Protocol of the Session on November 22, 2007

Es ist ohne Frage so, dass im Laufe der Legislaturperiode auch die Dinge umgesetzt werden müssen, die man nicht als einen Gewinn ansieht. Allerdings ist die Änderung der Zweckbestimmung einer schon bestehenden Maßnahme nicht vergleichbar mit den Einführungen neuer weitreichender Maßnahmen, wie sie die Grünen bei den sogenannten Otto-Paketen im Bund mitgetragen haben.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ihre Partei hat die umfangreichsten „Sicherheitsgesetze“ auf einen Streich verabschiedet, die es in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik je gegeben hat. Dazu gehören die Ausweitung der Befugnisse für BKA und Geheimdienste, die De-facto-Aufhebung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten, der neue § 129b StGB, Biometrie in Reisepässen und so weiter. Ich bin nicht bereit, unser Berliner Polizeigesetz, das nach wie vor keine Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze zulässt, aus dem wir die Schleierfahndung gestrichen haben, in

dem die Bedingungen für die Rasterfahndung erhöht wurden und das auch ansonsten mit Augenmaß formuliert wurde, mit dem von Ihnen formulierten Luftsicherheitsgesetz zu vergleichen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es ist schön, wenn es sich einige in Ihrer Partei vom Sofa der sicheren Mehrheit aus leisten konnten, nicht zuzustimmen. Sie wissen, dass wir in einer etwas anderen Situation sind.

[Beifall bei der Linksfraktion – Zurufe von der CDU und der FDP]

Ein Gesetz, das unschuldige Menschen zum Abschuss freigibt, mit der Videoüberwachung im öffentlichen Nahverkehrs gleichzustellen, das finde ich unverhältnismäßig.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Auch die Einordnung unserer Gesetzesnovelle in die von der jetzigen Bundesregierung eingeleiteten Maßnahmen wie Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner und Bundeswehr im Inneren halte ich für töricht, weil es alles in einen Topf wirft und zur Verharmlosung gerade dieser schweren Grundrechtseingriffe beiträgt.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Selbstverständlich kann man sagen, dass auch die präventive Videoüberwachung Teil einer neuen Sicherheitsarchitektur ist, aber – guten Morgen, Herr Ratzmann! – die haben wir nicht heute erfunden.

[Volker Ratzmann (Grüne): Aber Sie machen Sie jetzt in Berlin!]

Diese unschöne Entwicklung müssen wir seit langem beklagen und besonders massiv seit der rot-grünen Bundesregierung und einem ehemaligen RAF-Anwalt als Innenminister.

[Beifall bei der Linksfraktion – Volker Ratzmann (Grüne): Aber Sie können sich doch weigern!]

Was ändern wir noch weiterhin mit dem Gesetz? – Wir wollen die Identifizierung von Toten mittels DNAAnalyse an höhere Voraussetzungen knüpfen. Es gibt einen Richtervorbehalt, und die sofortige Löschung nach Erreichen des Zwecks wird festgeschrieben. Wofür das ein Einfallstor sein soll, muss mir einer erklären. Ist das Wort „DNA-Analyse“ allein schon so gefährlich?

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Dann verstehe ich allerdings nicht, warum die Grünen am Montag im Innenausschuss gefordert haben, dass wir jetzt ganz eilig diesen Stau bei der DNA-Analyse abbauen müssen und sehr viel mehr in entsprechende Dateien schicken sollen.

Dann haben wir noch die Handyortung von vermissten und suizidgefährdeten Personen.

Frau Seelig! Darf ich Sie darauf hinweisen, dass Ihre Redezeit bereits zu Ende ist.

[Zuruf von der CDU: Schluss mit dem Eiertanz!]

Dann komme ich zum Schluss: Ich konnte mir nicht ernsthaft vorstellen, dass es nicht möglich sein sollte, einen verschwundenen Menschen mittels seines Handys zu orten, wenn er denn in Gefahr ist. „Übergesetzlicher Notstand“ war das Zauberwort, nach dem insbesondere die Feuerwehr bisher agiert hatte. Ist denn eine gesetzliche Regelung dafür, die auch immer eine Beschränkung darstellt, des Teufels?

[Mario Czaja (CDU): Das war’s! Es ist vorbei, Frau Präsidentin! Zur Verfassungswidrigkeit möchte ich nur ein abschlie- ßendes Wort sagen: Wenn es denn so wäre – die einen Juristen sagen dies, die anderen das –, dann sage ich Ih- nen, dass ich nicht traurig bin, wenn es dann keine Videoüberwachung im öffentlichen Nahverkehr gibt. [Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Jotzo das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Seelig! Ihre Rede hat mich doch etwas betroffen gemacht, wenn ich mir vorstelle, was Sie eben ausführen mussten, um Ihre Argumentation noch halbwegs auf eine Linie zu bringen, damit Sie diesem Gesetz – jedenfalls mehrheitlich – heute Ihre Zustimmung erteilen können. Wenn Sie die erheblichen und falschen Grundrechtseingriffe, die zurzeit auf Bundesebene passieren, jetzt anführen, um Ihre Grundrechtseingriffe auf Landesebene zu rechtfertigen, dann ist das ein trauriger Tag für die Politik der Linkspartei und für die Politik der Linksfraktion in unserer Stadt.

[Beifall bei der FDP und den Grünen – Zurufe von der Linksfraktion]

Ich komme noch zu Ihnen, Herr Lederer!

Die Frage, die wir heute beantworten müssen, ist nur eine.

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Jamaika!]

Wir müssen die Frage beantworten, wohin wir mit unserem Land wollen und wie die Zukunft in unserem Land und in unserer Stadt aussehen soll.

Ihre Antwort darauf hat Herr Kleineidam gegeben: Die Zukunft unserer Stadt liegt im Sicherheitsbereich offensichtlich in der polizeilichen Totalüberwachung des öffentlichen Personennahverkehrs. Denn nichts anderes werden Sie heute hier beschließen. Und da sagen wir Ihnen ganz klar: Ein derart anlass- und verdachtsunabhängiger Eingriff in die Grundrechte unserer Bürgerinnen und Bürger im Rahmen einer polizeilichen Totalüberwachung aller Personenbewegungen im ÖPNV, 300 Millionen Personenbewegungen im Jahr – da machen wir nicht mit!

[Beifall bei der FDP und den Grünen]

Im Übrigen, das ist schon zum Ausdruck gekommen, ist der Gesetzesänderungsentwurf weder erforderlich noch erfolgversprechend. Es geht Ihnen auch gar nicht wirklich um Prävention, wofür das ASOG eigentlich gemacht ist. Das ist auch dadurch deutlich geworden, dass Sie dem Änderungsantrag, den die FDP-Fraktion Ihnen im Innenausschuss zur Verfügung gestellt hatte, nicht gefolgt sind. Wir hatten Ihnen angeboten, wir kommen Ihnen entgegen, wir bieten Ihnen eine Formulierung, wonach Sie eine echte präventive Wirkung ganz gezielt mit Videoüberwachung an ganz besonderen Orten im ÖPNV durchführen können, wenn Sie gewährleisten können, dass die Polizei dann schnelle Hilfe leistet. Nicht einmal dazu waren Sie bereit. Deswegen ist es ganz klar, dass es Ihnen nicht um Prävention geht. Es geht Ihnen darum – ich adressiere das ganz klar an die SPD –, ein Sicherheitsplacebo zu bieten. Was Sie wollen, das ist eine Pseudosicherheit auf Kosten der Freiheit und der Lebensqualität unser Bürgerinnen und Bürger. Das ist mit der FDP nicht zu machen!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Deshalb komme ich noch einmal zurück auf die Eingangsfrage, wie unser Land in Zukunft aussehen soll. Es liegt heute in Ihrer Hand, ob wir auf eine Straße wollen, die uns die Bundespolitik momentan tatsächlich vorgibt, die uns die Bundespolitik vorgeben will, in Richtung einer Neuauflage von „1984“ oder in Richtung eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats, der die Bürgerrechte ernst nimmt und mit verhältnismäßigen Maßnahmen dort eingreift, wo es notwendig ist. Es geht um diese Entscheidung insbesondere von der Linkspartei. Von der SPD erwarte ich da nichts, aber von Ihnen erwarte ich da etwas Konsequenz. Ich erwarte, dass Sie den hohen Ansprüchen, die Sie an Ihre eigene Politik früher einmal gestellt haben, heute nur annähernd gerecht werden in diesem Hause.

[Beifall bei der FDP – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Ich sage nur: Großer Lauschangriff und FDP!]

Ich will Ihnen noch eines sagen, Herr Dr. Lederer. Ich habe größten Respekt vor den Mitgliedern in Ihrer Fraktion, die heute bereit sind, in diesem Hause konsequent zu ihrer Überzeugung und zu den Überzeugungen ihrer Partei zu stehen. Ich weiß, wie schwierig das ist, und ich kann mir vorstellen, dass es für jeden einzelnen von Ihnen eine wichtige und folgenschwere Entscheidung ist. Aber ich

will noch auf eines hinweisen, meine Damen und Herren und insbesondere Frau Weiß und Frau Baba: Das Gewissen kennt keine Enthaltung, es kennt nur ein Ja oder Nein.

[Beifall bei der FDP]

Und wenn Sie heute tatsächlich entscheiden, dass Sie Ihre Grundsätze über Bord werfen wollen wegen einer Änderung, die Frau Seelig selbst eben als relativ geringfügig eingeordnet hat, dann weiß man, wo man die Linkspartei in Berlin in Zukunft einordnen muss, dann weiß man, wo man die Linksfraktion einordnen muss. Ich wünsche Ihnen, dass Ihnen das nicht passiert. Auch dass Sie einen Teil des FDP-Änderungsantrags in Ihrem eigenen Änderungsantrag abgeschrieben haben, wird Ihnen nicht helfen. Denn mit diesem Gesetzesentwurf, der in jeder Hinsicht über das hinausgeht, was man als erforderlich einstufen könnte, werden Sie nicht durchkommen; jedenfalls nicht mit den Stimmen der FDP-Fraktion. Wir lehnen Ihren Entwurf ab.

[Beifall bei der FDP – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Salbungsvolle Worte!]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Jotzo. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Zuerst lasse ich über den Änderungsantrag der Koalition abstimmen. Wer dem Änderungsantrag von SPD und Linksfraktion Drucksache 16/0782-1 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Koalition. Die Gegenprobe! – Das sind CDU, Grüne und FDP. Enthaltungen sehe ich nicht. Ersteres war die Mehrheit. Damit ist dieser Antrag angenommen.

Die Ausschüsse empfehlen mehrheitlich gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen die Annahme der Senatsvorlage 16/0782 unter Berücksichtigung der Änderungen auf Drucksache 16/0979. Dazu ist von den Fraktionen der CDU, der Grünen und der FDP namentliche Abstimmung gefordert worden. Ich bitte den Saaldienst, die vorgesehenen Tische aufzustellen. Ich bitte die Beisitzerinnen und Beisitzer nach vorn. Eine namentliche Abstimmung ist mit Namensaufruf durchzuführen. Frau Grosse übernimmt diese Aufgabe, die Namen aufzurufen. – Herzlichen Dank!

Meine Damen und Herren, die Stimmkarten werden Ihnen durch die Präsidiumsmitglieder ausgehändigt. Ich weise darauf hin, dass die tatsächliche Stimmabgabe erst nach Namensaufruf möglich ist. Nur so ist ein reibungsloser und geordneter Wahlgang möglich. Sie finden fünf Urnen vor, die eindeutig gekennzeichnet sind: eine Urne für die Ja-Stimmen, eine für die Nein-Stimmen, eine für die Enthaltungen und zwei Urnen für die beiden nicht benötigten restlichen Karten und für die nicht mehr benötigten Umschläge, mit denen die drei Stimmkarten ausgegeben wurden.

[Aufruf der Namen und Abgabe der Stimmzettel]

Jetzt hatten alle Kolleginnen und Kollegen Gelegenheit, ihre Stimmkarten abzugeben. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so. Wir schließen den Wahlvorgang. Ich bitte die Damen und Herren, wieder Platz zu nehmen. Das Präsidium zieht sich zur Auszählung zurück. Wir fahren fort mit der Tagesordnung.

Ich rufe auf:

Lfd. Nr. 4 b:

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