Protocol of the Session on October 11, 2007

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dragowski! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4 a:

Dringlicher Antrag

Unzulässige Machtdemonstration von Senator Sarrazin gegen das Parlament missbilligen

Antrag von Rainer-Michael Lehmann und anderen Drs 16/0906

Der Dringlichkeit wird angesichts der Anmeldung durch die Fraktion der CDU als Priorität offensichtlich nicht widersprochen.

Vom Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, Herrn Dr. Alexander Dix, liegt eine Mitteilung vor, dass er heute von seinem Recht Gebrauch machen wird, in der Plenarsitzung im Rahmen des Gruppenantrags Drucksache 16/0906 Stellung zu nehmen. Gemäß § 22 Abs. 4 des Berliner Datenschutzgesetzes erteile ich vor Eintritt in die Aussprache dem Berliner Datenschutzbeauftragten das Wort. – Bitte sehr, Herr Dr. Dix!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe darum gebeten, von meinem Rederecht Gebrauch zu machen, weil der Vorgang, über den Sie heute debattieren, dies erfordert. Zum einen möchte ich Sie darüber informieren, was ich in der Angelegenheit unternommen habe, zum anderen gibt es einige Gesichtspunkte, die in dieser Debatte hervorgehoben werden sollten.

Das Steuergeheimnis ist eine Vorschrift über den Datenschutz, zu deren Einhaltung ich gewählt worden bin. Ich hätte es deshalb begrüßt, wenn der Senator für Finanzen mich vor Abgabe seiner Presseerklärung um eine Bewertung gebeten hätte,

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

denn es gehört zu meinen Aufgaben, die Mitglieder des Senats in Fragen des Datenschutzes zu beraten.

Zum Inhaltlichen: Zwar sieht die Abgabenordnung vor, dass personenbezogene Daten, die dem Steuergeheimnis unterliegen, unter engen Voraussetzungen auch gegen den Willen der Betroffenen offenbart werden dürfen. Entscheidend ist jedoch der Umfang der Offenbarung. Sie darf nur so weit gehen, wie es erforderlich ist, um unwahre Tatsachenbehauptungen richtigzustellen, die in der Öffentlichkeit verbreitet wurden und geeignet sind, das Vertrauen in die Verwaltung erheblich zu erschüttern.

Gegenwärtig prüfe ich, ob diese Voraussetzung vorlagen, und habe den Senator für Finanzen, aber auch den Präsidenten des Abgeordnetenhauses um entsprechende Stellungnahmen gebeten. Ohne dem Ergebnis dieser Prüfung vorgreifen zu wollen, habe ich gegenwärtig erhebliche Zweifel, ob alle in der siebenseitigen Presseerklärung vom 1. Oktober 2007 enthaltenen Angaben erforderlich waren, um die erhobenen Vorwürfe zu widerlegen.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass diese Presseerklärung nicht nur auf Papier veröffentlicht, sondern auch in das Internet gestellt wurde.

[Dr. Frank Steffel (CDU): Unerhört!]

Damit ist diese Presseerklärung faktisch nicht mehr aus der Welt zu schaffen, denn was einmal im Internet steht, ist nicht mehr rückholbar. Zusätzlich wird zu prüfen sein, ob und in welcher Weise die Betroffenen zu der beabsichtigten Veröffentlichung angehört wurden, wie es das Gesetz vorsieht.

Eines will ich abschließend hervorheben: Das Vertrauen in die Finanzverwaltung kann nicht nur durch unwahre Tatsachenbehauptungen in der Öffentlichkeit erheblich erschüttert werden, sondern auch dadurch, dass die datenschutzrechtlichen Vorgaben des Steuergeheimnisses nicht hinreichend beachtet werden. – Ich danke Ihnen!

[Anhaltender Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Vielen Dank, Herr Dr. Dix! – Für die nun folgende Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der CDU. Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende Herr Dr. Pflüger. – Bitte!

[Martina Michels (Linksfraktion): Der Abgeordnete Pflüger!]

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst dem Datenschutzbeauftragten Respekt zollen für das, was er soeben gesagt hat. Es ist ein einmaliger Vorgang; er hat in diesem Haus noch nie gesprochen,

[Unruhe bei der SPD und der Linksfraktion – Michael Müller (SPD): Was?]

noch nie außerhalb der jährlichen Berichterstattung gesprochen. Er hat deutliche Worte gefunden, und das sind Worte, über die Sie, Herr Sarrazin, sehr genau nachdenken sollten. – Vielen Dank für diese klaren Worte!

Ich glaube, es ist in der Tat ein einmaliger Vorgang, dass auf sieben Seiten Steuergeheimnisse offenbart worden sind. Dieses Parlament darf das nicht einfach tatenlos hinnehmen.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Es geht hier eben nicht um eine parteipolitische Frage. Es geht nicht um Regierung hier und Opposition da, sondern es geht um ein Grundverständnis von parlamentarischer Arbeit, von parlamentarischen Rechten. Es geht ganz eindeutig um eine Grundfrage der Demokratie, wenn zum Schluss frei gewählte Abgeordnete sich nicht mehr trauen, kritische Fragen zu stellen, zu untersuchen, nachzufragen, weil sie angst haben müssen, dass am Ende ihr Steuergeheimnis preisgegeben wird. In diesem Fall steht es schlecht um ein Parlament, und es steht schlecht um die Demokratie – eine sehr ernste politische Frage, vor der wir heute stehen.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Und es ist in dieser Frage – das ist der Punkt, über den wir reden müssen – eben nicht mehr entscheidend und relevant, was vorher gewesen ist.

[Zuruf von der Linksfraktion: Das ist immer relevant!]

Das mögen Sie immer behaupten. Aber selbst wenn klar sein sollte, dass die drei Abgeordneten mit ihrer Sorge, sie würden unrechtmäßigerweise mit Sonderprüfungen bedacht und eingeschüchtert werden, unrecht haben, ist es nicht legitim, diese Abgeordneten in dieser Weise in der Öffentlichkeit und im Internet bloßzustellen. Das ist der Vorgang, um den es heute geht.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Herr Momper selbst, als Parlamentspräsident, hat an den Regierenden Bürgermeister geschrieben und gesagt, dass der Senat an der Aufklärung des entstandenen Verdachts ein großes Interesse haben sollte. Würde sich der Verdacht bestätigen, dass Abgeordnete gezielt getroffen werden sollten, dann wären disziplinarrechtliche Ermittlungen zu veranlassen. Das heißt, wir alle, auch im Ältestenrat, haben doch diese Sorgen der Abgeordneten ernst genommen.

Vielleicht sagen Sie, sie seien inzwischen widerlegt. Das ist die Behauptung von Herrn Sarrazin. Das mag so sein.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Das wissen Sie doch auch!]

Wir hätten das wunderbar im Ältestenrat, in dem Gremium, in dem wir alle vertreten sind, klären können. Dann hätten wir gemeinsam die Öffentlichkeit informiert. Dann wäre jeder Schaden von Ihrer Behörde abgewendet worden. – Es gab keine Notwendigkeit, in dieser Weise Leute zu desavouieren, die nichts anderes getan haben als ihre parlamentarischen Pflichten, Herr Sarrazin!

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Deswegen haben sich Abgeordnete, auch Abgeordnete der Regierungskoalition, entschieden, Sie ganz deutlich öffentlich zu kritisieren und sogar eine Strafanzeige gegen Sie zu stellen.

[Martina Michels (Linksfraktion): Wer denn?]

Wir bitten heute das Parlament, Ihr Verhalten zu missbilligen. – Wenn Abgeordnete der Regierungsfraktionen schon eine Strafanzeige stellen, dann wird es wohl die Aufgabe und Pflicht dieses Parlamentes sein, wenigstens Ihr Verhalten zu missbilligen, Herr Senator! – Das sind wir unserer Selbstachtung schuldig. Hier sollte jeder Parlaments- vor Parteiraison stellen!

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Sie berufen sich darauf und sagen, das Bundesfinanzministerium habe zugestimmt. Wir wissen aber, dass Sie in Ihrem Brief an das Bundesfinanzministerium nichts von der gemeinsamen Verabredung im Ältestenrat mit dem Parlamentspräsidenten erwähnt haben. Das heißt, die Bundesregierung und der Referatsleiter, der entschieden

hat, haben nicht gewusst, dass es ein alternatives Verfahren gab, das Ihnen Genugtuung verschafft hätte, und haben deshalb Ihrem Verfahren zugestimmt.

Eine Nebenbemerkung: Es ist ein abenteuerlicher Vorgang, dass in der Bundesregierung ein Referatsleiter darüber entscheidet, ob Steuergeheimnisse von Bürgern preisgegeben werden. Auch das müssen wir deutlich machen.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Herr Abgeordneter! Ihre Redezeit ist beendet!

Ich komme zum Schluss. – Wenn Sie – ich meine insbesondere die Regierung – es mit dem Datenschutz und Bürgerrechten ernst meinen – gerade in Zeiten, in denen über Online-Untersuchungen von Terrorverdächtigen diskutiert wird –, müssen Sie, wenn Steuergeheimnisse von Abgeordneten breitgetreten werden, Flagge zeigen und sich bekennen. Sie dürfen sich nicht hinter der Parteiraison verstecken. Diese Erwartung haben wir an das Parlament.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]