Protocol of the Session on November 22, 2007

Dann diese Geschichte mit den Folgekosten und den Altlasten, die da liegen: Der Kollege Graf bei uns im Haushaltsausschuss hat mit Experten ausgerechnet – übrigens auch mit Experten aus Ihrer Verwaltung – : Die Folgekosten bei der Schließung Tempelhofs liegen bei 43 Millionen € für Reinigung, für Instandhaltung, für Bewachung. 43 Millionen € im Jahr! Das geben Sie dem Steuerzahler eben mal so auf: 43 Millionen!

[Zuruf von der Linksfraktion: Zahlen das die privaten Flieger?]

Das kann ja der Bund machen, ist aber dann auch der Steuerzahler. Wenn Sie Tempelhof schließen, hat das enorme Kosten für die Steuerzahler zur Folge. Das ist in dieser Woche öffentlich geworden, und deswegen müssen wir in diesem Haus darüber reden!

[Beifall bei der CDU]

Würden Sie zum Schluss kommen, Herr Kollege Dr. Pflüger!

Ich komme zum Schluss, will nur noch etwas sagen: Darin sind nicht eingerechnet die Kosten für die Entgiftung und Dekontaminierung, wenn man dort zum Beispiel eine begehbare Landkarte oder eine ökologische Wohnbebauung machen will. Dort in Tempelhof liegt Gift. Nur insofern ist das mit der Made schon ganz richtig. Dort liegt Gift, und jetzt hat die Verwaltung auf eine entsprechende Anfrage gesagt, sie habe in diesem Zusammenhang bisher überhaupt keine Studien angestellt. Man habe ein paar erste Bodenproben entnommen. – Tempelhof wäre der erste Flughafen der Welt, wo nicht Kerosin und andere Gifte lagern, und bevor Sie entwidmen, bevor Sie schließen, möchten die Berlinerinnen und Berliner gerne wissen, was dort alles lagert und was eventuelle Nachnutzungen unmöglich macht. Sagen Sie uns endlich die Wahrheit, und bis Sie uns diese Wahrheit bekanntgegeben haben, ziehen Sie diesen unsäglichen Entwidmungsbescheid zurück, der eine Ohrfeige für alle Berlinerinnen und Berliner ist, die sich in diesen Tagen in den Bürgerämtern anstellen, um mit ihrer Stimme dafür zu werben, dass dieser Flughafen offen bleibt!

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der Linksfraktion]

Danke, Herr Kollege Pflüger! – Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr der Kollege Birk. – Bitte schön, Herr Birk!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 1. Dezember ist es wieder so weit: Welt-Aids-Tag – Zeit der roten Schleifen, der Sammelbüchsen, Zeit der Spendengalas, Zeit der Trauer um die Verstorbenen, und viele Gelegenheiten, um für Safer Sex zu werben und Solidarität mit den an Aids Erkrankten hier und in aller Welt zu üben. Das ist richtig, und das tun wir hoffentlich alle gemeinsam.

[Beifall bei den Grünen]

Aber es ist auch die Zeit, die Politik und ganz speziell die Verantwortlichen im Berliner Senat an ihre Verantwortung zu erinnern. In Berlin haben sich, wie zeitversetzt in ganz Deutschland, die gemeldeten Neuinfektionen mit HIV seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Durchschnittlich jeden Tag infiziert sich ein Mensch in Berlin mit HIV, soweit wir das wissen. Die Dunkelziffer ist womöglich weit höher. Jede fünfte Neuinfektion in Deutschland wird in Berlin gemeldet.

Auch die Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten sind gestiegen oder bewegen sich auf hohem Niveau. Diese Tatsache werden wir Bündnisgrüne nicht müde zu betonen, aber unsere Fragen und Anträge zu diesem Thema fanden beim rot-roten Senat jenseits der feierlichen Sonntagsreden wenig Resonanz. Es hat den Anschein, Frau Lompscher, dass Sie noch mehr als Ihre Vorgängerin Knake-Werner die neuen Herausforderungen für die sexuelle Gesundheit ignorieren.

[Beifall bei den Grünen]

Während sich die Zahl der Infektionen verdoppelt, hatten Sie vor, die Zahl der bezirklichen Beratungsstellen von jetzt sechs auf drei zu halbieren, und es ist nur der Beharrlichkeit von Sibyll Klotz als Gesundheitsstadträtin von Tempelhof-Schöneberg zu verdanken, dass in Schöneberg ein vierter Zentrumsstandort für sexuelle Gesundheit erhalten bleibt.

[Beifall bei den Grünen]

Selbst wenn anderthalb Jahre nach der gesetzlichen Reform des öffentlichen Gesundheitsdienstes hoffentlich bald die Zuständigkeitsverordnung in Kraft tritt, ist sie inhaltlich nicht unterfüttert. Die freien Träger sind im integrierten Gesundheitsvertrag in ein starres Finanzierungskorsett gefesselt. Innovative Ideen werden dort abgeblockt. Deshalb sagen wir: Berlin braucht endlich ein Gesamtkonzept für sexuelle Gesundheit, und darüber wollen wir reden.

[Beifall bei den Grünen]

Dieses Konzept muss sich neben der strukturellen Aufgabenaufteilung zwischen öffentlicher Hand einerseits und

freien Trägern andererseits vor allem den neuen Herausforderungen stellen. Vordringlich ist dabei das Thema Prävention. Hier möchte ich ausdrücklich allen Beschäftigten der Aidsberatungsstellen und der freien Träger und auch den rein Ehrenamtlichen wie z. B. den Schwestern der Perpetuellen Indulgenz danken, die sich bei den Freiern auf der Straße, vor Fußballstadien oder vor den Darkrooms der Schwulenszene trotz der restriktiven Finanzlage täglich bemühen, innovative Präventionsarbeit zu leisten.

[Beifall bei den Grünen]

Aber sie werden vom Berliner Senat und von der Politik sträflich im Stich gelassen. Vor allem bei der zielgruppenorientierten Prävention hapert es bei der Unterstützung.

Ich möchte drei Beispiele nennen: Schwule Männer sind in Berlin mit fast 80 Prozent nach wie vor die Hauptbetroffenengruppe der Neuinfektionen mit HIV. Der starke Anstieg der Infektionen ist vor allem dieser Gruppe zuzuordnen. Anknüpfend an die gemeinsame Gesundheitskampagne der freien Träger im letzten Jahr, die stattfand, obwohl die Mehrheit hier im Hause die Unterstützung versagt hatte, sollte eine auf längere Zeit angelegte Kampagne für schwule Männer dazu beitragen, das Gesundheitsbewusstsein bei dieser Zielgruppe wieder zu wecken und die Testbereitschaft zu erhöhen. Hier muss sich Berlin in die ab März geplante Kampagne der Deutschen Aidshilfe einklinken.

[Beifall bei den Grünen]

Migrantinnen und Migranten unterschiedlicher Herkunftssprache fühlen sich durch die „Mach’s mit“-Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung kaum angesprochen, weil sie den deutschen Wortwitz nicht verstehen. Hier muss versucht werden, den „Nerv“ der jeweiligen Migrantengruppe – je nach Herkunftsland – zu treffen. Wir brauchen mehr Zusammenarbeit mit den Migrantenverbänden und -vereinen bezüglich sexueller Gesundheit und Aufklärung. Dazu reicht die eine Teilzeitstelle, die Berlin für dieses umfängliche Thema finanziert, sicher nicht aus.

Berlin braucht auch eine flächendeckende Aufklärung von Schülerinnen und Schülern. Wir fordern, dass zukünftig überall in der Stadt – wie in den Rahmenlehrplänen vorgesehen – in den Grund- und weiterführenden Schulen jeweils mindestens einmal eine Aufklärung über sexuell übertragbare Krankheiten stattfindet. Das kann auch über Peer-Education geschehen, wo Schüler andere Schüler aufklären.

Eine weitere Herausforderung ist die Situation der an Aids erkrankten Menschen. Durch neue Kombinationstherapien sind sie wieder in der Lage, am Erwerbsleben teilzuhaben. Dies verändert den Schwerpunkt der Beratung und Betreuung von Menschen mit HIV und Aids. Die bundesweite Entwicklungspartnerschaft Link Up hat dazu drei Jahre Erkenntnisse gesammelt. Diese Erfahrungen

müssen nun in die Alltagsarbeit aller Institutionen überführt werden, und da ist auch und gerade Berlin am Zug.

Berlin als internationale Metropole kann es sich im Interesse der hier lebenden Menschen und seiner Gäste nicht leisten, angesichts der neuen Herausforderungen bei der sexuellen Gesundheit ohne ein abgestimmtes Gesamtkonzept zu agieren. Auch wenn Sie heute gegen unseren Vorschlag für die Aktuelle Stunde stimmen sollten, würden wir es sehr begrüßen, wenn Sie diesem Anliegen beitreten würden. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege Birk! – Für die Fraktion der FDP hat nunmehr Herr Dr. Lindner das Wort. – Bitte schön!

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Ist er nicht zurückgetreten? – Mario Czaja (CDU): Jetzt muss er da vorn schon Wasser trinken! Nicht mal das geben Sie ihm!]

Jetzt gönnen Sie mir wenigstens den Schluck Wasser noch!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich vor der Begründung der Aktualität unseres Antrags auf die Kollegin Fugmann-Heesing Folgendes erwidern: Sie sagten, Frau Kollegin, die Haushaltssanierung – –

Herr Dr. Lindner! Entschuldigen Sie bitte! Aber es geht um die Begründung der Aktualität. Auch Sie müssen sich daran halten.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zurufe: Nein!]

Richtig! Daher muss ich mich mit der Begründung der Kollegin auseinandersetzen. – Sie sagten, die öffentlichen Haushalte seien saniert, das sei gelungen, da könne nicht einmal die Opposition meckern. Die privaten Haushalte sind pleite. Der Aufschwung ist dort nicht angekommen. Die öffentlichen Haushalte durch die größte Steuererhöhungsorgie seit dem Krieg zu sanieren, das kann Lehmanns Kutscher auch.

[Christian Gaebler (SPD): Was hat das mit der Aktualität zu tun?]

Aber durch Aufgaben- und Ausgabenkürzung zu sanieren, dabei haben Sie jämmerlich versagt. Insoweit meckert die

liberale Opposition weiter, darauf können Sie sich verlassen!

[Beifall bei der FDP]

Berlin steht vor großen Herausforderungen und Aufgaben. Die Sanierung und der Aufbau von Museumsinsel und Humboldt-Forum, die Wiedererrichtung des Schlosses, die Sanierung der Staatsoper und die Finanzierung hauptstadtbedingter Sicherheitsaufgaben sind ein großes Stück Arbeit und können ohne Hilfe und Goodwill des Bundes nicht gelöst werden. Wer anderes behauptet, schadet dieser Stadt, er schadet Berlin.

[Beifall bei der FDP]

Selbstverständlich betrachtet der Bund ein Gesamtpaket. Alles andere wäre verwunderlich. Er guckt auf den Flughafen Tempelhof und stellt fest: Dort gibt es seriöse Investoren – die Herren Langhammer und Lauder, die Deutsche Bahn AG –, die bereit sind, einen mehrstelligen Millionenbetrag zu investieren. Er stellt fest, dass sich das Land Berlin diesen Investitionen verweigert – im Gegensatz zum Bund, der für das Offenhalten als Geschäftsflughafen eintritt. Der Bund ist zu 80 Prozent Eigentümer dieser Fläche. Deswegen muss man schon eine sehr beschränkte Sicht der Dinge haben, um nicht die Auffassung zu vertreten: Selbstverständlich gehört das zusammen. Wenn Sie sagen, das gehöre nicht zusammen, das hätte nichts miteinander zu tun, dann lassen Sie mich versuchen, das wie folgt darzustellen, damit Sie es auch verstehen: Ein unaufgeräumtes Kinderzimmer und Kino haben auch erst einmal nichts miteinander zu tun. Wenn aber die Mutter sagt: „Erst wird das Zimmer aufgeräumt, und dann geht es ins Kino!“, dann hat es etwas miteinander zu tun. Genauso ist es hier auch.

[Zurufe von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion) und Carl Wechselberg (Linksfraktion)]

Wir sind auf die Hilfe des Bundes angewiesen. Der Bund definiert insoweit die Frage, wann das Zimmer aufgeräumt ist. Wir müssen unsere Tempelhof-Problematik lösen. Ansonsten können wir nicht seriös auf den Bund zukommen und hier Hilfe für unsere anderen Projekte einfordern.

[Beifall bei der FDP – Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Sie sagen: Bevor wir uns hier diese Verbindung herstellen lassen, sanieren wir doch die Staatsoper selbst und bringen selbst die 200 Millionen € herbei! – Das ist doch nicht nur naiv, sondern auch noch eine Milchmädchenrechnung. Allein die Finanzierungskosten von 200 Millionen € übersteigen die jährlichen Kosten der Schließung des Flughafens Tempelhof. Wenigstens rechnen können sollte man Ihnen zutrauen! Ihre Haltung ist also nicht nur schädlich, sondern auch noch dumm und lächerlich obendrein.

Wenn der Regierende Bürgermeister von Berlin in dieser Frage die Frau Merkel um die Wahrnehmung ihrer Richtlinienkompetenz bittet, wo sind wir dann gelandet? Beim stellvertretenden Bundesvorsitzenden seiner eigenen Par

tei kommt er nicht weiter, und dann geht er zu Mama Merkel und sagt: Bitte, bitte, hilf mir gegen meinen Parteifreund! Der ist so böse zu mir. – Das ist doch eine völlig lächerliche Haltung. Deswegen fordern wir – darüber haben wir heute zu reden –: Der Flughafen Tempelhof hat offen zu bleiben. Wir müssen den Investoren eine Chance geben. Damit haben wir auch das Problem gelöst, dass der Bund als Eigentümer nicht mehr auf Folgekosten der Schließung beharren kann, sondern die Mittel für die Sanierung der Oper und die anderen dringenden Aufgaben freigibt. Beenden Sie Ihre Sturheit! Sie schaden Berlin. Sie haben die Pflicht, den Nutzen dieser Stadt zu mehren und nicht, ideologisch bedingt, auf der eigenen Position zu beharren und hier Millioneninvestitionen in Tempelhof zu verbummeln und gleichzeitig Millioneninvestitionen und Hilfen des Bundes zu vermasseln. Das ist unsere Forderung, und hierüber haben wir heute zu diskutieren. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Dr. Lindner! – Ich lasse jetzt zuerst über das Thema der Koalitionsfraktionen abstimmen, weil sich in den Vorgesprächen eine Mehrheit dafür abgezeichnet hat. Wer also dem Koalitionsthema seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Die Gegenprobe! – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Ersteres war die Mehrheit. Dann ist das so beschlossen. Die anderen Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.