Protocol of the Session on June 21, 2007

Dann Pinkwart:

Gemeindefinanzreform droht Verschlimmbesserung – kein Mut zu echtem Finanzwechsel.

Dann ein Artikel vom DGB:

CDU und FDP wollen das Tarifrecht ändern. Damit droht nun endgültig ein tarifpolitischer Systemwechsel.

[Mieke Senftleben (FDP): Tarifpolitisch!]

Interessant wird es, wenn Sie zusammen mit der Linkspartei den Systemwechsel fordern. Ich darf Ihnen unter „FDP und Linkspartei gegen Diätenerhöhung“ vorlesen:

Die großen Parteien sind sich einig, dass die Diäten monatlich um 91 € steigen sollen. Die Opposition lehnt das ab und fordert einen Systemwechsel.

FDP und Linkspartei gemeinsam!

[Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

So viel zu bundesweiten und einzelnen Themen.

Jetzt lese ich Ihnen den Titel einer Presseerklärung vor:

Ohne Systemwechsel keine Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit.

Das könnte auch von der Linkspartei stammen.

[Zuruf von der Linksfraktion: Ja!]

Es ist aber eine Erklärung der FDP-Fraktion des Abgeordnetenhauses von Berlin.

[Martina Michels (Linksfraktion): Schade!]

Rainer-Michael Lehmann hat dies erklärt, und auch da gibt es offensichtlich mehr Nähe zwischen der Linkspartei und der FDP als vermutet.

Sie haben das auch bei der Gemeindefinanzreform gefordert. Sie fordern bei der Kultusministerkonferenz einen Systemwechsel. Sie können sagen, das seien alles Einzelthemen, aber dann lese ich Ihnen den Punkt 5 aus den zehn guten Gründen für die FDP vor, die man auf der FDP-Seite der FDP in Steglitz-Zehlendorf findet. Es war aber, glaube ich, in dem letzten Wahlkampf auch von Ihnen so propagiert:

Die FDP ist die einzige Partei, die statt Flickschusterei an dem System einen grundlegenden Systemwechsel vom ungerechten Verteilungsstaat hin zu einer fairen Erwirtschaftungsgesellschaft zum Ziel hat.

[Beifall bei der SPD und der FDP]

Das geht schon etwas weiter, als einen Systemwechsel in der Gesundheitsreform zu fordern. Das ist ein Angriff auf unseren Sozialstaat, und damit auch auf unser Verfassungsprinzip!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Lieber Herr Dr. Lindner! Ich glaube, Sie sollten sich erst einmal Ihre eigenen Äußerungen durchlesen, bevor Sie sich an der Linkspartei abzuarbeiten versuchen. Da gibt es sicher auch einiges Merkwürdiges und Zurückzuweisendes, aber kehren Sie erst einmal vor der eigenen Tür!

Auch der Kollege Henkel von der CDU scheint hier gleich auf den fahrenden Zug gesprungen zu sein.

Ich lese hier:

Nach Auffassung Henkels werde im Gründungspapier der Partei Die Linke kaum verdeckt Enteignung propagiert.

Das hört sich sehr gefährlich an. Dazu lese ich Ihnen einen Satz vor:

Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zweck der Vergesellschaftung in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.

Das ist nicht aus dem Programm der Linkspartei, sondern das ist der Artikel 15 des Grundgesetzes.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Insofern können Enteignungen nicht grundsätzlich verfassungswidrig sein, ob man sie nun kaum verdeckt oder offen propagiert. Das Grundgesetz sieht sie durchaus als Maßnahme unter bestimmten Bedingungen vor. Sie als Jurist, Herr Dr. Lindner, sollten wissen, dass man nicht grundsätzlich von Verfassungsfeindlichkeit reden kann, wenn es um Enteignungen geht.

Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jotzo?

Nein, ich würde gerne weiter vortragen. – Ich komme jetzt zum ernsten Teil, nämlich zur neuen Kampagne von Herrn Westerwelle. – Herr Dr. Lindner, das mit dem Westerwelle für Arme ist Ihnen heute nicht richtig gelungen. An das Niveau reichen Sie nicht heran. Herr Westerwelle kann das wesentlich besser. Ich kann auch verstehen, dass Sie auf Herrn Lafontaine sauer sind, denn der ist zwar ein Demagoge, aber ein relativ begnadeter. Das muss man

neidlos anerkennen. Bei Ihnen kann man das nicht sagen. Das ist die traurige Wahrheit.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Jetzt zum Thema „Freiheit statt Sozialismus“: Dass Sie als freidemokratische Partei einen solchen Slogan aufgreifen, ist erstaunlich und ziemlich geschichtsvergessen. Dieser Slogan stammt nämlich aus dem Bundestagswahlkampf 1972 und richtete sich damals gegen die sozialliberale Regierung, damit also auch gegen die FDP. Dass Ihr Parteivorsitzender so etwas aufgreift, ist bedenklich, weil es zeigt, dass Sie mit Ihrer eigenen Vergangenheit Probleme haben. Das ist bedauerlich, denn Sie haben eine durchaus lange demokratische Vergangenheit. Zudem haben viele Inhalte des Sozialismus ihre Wurzeln im Gedankengut des liberalen Bürgertums, das leider nicht weit genug gedacht hat. Wenn Ihr Parteivorsitzender sagt, der Begriff demokratischer Sozialismus sei ein Widerspruch in sich – er sagte, demokratischer Sozialismus sei wie vegetarischer Schlachthof –, dann zeigt das, dass Sie keine Ahnung von dem haben, worüber Sie reden. Das muss einmal deutlich gesagt werden.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Weil Sie tote Sozialdemokraten mehr loben als lebende, lese ich Ihnen ein immer noch aktuelles Zitat von Willy Brandt aus dem Jahr 1949 vor:

Der demokratische Sozialismus ist ein in sich nicht abgeschlossenes System von Vorstellungen über eine Neugestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Sein formuliertes Programm wird immer nur die Summe gemeinsamer grundsätzlicher Überzeugungen in einer bestimmten Periode entsprechend dem jeweiligen Grad wissenschaftlicher Erkenntnis sein können. Aber diesen sich weiterentwickelnden grundsätzlichen Überzeugungen liegt eine gemeinsame Lebensanschauung zugrunde. Sie fußt auf dem Bekenntnis zur Freiheit und zum Humanismus, zum Rechtsstaat und zur sozialen Gerechtigkeit.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das ist auch die Überzeugung der SPD, lieber Herr Dr. Lindner. Wenn Ihr Parteivorsitzender den Begriff demokratischer Sozialismus abqualifizieren und in die totalitäre Ecke rücken will, dann trifft er die ganze SPD und nicht nur die Linke. Wir weisen das, was Sie getan haben, scharf zurück.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Johannes Rau sagte zum Todestag von Willy Brandt:

Der Sozialismus muss auf Freiheit und Demokratie aufbauen, will er eine Politik führen können, die ihn wirklich berechtigt, diesen Namen zu führen.

Das ist unsere feste Überzeugung. Das muss zusammenpassen. Bei einigen früheren Experimenten und auch aktuell war das nicht der Fall. Deswegen muss man es besser machen. Man muss nicht sagen, Sozialismus sei an sich schlecht. Sozialismus ist eine zukunftsweisende Ge

sellschaftsform, an der auch wir weiterarbeiten werden – ob Ihnen das passt, Dr. Lindner, oder nicht.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Zum Abschluss noch ein Zitat einer anderen Persönlichkeit:

[Zurufe von der CDU]

Den Slogan „Freiheit oder Sozialismus“ halte ich nicht für glücklich.