Wie können Sie, Frau von der Aue, sich in der letzten Woche im Rechtsausschuss zu der Aussage versteifen, sofern Sie nicht unter Realitätsverlust leiden, dass es in Berlin einen guten Strafvollzug gebe? Angesichts des jüngsten Justizskandals, der in weiten oder jedenfalls nennenswerten Teilen verfassungswidrigen Überbelegungen und der Gewalt in unseren Haftanstalten weiß man nicht mehr, ob man lachen oder weinen soll, wenn man das von Ihnen hört.
Frau von der Aue! Sie hatten mehr als zehn Monate Zeit, Lösungen anzubieten, stattdessen sind Sie eine Getriebene. Ich komme deshalb zu dem Ergebnis: Mit Deckeln und Kleinhalten von Problemen kommt die Berliner Justiz nicht weiter. Sie aber haben gezeigt, dass Sie nicht über die nötige Offenheit verfügen oder nicht in der Lage sind, diese zu lösen. Machen Sie deshalb Platz, damit jemand Verantwortung übernehmen kann, der es kann!
Herr Wowereit, Herr Regierender Bürgermeister! Jetzt sind Sie im Boot. Sie haben die Justizskandale der letzten Jahre gut überstanden. – Oh, ich stelle fest, er ist gar nicht da, man wird es ihm vielleicht ausrichten. –
Verzeihung! – Sie haben einen Justizskandal nach dem anderen in den letzten Jahren gut überstanden. Dafür haben andere ihren Kopf hinhalten müssen, oder Sie haben den Kopf der anderen hingehalten. Man denke nur an Frau Schubert oder zuletzt an Herrn Flügge. Nun ist die Lage aber anders. Wir haben seit der letzten Wahl eine Verfassungsänderung, die eine Richtlinienkompetenz des Regierenden Bürgermeisters vorsieht. Sie haben sich aber geweigert, von dieser Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen und Frau von der Aue zu entlassen.
Sie können es nicht hinnehmen, dass Ihre Senatorin Sie mit falschen Informationen zum Treueschwur in die Öffentlichkeit schickt, steht in einem Kommentar der „Berliner Morgenpost“. Ihnen muss klar sein, dass Sie für die Zukunft damit in besonderer Verantwortung auch für die Unzulänglichkeiten von Frau von der Aue stehen. Ich habe die Hoffnung, dass es vielleicht auch etwas Gutes hat und Sie, Herr Regierender Bürgermeister, die Justiz nicht weiter so stiefmütterlich behandeln werden, sondern endlich für die erforderlichen strukturellen Veränderungen sorgen.
Bis es so weit ist, bleibt für uns die traurige Erkenntnis, dass Rot-Rot die innere Sicherheit in unserer Stadt nicht im Griff hat, weder hinter und schon gar nicht vor den Mauern unserer Justizvollzugsanstalten. – Herzlichen Dank!
Danke schön, Herr Kollege Rissmann! – Für die Fraktion der SPD hat nunmehr der Kollege Felgentreu das Wort. – Bitte schön, Herr Felgentreu!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rissmann! Ihr Beitrag hat mich erneut nicht davon überzeugt, dass die größte Oppositionspartei endlich zu einer sachlichen Debatte über die Situation an der Jugendstrafanstalt kommen will.
Ich kann kaum noch glauben, dass es Ihnen darum geht, den Berliner Strafvollzug besser zu machen. Offensichtlich sind Ihnen der skandalträchtige Auftritt, die Problematisierung viel wichtiger als Aufklärung und Information.
Anders kann ich mir nicht erklären, dass Ihr Fraktionsvorsitzender zusammen mit den Kollegen Ratzmann und Lindner den Rechtsausschuss als Bühne für die Fraktionsvorsitzenden missbraucht.
Herr Pflüger! Wenn Sie die Rechtspolitik so spannend finden, dann hätten Sie auch noch zur Haushaltsberatung bleiben können.
[Beifall und Heiterkeit bei der SPD und der Linksfraktion – Dr. Martin Lindner (FDP): Jetzt kommt man einmal in den Ausschuss, dann ist es auch wieder nicht recht!]
Nein, nein, Herr Rissmann, Sie ziehen sich in Ihren öffentlichen Äußerungen an angeblichen Widersprüchen hoch, anstatt die Sachlage in der Jugendstrafanstalt zu analysieren und über Lösungen nachzudenken. Sie wollen den Senat treiben, sonst nichts.
Wenn Ihnen das reicht, wünsche ich Ihnen viel Spaß bei der Arbeit. Der Gesang der drei Tenöre Pflüger, Lindner, Ratzmann beeindruckt uns jedenfalls nicht.
[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Dr. Martin Lindner (FDP): Sie waren auch nicht der Adressat!]
Ich war nicht der Adressat, Herr Lindner, aber wenn Sie sich heute die in der „Morgenpost“ veröffentlichte Umfrage ansehen, werden Sie feststellen, dass sich die Berlinerinnen und Berliner von Ihnen auch nicht beeindrucken lassen.
Die Mehrheit der Berliner steht weiterhin hinter dieser Justizsenatorin. Und bei grünen Wählern liegt die Zustimmung sogar bei 70 Prozent.
[Beifall bei der SPD – Volker Ratzmann (Grüne): Höher als bei euch! Da sind es nur 40 Prozent! – Mario Czaja (CDU): Und höher als in der Spandauer SPD!]
Die Zustimmung zu Ihrer Politik wächst nicht. Sie wächst deshalb nicht, weil Sie Ihre Aufgabe immer noch nicht angenommen haben, die die Wählerinnen und Wähler Ihnen zugewiesen haben. Konstruktive, kritische Opposition sieht anders aus als das Getöse.
Aber, meine Damen und Herren, Sie und die Berliner Öffentlichkeit haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, wie die SPD-Fraktion die Situation in Plötzensee und die Rolle der Justizverwaltung beurteilt, deshalb zur Sache.
Die Jugendstrafanstalt ist 1987 in Betrieb genommen worden. Seit dieser Zeit gibt es dort Probleme mit dem Überwerfen von Gegenständen über die Gefängnismauern. Diese Probleme haben alle Haftanstalten, einige in größerem, andere in geringerem Ausmaß.
Kollege Ratzmann! Sie erinnern sich an die Erfahrungen, die wir an der Justizvollzugsanstalt Plötzensee – nicht zu verwechseln mit der Jugendstrafanstalt, für diejenigen, die sich nicht auskennen – gemacht haben, als die Justiz dort in einem Modellversuch die Spritzenvergabe ermöglicht hat. Wir wollten sehen, ob es gegen Aids oder Hepatitis hilft, wenn suchtkranke Häftlinge an saubere Spritzen herankommen. Die Grünen hatten die Spritzenvergabe im Jahr 1996 in einem Antrag an dieses Parlament zum Thema gemacht. In der Begründung stellte Wolfgang Wieland schon damals ganz richtig fest:
Drogenhandel und Drogenkonsum können im Gefängnis nicht abgestellt werden. Dies ist seit Jahren bekannt.
Der Antrag wurde von allen Fraktionen – auch von der CDU – unterstützt. Von der FDP nicht, weil sie damals nicht im Abgeordnetenhaus war. Trotzdem musste der Modellversuch abgebrochen werden, und zwar unter an
derem deshalb, weil in Plötzensee auf einmal deutlich mehr Drogenpäckchen über die Mauer flogen als vorher. Es soll also niemand so tun, als ob wir es mit einem völlig neuen Problem zu tun hätten.
Nur 15 Meter trennen eine Laubenkolonie von den ersten Hafträumen. An dieser Stelle kommt es öfter zu Überwürfen als irgendwo sonst im Berliner Vollzug.
Die erste Frage, die wir beantworten müssen, ist also: Hat die Jugendstrafanstalt sich angemessen auf die Gefahrenlage eingestellt? – Da hat bisher niemand behauptet – Herr Ratzmann, auch Sie nicht! –, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Plötzensee in den vergangenen Jahren ihr Haus nicht im Griff gehabt hätten. Im Gefahrenbereich hat die Jugendstrafanstalt die Fenster so vergittert, dass keine Päckchen mehr hindurchpassen. Sie hat einen Hofposten eingesetzt, der dort rund um die Uhr Dienst tut; sie hat die Mauer und den Zugangsweg zusätzlich durch eine Videoanlage gesichert, die zuletzt im September 2006 aufwendig modernisiert worden ist. Regelmäßig werden die Hafträume kontrolliert, regelmäßig wird kontrolliert, ob im Urin der Häftlinge Spuren von Drogenmissbrauch nachweisbar sind. Wenn an der Mauer oder in den Zellen Drogen gefunden werden, protokolliert die Anstalt die Fundumstände und Fundmengen, übergibt die Drogen der Polizei und erstattet Anzeige. Auch wenn Überwürfe beobachtet werden, wird der Polizeiabschnitt umgehend alarmiert.
Noch bis zum letzten Jahr hat dieses Sicherheitskonzept auch getragen. Auch in diesem Jahr, 2007, ist es der Polizei gelungen, in 18 Fällen Mauerwerfer aufzugreifen und die Personalien festzustellen, nachdem sie von der Jugendstrafanstalt gerufen worden war. Trotzdem hat sich das Problem in den letzten Monaten in unvorhergesehener Weise verschärft. Das ist mit den Zahlen, die wir haben, solide zu belegen. Die Zahl 400 zeigt, was passiert. 400 Handys sind in diesem Jahr bereits eingesammelt worden, 400 Gramm Cannabis wurden beschlagnahmt und der Polizei übergeben. Im Jahr 2006 waren es noch 100 Handys und 230 Gramm Haschisch. Die Urinkontrollen beweisen zwar, dass die Häftlinge trotzdem nicht mehr Rauschgift konsumieren als im Vorjahr – offenkundig gelingt es wie bisher, das meiste zu finden –, aber die Situation ist, so wie sie ist, dennoch unerträglich. Die Unverschämtheit, mit der die Kuriere zuletzt agieren konnten, ist eine inakzeptable Belastung für die Kleingärtner nebenan. Außerdem – und das ist in diesem Zusammenhang auch wichtig – untergräbt sie den Sinn und den Zweck des Vollzugs, weil sich auf diese Weise die Gefangenen nicht richtig aus ihrer Szene lösen, der Kontakt ist ständig da.
Die Senatsverwaltung für Justiz hat diese Gefahr im März 2007 analysiert. Es gibt zwei nachvollziehbare Gründe für die Zuspitzung der Lage. Neu ist erstens die Überbelegung mit Intensivtätern. Das sind Täter, von denen wir im Übrigen alle wollen, dass sie lieber drinnen im Gefängnis sind als draußen auf der Straße. Neu ist zweitens, dass die Häftlinge es geschafft haben, Löcher in die Vergitterung zu schlagen, ohne die die Belieferung mit Handys keinen Sinn hätte. Im Ergebnis hat die Justiz beschlossen, stabilere Gitter zu montieren, und diese neuen Gitter in Auftrag gegeben.
An diesem Punkt hat uns die Verwaltung zu schwerfällig reagiert. Es reichte nicht, die Lage korrekt zu bewerten – das hat sie getan – und die richtigen Maßnahmen in die Wege zu leiten – das hat sie auch getan. Zusätzlich wäre es wichtig gewesen, die Zwischenzeit bis zur Montage der neuen Gitter durch Sofortmaßnahmen zu überbrücken, vor allen Dingen, um den Kleingärtnern zu helfen. Aber Ihre Reaktion, Kollege Rissmann, hilft überhaupt nicht weiter.
Statt an die Nachbarn der Jugendstrafanstalt denken Sie nur daran, die Justizsenatorin unter Druck zu setzen. Dabei war es gerade Gisela von der Aue, die gehandelt hat, als die Probleme bekannt wurden. Die Justizsenatorin hat mit dem Innensenator und dem Polizeipräsidenten vereinbart, dass eine Polizeistreife eingesetzt wird. Die Justizsenatorin hat einen zweiten Hofposten vor dem beschädigten Fenster aufgestellt,
sie hat Probegitter anschweißen lassen, sie hat zusätzliche Haftraumkontrollen veranlasst, und sie hat Kontakt mit den Kleingärtnern und mit dem Datenschutzbeauftragten aufgenommen, um zu prüfen, ob und wie die Kolonie in die Videobeobachtung einbezogen werden kann.