern mit einem sensiblen Blick auf die Möglichkeiten und Fähigkeiten der jeweils im Kiez lebenden Menschen. Mich hat es sehr beeindruckt, zu erleben, wie Jugendliche mit Migrationshintergrund, die sich oft aus ihrer Perspektive von der Polizei als Ausländer diskriminiert fühlen, plötzlich gemeinsam mit der Polizei überlegen, wie man in ihrem Stadtteil besser miteinander umgehen kann, wie man der Gewalt begegnen kann. Dieser Sinneswandel ist bei vielen Jugendlichen allein dadurch entstanden, dass sie Polizisten erlebt haben, die auf sie offen zugegangen sind, die sie respektiert haben. Das Spandauer Projekt „Stark ohne Gewalt“ ist nur ein Beispiel für viele solcher Aktivitäten in Berlin, an denen die Berliner Polizei mit großem Erfolg mitarbeitet.
Wir haben auch im neuen Schulgesetz darauf gesetzt, Menschen ernst zu nehmen. Das kommt in der verstärkten Autonomie der Schule zum Ausdruck. Instrumente wie
Schulprogramme fördern die Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten über Fragen des Umgangs miteinander. Die Hoover-Schule war ein positives Beispiel dafür, wie nach einem Diskussionsprozess gemeinsame verpflichtende Vereinbarungen getroffen wurden.