Ich eröffnet die 13. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle, unsere Gäste, die Zuhörer, die Medienvertreter und die Mitarbeiter ganz herzlich. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, ist Geschäftliches mitzuteilen.
Zunächst die Änderung der Federführung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über „Lohndumping verhindern – Mindestlohn einführen“ Drucksache
16/0521, eingebracht in der 12. Sitzung am 24. Mai 2007, federführend überwiesen an den Ausschuss für Integration, Arbeit, Berufliche Bildung und Soziales sowie mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Frauen: Die Federführung erhält nunmehr der Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Frauen, und der Ausschuss für Integration, Arbeit, Berufliche Bildung und Soziales ist mitberatend. – Widerspruch höre ich nicht, dann verfahren wir so. Das korrespondiert im Übrigen mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen unter dem Tagesordnungspunkt 23. Über die Konsensliste wird die Überweisung an die Ausschüsse ebenfalls so verfügt werden.
Eine weitere Änderung der Ausschussüberweisung hinsichtlich Drucksache 16/0422, Antrag der Fraktion der CDU über „Verschuldungskarrieren von Kindern und Jugendlichen frühzeitig verhindern helfen“, Drucksache 16/0423, Antrag der Fraktion der CDU über „Jungen und junge Männer machen stark gegen Gewalt“ sowie Drucksache 16/0523, Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über „Zunehmender Verschuldung Jugendlicher und jungen Erwachsener konsequent entgegenwirken!“, jeweils eingebracht und überwiesen an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie; die Anträge sollen nunmehr auf Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zusätzlich mitberatend an den Ausschuss für Integration, Arbeit, Berufliche Bildung und Soziales überwiesen werden. – Widerspruch dazu höre ich nicht, dann verfahren wir so.
Am Montag, dem 4. Juni 2007 sind die folgenden Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:
1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion zum Thema: „Schutz und Chancengleichheit für alle Kinder – eine Herausforderung für Politik und Gesellschaft“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Jetzt einen Hauptstadtpakt zur Entschuldung Berlins schmieden – Allianzen mit anderen Bundesländern eingehen!“,
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Entschuldungsinitiative für Berlin: die Opposition handelt – Wowereit schweigt und schreibt!“.
Zur Begründung der Aktualität, aber auch nur der Aktualität, rufe ich jetzt auf. Für die Fraktion der SPD spricht Frau Harant. – Bitte schön, Frau Harant, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Es ist schon ziemlich lange her, dass in der Aktuellen Stunde Kinder und ihre besondere Schutzbedürftigkeit ein Thema waren, fast eineinhalb Jahre. Schon dies ist ein ausreichender Grund, sich heute damit auseinanderzusetzen, denn dieses Thema ist aktuell und wichtig wie eh und je.
Wir wissen, die allermeisten Familien funktionieren und leisten einen unersetzbaren Beitrag für unsere Zukunft. Dort kümmern sich die Eltern liebevoll um ihre Kinder und tun alles, um ihnen eine gute Entwicklung zu ermöglichen. Sie brauchen dazu keine Anleitung, und sie brauchen auch keine Überwachung durch den Staat. Wir wissen aber auch, es gibt Kinder, die in Verhältnissen leben, die ihnen schaden, die sie in ihrer körperlichen, seelischen und geistigen Entwicklung beeinträchtigen. Dadurch sind sie von vornherein benachteiligt und vieler Chancen beraubt. Immer noch vergeht kaum eine Woche, in der wir nicht Berichte über verwahrloste, vernachlässigte Kinder lesen, die zu ihrem Schutz aus der Familie genommen werden müssen. Dann ist die Empörung in der Bevölkerung immer wieder groß, und das zu Recht. Denn hier leiden Kinder, meist sehr kleine Kinder, die hilflos und wehrlos der Gleichgültigkeit und der Rücksichtslosigkeit der eigenen Eltern ausgeliefert sind, oft lange von der Außenwelt unbemerkt, oft bereits irreparabel geschädigt, wenn die Katastrophe schließlich entdeckt wird.
Die Politik in Berlin hat auf diese Herausforderung reagiert. Um den Kindern besser und schneller zu helfen, wurde im letzten Jahr das Netzwerk Kinderschutz entwickelt. Schon im Vorfeld sollen dadurch problematische Familienverhältnisse erkannt werden, sodass man rechtzeitig eingreifen kann und Schlimmstes verhindert wird. Inwieweit es mit diesem Maßnahmenpaket tatsächlich gelingt, Kinder in Not wirksamer zu schützen, welche Erfahrungen mit der Umsetzung dieses Konzepts inzwischen vorliegen, welche Probleme noch zu lösen sind, das sind Fragen, auf die wir dringend Antworten erwarten.
Kinderschutz bewegt sich in einem Spannungsverhältnis zwischen den Rechten und Pflichten der Eltern und den Grundbedürfnissen der ihnen anvertrauten Kinder. Eigentlich dürfte das kein Widerspruch sein. In der Wirklichkeit sieht es aber aus den unterschiedlichsten Gründen in vielen Fällen anders aus. Wenn es die Eltern nicht schaffen, die Grundversorgung ihrer Kinder zu organisieren, wenn sogar ausreichend Ernährung und Ausstattung fehlen, dann muss der Staat eingreifen.
Das klingt jedoch einfacher, als es ist, denn jeder Fall liegt anders. In jedem Fall muss individuell entschieden
werden, wie die optimale Hilfe aussieht. Das ist mühsame Kleinarbeit, die Zeit und Geld kostet und immer wieder in diesem Spannungsfeld Elternrecht – Kindeswohl neu austariert werden muss. Ob dabei Deklarationen, Konventionen, Kommissionen wirklich weiterhelfen, wie die sehr verehrten Damen und Herren der Opposition vorschlagen, wage ich zu bezweifeln.
In diesen Zusammenhang gehört ein ganz konkretes Thema, nämlich das der Essensversorgung an den Ganztagsschulen. Unbestritten sind zuallererst die Eltern für die Ernährung der Kinder zuständig. Auch wer kein Arbeitseinkommen hat, erhält über die Transferleistungen genügend Geld für das Kind, sodass er es ernähren kann – soweit zur Pflicht der Eltern. Damit ist das Thema jedoch politisch nicht erledigt, denn wenn die Ganztagsschule die Schule der Zukunft sein soll – und das soll sie in Berlin sein –, muss auch das Problem der Essensversorgung so gelöst werden, dass selbstverständlich alle Kinder am Mittagessen teilnehmen bzw. teilnehmen können. Auch darauf gründet sich Chancengleichheit und Teilhabe, so wie wir es verstehen.
Die Koalition beantragt deshalb eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Schutz und Chancengleichheit für alle Kinder – eine Herausforderung für Politik und Gesellschaft“. Geben wir allen Kindern gute Startbedingungen, auch jenen, die in schwierigen Familiensituationen benachteiligt und auf unsere Hilfe angewiesen sind. – Ich danke Ihnen!
Danke schön, Frau Harant! – Für die Fraktion der CDU hat der Fraktionsvorsitzende Herr Dr. Pflüger das Wort. – Bitte schön, Herr Dr. Pflüger!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Stadt hat 61 Milliarden € Schulden, und sie wird auch am Ende dieser Legislaturperiode über 60 Milliarden € Schulden haben.
[Senator Dr. Thilo Sarrazin betritt den Saal! – Mario Czaja (CDU): Da kommt ja der Richtige! – Allgemeine Heiterkeit]
Das ist ein schlimmer Zustand, Herr Sarrazin, und wir alle wissen, dass das bedeutet, dass das Land Berlin in jedem Jahr 2,7 Milliarden € Schulden bezahlen muss. Damit wird deutlich, wie wichtig Schuldenabbau für unsere Stadt ist. Das ist nicht etwas Abstraktes, sondern das verschafft der Politik, den Bürgerinnen und Bürgern, uns allen mehr Spielräume bei der Bewältigung der enormen Herausforderungen, vor denen unsere Stadt im sozialen
Der Senat hat mit seiner Klage in Karlsruhe eine herbe Niederlage hinnehmen müssen – die Klage auf Hilfen wegen einer extremen Haushaltsnotlage ist gescheitert, obwohl man immer gesagt hat, da kriegen wir mindestens 30 Milliarden € – das war die große Verheißung des letzten Wahlkampfes.
Ja, ich habe es vorliegen, Sie haben in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ gesagt: Wir werden das hinkriegen, und die Stadt wird deshalb in Zukunft keine finanziellen Probleme mehr haben. – Das war die große Verheißung des Senats, damit sind Sie kläglich gescheitert, und das bedauern wir, darüber freuen wir uns nicht.
Das ist die Lage, in der sich die Stadt befindet, und das ist für zukünftige Generationen nach wie vor, trotz der guten konjunkturellen Entwicklung im Bund und trotz der Steuermehreinnahmen, die große Herausforderung unserer Stadt. Dieser Herausforderung werden Sie nicht annähernd gerecht!
der zugleich Chef einer Bund-Länder-Finanzkommission ist, die den Länderfinanzausgleich neu regeln soll – eine historische Aufgabe, die dieser Kommission von Bund und Ländern gegeben wurde, eine enorme Chance, weil wir eine gute bundesweite Konjunkturentwicklung und weil wir im Bund eine große Koalition haben. Noch nie waren die Ausgangsbedingungen für eine solche nachhaltige Reform besser. Nun stellt sich Herr Oettinger, aus einem reichen Land kommend, hin, und sagt: Ich bin bereit, über einen Entschuldungspakt für Berlin nachzudenken.
Klar ist auch, dass wir gemeinsam nach Wegen suchen müssen, wie wir einem Neuanfang eine Startchance geben. Deshalb mache ich den Vorschlag, dass die Länder gemeinsam einen nationalen Entschuldungspakt vereinbaren.
In einer solchen Situation, in der wir uns nun einmal mit 61 Milliarden € Schulden befinden – zu einem großen Teil ohne Schuld irgendeines Senats, sondern aufgrund
in einer solchen Situation kommen zwei mächtige Ministerpräsidenten und sagen: Hier ist die Chance für einen nationalen Entschuldungspakt! – Und wie reagiert der Senat, wie reagiert Herr Wowereit? – Er hat diese Leute weder angerufen noch angeschrieben, er hat nichts gemacht, wie sein Senatssprecher diese Woche noch einmal bestätigt. So geht man nicht mit potenziellen Bündnispartnern um. Jetzt müsste man am Anfang dieser Bund-LänderVerhandlungen Allianzen schaffen, Partner suchen. Sie tun das nicht, und ich kann Ihnen nur sagen, Herr Wowereit, so kann man diese Stadt nicht regieren!
Sie mögen sagen: Ich kann doch jetzt nicht, wo die Opposition dies fordert, übermorgen Herrn Oettinger anrufen. Ich kann dem doch jetzt nicht nachgeben. – Ich sage Ihnen aus eigener Erfahrung: Fehler machen wir alle, es passiert immer mal wieder, dass man in der Politik eine Chance verpasst. Wir bitten Sie: Fallen Sie in die richtige Richtung um, greifen Sie zum Telefon, sprechen Sie mit Wulff, mit Oettinger und anderen, die sich positiv eingelassen haben, sprechen Sie z. B. auch mit dem Kollegen Ratzmann, der das Berliner Abgeordnetenhaus in dieser Föderalismuskommission quasi vertritt.
Machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben zum Wohle unserer Stadt! Wir bieten Ihnen noch einmal an: Ich im CDUPräsidium, Ratzmann in der Kommission, Lindner mit seinen guten Kontakten,
wir sind dazu bereit. – Lindner hat glänzende Kontakte in seine Bundespartei hinein, und darüber sollten Sie wirklich nicht lachen. Sie werden jeden einzelnen Partner benötigen, wenn Sie Berlin von den 61 Milliarden € Schulden herunterbringen wollen.